Indonesien-Information Dez. 1992 (Ausländerfeindlichkeit)

 

Brief an eine unbekannte indonesische Freundin


Eigentlich bin ich furchtbar beschäftigt, zu beschäftigt, um Zeit für lange Briefe zu haben. Ich schreibe Dir trotzdem, um das Erklärliche zu erklären, um mich für das Unentschuldbare zu entschuldigen.

Du erinnerst Dich sicher noch an unsere langen Gespräche über Ost-Timor, über Irian Jaya, wo Du gezwungen warst, Stellung zu nehmen zu dem Vorgehen der Regierung Deines Landes, zu den Gewalttaten und Menschenrechtsverletzungen.

Nun, jetzt bin ich an der Reihe zu erklären. So, wie Du Indonesierin bist und Dein Land nicht verleugnen kannst, auch wenn Du es manchmal möchtest, so bin ich Deutsche und...

Verdammt. Warum? Du hast es sicher schon in der Zeitung gelesen, im Fernsehen gesehen?

Wie kann ich es Dir nur sagen? Diese Schande!

Meine eigenen Freunde sind nicht mehr sicher in meinem Land! Sie trauen sich nicht mehr in bestimmte Stadtteile, erst nur nachts, jetzt auch tagsüber. Sie fühlen sich bedroht, haben Angst um Leib und Leben – nur, weil sie eine andere Hautfarbe haben, eine andere Sprache sprechen. Und ich weiß nichts, sie zu schützen. Ihnen zu helfen! Ich fühle mich mitschuldig, mitverantwortlich, ratlos und verzweifelt. Wie hast Du Dich gefühlt, letztes Jahr am 12. November, als das Massaker von Santa Cruz sich ereignete?

Natürlich ist es anders in Deutschland, die Probleme liegen anders als in Indonesien. Aber auch ich weiß nicht, wie ich mein Gesicht wahren kann, wenn ich jetzt nach Indonesien fahre und meine Freunde und die unbekannte, aber immer erstaunlich gut informierte Nachbarin im Bus oder die Köchin am Warung mich fragt: „Ist es wahr, dass...?“

Ja, es ist wahr, ich kann Dir nicht raten mich in meinem Land zu besuchen, weil ich für Deine Sicherheit nicht garantieren kann. Marodierende Jugendliche schmeißen vielleicht Brandsätze in Dein Zimmer oder stoßen Dich vor die einfahrende U-Bahn, weil Du Ausländerin bist... Ich sehe schon, ich werde diesen Brief nicht abschicken, es zerreißt mir das Herz.

Ich habe mir immer gewünscht, diese Freundlichkeit, Herzlichkeit, Hilfsbereitschaft und menschliche Wärme vergelten zu können, die mir in Deinem Land widerfahren ist. „Du übertreibst,“ wirst Du aus Bescheidenheit sagen. Verzeih mir meine Überschwenglichkeit, nein, nun kann ich diesen Brief sicherlich nicht mehr abschicken. Oh, negara maju, wenn ich gehe, wünschte ich, ich könnte meine Erinnerung abstreifen wie eine alte Haut und meinen Paß verbrennen, meine Sprache vergessen, ich hab’ mir dich nicht als Heimat ausgesucht. Schelte mich nicht, laß mir meine Träume, liebe Freundin, nein, ich werde mich nicht verleugnen, wenn ich vor Dir stehen werde und Du mich fragst: „Ist es wahr, daß...?“

Vielleicht vertstehen wir uns besser jetzt, wer weiß, jetzt wo es keine Ankläger mehr unter uns gibt, jetzt ist die Zeit an Dir, mir meinen Brecht zu zitieren. „Daß Du Dich wehren musst, wenn Du nicht untergehen willst, wirst Du doch sicher einsehen“. Ja, da hast Du wohl recht.
 
 

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