Indonesien-Information Nr. 3 2000 (Politik)

Vergangenheitsaufklärung als Herausforderung für eine Demokratisierung in Indonesien und Ost-Timor

von Andrea Fleschenberg

Der Aufsatz ist eine aktualisierte und gekürzte Fassung eines Vortrags des Lissaboner Symposiums "East Timor, Indonesia and the Region: Perceptions of History and Prospects for the Future", Juli 2000. Andrea Fleschenberg ist Doktorandin zum Thema Vergangenheitsaufklärung und lebt zur Zeit in Porto, Portugal, wo sie u.a. am Institute for Studies and Co-operation with East Timor arbeitet.

"At times it is right to dream the impossible, to ask for the impossible, to shout for the impossible. History might happen to be listening. History just might happen to answer."(Ariel Dorfman)1

Vergangenheitsaufklärung als Gegenwartsbewältigung

Vergangenheitsaufklärung bedeutet ein Bruch mit der Kontinuität, ein Bruch mit der Vergangenheit - d.h., eine post-diktatorale Gesellschaft befreit sich vom vorangegangenen politischen System und seinen Hinterlassenschaften. Dabei geht es aber weniger um die Vergangenheit an sich, sondern um dessen Erbe, dessen Hinterlassenschaften, die in die Gegenwart hineinreichen - seien sie sozialer, kultureller, politischer, wirtschaftlicher oder mentaler Art.

Die Vergangenheit an sich, als abgeschlossenes Faktum, kann nicht mehr verändert werden, aber ihre Konsequenzen sowie unsere Wahrnehmungen und Interpretationen dieser. Dies betrifft unsere Anschauungen, Meinungen, Haltungen, Werte, wie auch zukünftige politische Biographien. Vergangenheit kann nicht bewältigt noch bereinigt werden - es wird immer etwas als Teil der individuellen und kollektiven politischen Biographie und Identität erhalten bleiben und an zukünftige Generationen weitergegeben werden. Es ist vielmehr ein politischer und soziokultureller Kampf um Interpretation sowie (De-)Legitimation einer post-diktatoralen Gesellschaft.

Der Prozess der Vergangenheitsaufklärung und seiner Bestimmungsfaktoren (Akteure, Interessen, aktuelle Ereignisse, politisches/juristisches System etc.) ist in der Gegenwart situiert und retrospektiv, wobei der Prozess an sich auf die Zukunft und künftige Generationen ausgerichtet ist - niemals die Vergangenheit sich wiederholen lassen. Grundsätzlich zu unterscheiden sind die private und die öffentliche Dimension bei der Vergangenheitsaufklärung, die sich auf folgenden Ebenen vollziehen kann:

  • Im politischen System und der politischen Kultur,
  • In der kulturellen und intellektuellen Auseinandersetzung,
  • In der zwischenmenschlichen Beziehung,
  • In der intra-individuellen Auseinandersetzung jedweden Individuums selbst.

  •  

     

    Maßnahmen der Vergangenheitsaufklärung lassen sich grundsätzlich nach ihren verschiedenen Bereichen unterscheiden:

  • Interindividuell: Auseinandersetzung mit der eigenen politischen Biographie und der anderer,
  • Juristisch: Strafverfolgung, Wiedergutmachung, Rehabilitation, Restitution, Entschädigung, Amnestie,
  • Politisch: parlamentarische Debatte und Gesetzgebung in Form von bspw. Untersuchungsausschüssen, Lustration2 , Amnestie etc.,
  • Wirtschaftlich: Restitution, Entschädigung,
  • Soziokulturell: Erinnerungskultur, Debatten in Literatur und Kunst, Mediendebatte, NGO-Inititativen wie bspw. Geschichtswerkstätten,
  • Wissenschaftlich: Debatte, Forschung, politische Bildung.

  •  

     

    Es lassen sich zwei Kulturtypen und deren Weg der Vergangenheitskonfrontation unterscheiden: die Kultur des Vergessens und die Kultur des Erinnerns. Gesellschaften können dabei verschiedene Wege einschlagen. Grob unterscheiden lassen sich:

  • Amnesie, Amnestie und Verdrängung (bspw. Japan, Spanien)
  • Wahrheitskommissionen (Lateinamerika, Südafrika)
  • Internationale oder Nationale Tribunale (Rwanda, ehem. Jugoslawien)
  • Multidimensionaler Ansatz (bspw. Deutschland nach 1989)
  • Lustration (bspw. MOE-Staaten3).

