Indonesien-Information Nr. 2 2002 (Menschenrechte)

Indonesisches Militär und staatliche Gewalt gegen die Armen in Jakarta

von Wardah Hafidz, Koordinatorin des Urban Poor Consortiums (UPC)

Auf Einladung von Misereor kamen Wardah Hafidz und Afrizal Malna von UPC nach Berlin, um über die Gewalt gegen die städtischen Armen zu informieren sowie in Gesprächen mit Politikern und der Senatsverwaltung Möglichkeiten der Unterstützung im Rahmen der Städtepartnerschaft zwischen Berlin und Jakarta zu erörtern. Misereor und das Habitat Forum Berlin baten den Regierenden Bürgermeister von Berlin, Klaus Wowereit, sich mit den betroffenen städtischen Armen solidarisch zu zeigen und auf den Gouverneur von Jakarta einzuwirken, eine friedliche und sozial verträgliche Konfliktlösung im Dialog mit den Nichtregierungsorganisationen zu finden. Den folgenden Vortrag hielt Wardah Hafidz bei der Veranstaltung am 11. Januar 2002 in der Katholischen Akademie in Berlin.

Indonesien, das Land des Überflusses und der Vielfalt - mit ungefähr 17.000 Inseln der größte Archipel und der weltweit viertgrößten Bevölkerung - gerät immer mehr außer Kontrolle; als ob sich seine natürlichen Ressourcen, die gewaltige Anzahl von Inseln, seine vielfältigen kulturellen, religiösen und ethnischen Reichtümer, um derentwillen es von so vielen anderen Nationen beneidet und von einigen Ländern, wie Portugal und Holland sogar kolonisiert wurde, jetzt in einen Fluch für die Menschen gewandelt hätten. Die Unruhen in verschiedenen Regionen, von denen behauptet wird, dass sie religiöser oder ethnischer Natur seien, der blutige Konflikt in Aceh, der Tausenden Unschuldigen das Leben gekostet hat, die staatliche Gewalt gegen die Armen in den urbanen Zentren zusammen mit der ökonomischen Krise, die seit ihrem Beginn 1997 auf Indonesien lastet, haben das Land trotz der Bürgschaft des IWF (Internationaler Währungsfonds) praktisch gelähmt. Indonesien hat sein grundsätzliches soziales Kapital - das Vertrauen seiner Bevölkerung - verloren.

Inmitten der empfindlichen Übergangsphase von einem autoritären und militaristischen politischen System hin zu einer Demokratie, wird Indonesien gegenwärtig von Problemen heimgesucht, die das Erbe der politischen und wirtschaftlichen Entscheidungen des Suharto-Regimes sind - vergleichbar mit dem Öffnen der Pandora-Kiste. Zusätzlich zu den bestehenden Schwierigkeiten, wie tief verwurzelter Korruption, Nepotismus und Vetternwirtschaft, muss sich Indonesien politisch auch mit der langjährigen und starken ökonomischen, politischen und sozialen Rolle des Militärs auseinander setzen. Als Institution, die so lange im Genuss von Macht war, versucht das Militär mit aller Entschiedenheit an dieser festzuhalten, die ihm in den vergangenen zwei Jahren schrittweise aus den Händen zu gleiten drohte.

Staatliche Gewalt gegen Arme

Seit Mitte August 2001 sind städtische Arme massiv willkürlichen Repressionen ausgesetzt: sie werden aus ihren Häusern vertrieben, es wird ihnen ihre Lebensgrundlage entzogen und wer sich gegen Zerstörung und Beschlagnahmung wehrt, wird festgenommen. Bis zum heutigen Tag halten diese Machenschaften an, die Menschen werden massiv an der Ausübung ihrer gewohnten Arbeit und damit der Sicherung ihres Lebensunterhalts behindert.

Die Behörden der Metropole haben einen detaillierten Plan entworfen, der vorsieht, Jakarta ab Beginn des zweiten Halbjahres 2001 von den städtischen Armen zu säubern. Zu diesem Zweck sind Tausende Sicherheitsdienstkräfte angeheuert worden, die von Hunderten Polizisten und Soldaten, die mit Tränengaspistolen, Gewehren und Gummiknüppeln ausgestattet sind, bei ihrer Arbeit unterstützt werden. Mit Bulldozern, Lastkraftwagen und Polizeiautos rücken sie in die Armenviertel ein.

Seit August 2001 sind Konfiszierungen von Becaks (Fahrradrikschas), Zerstörungen von Garküchen und Autowaschanlagen, Festnahmen von Straßenkindern und Straßenhändlern, Straßenmusikern und anderen, die sich ihren Lebensunterhalt auf der Straße verdienen, sowie Vertreibungen und Brandstiftungen in urbanen Armenvierteln zu alltäglichen Erscheinungen geworden. Die Operationen werden oft nachts oder in aller Frühe, wenn alle Menschen schlafen, durchgeführt. Die Behörden machen sich auch die ethnische und religiöse Zugehörigkeit der Menschen zu Nutze, um die Armen gegeneinander aufzuhetzen, beispielsweise Betawi (ursprüngliche Einwohner Jakartas) gegen Nicht-Betawi, Muslime gegen Christen. Ebenso wird von Schlägern Gebrauch gemacht, um die Armen zu terrorisieren. Kinder und Frauen leiden am meisten unter den Verletzungen ihrer Menschenrechte in solchen Situationen.

