Indonesien-Information Nr. 1 2002 (Demokratie)
 

Der verfassungskonforme Putsch

Von Alex Flor

Einhellig wurde der im Juli letzten Jahres vollzogene Machtwechsel in Jakarta als Erfolg des Militärs und der alten politischen Elite der Ära unter Diktator Suharto gewertet. Während Kritiker die Ablösung von Präsident Abdurrahman Wahid durch die bisherige Vizepräsidentin Megawati Sukarnoputri als „kalten Putsch“ verurteilten, zeigte sich das bürgerliche Lager froh darüber, dass der unvermeidliche Regierungswechsel von keinerlei gewaltsamen Zwischenfällen begleitet war.

Megawati Soekarnoputri, die schweigsame und oft als unpolitisch bezeichnete, aber beim Volk beliebte Symbolfigur der Reformbewegung, erfüllt in idealer Weise die Rolle eines demokratischen Deckmäntelchens, hinter dem sich das konsolidierte Lager der alten Suharto-Kräfte verstecken kann, um wirklichen Reformen Einhalt zu gebieten. Während Präsident Wahid - wenngleich erfolglos - immerhin versuchte, das Militär an die Kandare zu nehmen und eine friedliche Lösung der eskalierenden regionalen Konflikte zu suchen, steht Megawati für einen streng nationalistischen Kurs, der dem Militär freie Hand lässt, diese Konflikte auf seine Weise zu „lösen“. Die Lage in den abtrünnigen Provinzen Aceh und Irian Jaya (Papua) hatte sich bereits in den Wochen vor dem Machtwechsel extrem verschärft und verschlechtert sich seit Megawatis Amtsantritt kontinuierlich. Vergeblich wartete man in Megawatis Antrittsrede, in der sie sich zu „Groß-Indonesien“ bekannte, auf Stichworte wie Demokratisierung und Achtung der Menschenrechte.
Doch der Machtwechsel war unvermeidlich, nachdem die Regierung Wahid in 20 Monaten keine Erfolge im Kampf gegen die drängenden Probleme wie schwächelnde Wirtschaft, zunehmende Verarmung, Schuldenkrise, Separationsbewegungen, regionale Unruhen, mangelnde Rechtssicherheit u.a. aufweisen konnte. Von Beginn seiner Amtsperiode an hatte Wahid mit dem Handicap zu kämpfen, sich nur auf seine eigene 12 Prozent-Partei PKB verlassen zu können. Um sich dennoch auf Mehrheiten stützen zu können, holte er Politiker aller Fraktionen an den Kabinettstisch seiner „Regierung der nationalen Einheit“ - und machte sich damit erst recht handlungsunfähig. Wahids Gegner - allen voran der Präsident der Beratenden Volksversammlung (MPR), Amien Rais, ließen keine Gelegenheit aus, Wahids Politik zu torpedieren. Die Regierung erwies sich als schwach und verlor zunehmend an Sympathie. Die wenigen politischen Entscheidungen, die noch getroffen wurden, waren Einzelentscheidungen des Präsidenten, oft gegen den Willen der Parlamentsmehrheit und Teile des Kabinetts, was ihm den Ruf einbrachte, sich als autoritärer Herrscher zu gebärden. Einst reformfreudige Studenten schlugen sich auf Seiten seiner Gegner und forderten Wahids Absetzung. Im Volk wuchs die Sehnsucht nach einer starken Hand und man begann sich nach der „guten alten Zeit“ unter Diktator Suharto zu sehnen, als Reis billig und die Straßen sicher waren.

Über ein Jahr lang hatten die Gegner Wahids an seinem Stuhl gesägt. Äußere Anlässe waren seine mutmaßliche Verwicklung in zwei Korruptionsskandale, gefolgt von der  umstrittenen Entlassung zweier Minister. Für ersteres fanden sich keinerlei  Anhaltspunkte um eine Ermittlung einzuleiten, letzteres   geriet schlicht in Vergessenheit. Dennoch wurde am Kurs eines Amtsenthebungsverfahrens festgehalten. „Diese beiden Fälle sind nicht mehr der Punkt. Wir werden unsere Position nicht   ändern, da wir uns nun mehr auf   politische Angelegenheiten wie Führungsqualität und Kompetenz konzentrieren,” erklärte der Abgeordnete Alvin Lie von      Amien Rais´ Partei PAN.