  •  

     

    Selten findet eine sofortige umfassende Vergangenheitsaufklärung nach einem Systemwechsel oder -zusammenbruch statt. Gründe dafür sind vielfach eine angebliche Destabilisierung des neuen Systems, Gefahr der Störung des nationalen Friedens und der nationalen Einheit sowie andere Prioritäten im Zusammenhang mit Machtkonsolidierung, Wiederaufbau etc.. Es hat sich jedoch gezeigt, dass Gesellschaften im Zuge einer nachhaltigen und konsolidierenden Demokratisierung nicht auf Vergangenheitsaufklärung verzichten können.4 Herausragendes Beispiel ist der Pinochet-Fall. Trotz seiner Absicherung durch ein Netz von Amnestien, Immunitätserlassen und lebenslänglichen politischen Ämtern gelang es Pinochet nicht, sich einer Strafverfolgung zu entziehen. Selbst wenn er letzten Endes seine Verurteilung nicht vollziehen muss, kann man hier schon - insbesondere auch im Hinblick auf Indonesien - von einem Präzedenzfall sprechen. Die Konsequenz der Debatte um eine Verurteilung ist schwerwiegender als die Verurteilung selbst - die Entthronisierung eines als unantastbar und nicht hinterfragbaren Diktators hat - so in Chile sehr gut zu beobachten - nicht nur für die alte Elite und den Diktator selbst eine umfassende Demoralisierung zur Folge, sondern bewirkt in der Gesellschaft selbst eine Befreiung. Eine Befreiung nicht nur von alten Herrschaftsstrukturen, sondern auch in ihrem Denken selbst - "touching the untouchable".

    Erste Schritte der Vergangenheitsaufklärung in Indonesien

    Auch in Indonesien gab es erste Schritte zum "touching the untouchable". Im Prozess der langsamen, kontroversen und widersprüchlichen Vergangenheitsaufklärung in Indonesien gilt es zwei Bereiche zu unterscheiden: die Auseinandersetzung mit dem Suharto-Regime sowie die Besatzung und der Genozid5 in Ost-Timor.

    Beiden Prozessen gemeinsam ist die fast ausschließliche Konzentrierung auf das Element der Strafverfolgung. Maßnahmen wie Elitenaustausch, Enquetekommissionen, politische Bildung sind bis jetzt noch nicht greifbar und angesichts der politisch-militärischen Machtkonstellationen bis auf weiteres eher als unwahrscheinlich einzustufen. Indonesien als Transformationsland sieht sich mit ähnlichen, vergleichbaren Herausforderungen konfrontiert wie vorher die lateinamerikanischen Staaten und Südafrika - obwohl im Falle Indonesiens von einer ernsthaften Gefahr durch die Bedrohung eines möglichen Zerfalls der nationalen Einheit ausgegangen werden kann. Diese Bedrohung entsteht nicht - wie im Falle der Perzeption durch lateinamerikanische und südafrikanische Gesellschaft(en) - durch die Auseinandersetzung mit der Vergangenheit, im Gegenteil.6 Doch auch hier besteht die Gemeinsamkeit vor allen Dingen in der nachhaltigen Drohung des Militärs und ehemaliger Eliten, den Prozess der Vergangenheitsaufklärung nachhaltig zu behindern und zu unterbinden.

    a) Suharto-Ära

    Es ist festzustellen, dass ausschließlich fast alle Schritte in diesem Prozess in Richtung Ost-Timor gehen und wenig über die Suharto-Diktator und ihre Konsequenzen innerhalb Indonesiens debattiert wird. Ausdruck dessen ist auch die Anklage von Suharto aufgrund von Korruptionsvorwürfen7 und nicht zur Verfolgung der von seinem Regime begangenen systematischen Menschenrechtsverletzungen. Als maßgeblicher Faktor ist vor allem die Rolle des Militärs und der alten Eliten im heutigen Indonesien anzusehen - eine Untersuchung der Menschenrechtsverletzungen, die unter der Ägide des TNI und deren paramilitärischen Gruppen und untergeordneten Milizen begangen wurden, hätte eine harte Konfrontation und blutige Opposition mit dem Militär zur Folge8. Gleiches gilt auch für die alten Eliten, die immer noch zu weiten Teilen in Legislative, Judikative und Exekutive vertreten sind und daher nicht nur kein Interesse an einer Untersuchung haben, sondern diese auch aufgrund der bestehenden Machtkonstellationen wirksam unterbinden können.9 Anders sieht es im Falle der Korruptionsanklage Suhartos aus, die sich von den Machenschaften der TNI und weiten Teilen der alten Eliten isolieren lässt, da sie an Suharto und seine Familie weitestgehend gebunden ist. Der Economist wagt sogar den Vergleich mit Al Capone, der auch nicht aufgrund seiner Morde, sondern "nur" aufgrund von Steuerhinterziehungen verurteilt wurde.

