Indonesien-Information, März 1993 (Ost-Timor)

Quelle: Frankfurter Rundschau, Montag, 22. Februar 1993

 

Im Dschungel der Bekenntnisse

 

Ost-Timor erlebt den Widerruf von Ex-Guerillachef Gusmao

Von Karin Deckenbach (Bangkok)


Auf der von Indonesien annektierten Insel Ost-Timor steht der ehemalige Führer der Unabhängigkeitsbewegung Fretilin, Jose Alexander Gusmao, seit Anfang des Monats vor Gericht Seit seiner Verhaftung hat die Leitfigur des Widerstands eine eigenartige Wendung vollzogen. Wegen der rigorosen Verfolgung politisch Andersdenkender und insbesondere wegen der brutalen Unterdrückung der Ost-Timoresen steht die Regierung unter Präsident Suharto, der Bundeskanzler Helmut Kohl in dieser Woche einen Besuch abstattet, auf der Liste der notorischen Menschenrechtsverletzer.

Das größte Rätsel ist, warum Jose Alexander Gusmao nach 17 Jahren erbittertem Dschungelkampf plötzlich in wenigen Tagen seine Meinung änderte. An seinem ersten Verhandlungstag antwortete der 46jährige Gusmao dem Richter auf die Frage nach seiner Nationalität: „Ich bin Indonesier.“ Mit diesem simplen Satz widerrief Gusmao alles, wofür er sein Leben lang gekämpft hatte: gegen die völkerrechtlich illegale Annektion Ost-Timors durch Indonesien und für die Unabhängigkeit der ehemaligen portugiesischen Kolonie.

Schon seine Verhaftung im vergangenen November war ein Rätsel. Schwerbewaffnete indonesische Soldaten stürmten damals ein unscheinbares Haus in den Außenbezirken von Dili, der Hauptstadt Ost-Timors. Im Souterrain schoben die Soldaten einen Schrank von der Wand, rissen die dahinter verborgene Tür auf, und da lag Gusmao, bärtig und bleich, und schlief. „Xanana“ — so lautet der Kriegsname des legendären Rebellenführers — leistete keinen Widerstand, als er in Ketten abgeführt wurde.

Die Gleichgültigkeit, mit der Xanana seine Verhaftung hinnahm, und auch der „Verrat“ in den eigenen Reihen, den manche Ost-Timoresen hinter diesem Coup der indonesischen Regierung wittern, gaben Anlaß zu Spekulationen, der Held sei seines vergeblichen Kampfes einfach müde geworden. Nur elf Tage nach Gusmaos Verhaftung kam ein weiterer schwerer Schock für die Anhänger seiner „Nationalen Befreiungsfront gegen das indonesische Besatzungsregime in Ost-Timor“ (Fretilin). Xanana erschien im indonesischen Staatsfernsehen und sagte in seiner Muttersprache portugiesisch: „Ost-Timor ist heute ein Teil Indonesiens und Indonesien ist ein Teil Ost-Timors.“

Nicht wenige meinen, des Rätsels Lösung sei seelische und körperliche Folter, die den Rebellenführer zu seiner plötzlichen Gesinnungsänderung zwang. Andere wiederum meinen, seine „Bekenntnisse“ seien der Preis, um der Todesstrafe zu entgehen. Tatsächlich hat der indonesische Staat im nun begonnenen Prozeß Gusmao zahlreicher Verbrechen angeklagt — darunter Separatismus, Aufruf zur Rebellion und Konspiration. Aber der einzige Vorwurf, auf den die Todesstrafe steht, nämlich illegaler Waffenbesitz, taucht nur als Nebenklage auf. Juristen sind sich einig, daß Gusmao so zwar zu lebenslanger Haft, doch kaum zur Todesstrafe verurteilt werden kann.

Auch findet der Prozeß gegen Gusmao in ungewohnter Offenheit statt. Publikum ist zugelassen, wenn auch die Zahl der Zuhörer angeblich aus Platzgründen auf 89 begrenzt und die indonesische Regierung einem Prozeßbeobachter der Menschenrechtsorganisation amnesty international die Einreise verweigerte. Gleichwohl sehen Diplomaten in Jakarta darin einen Hinweis, die indonesische Regierung wolle ihren schlechten internationalen Ruf aufpolieren.