Bei der Umsetzung dieser Pläne zur Vertreibung der Armen machen die Behörden in Jakarta von verschiedenen kommunalen und nationalen Gesetzgebungen im Namen der "Wahrung der öffentlichen Ordnung" oder "zum Nutzen der Allgemeinheit" Gebrauch, wie beispielsweise von Perda (Verordnung der Provinzregierung von Jakarta) Nr. 11/1998 über die öffentliche Ruhe und Ordnung sowie von dem Präsidialdekret Nr. 55/1993 über die Bereitstellung von Land für Entwicklungen zum Nutzen der Allgemeinheit..

Die Verordnung Nr. 11/1998 ist ein sehr machtvolles Rechtsinstrument: Mit dessen Hilfe verbietet die Regierung den Verkauf, die Herstellung und den Gebrauch von Becaks in Jakarta. Auf dieser Grundlage werden die Mittel der Armen beschlagnahmt, mit denen sie sich ihren Lebensunterhalt verdienen, die Bewohner von Ufersiedlungen und Slumgebieten vertrieben - ohne dass ihnen alternative Lösungswege angeboten werden. Darüber hinaus wenden die Behörden das Präsidialdekret 55/1993 unter dem Vorwand des "Nutzens für die Allgemeinheit" an, um Land zu konfiszieren und die Bevölkerung, die das Gebiet jahrelang bewohnt hat, zu kriminalisieren und zu vertreiben, ohne ihnen irgendeine Art von Entschädigung zukommen zu lassen.

Die Daten, die vom Urban Poor Consortium (UPC) zwischen September und Dezember 2001 gesammelt wurden, zeigen dass 10.231 Becakfahrer ihren Job verloren haben. In der gleichen Zeitspanne haben 35.165 Straßenverkäufer und im informellen Sektor Tätige ihren Arbeitsplatz eingebüßt und 13.629 Haushalte haben ihr Dach über dem Kopf verloren. Das bedeutet, dass in dieser Zeit bei durchschnittlich 4 Personen pro Haushalt mindestens 236.100 Personen vom Verlust ihres Lebensunterhaltes betroffen sind. Noch immer unzufrieden mit dem neu angerichteten Elend, führen die Behörden gegenwärtig in 13 Ufersiedlungen Jakartas Vertreibungen und Zerstörungen durch. Davon sind ungefähr weitere 200.000 Haushalte betroffen. Der erste Vorfall im neuen Jahr trat am 7. Januar 2002 auf, als 700 kommunale Sicherheitskräfte und Polizisten die Siedlung in Penjaringan (Nordjakarta) von über 500 Haushalten zerstörten. Eine betroffene Person wurde inhaftiert, etliche Frauen und Kinder verletzt. Alle wurden terrorisiert, büßten ihren Seelenfrieden, ihre Häuser und Besitztümer ein.

Die Regierung stellte den betroffenen Familien keine vorübergehende Hilfe zur Verfügung, da diese die Bewohner ohnehin primär als Störenfriede betrachtet, die Regierungsland besetzt halten. Viele Kinder haben wegen finanziellen Schwierigkeiten ihrer Familien mit ihrer Schulausbildung komplett aufgehört oder blieben für mehrere Tage dem Unterricht in der Schule fern. Außerdem erkrankten viele Kinder aufgrund dieser Umstände. Einige wurden wegen diesen gewalttätigen Zerstörungen regelrecht traumatisiert.

Mit diesem Vorgehen haben die Behörden Jakartas sowohl gegen einheimisches als auch gegen internationales Recht verstoßen. Die indonesische Verfassung von 1945 garantiert jedem Bürger das Recht auf Lebensraum und einen Arbeitsplatz. Konkret kann der Regierung die Verletzung von Kapitel 3, Absatz 3 vorgeworfen werden: "Jeder Bürger hat das Recht in einem angemessenen Haus in einer sicheren, gesunden, harmonischen und angemessenen Umgebung zu leben." Die regionale Regierung von Jakarta als Teil des indonesischen Staates hat gegen übliches internationales Recht verstoßen, z.B. gegen die universelle Erklärung der Menschenrechte und die internationale Konvention für wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte. Außerdem wurden auch die internationale Konvention für die Beseitigung von allen Arten der Diskriminierungen gegen Frauen (CEDAW) sowie die Konvention für Kinderrechte (CRC) verletzt, welche die indonesische Regierung in internationalen Verträgen ratifiziert hat.