    Wie im Pinochet-Fall dreht es sich auch bei Suharto mehr um medizinische Gutachten sowie seine Vernehmungsfähigkeit als um die gerichtlich zu untersuchenden Vorwürfe.10 Weiterhin ist der Prozess nicht nur als Farce aufgrund der Richterauswahl11 anzusehen, sondern auch aufgrund der von Indonesiens Präsident Abdurrahman Wahid angekündigten Begnadigung in seiner Signalwirkung in Frage zu stellen. Wahid wird Suharto begnadigen, sollte dieser die ihm nachweisbaren hinterzogenen und veruntreuten Gelder zurückzahlen.12 Ob einem Angeklagten Haftverschonung gewährt wird, sollte erst nach genauer richterlicher Untersuchung und Verfahren erfolgen und nicht vor Prozessbeginn. Obwohl Prozesse solcher Art, wie auch der von Pinochet oder bspw. Honecker, bezüglich Strafverfolgung wenig erreichen können, so ist doch das Element der Aufklärung und der Schuldfestlegung samt der davon ausgehenden Symbolwirkung für Gesellschaft und Regimeopfer nicht zu unterschätzen und vielmehr als ein Primat der erfolgreichen Transformation hin zu einem demokratischen System anzusehen. Hiermit kann der Bruch mit dem alten System überzeugend demonstriert werden.

    Ambivalent endete auch vorerst der Suharto-Prozess: Ende September legte das Gericht nach mehrmaligen Nicht-Erscheinen Suhartos aufgrund eines unabhängigen medizinischen Gutachtens fest, dass Suharto aus medizinischen Gründen nicht gerichtsfähig ist. Befremdlich scheint in diesem Kontext die Aussage eines Mitgliedes des 23köpfigen Ärzteteams Suhartos, A.S. Ranakusuma, der auf einem wissenschaftlichen Symposium am 9. September äußerte, dass "in den medizinischen Gutachten unseres Teams (...) niemals festgestellt (wurde), dass der frühere Präsident aufgrund seiner Krankheit nicht in der Lage wäre, einen Prozess durchzustehen."13

    Trotz Wahid´s angekündigter Begnadigung ist dieses Urteil als ein herber Rückschlag für die Regierung in Jakarta zu werten.14 Nicht nur war sie nach Habibie mit der Erklärung einer Untersuchung des Suharto-Regimes angetreten, auch wurde dieses Verfahren weltweit als eine Art Lackmus-Test15 für die Wiederherstellung von rechtsstaatlichen und demokratischen Verhältnissen gewertet. Ähnlich wie in Chile kam es auch in Indonesien zu heftigen Auseinandersetzungen nach Bekanntgabe der Verfahrenseinstellung. Herbe Kritik und Vorwürfe gab es nicht nur seitens Präsident Wahids, der den Obersten Gerichtshof zur Wiederaufnahme des Verfahrens gegen Suharto aufrief und die Richter der Bestechlichkeit beschuldigte.16 Generalstaatsanwalt Marzuki Darusman, überzeugt von der Gerichtsfähigkeit Suhartos, bekundete tiefe Enttäuschung und Entrüstung über die Art ("not fair to the public") und Weise des ergangenen Urteils: alle Anträge der Staatsanwaltschaft nach dem medizinischen Gutachten wurden abgelehnt. Die Richter weigerten sich, mit Suharto zusammenzutreffen, um sich selbst von seinem Zustand zu überzeugen. Auch dem Antrag auf Verlegung in ein staatliches Krankenhaus sowie ein Verfahrensvollzug in Abwesenheit des Angeklagten wurde nicht stattgegeben. Infolgedessen kritisierte Marzuki Darusman die Nichtausschöpfung aller rechtlichen Mittel,17 welche eine negative Symbolwirkung für die Bevölkerung haben wird: "the justice system had failed the people".18 Ob es in naher Zukunft einen Prozess gegen Suharto geben wird, hängt nicht nur allein von inner-indonesischen Machtkonstellationen (Stärke Wahid vs. TNI), Reformfortschritten, sondern auch vom Feedback der internationalen Gemeinschaft ab, die nicht nur bei der Strafverfolgung der Ost-Timor-Verbrechen eine entscheidende Rolle und Verantwortung trägt.

