Indonesien-Information Juni 1992 (Demokratie)

 

Indonesiens Minderheiten im Aufbruch

Liem Soei Liong in Berlin


In Zusammenarbeit mit amnesty international, Robin Wood und anderen Organisationen lud Watch Indonesia! am 26.5.1992 zu einer Diskussion im Rahmen der Veranstaltungsreihe "Bedrohte Völker - Bedrohte Zukunft" der Humboldt-Universität zu Berlin ein. Peter Lange von amnesty international gab zu Beginn der Veranstaltung eine Übersicht über den aktuellen Stand der Menschenrechtsverletzungen in Indonesien und berichtete über politische Gefangene sowie die derzeit laufenden Prozesse gegen Teilnehmer an Ost-Timor-Demonstrationen. Als Referent war Liem Soei Liong eingeladen, der für die indonesische Menschenrechtsorganisation tapol in London arbeitet. In seiner Rede erläuterte Liem die Auseinandersetzungen in Aceh, Ost-Timor, Maluku und West-Papua (Irian Jaya). Im folgenden eine kurze Zusammenfassung seines Vortrages:


Indonesischer Kolonialismus von Sabang bis Merauke


In verschiedener Hinsicht ist die Republik Indonesien nur eine Fortsetzung des früheren Niederländisch Ost-Indiens; die Insel Java wird als Zentrum, die restlichen Inseln werden als bloße Peripherie angesehen.

In der jungen Geschichte der indonesischen Republik sind regionale Aufstände eine Dauererscheinung. Nach der Round-Table-Konferenz 1949 akzeptierten die Holländer und die internationale Gemeinschaft die unabhängigen RIS (Republik Indonesia Serikat), die Vereinigten Staaten von Indonesien. Die RIS existierten nur wenige Monate lang, bald beschlossen die Regierenden in Jakarta, die föderalen RIS in einen Einheitsstaat umzuwandeln. Die Schaffung des Einheitsstaates ist auch der Beginn eines nicht enden wollenden Konfliktes zwischen Jakarta und verschiedenen Regionen wie Aceh, West-Sumatra, Nord-Sulawesi, Süd-Sulawesi, Kalimantan sowie den Molukken.

Der kürzliche erfolgte Ausbruch von Gewalt in Aceh kann weitgehend durch die wachsenden Spannungen zwischen ABRI, dem indonesischen Militär, und der GAM (Gerakan Aceh Merdeka), der Befreiungsbewegung Acehs, erklärt werden. Es ist unmöglich, eine genaue Zahl der Opfer anzugeben, da Menschenrechtsorganisationen der Zutritt nach Aceh verwehrt ist. Eine grobe Schätzung reicht von 2.000 bis zu 10.000 Opfern. Berichte von Massenmorden an Dorfbewohnern in Aceh erschienen in der nationalen und internationalen Presse. Entlang von Straßen, in Flüssen und in Pflanzungen werden weiterhin Tote mit Schuß- oder Stichverletzungen gefunden. Kürzlich wurden Berichte über Massenhinrichtungen, nach denen die Opfer in einen Graben geworfen wurden, und über öffentliche Hinrichtungen auf einem Dorfplatz veröffentlicht.

In den 60er Jahren wurde das frühere holländische West-Guinea widerrechtlich Indonesien einverleibt. 1975 marschierte die indonesische Armee in die frühere portugiesische Kolonie Ost-Timor ein und erklärte sie gewaltsam zu Indonesiens 27. Provinz.

In Ost-Timor und Aceh sind sowohl bewaffneter Widerstand als auch ein leistungsfähiges Untergrund-Netzwerk in den Städten die Basis des Widerstandes gegen die indonesische Herrschaft. In den letzten paar Monaten gab es vermehrt Aktionen der OPM im südlichen Merauke-Gebiet auf West-Papua. Auf den Molukken wächst der zivile Widerstand.

Das Santa-Cruz-Massaker am 12. November 1991 hat eine neue Situation für Ost-Timor geschaffen. Durch die große Öffentlichkeit, die diesem Thema zuteil wurde, sind die Aussichten auf eine politische Lösung in Ost-Timor nähergerückt. Der Führer des ost-timoresischen Widerstandes Xanana Gusmao hat vorgeschlagen, mit Indonesien Friedensgespräche ohne Vorbedingungen unter Aufsicht der UN zu führen.

Um die Probleme von Aceh, West-Papua und den Molukken ist es weit schlechter bestellt. Während das Thema Ost-Timor noch immer auf der Tagesordnung des UN-Komitees für Entkolonialisierung steht, haben die anderen drei noch einen weiten Weg, um auf eine internationale Tagesordnung zu gelangen. Aceh und West-Papua sind wegen der schweren Menschenrechtsverletzungen und der Existenz eines bewaffneten Widerstandes in der internationalen Arena wichtiger geworden. Die Themen Aceh und West-Papua tauchen häufiger bei internationalen Konferenzen und bei der UN-Menschenrechts-Kommission in Genf auf. Die Molukken sind ein typisches Beispiel für ein von Jakarta vernachlässigtes Gebiet, schwach und mit

unzureichender Infrastruktur, fehlender politischer Motivation usw. 40 Jahre indonesischer Herrschaft auf den Molukken sind gescheitert und neue Aussichten müssen in der internationalen Arena gefunden werden.

Die Geschichte des letzten Jahrzehnts hat uns eine Menge gelehrt, eine der wichtigsten Lektionen war: alles kann sich über Nacht ändern. Der Einheitsstaat Indonesien erscheint im Moment unüberwindbar, aber alles kann sich über Nacht ändern.


Liem Soei Liongs Vortrag fand nicht die ungeteilte Zustimmung der Anwesenden. Kritisiert wurde Liems "Wieder-Aufwärmen" der Problematik auf den Molukken. In der Diskussion wurde vermehrt die Meinung geäußert, daß die Molukken kein aktuelles Thema mehr seien. Liem bekräftigte daraufhin seine Auffassung, daß der derzeitige desolate Zustand der Wirtschaft und der Infrastruktur auf den Molukken im Zusammenhang mit den früheren Auseinandersetzungen zu sehen seien.

Diskutiert wurde auch die Frage, inwieweit beispielsweise der Konflikt in Aceh auf ethnische Gründe zurückzuführen sei. Liem räumte daraufhin ein, daß die Ursachen des Konfliktes eher in der allgemeinen Politik der Kontrolle und Unterdrückung in Indonesien zu suchen seien. Der Konflikt in Aceh sei somit prinzipiell nicht artfremd zu kleineren Auseinandersetzungen an anderen Orten innerhalb Indonesiens. Dem Vorwurf, er würde den Separatismus unterstützen, begegnete Liem mit der Auffassung, er unterstütze nicht separatistische Bewegungen, sondern Menschen, die sich gegen ihre Unterdrückung wehren. Separatistische Bestrebungen seien als Folge dieser Unterdrückung anzusehen.

In einem Interview mit Watch Indonesia! bekräftigte Liem seine Auffassung: "Ich benutze das Wort Separatismus nicht. (...) Es geht um das Selbstbestimmungsrecht der Völker (...) Ob dieses Selbstbestimmungsrecht zu einer Föderation, zu mehr oder weniger Autonomie oder zur Unabhängigkeit führt ist Sache der Betroffenen... Sie sollten einfach einmal gefragt werden."
 
 

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