Indonesien-Information Nr. 1 2002 (Demokratie)

Die neue Weltordnung


Von Wolfram Lorenz

Die Terroranschläge auf die  New Yorker Twin Towers und auf das Pentagon waren einschneidende Ereignisse historischer Dimension, die eine neue politische Ära eingeleitet haben. An Stelle der Trennlinie zwischen Ost und West, die sich mit dem Fall der Mauer in Nichts auflöste, wird vermutlich die Welt nun wieder in zwei Lager geteilt.  Die Rede des amerikanischen Präsidenten in der Nacht vom 20. zum 21. September hat allen klar gemacht, dass es keinen Platz für Neutralität geben wird. Führende Politiker des mächtigsten Landes der „zivilisierten Welt“ haben ihr Schwarz-Weißschema wieder. Die neue Trennlinie zwischen „gut und böse“ ist nunmehr keine rein territoriale und verläuft auch nicht mehr klar zwischen zwei relativ geschlossenen Blöcken, sondern wird sich vermutlich mit wechselnden Fronten auch quer durch Staaten dieser Erde ziehen. Die Reaktionen aus Ländern mit muslimischer Bevölkerung belegen diese Vermutung. Die durch die Terroranschläge ausgelöste politische Entwicklung wird ganz sicher auch für die Nation mit der zahlenmäßig größten muslimischen Bevölkerung dieser Erde, Indonesien, weitreichende Konsequenzen haben. Wie werden diese aussehen und wo die neue Trennlinie verlaufen?

Die Terroranschläge haben eine ethische Schallmauer durchbrochen und kamen in einer bisher zwar vielleicht denkbaren, aber dennoch unvorstellbaren Weise daher. Ohne Zuhilfenahme von sonst in terroristischen Kreisen üblichen militärischen Mitteln, wie Sprengstoffe, automatische Waffen usw., wurden Tausende Zivilisten in den Tod gerissen - wohlgemerkt, mit einfachsten und nicht-militärischen Mitteln. Seit den Anschlägen von New York und Washington scheint nun alles nie für möglich Gehaltene möglich. Diese unfassbaren Ereignisse haben weltweit Menschen aller Denk- und Glaubensrichtungen tief bestürzt. Nicht nur, weil die Opfer der Terroranschläge Angehörige von vielleicht 50 oder 60 verschiedenen Nationalitäten waren (unter ihnen auch indonesische Staatsbürger - Watch Indonesia! berichtete am 15.09.2001), sondern weil ein solch unmenschlicher Akt, entführte Linienmaschinen in die Skyline des am dichtesten besiedelten Flecks dieser Erde zu stürzen, fern gesunden menschlichen Vorstellungsvermö-gens liegt.  Kondolenzbezeigungen an die Vereinigten Staaten kamen daraufhin eben auch von Staatsmännern, die den Vereinigten Staaten alles andere als freundschaftlich verbunden sind. Selbst die zu den neuen  Feinden  Amerikas gehörenden Chinesen, die erst vor nicht all zu langer Zeit selbst mit der Bombardierung ihrer Botschaft in Belgrad Opfer der US-amerikanischen Außenpolitik geworden sind, oder die palästinensische Führung unter Arafat, der eine Blutspendeaktion ins Rollen brachte, und auch der russische Präsident Putin äußerten ihre Betroffenheit und ihr tiefes Mitgefühl. Es gab weltweit eigentlich fast niemanden, der die Terroranschläge etwa als „gerechte Strafe“ für die Politik der Amerikaner beklatschte.

Sicherlich mögen nicht alle Kondolenzen frei von politischem Kalkül gewesen sein, doch grundsätzlich haben die Terroranschläge einer Solidarisierung quer durch alle Lager dieser Welt eine Chance gegeben - eine vielleicht einmalige Gelegenheit zu einer neuen Qualität internationaler Kooperation zu gelangen. Jedoch blind gegenüber der historischen Chance einer weltweiten Einigung über ideologische und religiöse Grenzen hinaus, holte der Westen aus, wider besseren Wissens, den Ursprung terroristischer Aktivitäten in fundamentalistischen islamischen Staaten zu suchen, mit der Absicht  ihn „mit Stumpf und Stiel“ auszurotten - mittels eines Krieges. Ein Krieg gegen „terroristische Brandnester“ unter Einschluss der Staaten, die Terroristen in ihrer Mitte unterstützen, decken oder zumindest nicht gegen sie vorgehen.