    Abgesehen vom Suharto-Prozess gibt es in Indonesien erste Ansätze in Richtung einer Wahrheits- und Versöhnungskommission am Beispiel Südafrikas. Im Mai diesen Jahres reiste eine hochkarätige Delegation von indonesischen Führungskräften aus Regierung und Zivilgesellschaft zu einer zweiwöchigen Studienreise zur südafrikanischen Truth and Reconciliation Commission.19 Träger des alternativen Nobelpreises und ehemaliges Mitglied von KPPHAM (siehe unten), Munir, stellt diesbezüglich fest: "I feel that while there´s a push to set up this commission of truth and reconciliation, the prolonged debate entailed has been used as an excuse for stalling. There´s a new kind of immunity here, as if all inquiries (on rights violations, A.F,) should wait for the outcome of this debate(...)."20 Der Economist geht sogar soweit, darin einen Versuch der Verdrängung und Amnestierung zu sehen: "but there too it looks suspiciously like a ruse to give amnesty to those responsible for atrocities under former President Soeharto´s rule rather than a way of bringing the culprits to book."21

    b) Besatzung und Genozid in Ost-Timor

    Ein erster Schritt in die richtige Richtung erfolgte durch den indonesischen Präsidenten Abdurrahman Wahid, der sich während seines Ost-Timorbesuchs vor 5000 Timoresen entschuldigte: "(...) people in East Timor and Indonesia had become victims of oppressions from (the) predecessor regime. (...) I would like to apologize for the things that have happened in the past...for our friends, to the families of Santa Cruz, and those friends who are buried here (Indonesian soldiers, A.F.) in the military cemetery. They are the victims of the circumstances that we didn't want."22 Seine Rede wurde allerdings von Zurufen unterbrochen, die eine Verurteilung von General Wiranto und anderen verantwortlichen Militärs forderten.

    Auch bei der Aufklärung der in Ost-Timor begangenen Verbrechen besteht eine Konzentration auf den Bereich der Strafverfolgung23. Mehr als ein Jahr nach dem Ende der indonesischen Besatzung sind noch keine herausragenden Erfolge der Strafverfolgung erkennbar24, trotz des Briefes des damaligen UN-Sicherheitsratspräsidenten Arnaldo Listre ("The accountability of those responsible for the violations would be a key factor in ensuring reconciliation and stability in East Timor.")25, der die Frage der Strafverfolgung als eine der Prioritäten der internationalen Ost-Timor-Politik und als wichtigen Baustein für ein stabiles und friedliches Ost-Timor ansieht.

    Hauptproblem einer Aufarbeitung der Menschenrechtsverletzungen in Ost-Timor ist, dass, entgegen der Präzedenzfälle Bosnien und Rwanda, der UN-Sicherheitsrat im Februar diesen Jahres die Strafverfolgungskompetenz nicht einem internationalen Gerichtshof, sondern Indonesien zuwies - und dies obwohl eine Schutzautorität der UNO gegenüber den ost-timoresischen Opfern manifestiert wurde26 - und eine Strafverfolgung der Verantwortlichen durch nationale Gerichtsbarkeit verlangte.27 Im Widerspruch dazu steht der Bericht einer internationalen UN-Untersuchungs-kommission, die in ihrem Bericht vom 31.01.2000 ein internationales Tribunal unter UN-Autorität empfahl.28 Kofi Annan drohte jedoch bereits mehrmals der indonesischen Regierung damit, dennoch ein internationales Tribunal einzusetzen, sollte es nicht zu einer glaubwürdigen Strafverfolgung kommen.29

    Indonesien selbst lehnt jedwede internationale Einmischung oder gar ein internationales Tribunal vehement ab. Um dem internationalen Druck gerecht zu werden, wurde von der Regierung eine Untersuchungskommission (KPPHAM) eingesetzt, die vornehmlich aus Staatsanwaltschaft, Polizei, Militärpolizei und Regierungsstellen bestand und über keine Strafverfolgungskompetenzen verfügte. Alleinige Aufgabe war die Beweissammlung sowie Nennung von möglichen Verdächtigen. Nach Abschluss der Untersuchungen nannte KPPHAM dem Generalstaatsanwalt 33 Verdächtige, unter denen sich auch u.a. General Wiranto befand.30 Infolgedessen wurden von den Verdächtigen General Wiranto, Maj. Gen. Adam Damiri, Command. Brig. Gen. Tono Suratman, Col. M. Noer Muis, Major Gen.Zacky Anwar Makarim, Lt. Gen. Johny Lumintang, Maj. Gen. ret. Garnadi, Gen. ret. Feisal Tanjung. Brig. Gen. Timbul Silaen befragt. Die ehemaligen ost-timoresischen Regierungsoffiziellen sowie der ehemalige Gouverneur José Abilio Soares erschienen nicht zu den angegebenen Terminen. Dabei gilt zu beachten, dass diese nicht als Verdächtige, sondern lediglich als Zeugen zur Beweissammlung für eine spätere Anklage befragt und nicht verhört wurden.31 Kritik wurde nicht nur laut an der mangelnden Transparenz, der Beweismanipulation oder -unterschlagung, mangelnder Kompetenz und schleppendem Fortgang.32 Von der Generalstaatsanwaltschaft wurden folgende fünf Präzedenzfälle ausgewählt:

