Indonesien-Information Dez. 1992 (Ausländerfeindlichkeit)

 

Der Feind steht links


„Der Feind steht links“, so steht es ungeschrieben in der Präambel zum Grundgesetz.

An diesem Grundsatz wird nicht gerüttelt, auch wenn der Rassismus in Deutschland blüht und gedeiht. An einem Wochenende im November wurden allein 5 Menschen von Rechtsradikalen ermordet und zahlreiche weitere zum Teil schwer verletzt. Blinder ungebändigter Haß ließ unschuldige, ja sogar unbeteiligte Menschen zum Opfer werden. Sie wurden in der Kneipe zu Tode getreten (Wuppertal), auf dem U-Bahnhof erstochen (Berlin-Friedrichshain) oder verbrannten jämmerlich in ihrer Wohnung (Mölln).

Auch indonesische Studenten wurden bereits mehrfach von Rechtsradikalen angegriffen und verprügelt, letztes Jahr in Wismar sowie kürzlich in Berlin-Mitte.

Im Gegensatz zu den Menschenrechtsverletzungen in Indonesien wird zu dem rechten Terror in Deutschland in allen Medien ausführlich berichtet. Niemand kann sich zurücklehnen und behaupten, er/sie sei nicht informiert. Alle wissen Bescheid. Gefragt ist nun das konsequente Handeln, sowohl von seiten des Staates als auch von den deutschen und ausländischen MitbürgerInnen. Doch die Masse der Menschen zieht es vor, zu schweigen, während der Staat nach wie vor auf dem rechten Auge blind ist. Der Feind steht immer noch links.

Nach der Festnahme der mutmaßlichen Täter sind die Medien voll des Lobes über diesen Erfolg; die wehrhafte Demokratie habe sich bewiesen. Doch man sollte den Tag nicht vor dem Abend loben. Abzuwarten bleiben die Prozesse. Möglicherweise werden auch hier wieder die Urteile sehr milde ausfallen, Jugendstrafen und Bewährungsstrafen wegen fahrlässiger Tötung im Vollrausch.

Der Staat versucht weiterhin, die Situation zu verharmlosen. 5 Morde an einem Wochenende sorgten nicht für einen Sturm an Entrüstung, der vergleichbar gewesen wäre mit dem vom 8. November, als einige Eier und Tomaten auf den Bundespräsidenten geworfen wurden. Während die Eierwerfer als „Demonstrationsterroristen“ (Diepgen) diffamiert wurden und von vielen Politikern härtere Maßnahmen gegen diese „Gewalttäter“ gefordert wurden, versuchte die Polizei, den Mord an Silvio Meier in Berlin als „Messerstecherei unter linken Jugendbanden“ darzustellen und die überlebenden Opfer zu Aussagen zu nötigen, die diese These stützen sollten. In den besetzten Häusern in Berlin-Friedrichshain hörten Freunde des ermordeten Silvio Meier nach der Tat den Polizeifunk ab, wo man sich gerade darüber verständigte, wie der Mord möglichst unspektakulär dargestellt werden könne.

Während Bundeskanzler Kohl nach der Demo am 8. November nicht zögerte, zu erklären, „weder er selbst, noch die CDU in Deutschland lassen sich von den Vorkommnissen beeinflussen“, wartet man vergeblich auf ähnlich deutliche Äußerungen bezüglich der brutalen Gewalt von rechts. Im Gegenteil, die nicht abreißende Diskussion um das Asylrecht bestärkt die ausländerfeindlichen Gewalttäter weiter in ihrem Handeln. Es muß endlich Schluß sein mit dieser menschenverachtenden Diskussion, die an den bestehenden Problemen nichts ändern kann, außer den Rechtsextremen eine Legitimation zu verschaffen und die Situation der hier lebenden Ausländer weiter zu verschärfen. Die Kürzung der Sozialhilfe für Asylbewerber um 25 % mit der Begründung, dieser Teil, sei für die Teilnahme am gesellschaftlichen Leben vorgesehen und daher für Asylanten nicht erforderlich, ist geradezu zynisch. Die Umstellung von finanzieller Unterstützung auf Wertgutscheine fördert die Diskriminierung der Menschen bei jedem Kaugummikauf.

Die jüngsten Fahndungserfolge können nicht über die weitgehende Untätigkeit von Polizei und Behörden gegenüber rechten Mörderbanden hinwegtäuschen, die nach wie vor festzustellen ist. Weiterhin haben Menschen, die anders aussehen, anders denken oder anders leben, allen Grund, sich gefährdet zu fühlen. Die alltägliche Anmache und das allnächtliche Brandbombenwerfen geht munter weiter. Anders als vor den Anschlägen der RAF brauchen die hohen Herren Politiker und Wirtschaftsbosse keine Angst vor diesem Terror zu haben. Getroffen werden sie nur indirekt durch die zunehmend kritischen Töne aus dem Ausland. Das internationale Ansehen der Deutschen leidet, wirtschaftliche Folgen wie mangelnde Investitionsbereitschaft zeichnen sich ab. Äußerst unangenehm angesichts der aktuellen Wirtschaftsdaten. Der Staat versucht daher, das Ansehen im Ausland wieder zu bessern. Er setzt dabei weniger auf Ursachenbekämpfung, als vielmehr auf Beschwichtigung und symbolische Handlungen.

