Indonesien-Information Juni 1992 (Demokratie)

 

Abdurrahman Wahid in Köln


Am 8.6.1992 war der Vorsitzende der islamischen Organisation Nahdlatul Ulama (NU) sowie des "Demokratischen Forums" auf Einladung der Südostasien-Informationsstelle zu einem Informationstreffen gekommen.

Mehr Raum für kritische Stimmen

Vor einem großen, von weit angereisten Publikum sprach er über die positiven Entwicklungen der Demokratisierung in Indonesien: Die Regierung sei zur Zeit zu mehr Offenheit gezwungen, zu mehr Meinungsfreiheit und Möglichkeiten der Regierungskontrolle. Das sei auch der Einfluß der Öffnung der Wirtschaft für ausländisches Kapital, denn wo Globalisierung der Ökonomie das Ziel sei, müsse auch die Politik offen sein. Auch Wahlkampfaussagen der PDI, wie der bekannt gewordene Satz: "Entwicklung ist die Vertreibung der Armut, nicht der Armen" vergrößern die Aktionsmöglichkeiten für Aktivisten und Intellektuelle.

Vertikale Spannungen

Doch es gibt auch andere Entwicklungen: eine Zunahme von vertikalen Spannungen zwischen Religionen und Volksgruppen. Neuerdings hört man in Moscheen Worte wie "Gefahr der Christianisierung". Es sei sehr wichtig, sich in diese Entwicklung einzumischen, weil sie die Demokratisierung bedrohe. Darum ist Abdurrahman Wahid auch gegen eine Aufnahme islamischer Grundsätze in das Staatsgesetz. Demokratie definiert er vor allem als das Recht des anderen zu reden.

Ergänzung der Basisarbeit und Realpolitik

Im Prozeß der Demokratisierung müsse ein doppelter Weg gegangen werden: einmal auf der Ebene von Ethik und Lebensweise, von Erziehungsprozessen in der Bevölkerung - aber auch auf der Ebene der realen politischen Verhältnisse. So könne man in konkreten Punkten mit Militärs zusammenarbeiten, obwohl das Militär klar ein Feind der Demokratie sei. Jedenfalls sollten die verschiedenen Gruppen sich nicht gegenseitig verdammen, sondern sich ergänzen. Demokratisierung sei auch die Integration verschiedener Positionen - von Moderateren im Parlament, von Radikaleren an der Basis.

Konflikt Reiche - Verarmte lösen

Zentraler Punkt sei, daß die horizontalen Konflikte in Indonesien angegangen werden: Reichtum und Armut, denn wenn diese nicht gelöst werden, werden die Spannungen auf vertikale Unterschiede wie Religion, Volksgruppen und Regionen übertragen.

Bei dem Treffen in Köln hatte zuvor bereits Rachland Subandhi, ein Vertreter von Yayasan Pijar (Jakarta) über die ökonomische Situation in Indonesien unter der "Neuen Ordnung" gesprochen. Diese aus der neuen Studentenbewegung stammende Stiftung arbeitet vor allem im Bereich des Journalismus: Für unzensierte Nachrichten und die Befähigung der Leute an der Basis, selbst zu schreiben. Pijar wurde im April bekannt durch ihre Stellungnahme zum Abbruch der Entwicklungshilfebeziehungen mit Holland. Von der Regierung und auch von vielen Intelektuellen wurde letztere als patriotischer Akt dargestellt. Pijar dagegen - die ihr Statement gerade auch an die großen, von Auslandskapital abhängigen NGO's richtete - vertritt folgende Meinung: "Nationalismus wird hier manipulierend benutzt, das war wichtig bis zur Unabhängigkeit 1945. Jetzt ist es unsere Aufgabe, eine demokratische Gesellschaft mit sozialer Gerechtigkeit aufzubauen." Zentrale Aussage war: "Es gibt keinen entscheidenden Unterschied zwischen einem ausländischen Ausbeuter und einem aus dem eigenen Volk."

Regierungspartei defensiv

Über die aktuelle Situation berichtete Rahland Subandhi in Köln, daß z.B. bei der Wahlkampagne der PDI (Demokratische Partei) ungewöhnlich viele kritische Töne zu hören waren über die Monopolwirtschaft der Präsidentenfamilie, was die allgemeine Stimmung widerspiegelt. Die Reaktionen der Regierungspartei GOLKAR seien sehr defensiv: "Wir brauchen weiterhin Stabilität und Monopole für die Entwicklung" oder "wer sagt, die Entwicklung sei mißlungen, verleugnet sich selbst und sein Volk." Er zeigte Statistiken, die belegen, daß das Hauptziel der jetzigen Regierung, der wirtschaftliche Aufbau, erreicht sei. Ein großer Fortschritt läßt sich beim Zuwachs im Straßenbau, bei Bussen, Zügen, Telefon und Fernsehen ablesen. Allein die Anzahl der Banken steigt jedes Jahr mit 66 %.

Bevölkerung skeptisch gegenüber "Fortschritt"

Doch warum ist die Bevölkerung dann jetzt skeptisch? Woher kommt die Unzufriedenheit? Von der Weltbank gibt es andere Daten: Indonesien ist der fünftgrößte Schuldner der Welt. Das Bruttosozialprodukt ist sehr gering, es liegt geringfügig über dem Äthiopiens oder Bangladeshs und noch unter dem der Philippinen, trotz deren politischer Instabilität in den letzten Jahren. Eine weitere Antwort gibt der stark gesunkene Wert von Reis. Konnte man 1977 für 100 l Reis noch 129 kg Salzfisch oder 190 Flaschen Öl kaufen, gibt es 10 Jahre später nur noch 92 kg Salzfisch bzw. 81 Flaschen Öl dafür.

Zentralismus

Ein weiteres Problem wurde am Beispiel des Abbaus der Bodenschätze in Aceh erläutert: Statt den Wohlstand in der Region selbst anzuheben, werde alles nach Java exportiert. In Aceh wird immer wieder der Zentralismus und die Kontrolle durch Jakarta kritisiert - anstatt dem Problem nachzugehen, wird dieser Protest von der Regierung als Rebellion (GPK) abgestempelt. Doch gerade durch diese Politik besteht eine Gefahr der Spaltung von Indonesien. Diese Politik ist es, die erst zur Entstehung von separatistischen Bewegungen oder von anti-javanischen Gefühlen führt.
 
 
 

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