Wie sieht dieser „neue Krieg Amerikas“ (CNN) aus? Auch wenn der neue Feind „Terrorismus“ ganz andere Charakterzüge aufweist, als es staatliche Gebilde tun, setzten die USA bisher in erster Linie auf konventionelle militärische Mittel. Erste Zielscheibe war Afghanistan, dessen Taliban-Regime vorgeworfen wurde, Terroristen aus aller Welt Unterschlupf gewährt und diverse Ausbildungslager unterhalten zu haben. Das Taliban-Regime war aber keine Regierung, die in irgendeiner Weise internationalen Standards gerecht wurde, sondern bestand aus Vertretern von Klans und Stämmen, die im einzelnen bis vor einigen Jahren noch nicht mehr Aufgaben zu erfüllen hatten als ihre Familie zusammenzuhalten und ihr Überleben zu sichern. Einziger übergeordneter Zusammenhalt zwischen diesen Klans und Gruppierungen war ihre zutiefst devote Einstellung gegenüber dem Islam. Ihre Weltsicht und Weltordnung basierte auf dieser Religion, bzw. darauf, wie der Islam von den obersten afghanischen Mullahs interpretiert wurde.

Die Logik eines staatstragenden Islams bringt es aber mit sich, dass bei einem Angriff auf den Staat, sich die gesamte Gemeinschaft der Muslime als getroffen empfindet und sich zur kollektiven Verteidigung im „Jihad“ gezwungen sieht (siehe „Lexikon“ in diesem Heft). Selbst Teile der afghanischen Opposition und in Emigration lebende Afghanen - und mit ihnen viele Muslime in aller Welt - verurteilten die amerikanischen Luftangriffe und drohten sich auf die Seite der Taliban zu stellen. Die Konsequenzen unterschiedlicher Denkweisen, die in anderen, für uns fremden, kulturellen Strukturen wurzeln, dürfen nicht unterschätzt werden.

Mit der sofort nach den Anschlägen in den USA geäußerten Behauptung der „islamische Fundamentalist“ Bin Laden sei der Verantwortliche hinter den Terroranschlägen, wurde die Glaubensgemeinschaft der Muslime der ganzen Welt auf ungehörige Weise provoziert Stellung zu beziehen. Die Drohung die „Terroristennester auszuräuchern“ wurde somit von vielen als Kriegserklärung der westlichen Welt gegen den Islam gelesen. Daran änderten auch die nachgereichten salbenden Worte, Appelle und Beteuerungen von Staatsmännern der NATO-Mitgliedsstaaten nichts mehr. Auch in der westlichen Welt wurden diese Beteuerungen nicht sonderlich ernst genommen. In kaum einem Zeitungskommentar fehlte der Verweis auf Samuel Huntingtons Bestseller „The clash of civilizations“, in dem der Zusammenprall der „zivilisierten Welt“ mit dem Islam als die neue Form der Auseinandersetzung nach Überwindung des Kalten Krieges hochstilisiert wird.

In vielen Ländern mit muslimischer Bevölkerung deuten sich nach den Terroranschlägen nun neue Konfliktlinien an (siehe z.B. „Wenn sie Moslems umbringen, brennen die Kirchen“  FR, 21.09.2001). So auch in Indonesien. Ohnehin gibt es auf den Molukken und in Zentral-Sulawesi schon seit einiger Zeit eine klare Frontlinie zwischen Muslimen und Christen, auch wenn die Ursachen dieser Konflikte in keiner Weise religiöser Art sind. Wir müssen uns dringend mit den Mechanismen von Konflikten dieser Art auseinandersetzen, um sie zu verstehen, um sie lösen zu können, und um weitere Konflikte und Opfer zu vermeiden. Ein Blick hinter die Kulissen in Indonesien macht eigentlich sehr schnell deutlich, dass das indonesische Militär einer der Hauptverursacher und auch der Hauptprofiteur gegenwärtiger regionaler Konflikte ist. In den Medien wird derzeit oft darüber spekuliert, ob die vom indonesischen Militär unbehelligten Laskar Jihad, die Tausende ihrer Gotteskrieger in den Kampf gegen die Christen auf den Molukken geschickt haben, finanzielle und logistische Unterstützung von Bin Laden erhalten haben. Es gibt Hinweise darauf, dass Mitglieder der Bewegung Ahlu Sunnah wal Jamaah Forum in Yogyakarta, die den Ursprung der Laskar Jihad Bewegung bilden, nicht nur die Texte der islamischen Sekten in Saudi Arabien und Afghanistan studiert haben, sondern auch aktiv in den Reihen der Taliban-Milizen gekämpft haben sollen /SiaR News, 28.Januar 2000, siehe auch GJ Aditjondro, Notes on the Jihad Forces in Maluku, http://www.maluku.org/hain, 4.10.2000/. Unbestritten ist, dass der Führer dieser Bewegung, Jaffar Umar Thalib, in Afghanistan gegen die sowjetischen Besatzer gekämpft hat, wie in seiner Kurzbiografie auf der Webseite der Laskar Jihad nachzulesen ist, http://laskarjihad.cjb.net.