  • Angriff auf das Haus von Unabhängigkeitsführer Manuel Carrascalão vom 17.04.00 (42 Tote),
  • Angriff auf das Haus vom Bischof von Dili Ximenes Belo,
  • Flüchtlingsmassaker in der Kirche von Liquiça, April 1999 (ca. 17 Tote),
  • Massaker in der Kirche von Suai, September 1999 (26 Tote),
  • Ermordung des FT-Korrespondenten Sander Thoenes am 21.09.1999.

  •  

     

    Anfang September erfolgte dann die Nominierung der vom Generalstaatsanwalt verfolgbaren 19 Verdächtigen33, unter denen allerdings viele hohe Militärs, u.a. General Wiranto, fehlten. Vielfach wurde dies jedoch als erster Schritt in die richtige Richtung gewertet, mit der Begründung, dass für die fehlenden Namen die Beweislage für eine Anklage nicht ausreiche.34 Konsequenz der Nichtnennung von bspw. Wiranto und Zacky war der erneute Ruf nach einer Etablierung eines internationalen Gerichthofes.35

    Jüngster Rückschlag in indonesischen Bemühungen ist die Freilassung von Eurico Guterres, als Führer der Aitarak-Milizen einer der Hauptverantwortlichen für die Massaker und Brandschatzung des letzten Jahres, Mitte Oktober. Laut Fernsehberichten bestand für die indonesischen Sicherheitskräfte kein Haftgrund.36 Die Ambivalenz, Behinderung und Unglaubwürdigkeit einer Strafverfolgung wird durch die beiden Erklärungen einflussreicher indonesischer Politiker deutlich: Amien Rais, Vorsitzender der Volksversammlung MPR, ging sogar soweit, Guterres einen Freund Indonesiens zu nennen37 und Tandjung, Sprecher des Unterhauses, wolle an den Staatsanwalt appellieren, von einer schweren Bestrafung aufgrund der von Guterres für Indonesien geleisteten Dienste abzusehen - und dies obwohl sich Guterres auf der Verdächtigenliste38 des Generalstaatsanwaltes befindet.39 In Berufung auf das Memorandum zwischen Indonesien und der UNTAET40 (zur gegenseitigen juristischen Unterstützung bei der Untersuchung von Menschenrechtsverletzungen und Auslieferung von Verdächtigen) verlangten UN-Verantwortliche in Ost-Timor formell die Auslieferung von Guterres an die UNTAET41, dem allerdings nicht stattgegeben wurde.42 Generalstaatsanwalt Marzuki stellte jedoch eine Befragung Guterres´ in Jakarta in Aussicht. Dennoch ließ die UNTAET verlauten, dass nunmehr weitere Auslieferungsanträge zu hohen indonesischen Militärs und Milizenkommandeuren in den nächsten Wochen an die indonesische Regierung gestellt würden.43

    Abgesehen von den dargestellten schleppenden, ambivalenten und äußerst fragwürdigen Versuchen einer Strafverfolgung durch indonesische Regierungsstellen wurde der gesamte Prozess durch eine Verfassungsänderung ad absurdum geführt. Dadurch dass die indonesische Gesetzgebung keine Verfolgung von Verbrechen gegen die Menschheit kennt, bedarf es eines speziellen Gesetzes zur Verfolgung der Ost-Timorverbrechen, wie es im Entwurf zum Gesetz über Menschenrechte mit seiner Möglichkeit von präsidentiell angeordneten Ad-hoc-Tribunalen zu Menschenrechtsfragen vorgesehen war. Die von der Volksversammlung MPR nunmehr im August 2000 verabschiedeten Verfassungsänderung von Art. 28 (Verbot einer rückwirkenden Strafverfolgung) könnte nunmehr einer Amnestierung und Immunität der verantwortlichen Militärs, Milizen und Regierungsoffiziellen gleichkommen. Anklagebasis wäre damit nur noch das allgemeine Strafrecht, welches keine Verbrechen gegen die Menschheit aufführt.44