Symbole. Wie die meisten anderen Staaten pflegt auch die Bundesrepublik Deutschland ihre Symbole wie Oma Schultz ihren Zwergpudel. Auf das Verbrennen einer schwarz-rot-goldenen Flagge stehen hohe Strafen, die in keinem Verhältnis stehen zum Vergehen an Textilerzeugnissen gleicher Größe in Privatbesitz. Die Symbole sind dem Staat heilig wie der Kirche die Madonna. Vor allem im linken Spektrum werden solche Symbole oft mißachtet, kritisiert oder lächerlich gemacht, was einmal mehr beweist, daß der Feind links steht. Die Rechte dagegen greift viele der nationalen Symbole begierig auf und setzt am liebsten noch eines drauf. Die Herrschenden sehen lieber Leute, die gleich alle drei Strophen des Deutschlandliedes singen als diejenigen, die sich weigern, auch nur die Melodie anzustimmen. Aber auch Rechtsradikale besudeln Symbole und sorgen für ein schlechtes Image, z.B. durch Anschläge auf jüdische Gedenkstätten oder Friedhöfe. Solche Anschläge sind abscheulich und schlimm. Die heftige Reaktion der Öffentlichkeit steht dennoch in keinem Verhältnis zu den Reaktionen auf Anschläge, die auf noch lebende Opfer ausgeübt werden. Doch die Symbolik hat höheren Stellenwert als ein paar Menschenleben.

Durch die Demonstration in Berlin am 8. November sollte dem Ausland vorgeführt werden, wie breit das Bündnis derer ist, die gegen Rassismus sind. 350.000 Menschen kamen, der symbolische Akt hätte ein voller Erfolg für die Bundesregierung werden können. Die Mehrzahl der Demonstrantinnen wollte sich allerdings nicht kritiklos vor den Karren der politischen Brandstifter spannen lassen, sondern machte aus der geplanten Schaufensterveranstaltung eine machtvolle Demonstration für die Erhaltung des Asylrechts. In der Berichterstattung der Medien war davon so gut wie nicht die Rede. Die Fernsehbilder zeigten ein Meer von Transparenten, die sich für die Erhaltung des Asylrechts aussprachen, doch in den Kommentaren wurden sie ignoriert. Das Anliegen von 350.000 Menschen wurde schlicht totgeschwiegen.

Bestimmt wurde die Berichterstattung von den Eierwürfen auf den Bundespräsidenten. Natürlich hatten sämtliche Reporter auch Steine fliegen sehen. Erst Tage später gab man kleinlaut zu, daß keine Steine geflogen sind. Demonstranten, die nichts taten, außer der anwesenden Politprominenz mit „Heuchler“-Rufen auf die Nerven zu gehen, wurden ebenfalls als Gewalttäter abgestempelt. Der Grund: feindliche Linke haben ein Symbol besudelt. Man muß nicht einverstanden sein mit den Eierwürfen auf von Weizsäcker, aber man sollte versuchen, sich vorzustellen, welche Wirkung ein planmäßiger Ablauf der Demo im Ausland gehabt hätte. Alles bestens in Germany, Regierung und Volk wehren sich gemeinsam gegen den Rassismus.

Der Protest ausländischer Regierungen, Medien und Firmen hat großen Einfluß auf die Bundesregierung. Der Boykott deutscher Produkte im Ausland könnte diesen Druck verstärken. Es scheint zur Zeit eines der wirkvollsten Mittel gegen den Rassismus in Deutschland zu sein, den Druck aus dem Ausland zu fördern.

Ein weiterer empfindlicher Punkt der Bundesrepublik .Deutschland ist das „Gewaltmonopol des Staates“ , ebenfalls ein symbolträchtiger Begriff. Das „Gewaltmonopol des Staates“ wird mißverstanden als bloßes Vorrecht des Staates, Gewalt anzuwenden, anstatt es als eine staatliche Pflicht wahrzunehmen, die Menschen in Deutschland zu schützen. Die Entschlossenheit vieler, die sich bedroht fühlen, sich selbst zu schützen und sich gegebenenfalls auch selbst zu verteidigen, ist daher die logische Konsequenz. Diese Menschen machen dem Staat nicht sein Gewaltmonopol streitig, sondern handeln aufgrund der Feststellung, daß er selbst dieses Monopol offenbar nicht beansprucht, wenn es um rechte Gewalt geht. Die Ankündigung Ralph Giordanos, sich selbst zu bewaffnen, störte die Bonner Politiker massiv in ihrer Selbstgefälligkeit. Vielleicht wachen sie auf, wenn mehr Leute wie Giordano zielsicher die wirklich empfindlichen Punkte dieses Staates treffen.

Eine letzte Bemerkung mit Blick auf den türkischen Botschafter und alle Diplomaten anderer Länder, die versucht sind, seinen Argumenten zu folgen: Wir erklären uns solidarisch mit Ihrem Protest gegenüber den rassistischen Morden und Ihrer Kritik am mangelnden Handlungswillen des Staates. Mit Entschiedenheit weisen wir aber Ihre Schlußfolgerung zurück, es dürfe sich angesichts dessen niemand mehr über Menschenrechtsverletzungen in der Türkei beschweren. Menschenrechte sind nicht handelbar, sondern gelten für Menschen in allen Ländern gleichermaßen. Unser Protest richtet sich gegen alle, die Menschenrechte verletzen, ob in Deutschland, Indonesien, der Türkei oder anderswo. <>
 
 

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