Noch im September flog Indonesiens neue Präsidentin Megawati zu einem seit längerem geplanten Staatsbesuch nach Washington. Als Repräsentantin eines Landes, in dem sich mehr als 80% der Bevölkerung oder umgerechnet annähernd 190 Mio. Menschen zum Islam bekennen, stand ihr Besuch nach den Terroranschlägen unter besonderen Vorzeichen. Nicht nur, dass die USA Indonesien als verlässlichen Partner braucht, Indonesiens Militär möchte auch gern wieder in den Genuss der Militärhilfe durch die USA kommen, die seit 1999 im Zusammenhang mit den blutigen Ereignissen in Ost-Timor durch den   amerikanischen Kongress auf Eis gelegt wurde.

Im angekündigten „Krieg“ gegen Terrorismus können sich beide Seiten wohl wieder versöhnen. Trotzdem ist es mehr als unwahrscheinlich, dass sich das indonesische Militär TNI deswegen sein Feindbild neu definieren lässt. Es wird vielmehr einen faulen Kompromiss geben, der darauf hinausläuft, dass die TNI der USA gegenüber entschlossenes Vorgehen demonstriert, sich dabei aber nicht in die Operationen hineinreden lässt. Das wird ein Freibrief sein, zum Beispiel den Widerstand in Aceh mit noch martialischeren Mitteln zu bekämpfen und darüber hinaus alle möglichen politischen Gegner der Verbindung zum Terrorismus zu bezichtigen und hart gegen sie vorzugehen. Schon möglich, dass da auch der eine oder andere Laskar Jihad Kommandant ins Fadenkreuz gerät, aber das wird aller Voraussicht nach nicht der Schwerpunkt dieser neuen Aktivitäten der TNI sein.

So wie bereits in der Vergangenheit immer Sündenböcke gefunden wurden, wenn der Öffentlichkeit Schuldige präsentiert werden mussten, so werden wir uns in Zukunft auf noch mehr Aktionen im Rahmen einer solchen Vernebelungstaktik einzustellen haben. Die TNI  werden ihre alten Feindbilder weiter benutzen und ihre Rhetorik so anpassen, dass sie ihren Brötchengebern gefällt. Das wissen offenbar auch die Leute von der radikalen Unabhängigkeitsbewegung in Aceh (GAM), die sich in einem Akt der Verzweiflung umgehend zu einer Solidaritätsadresse an die USA entschlossen haben, die von der Wortwahl her sämtliche Beschlüsse der NATO in den Schatten stellt: „We support and firmly stand behind the United States in its drive against terrorism in whatever guise they may appear“ /Acheh/Sumatra National Liberation Front, Press Release 15.9.2001/. Solch ein völlig unkritischer und devoter Freibrief für Vergeltungsschläge der USA wirkt wie ein Hilfeschrei der GAM - aber nützen wird es ihr nichts. Genauso klar und deutlich lässt sich vorhersagen, dass es andere Bewegungen in Indonesien, die der Regierung in Jakarta im allgemeinen und dem Militär im speziellen ein Dorn im Auge sind, wieder unter Beschuss der Militärs geraten werden - mit freundlicher Unterstützung durch die USA. Das Gespenst Terrorismus wird in Indonesien das schon etwas ranzig gewordene Feindbild Nummer Eins - Kommunismus - verdrängen. Unvorhersehbar bleibt allerdings die Frage, wie sich einflussreiche muslimische Kräfte, die ja mehr und mehr den Staatsapparat und auch das Militär selbst beherrschen, unter den neuen Umständen verhalten, wo sie ihre Verbündeten suchen werden. <>  
 

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