Den unwirtlichen, von den portugiesischen Kolonialherren fast vollständig abgeholzten östlichen Teil der Insel Timor brachten die Indonesier 1976 mit einer militärischen Invasion unter ihre Gewalt. Die Portugiesen hatten sich ein Jahr zuvor im Rahmen ihrer hastigen, chaotischen Entkolonialisierungs-Politik zurückgezogen und die Ost-Timoresen unvorbereitet und plötzlich sich selbst überlassen. Die indonesische Annektion Ost-Timors wurde von den Vereinten Nationen nie anerkannt doch strategische und politische Interessen der USA ließen den Protest ziemlich lahm ausfallen. So liegt Ost-Timor einerseits militärisch günstig am einzigen für Atom-U-Boote passierbaren Tiefseegraben Ombai Wetar. Und andererseits war Gusmaos Fretilin-Partei als „kommunistisch“ verschrieen.

Der brutalen indonesischen Besatzungsmacht fielen nach Schätzungen von Experten 150.000 Menschen, nahezu ein Viertel der 690 000 Ost-Timoresen zum Opfer. Vor wenigen Jahren besann sich Jakarta eines Besseren und wollte fortan mit massiver Entwicklungshilfe die „Herzen und Köpfe“ der Ost-Timoresen für sich gewinnen. Straßen und Schulen wurden gebaut, Investitionen flossen auf die Insel, Tourismus wurde zeitweilig gestaltet. Doch nach Ansicht von Beobachtern profilieren vor allem eingewanderte Indonesier von all dem Geld — die Armut und Verbitterung der Ost-Timoresen darüber gaben Gusmaos Fretilin neuen Auftrieb.

Im November 1991 protestierten mehrere hundert Menschen in Dili gegen die Politik Jakartas. Die indonesische Armee, angeblich „provoziert“, schoß in die Menge. Nach Jakartas Angaben starben 50, nach unabhängigen Schätzungen. 180 Menschen im Kugelhagel. Indonesien hatte sich einmal mehr den Haß der Ost-Timoresen und die Kritik der Vereinten Nationen zugezogen.

Doch dann gelang Jakarta die Verhaftung Gusmaos. Seitdem, so behauptet die Regierung Suharto, hätten 1100 Fretilin-Anhänger den Kampf aufgegeben und sich gestellt Seltsamerweise hatte Jakarta zuvor behauptet die Freiheit Ost-Timors werde nur noch von rund 100 versprengten Fretilin-Guerillas verfolgt. Den offensichtlichen Widerspruch darin interpretieren Menschenrechts-Organisationen nun so, daß Jakartas Gouverneur in Ost-Timor die jüngsten, zahlreichen Verhaftungen nicht mit legalen Anklagen rechtfertigen kann und deshalb willkürlich behauptet alle Festgenommenen seien staatsfeindliche Fretilin-Anhänger. amnesty international hat 60 Namen genannt, die allein anläßlich des Jahrestages des Dili-Massakers festgenommen wurden.

Ein Anwalt Gusmaos bestreitet der indonesischen Regierung das Recht der Anklage. Verteidiger Sudjono sagte vor Gericht: „Grundsätzlich wird die indonesische Regierung Ost-Timors nicht anerkannt deshalb existieren alle ihre Institutionen hier, einschließlich dieses Gerichts, de jure nicht“ Die portugiesische Regierung, die von den Vereinten Nationen bis heute als legale Verwaltungsmacht Ost-Timors angesehen wird, hat den Prozeß eine „bösartige Farce“ genannt, die „weder unparteiisch noch objektiv“ sei.

Beide wurden von Xananas „Bekenntnissen“ kalt erwischt Vielleicht wird Gusmao das Rätsel selbst lösen. In der Haft hat er seine bisher unveröffentlichten Memoiren geschrieben. Seinem Richter sagte er auf die Frage nach seinem Beruf kryptisch, er sei ein GPK, das indonesische Kürzel für Unruhestifter. Und am ersten Verhandlungstag rief er Reportern eindringlich zu: „Bleibt und hört zu, folgt, diesem Prozeß bis zum letzten Tag!“ <>
 
 

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