Indonesien-Information Nr. 3 2000 (Religion)

Übergriffe von Islamisten politisch gesponsort

von Juliana Fischer und Alex Flor

In vielen Städten Javas gibt es vor allem während des islamischen Fastenmonats Ramadan immer wieder Übergriffe auf Vergnügungseinrichtungen durch Gruppen junger Männer, die sich islamistisch gebärden. Mit Turbanen, langen, weißen Hemden, weißen Flatterhosen und Dolchen oder Säbeln ausstaffiert stürmen sie "Allahuakhbar" ("Gott ist groß") schreiend in Kneipen und Diskotheken und schlagen alles kurz und klein. Islamisten diesen Kalibers waren bislang eher aus Ländern des Nahen und Mittleren Ostens bekannt. Vor allem aufgrund diverser, angeblich religiös motivierter, terroristischer Übergriffe, die diesen Gruppen zugeschrieben werden, haben die Regierungen der westlichen Industrienationen - besonders die USA - Angst vor einer Ausbreitung fundamentalistischer Bewegungen auf andere Staaten.

Ereignet sich diese zur Zeit etwa in Indonesien? Verwunderlich wäre es nicht im Zuge der sich weiterhin fortsetzenden Wirtschaftskrise. Rekrutieren doch fundamentalistisch-islamische Bewegungen auch in anderen Ländern ihre Mitglieder zum Großteil aus Armutsvierteln (z.B. Ägypten); und führten doch gerade wirtschaftliche Schwierigkeiten und der Zusammenbruch alter politischer Wertesysteme zu einem Erstarken dieser Bewegungen z.B. in Afghanisthan oder den ehemaligen Sowjet-Teilrepubliken.

Das Seltsame an Indonesien ist jedoch, dass islamisch-fundamenta-listische, oder gar nur islamisch ausgerichtete Parteien, die ja im Zuge der Demokratisierung gleich dutzendweise gegründet wurden, bei den Parlamentswahlen von 1999 keine nennenswerten Prozentanteile erhielten. Relativ erfolgreich war nur Gus Durs PKB, die aber einen gemäßigten Islam vertritt. Insgesamt werden die als radikal geltenden Islamisten in Indonesien auf maximal einige Zehntausend Anhänger geschätzt - zahlenmäßig ein eher verschwindender Anteil des 210 Mio. Einwohner zählenden Staates, von denen sich rund 85% offiziell zum Islam bekennen.

Dann aber trainierten Anfang des Jahres 2000 bei Bogor, West-Java, ganze Hundertschaften von Islamisten ("Laskar Jihad") für den Heiligen Krieg und brechen im Mai über Surabaya, der Hauptstadt von Ost-Java, per Schiff zu den Molukken auf, um dort ihren Glaubensbrüdern und -schwestern mit Schwert und Gewehr im Kampf gegen die nicht minder fanatisierten christlichen Kämpfer zur Seite zu stehen. Diese Dinge waren allgemein bekannt. Berichte darüber waren in indonesischen Zeitungen zu lesen. Später, als es - wie wohl kaum anders zu erwarten war - auf den Molukken zu einem erneuten Aufflammen der gewalttätigen Konflikte zwischen Moslems und Christen kam, vergossen Regierung and Militär unter lautem Wehklagen Krokodilstränen: das sei ja alles schrecklich, und ob man da denn nichts gegen tun könnte.

Es wurde von rebellischen Militär- und Polizei-Einheiten gemunkelt, die die Laskar Jihad angeblich unterstützten. Rätselhaft auch, woher diese Gruppen so gut mit Waffen ausgestattet waren - Militärwaffen. Dann bat die Regierung das Militär, doch die Laskar Jihad wieder von den Molukken zu deportieren, wozu letztere aus unerklärlichen Gründen nicht in der Lage waren. Bei der relativ beschränkten Größe der Inseln und einer ländlichen Siedlungsstruktur, wo jeder jeden kennt, erstaunlich.

