Indonesien-Information Nr. 1 2002 (Demokratie)
 

Indonesien im Kampf gegen den Terror

Von Alex Flor

Wieder einmal ist die Rede davon, Indonesien könnte das nächste Angriffsziel der USA in deren weltweitem "Krieg gegen den Terror" sein. Doch angesichts der Tatsache, dass die Einsatzpläne des Pentagons sicher nicht in der Öffentlichkeit diskutiert werden, ist der Wahrheitsgehalt dieses Gerüchtes kaum zu überprüfen. Umso mehr, da es sich bei einem Einsatz in Indonesien - wenn es überhaupt dazu kommen sollte - wohl eher um eine verdeckte oder indirekt durchgeführte Operation handeln wird. Ein offener Krieg mit Luftangriffen oder gar Bodentruppen steht in Indonesien nicht zu erwarten.
Dass immer wieder Indonesien genannt wird, wenn die Presse über mögliche neue Ziele der USA spekuliert, hat eine Vielzahl von Gründen. Bereits einige Zeit vor dem 11. September zeigte man sich in der US-Botschaft in Jakarta besorgt über mögliche Anschläge. Die Rede ist von genauen Lageplänen des Botschaftsgebäudes, die in die Hände von Terroristen gelangt sein sollen. Eine Serie nicht aufgeklärter Bombenanschläge auf die Jakartaer Börse, auf Einkaufszentren, Kirchen und andere Ziele sorgte bereits in den Monaten zuvor für allgemeine Verunsicherung. Indonesische Nichtregierungsorganisationen glauben allerdings in einer Reihe von Fällen die Handschrift des Militärs zu erkennen, das ein Interesse daran haben könnte, Chaos und Gewalt zu provozieren, um sich somit unentbehrlich zu machen.

Medienwirksam inszeniert bestimmten in der emotional aufgeheizten Phase zwischen Beginn des Krieges in Afghanistan und dem Fastenmonat Ramadan radikalislamische Demonstranten das Bild vor der US-Botschaft. Sie führten Poster  von   Osama bin Laden mit sich und warben Freiwillige für den heiligen Dschihad gegen die Amerikaner in Afghanistan. Fast dreihundert Kämpfer trugen sich in die Listen ein - angesichts der ca. 190 Millionen Muslime Indonesiens eine verschwindende Minderheit. Die bei weitem überwiegende Mehrheit hegt keinerlei Sympathien für die lautstarken Splittergruppen, die über Wochen hinweg die Fernsehbilder in aller Welt beherrschten.

Ein seit Jahren zunehmendes Gewicht des politischen Islam in Indonesien kann dennoch nicht geleugnet werden. Dies geht unter anderem zurück auf eine bereits Ende der Achtziger Jahre unter Suharto eingeleitete Politik, die darauf abzielte, den wirtschaftlich gegenüber einer kleinen Elite chinesisch-stämmiger Großunternehmer benachteiligten „eingeborenen“ Indonesiern (Pribumi) ein neues Selbstwertgefühl zu verschaffen und sich damit gleichzeitig einiger lästig gewordener Kräfte in Politik und Militär zu entledigen, die mehr oder weniger zufällig christlichen Glaubens waren. Der nach Suhartos Sturz eingekehrte und durch die andauernde Wirtschaftskrise verstärkte allgemeine Verlust an Werten und Orientierung gab der Tendenz, sich über religiöse oder ethnische Zugehörigkeiten zu definieren, weiteren Auftrieb. Auch der Islam gewann dadurch an Bedeutung. Der durch den politischen Wandel seit 1998 notwendig und möglich gewordene Diskurs um eine Neuordnung von Staat und Gesellschaft ermutigte islamische Politiker dazu, erneut den Versuch zu wagen, den Islam als Staatsreligion in der Verfassung zu etablieren. Diese Bestrebung ist so alt wie die Republik selbst, doch in der Debatte um die Schaffung der immer noch gültigen Verfassung von 1945 mussten sich die Vertreter des Islams seinerzeit zu Gunsten eines nominell säkularen Staates geschlagen geben. Während der Weg zu einer wie auch immer gearteten Reform der Verfassung ein langer und beschwerlicher sein wird, versuchen islamische Kräfte von den neu gewonnenen Möglichkeiten im Rahmen der regionalen Autonomie Gebrauch zu machen und in einigen konservativ-islamisch geprägten Gegenden schon mal Fakten zu schaffen. In einer Reihe von Provinzen und Distrikten wird bereits lebhaft über die Einführung des islamischen Rechts - der Scharia - gestritten. Dabei denkt kaum jemand an Strafen wie das Handabhacken für Diebe und andere drakonischen Maßnahmen mehr, auf die sich das Verständnis der Scharia im Westen meist reduziert. Was genau aber durch die Scharia geregelt werden soll und wie dies in Einklang mit der geltenden Rechtslage zu bringen sein wird, darüber beginnen auch die Verfechter einer islamischen Rechtswesens erst nachzudenken. Es scheint so, als gehe es mehr ums Prinzip als um konkrete Inhalte.