Wahid war nicht mehr handlungsfähig und drohte mehrfach mit der Verhängung des Ausnahmezustandes und der Auflösung beider Parlamentskammern. Rais erklärte, umgehend das Amtsenthebungsverfahren durch eine vorgezogene Sondersitzung der MPR zu beschleunigen, falls Wahid diese Drohung wie angekündigt am 20. Juli 2001 wahr machen sollte. Die an jenem Tag verkündete Verschiebung des Ausnahmezustandes hinderte Rais freilich nicht daran, seinen Plan dennoch gleich am nächsten Tag umzusetzen. Die schnell gefundene Begründung für die Sondersitzung war nun die Vereidigung eines umstrittenen neuen Polizeichefs durch Präsident Wahid am Vortag.

Wahid und seine Partei PKB  bezeichneten die Sitzung als „illegal“, da es offenkundig nicht um die Bewertung der politischen Leistungen Wahids gehe, sondern einzig und allein darum, ihn um  jeden Preis abzusetzen. Wahids Weigerung, sich vor der MPR zu rechtfertigen, ließ seine Amtsenthebung  und  die  Wahl    Megawatis zur reinen Formsache werden. Das in letzter  Minute  doch  noch erlassene Dekret zur Verhängung des Ausnahmezustandes, der Auflösung des Parlamentes und der ehemaligen Regierungspartei Suhartos, GOLKAR, wurde schlicht ignoriert. Somit blieb die befürchtete Verfassungskrise, in der sich zwei PräsidentInnen gegenseitig die Legitimation absprechen, reine Theorie. Mit Ausnahme Wahids und der PKB beeilten sich alle relevanten Kräfte im In- und Ausland, Megawati anzuerkennen, um die Lage zu stabilisieren - und damit Unruhen vorzubeugen. Devisenhändler belohnten Megawatis Wahl mit einem steilen Anstieg der Rupiah knapp unter die magische Grenze von 10.000 Rp./$ (zuvor ca. 11.300 Rp./$).
Spannender als die Wahl Megawatis war die darauf folgende Kür des neuen Vizepräsidenten. Für dieses Amt standen immerhin mehrere Kandidaten zur Auswahl. Alle fünf sind Karrierepolitiker, keiner von ihnen ein progressiver Reformer und alle blicken auf Erfahrungen als Minister unter Suharto, Habibie und Wahid zurück. Im letzten Wahlgang siegte der konservative Moslempolitiker und Vorsitzende der Vereinigten Entwicklungspartei (PPP), Hamzah Haz, über den GOLKAR-Fraktionsvorsitzenden Akbar Tandjung. Wie wenig die Abstimmung Volkes Wille repräsentierte zeigte der zweite Wahlgang, in dem Susilo Bambang Yudhoyono ausgeschieden war. In Umfragen eines Fernsehsenders nach der Beliebtheit der Politiker hatten 30-mal mehr Befragte für Susilo gestimmt wie für Hamzah Haz und 50-mal so viele wie für Akbar Tandjung. Am Ende war man immerhin froh über die Niederlage Tandjungs, da sein Sieg wohl die Gemüter erhitzt hätte, gilt er doch am offenkundigsten als Repräsentant das alte Suharto-Regimes.
Hamzah Haz sitzt seit 1971 für die ehemalige Blockpartei PPP im Parlament und bekleidete unter Habibie das Amt des Investitionsministers. Hamzah und seine Partei waren 1999 maßgeblich für die Kampagne verantwortlich, die mit dem Argument, eine Frau könne nicht Präsidentin eines islamischen Staates werden, die Präsidentschaft Megawatis ver-hinderte und stattdessen Wahid ins Amt hievte. Hamzah behauptete nach seiner Wahl, er persönlich habe diese Ansichten nie geteilt. Dennoch bleibt die Konstellation Megawati/Hamzah eine Gefahr für die Solidität und Führungskraft der neuen Regierung.

Nach den monatelangen Schmähungen der Regierung Wahid in den Medien blieb die Begeisterung nach dem Machtwechsel aus. Selbst in Megawatis Hochburgen wie Bali gab es keine Siegesfeiern. Ebenso verhalten blieben die Solidaritätsbekundungen der Wahid-Anhänger, die ihr   Idol vom Palast abholten um ihn zum Flughafen zu begleiten. Nachdem er zuvor angekündigt hatte, den Palast nicht zu räumen, flog Wahid zu einem Gesundheitscheck in die USA und versuchte so sein Gesicht zu wahren.

Die relative Ruhe in der Bevölkerung ist jedoch nicht wie Kommentatoren glauben, Beweis für den hohen Grad an Demokratie und Verfassungskonformität dieses Machtwechsels, sondern vielmehr Ausdruck der zunehmenden Politikverdrossenheit. Die kleinen Leute glauben nicht mehr daran, dass die politischen Ränkespiele der Elite irgend etwas mit ihnen zu tun haben könnten. <>  
 

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