    Erste Schritte der Vergangenheitsaufklärung in Ost-Timor

    Grundproblem der Vergangenheitsaufklärung in Ost-Timor sind nicht nur die fehlende Regierungsgewalt, Mangel an finanziellen und personellen Ressourcen als auch die Flucht der Mehrheit der Täter nach Indonesien sowie die Zuständigkeit der indonesischen Strafverfolgungsbehörden, verliehen durch den UN-Sicherheitsrat. Die systematischen Menschenrechtsverletzungen im Rahmen des Unabhängigkeitsreferendums stellen in Ost-Timor immer noch sozialen Sprengstoff dar, wobei die Meinung der Bevölkerung von der offiziellen Versöhnungspolitik abweicht: die Mehrheit verlangt, angesichts der Inkompetenz und Korruption indonesischer Strafverfolgungsbehörden, ein internationales Tribunal der verantwortlichen Militärs und Milizen.45

    Mittlerweile haben die indonesischen Vorkommnisse (v.a. in West-Timor) auch in Ost-Timor von einer abwartenden, versöhnlichen und kooperierenden Haltung her hin zu einem verstärkten Lobbying für einen internationalen Strafgerichtshof und zu eigenen Strafverfolgungsinitiativen der UNTAET geführt.

    Der CNRT sieht, so eine Erklärung von Gusmão und Horta, ein internationales Tribunal als komplementär zu Marzukis Strafverfolgungsbemühungen: "The UN Security Council must now consider establishing an international tribunal on East Timor to punish those responsible for war crimes and crimes against humanity. Only a tribunal will send a clear signal to the criminal elements who destroyed East Timor and continue to terrorize refugees, international staff and others that the world does not tolerate their impunity."46 Weiterhin verurteilte der CNRT in einer Presseerklärung die schleppende Strafverfolgung und erklärte, dass, trotz Xanana Gusmãos Versöhnungsmaxime47, "it cannot accept that its long standing position of tolerance and dialogue be faced with continuing acts of violence and total disregard for human lives and for the Peace process. (...) The CNRT demands that (...) the Security Council establishes an International War Crimes Tribunal on East Timor..."48 Bestärkt wurde diese Position durch Mary Robinson, UN-Kommissarin für Menschenrechte, die während ihres Ost-Timor-Besuchs die Strafverfolgung als vital und dringend notwendig ansah und jedwede Amnestierung ablehnte.49

    Die UNTAET selbst hat nunmehr eine "Serious Crimes Investigations Unit" und ein spezielles internationales Gericht für die Menschenrechtsverbrechen von 1999 ins Leben gerufen. Des weiteren befinden sich ca. 70 Milizenangehörige in Haft.50

    Xanana Gusmão erklärte im Mai diesen Jahres, dass eine nationale Empfangs- und Versöhnungskommission (National Reception and Reconciliation Commission) etabliert werden würde, um Milizen, deren Mitläufer und "Geiseln" mit dem Angebot von fairen Gerichtsverfahren im Austausch von vollen Geständnissen zur Rückkehr zu bewegen. Für nicht-schwerwiegende Vergehen wurde Gemeinschaftsarbeit statt Gefängnis in Aussicht gestellt.51

    Fazit

    Die südafrikanische Wahrheits- und Versöhnungskommission kann, neben einer konsequenten Strafverfolgung, kein Modell für Indonesien sein. Eine Amnestierung sendet mittel- und längerfristig das falsche gesellschaftliche Signal und verhindert außerdem die Auseinandersetzung mit der Rolle des TNI. Der Preis einer kurzfristigen und zweifelhaften inneren Stabilität steht in keinem Verhältnis zum Preis für den Rückschlag zur Etablierung einer zivilen und demokratischen Gesellschaft und Rechtsstaatlichkeit in Indonesien. Grundsätzliches Problem ist die Zuweisung der Strafverfolgungskompetenz an Indonesien durch den UN-Sicherheitsrat. Es bleibt jedoch anzunehmen, dass weitere Rückschläge in der Strafverfolgung der in Ost-Timor im letzten Jahr begangenen Verbrechen nicht ein Entkommen und eine Amnestierung der Verantwortlichen bedeuten, sondern letzten Endes den internationalen sowie ost-timoresischen Bemühungen für die Etablierung eines internationalen Strafgerichtshofes zuarbeiten.

    Problematisch ist auch, dass die UNTAET zwar über Beweise und Zeugen, nicht jedoch über die Angeklagten verfügt, die sich mehrheitlich auf indonesischem Territorium aufhalten. Dementsprechend können eventuelle Prozesse nur in Abwesenheit der Angeklagten stattfinden und ein Strafvollzug wird dadurch mehr als fragwürdig. Außerdem steht zu befürchten, dass sich die indonesische Vergangenheitsaufklärung, wenn überhaupt, nur auf die Geschehnisse in Ost-Timor beziehen werden und andere Bereiche des Suharto-Regimes, auch durch mangelnden internationalen Druck, von anderen tagespolitischen Prioritäten verdrängt werden.