Die seit Sommer 2001 regierende Doppelspitze aus Präsidentin Megawati Sukarnoputri und Vizepräsident Hamzah Haz wurde etwas voreilig als ideale Kombination gelobt, da sie die wesentlichen Strömungen in der Gesellschaft repräsentiere. Megawati steht für einen säkularen Nationalismus, während Hamzah Haz in der Regierung den Islam vertritt. Die Ereignisse am 11. September und ihre Folgen zeigten jedoch, dass das Zusammenbringen dieser beiden Elemente weniger eine gelungene Kombination als vielmehr eine Sollbruchstelle der neuen Regierung darstellt. Megawati hielt an ihren bereits vor dem 11. September getroffenen Amerika-Reiseplänen fest und erhielt tatsächlich die Einladung zum Besuch im Weißen Haus. Sie war somit eines der ersten Staatsoberhäupter, das nach den Anschlägen in New York und Washington von George W. Bush empfangen wurden. Megawati verurteilte diesen terroristischen Akt und sprach ihr Mitgefühl für die Opfer aus. Während sie der Frage nach der Haltung Indonesiens zu einem möglichen Militärschlag der USA gegen Afghanistan geschickt auswich, unterstrich sie die Bereitschaft Indonesiens den USA im Kampf gegen den Terrorismus zur Seite zu stehen. Bush belohnte dieses Versprechen mit mehreren hundert Mio. Dollar zusätzlicher Hilfsgelder für Indonesiens maroden Haushalt. Allzu gerne würden Militärs beider Staaten ihre Zusammenarbeit intensivieren. Noch sind den USA jedoch die Hände gebunden, da der US-Senat nach den massenhaften Morden und Vertreibungen 1999 in Ost-Timor ein Embargo erlassen hatte, das Waffenlieferungen und Militärtrainings so lange ausschließt, bis die hierfür Verantwortlichen vor Gericht gestellt wurden. Es bleibt abzuwarten, ob die von Jakarta mit großer Verspätung nun angekündigten Ad-hoc-Tribunale gegen 19 Hauptverdächtige den Anforderungen genügen und somit den Weg für eine militärische Kooperation mit den USA frei machen werden.

Gänzlich andere Töne als Megawati schlug Vizepräsident Hamzah Haz an. Sein Ausspruch "Hoffentlich wird diese Tragödie die Sünden der Vereinigten Staaten reinwaschen" als Reaktion auf den 11. September sorgte in den USA für Entrüstung. Später forderte Haz, die indonesische Regierung müsse die Angriffe auf Afghanistan verurteilen und suchte damit die Konfrontation mit Megawati, die dazu lieber geschwiegen hätte. Stattdessen versuchte sie durch Überlegungen einer indonesischen Beteiligung an einer internationalen Friedenstruppe nach Beendigung der Kämpfe in Afghanistan von dieser Frage abzulenken und damit gleichzeitig das indonesische Militär wieder international hoffähig zu machen. Vor dem Hintergrund des dadurch zum Ausdruck gekommenen  Kräftemessens zwischen  säkularem Nationalismus und einer stärker islamisch orientierten Politik gewinnen die Demonstrationen der Islamisten vor der  US-Botschaft in Jakarta  eine andere,  von den internationalen Medien weithin übersehene Dimension:   die Motivation der Demonstranten war  mindestens so stark innenpolitisch begründet

 
wie auf die äußeren Anlässe in Afghanistan bezogen. Es ging darum, den Spielraum auszuloten, den die Konstellation der neuen Regierung den islamischen Eiferern zugestehen würde. Somit erklärt sich auch, warum selbst gemäßigte Stimmen aus dem islamischen Lager zu diesen Vorgängen schwiegen.

