Indonesien-Information Nr. 1 1995 (Politik)

Mit Herz gegen Geld, Intrigen und Einschüchterungen

Mit 174 zu 142 Stimmen wurde Abdurrahman Wahid, auch bekannt als Gus Dur, auf dem Kongreß der Nadhlatul Ulama (NU) in Tasikmalaya, West-Java, als Vorsitzender im Amt bestätigt. Die NU ist mit 30 mio Mitgliedern die größte islamische Organisation Indonesiens.

Im zweiten Wahlgang konnte sich Gus Dur gegen seinen schärfsten Widersacher, den Großunternehmer Haji Abu Hasan MA, durchsetzen /Suara Pembaruan, 5.12.94/. Während die Kongreßdelegierten in einem Pesantren (islamische Schule) tagten und nächtigten, hatte es Haji Hasan vorgezogen, im teuren Hotel Ramayana zu übernachten /Media Indonesia, 6.12.94/.

Die Wiederwahl von Gus Dur gehörte zu den dramatischsten Ereignissen in der Geschichte der Organisation. Gus Dur nannte sie "einen Sieg des Herzens über die Kombination aus Geld, Intrigen und Einschüchterungen" /Media Indonesia, 6.12.94/. Gus Dur soll gesagt haben, sein Rivale habe von einem höheren Beamten US$ 18 mio als Schmiergeld erhalten, um seine Wiederwahl zu verhindern /Republika, 20.12.94/. Abu Hassan sprach gerne davon, daß es für ihn kein Problem darstelle, den NU-Vertretungen in der Provinz Gelder zuzuwenden - zugleich dementierte er aber, damit Stimmen kaufen zu wollen /Kompas, 5.12.94/.

Vieles passierte auf diesem 29. Kongreß der NU, was nicht so recht zu deren Tradition paßte. Neben den Gerüchten über Kauf und Verkauf von Stimmen, Intrigen und Einschüchterungen, drängten auch viele Hände von außen herein, um in der eigentlich unabhängigen NU mitzumischen. Aus der Umgebung Gus Durs war zu hören, eines Tages habe er Besuch von Unbekannten erhalten, um Druck auf ihn auszuüben, seine Kandidatur zur Wiederwahl zurückzuziehen. Viele Delegierte aus den Regionen wurden vor ihrer Reise zum Kongreß von ihren lokalen Machthabern zu Gesprächen bestellt. Die Delegierten aus Nord-Sulawesi und West-Java beispielsweise wurden - nach fernöstlicher Art - "höflichst" gebeten, nicht für Gus Dur zu stimmen /Merdeka, 8.12.94/.

Während des Kongresses machten einige NU-Delegierte aus Ost- und Mittel-Java Rückzieher von ihren früheren Bekundungen, Gus Dur zu wählen /Suara Pembaruan, 2.12.94/. Haji Sukri Adenan, ein Delegierter aus Madura, erzählte, wenn die höfliche Art nicht zum gewünschten Ergebnis führe, würden die Delegierten mit Gewalt gezwungen /Merdeka, 8.12.94/. Viele Beobachter meinten, daß Gus Gur ohne Einmischung von außen mindestens 70 % der Stimmen hätte erringen können /Kompas, 5.12.94/.

Doch zweifellos gehört Gus Dur selbst unter Indonesiens Moslems zu den am heftigsten umstrittenen Persönlichkeiten. Sein jüngster Vorstoß, noch kurz vor dem NU-Kongreß Israel zu besuchen, hatte viele moslemische Anhänger verärgert /Forum Keadilan, 10.11.94/. Seine Widersacher beschuldigten ihn, er schwimme immer gegen die Strömung und bringe die islamische Glaubensgemeinschaft (ummat) in Zweifel. Während die Proteste gegen seinen Besuch in Israel lautwurden, wurde Abdurrahman Wahid in Italien auch noch zum Präsidenten der Weltkonferenz für Religion und Frieden (WCRP) gewählt, einem Kommunikationsforum für Gläubige verschiedener Religionen in der Welt, gegen das zahlreiche islamische Gruppierungen opponieren /Forum Keadilan, 8.12.94/.