    Ost-Timor, im Zuge der Unabhängigkeit, darf über dem Wiederaufbau nicht die Vergangenheitsaufklärung ruhen lassen. Da die Mehrheit der Verantwortlichen für die Jahre der Besatzung und Massaker das Land verlassen haben, befindet sich die UNTAET und CNRT im Dilemma einer rekonstruierbaren jedoch nicht allein verfolgbaren Beweislage und deren Strafverfolgung. Ein Lobbying für die Einsetzung eines internationalen, da unabhängigen Gerichtshofes bleibt unerlässlich und wird im Zuge einer indonesischen Vergangenheitsaufklärung auch nicht zur Destabilisierung der binationalen Beziehungen führen. Dennoch ist die Fokussierung auf Strafverfolgung auch in Ost-Timor nicht ausreichend. Um eine Fortschreibung der Traumatisierung von weiten Teilen der Bevölkerung zu vermeiden, Opfer als auch Täter in das neue Timor zu integrieren, bedarf es einer gesellschaftlichen Aufarbeitung - im Gegensatz zu Indonesien ließe sich im Falle Ost-Timors eine reine Wahrheitskommission (ohne den Aspekt der Strafverfolgung und Amnestierung) denken. Sie böte einer Vielzahl von Opfern die einer offiziellen Anerkennung ihrer politischen (Opfer-)Biographie an. Mittel könnten, wie auch in Südafrika, von ausländischen Geldgebern kommen, die sich aber nicht nur auf die Wahrheitsfindung begrenzen, sondern auch für Projekte politischer Bildung, psychologischer Betreuung und sonstiger dies betreffender gesellschaftlichen Foren verwendet werden. <>

    ______________________________________________________________

    1: IHT 15.08.00, S.9

    2: Unter Lustration wird der Austausch und die Disqualifizierung vormals systemtreuer Eliten und behördlicher Verantwortungsträger verstanden. Dies geschah beispielsweise in den post-kommunistischen Staaten bei allen höheren Beamten und Politikern, die ehemalige Mitarbeiter der politischen oder Geheimpolizei waren.

    3: MOE-Staaten = Mittel- und osteuropäische, meist post-kommunistische Staaten.

    4: siehe: Andrea Fleschenberg, Coming to term with the past as a challenge for democratization in post-dictatorial and post-non-democratic societies, Konferenzpapier, Lissabon 10-15/07/2000, S. 7-16

    5:Ich verwende hier bewusst den Begriff Genozid, obwohl sowohl der UN- als auch der KPPHAM-Bericht von Verbrechen gegen die Menschlichkeit sprechen.

    6: siehe Jakarta Post, 29.02.00

    7: In der offiziellen Anklageschrift vom 03.08.00 wird ihm die Veruntreuung von öffentlichen Geldern in Höhe von 570 Mio. US$ vorgeworfen (IHT 04.08.00). Andere Zahlenangaben finden sich bei NZZ vom 04.08.00 (155 Mio. US$)

    8: So sieht Jörn Dosch (ApuZ 21/2000, S. 19) die "hauptsächliche Gefahr einer Unterwanderung des noch jungen Liberalisierungsprozesses" im Militär, "das bisher noch keine Neudefinition seiner eigenen Rolle gefunden hat.(...) Das Militär versteht sich traditionell nicht nur als Garant der territorialen Integrität des Landes sondern auch als Hüter der inneren Ordnung Indonesiens." Siehe auch Ingo Wandelt in Frankfurter Rundschau vom 28.09.00: "Dem politischen Willen, sich gegen die Streitkräfte zu stellen, fehlt bis jetzt die Macht."

    9: siehe Jakarta Post, 28.03.00 und 11.03.00

    10: siehe Jakarta Post 29.02.00, 08.03.00, 20.05.00, 29.09.00

    11: siehe Mulya Lubis in: Jakarta Post 11.03.00

    12: siehe The Economist, 02.09.00, S. 56

    13: Jakarta Post 11.09.00, zitiert nach: Alex Flor in Indonesien-Information Nr. 1/2, 2000, S.8

    14: siehe IHT, 29.09.00, S. B

    15: siehe ebda.

    16: Siehe IHT 30.09./1.10.00, S. 5

    17: siehe IHT 30.09./1.10.00, S. 5

    18: siehe IHT 29.09.00, S. B

    19: Sunday Times 07.05.00

    20: Jakarta Post 05.05.00

    21: Economist 13.03.99, S. 19-20

    22: zitiert nach Jakarta Post vom 01.03.00

    23: Laut Aryeh Neier ist Hauptbasis für eine Strafverfolgung der indonesischen Besatzung in Ost-Timor die von Indonesien unterzeichnete Genfer Konvention, welche auch bpsw. in Aceh Anwendung finden könnte. (Jakarta Post 25.02.00)

    24: Ein 15köpfiges forensisches Team von Civpol verfolgte bis Anfang April 2000 allein 300 Fälle mit insgesamt 627 Todesopfern, davon mehrere Massengräber.