Warum die Gewalt anhält

Eigentlich stehen den Behörden in Jakarta auch Alternativen zu Vertreibung und Zerstörung zur Verfügung, um sich den städtischen Armen zuzuwenden. Im Jahresbudget 2001 der Stadt Jakarta wurden mehr als 50 Mrd. Rupiah zur Verfügung gestellt, um die Lebensverhältnisse der Armen zu verbessern; lokale und nationale Parlamente verfügen über Land- und Unterkunftspläne für städtische Arme, und auch das Notlinderungsprogramm hat eine große Summe von Geldern bereit gestellt. Staatliche Gewalt, wie sie gegenwärtig von den Behörden in Jakarta Anwendung findet, schadet dem internationalen Ansehen der indonesischen Regierung, die momentan von der internationalen Gemeinschaft äußerst abhängig ist. Die Ausdauer und die Beharrlichkeit, mit der die Behörden ihre gewalttätigen Vorhaben ausführen, lässt daher noch eine andere Vermutung aufkommen.

Ich vertrete die Theorie, dass die drastische und anhaltende staatliche Gewalt gegen die Armen in Jakarta kein Einzelfall ist; auch in anderen Städten wie Bandung, Semarang, Denpasar, Palu und selbst in abgelegenen Gebieten wie Maubere (Flores) ereignen sich Vorfälle dieser Art. Tatsächlich handelt es sich hierbei um einen Teil eines großangelegten Plans, der auf die Aufrechterhaltung von Chaos und Instabilität im ganzen Land hinzielt. Er ist Teil einer weitangelegten Form von Gewalt. Dies umfasst beispielsweise die Bombenattentate auf Kirchen, Einkaufszentren und andere öffentliche Einrichtungen, militärische Gräueltaten in Aceh und West-Papua und die derzeitigen Unruhen in Palu und Poso (beide in Sulawesi), selbst die Spannungen innerhalb politischer Parteien - PKB, PPP, PBB u.a., um nur einige Beispiele zu nennen -; und auch der Terror, die politischen Morde und Spannungen innerhalb kritischer und radikaler Nichtregierungsorganisationen sind Teil des Ganzen.

Kurzgesagt wird von Seiten des Militärs und den Status-Quo-Kräften versucht, eine stärkere Einbindung der Zivilgesellschaft zu verhindern. Je mehr sich die Gewalt im ganzen Land ausbreitet und um so länger das Chaos anhält, desto einfacher ist es für jene Kräfte die Bevölkerung zu überzeugen, dass eine zivile Regierung nicht in der Lage ist, das große Land zusammenzuhalten, und dass diese Aufgabe nur vom Militär effizient erfüllt werden kann. Letztendlich handelt es sich hierbei um einen Kampf zwischen Status-Quo-Kräften und denjenigen, die sich für eine Demokratisierung des sozialen und politischen Systems in Indonesien einsetzen.

Zusammenfassung

Es ist offensichtlich, dass Tausende Haushalte Opfer der staatlichen Gewalt gegen städtische Arme wurden. Die indonesische Regierung, sowohl auf nationaler als auch auf regionaler Ebene, hat damit gegen die Rechte der Menschen auf Wohnen, friedliches Zusammenleben und freie Berufsausübung sowie gegen andere damit zusammenhängende Menschenrechte verstoßen.

Versuche, die von zivilgesellschaftlichen Organisationen und Einzelpersonen auf lokaler und nationaler Ebene zur Beendigung der staatlichen Gewalt unternommen wurden, waren sehr erschöpfend und endeten enttäuschend. Eine Reihe von Versuchen, die vom städtischen Armennetzwerk Jakarta unternommen wurden, inklusive von UPC und anderen in Jakarta tätigen Nichtregierungsorganisationen, angefangen von Kampagnen, Versammlungen, Lobbying, Appellen, Sammelklagen und sogar direkten Widerstand zusammen mit den Betroffenen, sind auf taube Ohren gestoßen und hatten zunehmend gewalttätige Reaktionen durch die lokalen Behörden zur Folge. Im Namen von Ordnung, Stadtverschönerung und Umsetzung von geltendem Recht (law enforcement), führen die lokalen Behörden einen Krieg gegen die Armen - und nicht etwa gegen die Armut.

In der Annahme, dass in einer globalisierten Welt solche Probleme von internationaler Bedeutung sind und daher die Unterstützung sowie die Verantwortung der internationalen Gemeinschaft erfordern, möchten wir die internationale Gemeinschaft auffordern, sich intensiver einzubringen, um erstens die Gewalt zu beendigen und zweitens, die Behörden Jakartas für die von ihnen begangenen Menschenrechtsverletzungen zur Rechenschaft zu ziehen. Wir fordern alle Regierungen, und insbesondere die Bundesregierung auf, ihre Hilfe, ihre finanziellen Zuschüsse sowie ihre anderweitige Zusammenarbeit mit der indonesischen Regierung und vor allem mit den Behörden Jakartas solange zu beenden, bis diese die staatliche Gewalt eingestellt haben.

Übersetzt aus dem Englischen von Antje Mißbach

 
 

Zurück zur Hauptseite Watch Indonesia! e.V. Back to Mainpage