Über das Ost-Timor-Problem sagte Gus Dur 1992 gegenüber dem australischen Rundfunk: "Zur Verteidigung unserer Perspektiven in Ost-Timor beispielsweise, habe ich selbst Amos Waco, dem Abgesandten des UN-Generalsekretärs, der seinerzeit nach Jakarta kam, um den Fall zu untersuchen, vorgeschlagen, daß der Kirche mehr, ... sie wissen schon, Raum gegeben werden solle, die 'kulturelle Identität' der Ost-Timoresen selbst hochzuhalten, damit diese, nachdem sie ihren eigenen Platz im Leben gefunden haben, eine gesunde Einstellung entwickeln können zu der Frage, ob sie Indonesier sind oder nicht. Ob sie Indonesier sein wollen oder nicht. Das ist es, was ich Waco vor den Augen eines Direktors des Außenministeriums in Jakarta gesagt habe" /ABC Radio: "Indian Pacific", 31.8.92/.

Sein Verhältnis zu Präsident Suharto bezeichnet Abdurrahman Wahid als problemlos - obwohl er in seiner 10jährigen Amtszeit nie eine Erklärung des einheitlichen Willens (Kebulatan Tekad) der NU für die Wiederwahl Suhartos abgegeben hat wie die anderen Organisationen /Forum Keadilan, 8.12.94/. Aber der Empfang, den die NU Suharto ohne das Beisein des Vorsitzenden bereitete, sorgte für Spekulationen um seine Wiederwahl. Es kursierten Gerüchte, daß die Regierung ihn nicht mehr wolle. Ein weiteres Indiz war, daß Suhartos sich mit einigen Persönlichkeiten der NU in einem VIP-Raum traf, bevor er den Kongreß verließ - während Gus Dur draußen vor der Tür stand. Suharto schüttelte ihm noch kurz die Hand, bevor er in sein Auto stieg /Suara Pembaruan, 2.12.94/.

Nach seinem Sieg wird es Gus Dur nicht leicht haben. Denn nur einen Tag nach der Konstituierung des neuen Vorstands forderte Abu Hasan, die Einberufung einer "außerordentlichen Konferenz". Er drohte damit, daß wenn diese nicht stattfinde, eine Gegenorganisation zur NU gegründet werde /Media Indonesia, 20.12.94/. Tatsächlich gründete er inzwischen die Koordination der leitenden Funktionäre der NU (Koordinasi Pengurus Pusat Nahdlatul Ulama, KPPNU). KPPNU stellt eine NU-interne Konkurrenz zum alten Führungsgremium Pengurus Besar Nadhlatul Ulama dar. Einige der von Hasan aufgeführten Mitglieder der KPPNU bestreiten jedoch, der Organisation anzugehören /Merdeka, 29.12.94/.

Abu Hasan drohte auch, er wolle Gus Dur verklagen und werde die Klage nur zurückziehen, wenn sich Gus Dur bei ihm entschuldige /Republika, 20.12.94/. Wenn Gus Dur hart bleibt, wird es zum ersten Mal passieren, daß ein NU-Vorsitzender vor Gericht erscheinen muß. Das erinnert an den Fall des Vorsitzenden der PDI (Demokratische Partei), Soerjadi, als dieser vor Gericht als Zeuge aussagen mußte. Es hat ihn seine Karriere gekostet, weil die Regierung ihn als "politischen Behinderten" (cacat politik) diffamierte - obwohl die Gerichtsverhandlung noch andauerte, geschweige denn ein Urteil gegen ihn ausgesprochen hatte. <>
   
 

Zurück zur Hauptseite Watch Indonesia! e.V. Back to Mainpage