    25: siehe Jakarta Post 28.03.00

    26: UN Security Council Press Release SC/6920 4195th Meeting (Night), 08/09/00

    27: vgl. bspw. Publico 27.07.00, S. 11

    28: siehe Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, MdB, Mitglied der UN-Untersuchungskommission für Ost-Timor: Vorstellung der Kernpunkte des Berichts der UN-Untersuchungskommission für Ost-Timor, 25.01.2000; Stefan Wortberg, International Human Rights Tribunal must remain an option, A Watch Indonesia! Report, 11.4.00

    29: Le monde diplomatique, Mai 2000, S. 22, dt. Ausgabe

    30: siehe Jakarta Post 11.03.00, 14.03.00, 18.03.00, 21.03.00

    31: Jakarta Post 01.05.00, 02.05.00

    32: Jakarta Post 01.05.00, 05.05.00, 15.05.00

    33: ausführliche Auflistung siehe BBC 01.09.00, ein Watch Indonesia!-Nachrichten-Mailing

    34: siehe Washington Post 02.09.00, Human Rights Watch Press Release 02.09.00

    35: "If the Attorney General's Office hasn't the ability to send for the rights violators - for the sake of nationalism - an international tribunal must be set up to try Wiranto and his subordinates for crimes against humanity." so "watchdog" Tri Agus in Jakarta Post vom 04.09.00, vgl. auch FEER 14.09.00, S. 32-33. Leider scheint es aber noch immer nicht den nötigen internationalen Druck und Rückhalt für dessen Etablierung zu geben. So ließ US-Botschafter Holbrooke vermelden, dass es für ein solches Tribunal keine Zustimmung von Jakarta und einigen UN-Sicherheitsratsmitgliedern gebe. (Associated Press 12.10.00)

    36: Inhaftiert wurde er aufgrund eines Befehls an seine Milizen in Atambua, West-Timor, übergebene Waffen wieder zurückzunehmen. (AFP 05.10.00)

    37: ebda.

    38: für den Angriff auf das Haus von Carrascalão im April 1999, das Liquiça-Massaker vom 05.04. und das Dili-Massaker vom 17.04.99. (Associated Press, 11.10.00)

    39: AFP 05.10.00

    40: siehe Human Rights Watch Report 2000: Indonesia and East Timor - Unfinished Business: Justice for East Timor. Press Backgrounder. August 2000

    41: siehe Associated Press 11.10.00

    42: Infolgedessen forderte Friedensnobelpreisträger Ramos Horta erneut einen Internationalen Strafgerichtshof für Ost-Timor, da Indonesien jedwede Glaubwürdigkeit bei der Strafverfolgung verloren habe. (Associated Press 12.10.00)

    43: ebenda

    44: vgl. Die Welt vom 23.08.00, South China Morning Post vom 19.08.00, The Guardian vom 19.08.00, Human Rights Watch vom 19.08.00, Tapol Press Release vom 18.08.00. Dennoch wird von Generalstaatsanwalt Marzuki angeführt, dass es sich hierbei um ein Missverständnis handelt, da sich die Rückwirkung nur auf zukünftige Fälle beziehe, nicht aber für bereits begangene Menschenrechtsverbrechen gelte. (FEER 14.09.00, S. 32-33)

    45: vgl. The Guardian vom 19.08.00, IHT vom 02.08.00, S. 9

    46: CNRT-Erklärung vom 08.09.00

    47: So äußerte er in einem Berliner Zeitung Interview: "Wir werden den indonesischen Behörden bei ihren Versuchen helfen, die Hintergründe aufzuklären. Aber wir fordern keine Bestrafung. Wir wollen keine Rache, sondern nur Gerechtigkeit. Damit unterstützen wir auch den demokratischen Prozess in Indonesien." (Berl. Zeitung 30.08.00) Weitreichender ist sein Kommentar in FEER vom 31.08.00 (S. 17): "If you really want peace, if you really want stability, you have to put everything behind you. If not you will live under a trauma, the ghosts of the past. You can´t see the future." In einem privaten Gespräch (zitiert nach IHT 02.08.00, S.9) schließt Gusmão auch keine Generalamnestien für Milizenführer aus.

    48: CNRT Press Release, 13.09.00

    49: Publico, 08.08.00, S. 5

    50: HRW siehe 39

    51: ebda.