Gefährlicher als die Islamisten sei das Militär, meinte Indonesiens derzeit bekanntester Menschenrechtler, Munir SH, bei seinem Besuch in Berlin Ende Oktober. Das Militär verstehe es, sich den 11. September zunutze zu machen, um unter dem Vorwand der Terrorbekämpfung seine eigenen antidemokratischen Ziele zu verfolgen. Es spricht einiges dafür, dass Munirs Bedenken begründet sind. So setzt das Militär mit unerbittlicher Härte seinen Kampf gegen separatistische Bewegungen in den Provinzen Aceh und Papua fort, darauf hoffend, dass es statt der bisherigen Kritik des Auslandes nun Verständnis für diese Maßnahmen im „Kampf gegen den Terror“  ernten darf. Dem internationalen Trend entsprechend wurde auch der Entwurf für ein Anti-Terror-Gesetz ins Parlament eingebracht, das elementare bürgerliche Rechte wie beispielsweise das Recht eines Angeklagten auf einen Anwalt zu verletzen droht. Da selbst in den westlichen Demokratien bürgerliche Rechte neuen Anti-Terror-Gesetzen geopfert werden, dürfen sich Indonesiens Hardliner sicher sein, dass sich die Kritik der internationalen Gemeinschaft in Grenzen halten wird. „Das ist die Doppelmoral westlicher Demokratie: Die Menschen sind gezwungen, sich zu entscheiden, ob sie den Kampf gegen den Terrorismus oder die Demokratisierung wollen,“ meint Munir.

Allerdings setzt die Verständnisbereitschaft des Westens oder gar die anvisierte militärische Zusammenarbeit mit den USA voraus, dass Indonesien in der weltweiten „Koalition gegen den Terror“ als Partner benötigt wird. Doch auf der Liste aller Terrororganisationen, die von den USA zusammengestellt wurde, findet sich keine der militanten Organisationen Indonesiens. Sowohl die Unabhängigkeitsbewegung in Aceh, GAM, als auch die auf den Molukken und in Zentralsulawesi kämpfenden Laskar Jihad beschränken ihre Aktivitäten allen Erkenntnissen zufolge ausschließlich auf  Indonesien selbst. Angesichts der fehlenden internationalen Komponente folgten die USA ironischerweise der seit Jahren von Indonesien vertretenen Ansicht, es handle sich bei den Aktivitäten dieser Gruppen um rein „interne Angelegenheiten“. Als das US State Departement Mitte September eine weitere Liste veröffentlichte, auf der 45 Staaten verzeichnet waren, in denen die Zellen der Al-Qaida vermutet werden, fehlte Indonesien erneut. Nur einen Tag später meldete sich der indonesische Geheimdienstminister, General Hendropriyono, zu Wort und verkündete der Presse, es gebe Hinweise auf Aktivitäten der Al-Qaida in Zentralsulawesi. Der dort seit Monaten anhaltende gewaltsame Konflikt zwischen Muslimen und Christen war wenige Tage zuvor eskaliert. Ein von muslimischer Seite unter Beteiligung der Laskar Jihad durchgeführter Großangriff auf christliche Dörfer hatte für heftige Reaktionen in der westlichen Welt gesorgt. Einen Beweis für die suggerierten Verbindungen zwischen Laskar Jihad und Al-Qaida blieb Hendropriyono schuldig. Tatsächlich gibt es allerdings deutliche Hinweise darauf, dass sich die Laskar Jihad in der Vergangenheit der Unterstützung von zumindest Teilen des Militärs erfreuen durften.

Eine neue Entwicklung ergab sich kürzlich durch die Aufdeckung eines grenzüberschreitend operierenden terroristischen Netzwerkes, die zu mehr als 50 Festnahmen in Malaysia, Singapur und auf den Philippinen führte. Hinweise deuteten auch auf Indonesien, wo den Behörden schließlich im Januar das bislang erste mutmaßliche Al-Qaida Mitglied ins Netz ging. Der islamische Geistliche Abu Bakar Ba'asyir, der offen seine Sympathie für Osama bin Laden bekundet, soll Führer der Organisation Jemaah Islamiah sein, über deren Hintergrund und Aktivitäten bislang nur wenig bekannt ist. Für Analysen, die mehr sein wollen als reine Spekulation, ist es daher noch zu früh. Eines aber ist sicher: die Aufmerksamkeit, mit der die USA das Verfahren gegen Abu Bakar Ba'asyir verfolgen werden, wird um ein Vielfaches größer sein als diejenige für die in Kürze beginnenden Ad-hoc-Prozesse wegen der Menschenrechtsverletzungen in Ost-Timor. An letzteren werden die amerikanisch-indonesischen Beziehungen nicht scheitern. <>  
 

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