Im Sommer beruhigte sich die Lage auf den Molukken ein wenig. Dafür machten seit Ende September zunehmend anti-amerikanische Demonstrationen und Ausschreitungen Schlagzeilen. Vor der Botschaft in Jakarta und anderen amerikanischen Einrichtungen, wie bspw. dem Konsulat in Surabaya, versammelten sich fast täglich Gruppen von Demonstranten, die lautstark gegen Israels neuerliches brutales Vorgehen gegen die Palästinenser protestierten und amerikanische Flaggen verbrannten. Die US-Botschaft erhielt nach eigenen Angaben massive ernstzunehmende Drohungen, woraufhin sie für mehrere Tage für den Besucherverkehr geschlossen wurde. Aus Solo in Zentral-Java wurde berichtet, dass islamische Gruppen mehrere Hotels nach amerikanischen Gästen durchsucht hatten. Die USA sahen sich veranlasst ihre Bürgerinnen und Bürger vor Reisen nach Indonesien zu warnen.

Die vorgeblich religiös motivierte Kampagne der Moslems auf Java wurde interessanterweise ausgerechnet von den allgemein als orthodox angesehenen Glaubensbrüdern in Aceh kritisiert. Wer sich wirklich über den massenhaften gewaltsamen Tod von Moslems ereifern wolle, der brauche nur vor die eigene Haustür nach Aceh zu blicken, anstatt seinen Blick ins weit entfernte Palästina zu richten, wo es überdies nicht um eine religiöse Auseinandersetzung, sondern um einen großangelegten Landkonflikt gehe, hieß es in mehreren Diskussionsgruppen zu Aceh im Internet. Zuvor waren Aktivisten aus Aceh heftig kritisiert worden, weil sie auf einer Demonstration in Jakarta ausgerechnet Flaggen der verhassten USA, Großbritanniens und der UN mitgeführt hatten, die sie zu einem internationalen Eingreifen im Aceh-Konflikt aufforderten. "Wollt ihr denn den Jihad (Heiliger Krieg) ausgerechnet mit Hilfe der Amerikaner führen?", fragten entsetzte islamische Stimmen auf Java.

Aber hatte der neue Anti-Amerikanismus auf Java selbst überhaupt etwas mit Palästina und dem Jihad zu tun oder spielten da ganz andere Motive eine Rolle? Nach den Morden an drei Mitarbeitern des UN Flüchtlingswerkes UNHCR, unter denen sich auch ein US-Bürger befand, verschärften die USA auf internationalem Parkett die Gangart gegenüber Indonesien. Nicht nur wurde laut darüber nachgedacht, die Verhandlungen des internationalen Geberkonsortiums für Indonesien, CGI, auszusetzen, die USA drohten sogar, ein Handelsembargo gegen Indonesien zu verhängen. Ein Besuch des amerikanischen Verteidigungsministers Cohen und das angebliche Eindringen von US Kriegsschiffen in indonesische Hoheitsgewässer sorgten für Salz in der Suppe. Der Botschafter der USA in Jakarta, Gelbard, wird von indonesischen Politikern gleich reihenweise als "unverschämt" bezeichnet. Gleich mit den Glückwünschen an den neuen Präsidenten der USA, George DoubleYou Bush, wurde ihm die Empfehlung übermittelt, er möge diesen Botschafter doch bitte abberufen.

Der neue way of life against Americans ließ eine vergleichbare nationalistische Welle, die sich seit dem Einmarsch der Inetrfet-Truppen in Ost-Timor gegen Australien gerichtet hatte, ein klein wenig ins Hintertreffen geraten. So konnten im Dezember mehrere indonesische Minister an einem Regierungstreffen in Canberra teilnehmen, das unter anderem den aufgrund des schlechten zwischenstaatlichen Klimas mehrfach verschobenen Besuch von Präsident Wahid in Australien vorbereiten sollte.

Auf den Moluken eskalierte die Situation erneut. Am 6. Dezember wurden mehrere Hundert Christen evakuiert, nachdem Berichten zufolge am 24. November bei einem Massaker 54 Menschen getötet worden waren. Am 7. Dezember wurde ein Schiff mit 80 oder mehr überwiegend moslemischen, weiblichen Flüchtlingen angegriffen, die auf ihre Heimatinsel zurückkehren wollten. Wieder soll es Dutzende von Toten gegeben haben. Gerade während des höchst sensitiven Monats Ramadan war dies genau der Sprengstoff, den es braucht, den Bürgerkrieg vor Ort wieder richtig hochzukochen. Wie passend, und - ist es ein Zufall? - kontraproduktiv, wo sich am folgenden Tag in Yogyakarta gerade führende Vertreter der islamischen und christlichen Gemeinschaften treffen sollten, um einen Neuanfang für das friedliche Miteinander der Religionen auf den Molukken zu finden.

Auch wenn der Maßstab ein anderer ist, passen die angeblich religiös motivierten Überfälle auf Vergnügungseinrichtungen, vor allem in der Haupt-stadt Jakarta und den mitteljavanischen Städten Yogyakarta und Solo, hier sehr gut ins Bild. Vor allem der Ablauf der einzelnen Angriffe, im Zusammenhang mit dem oben erwähnten politischen Kontext, in dem islamistische Gruppierungen nur marginal vertreten sind, bietet Aufschluss über die dahinter verborgenen Motive.

In Yogyakarta und Umgebung treiben vor allem die Gruppen "Gerakan Pemuda Kaa'ba" ("Bewegung der Kaa'ba-Jugend") und der islamischen Partei PPP, eine der Blockflöten unter dem früheren System Suharto, ihr Un-wesen, während es in Jakarta vor allem die "Front Pembela Islam" (FPI; "Front zur Verteidigung des Islams") ist. Zielscheibe sind meist als 'unmoralisch' oder 'unislamisch' gebrandmarkte Veranstaltungsorte, Treffpunkte, Kneipen, Videotheken, Geschäfte, usw. In Kaliurang bei Yogyakarta wurde sogar eine von Nichtregierungsorganisationen veranstaltete Tagung zum Thema AIDS brutal gestürmt, die wahrscheinlich als unmoralisch angesehen wurde, weil eine Vielzahl von Schwulen und Lesben daran teilgenommen hatte. Seit Jahren behindern religiöse Gruppen in Indonesien den Kampf gegen AIDS, da sie die Seuche einerseits als ein auf bestimmte als unmoralisch geltende Risikogruppen (Schwule, Prostituierte) beschränktes Phänomen missverstehen und andererseits die Propagierung von Kondomen als indirekte Aufforderung zur Fortführung dieses sündhaften Treibens ansehen.

Aber auch bei den Überfällen auf Bars, Kneipen, usw. scheinen andere Motive mit im Spiel zu sein. Oftmals werden die Betreiber entweder vor einer Attacke oder danach von ominösen Kleinmafiosi aufgesucht, die Schutzgelder eintreiben wollen. So geschehen beispielsweise vor kurzem in der 'Borobodur Bar' in Yogyakarta, die ein bekannter Treffpunkt von männlichen wie weiblichen Prostituierten und deren Kunden ist. Eine Gruppe maskierter Männer mit "Allahuakhbar" auf den Lippen konfiszierte das TV- und das Video-Gerät. Im Anschluss daran kamen Unmaskierte, mit dem Angebot, gegen ein kleines Entgeld die Geräte wieder aufzutreiben und die Bar in Zukunft zu schützen, auf den Besitzer zu. Szenen wie diese sind mittlerweile fast Alltag in Yogyakarta.

Neben solchen relativ unspektakulären Ereignissen werden fast jedes Wochenende irgendwelche Vergnügungsstätten angegriffen und zerstört. Die Täter kommen ohne Konsequenzen davon, obwohl sie zumindest teilweise namentlich bekannt sind. Ganz offen äußerte Jaffar Siddiq, ein Sprecher der FPI - nicht zu verwechseln mit dem gleichnamigen ermordeten Menschenrechtler in Aceh (s.S. 3) - am 14. November in der Jakarta Post: "Ja, wir werden diese Orte niederbrennen, weil wir alles dafür tun werden, um eine Störung des heiligen Monats zu verhindern."

Das Ziel der Angriffe beschränkt sich glücklicherweise oft darauf, eine Wirkung auf die Öffentlichkeit ausüben zu wollen und nicht darauf, den Betroffenen Schaden zuzufügen. So berichtete ein der Opfer des Angriffs in Kaliurang: "Als dieser maskierte Mann mit einer leeren Flasche in der erhobenen Hand vor mir stand, ist mir das Herz stehengeblieben. Ich dachte er bringt mich um. Stattdessen warf er die Flasche mit einem Ausdruck absoluter Verachtung und voller Wucht neben sich auf den Boden. Da wurde mir klar, sie sind hier um uns einzuschüchtern, nicht um uns zu töten." Obgleich auch Leute direkt verprügelt, geknüppelt oder sogar mit den oftmals mitgeführten Samurai-Schwertern 'geschlitzt' werden (geschehen z.B. am 14. Oktober im Rotlichtviertel von Parangtritis, etwa 15 km südlich von Yogyakarta), scheinen direkte Angriffe auf Einzelpersonen eher die Ausnahme zu sein. Mit ziemlicher Sicherheit kann auch behauptet werden, dass die Angreifer in der Regel bezahlt werden. Wer sie bezahlt und was die Motive im Hintergrund sind, darüber lässt sich nur mutmaßen. Es liegt aber nahe, dass rein religiöse Motive auszuschließen sind.

In der indonesischen Öffentlichkeit werden in diesem Zusammenhang eine ganze Bandbreite von Erklärungsversuchen gehandelt, die von purer Geldgier bis hin zu einer großangelegten Verschwörungskampagne seitens des Suharto-Clans zur Destabilisierung der Regierung Gus Dur reichen. Immer häufiger fällt auch der Name von Amien Rais, Präsident der Beratenden Volksversammlung (MPR), der versucht, sich mit allen Mitteln als politisch schärfster Widersacher des Präsidenten zu profilieren und dabei auch vor blankem Populismus und Auftritten auf Großkundgebungen der Laskar Jihad nicht zurückschreckt. Einen plausiblen Zu-sammenhang zwischen Überfällen, Fremden-feindlichkeit und dem Islam sieht die South China Morning Post vom 31.10.2000: "The larger context is the continuing power struggle within the Jakarta elite, in which anti-foreigner sentiment has become a bargaining tool wielded by the military-backed nationalist constituency in Indonesian politics. The goal is to weaken President Abdurrahman Wahid's Government by depriving it of crucial foreign support. The technique is to employ the claimed legitimacy of Islamic symbolism to justify the bully-boy tactics which are so often a manifestation of rivalry within the elite."

Nach dem Muster der Überfälle, das überall nahezu gleich ist, liegt die Vermutung nahe, dass die Geldgeber entweder religiöse Gruppen für ihre Interessen ködern oder dass die Religiosität der Gruppen, ähnlich wie bei den Laskar Jihad, nur einen Deckmantel für die wahren Motive darstellen.

Natürlich können es machtpolitische oder finanzielle Interessen sein, für deren Erreichen man sich den Islam auf die Fahnen schreibt. Denn im frommen (frömmelnden?) Indonesien traut sich noch keiner, gegen Gruppen mit religiösen ("hehren") Motiven vorzugehen. Wahrscheinlich sind die Überfälle auf Vergnügungsstätten einfach die "javanische Variante" der Bombenanschläge in Medan, Nord-Sumatra, des Bürgerkriegs auf den Molukken, der Milizen in Timor oder der Militär- und Polizeigewalt in West-Papua und Aceh: Einschüchterung, systematische Destabilisierung - das Land unregierbar machen. In vielen ehemals durch Diktaturen regierten Ländern haben sich mehr oder weniger gewalttätige Untergrundguerilla-Bewegungen gegründet, die versuchten, den ehemaligen Machthaber wieder ans Ruder zu bringen oder durch konsequente Unterminierung bis hin zum Putsch, die Regierung zu stürzen und selbst an die Macht zu kommen.

In Indonesien hat das Kind noch keinen Namen; noch wirkt es für den unbeteiligten Beobachter so, als ginge es hier primär um Unabhängigkeitsbewegungen oder religiöse Motive. Die Anpassung der Strategien an den lokalen Kontext ist auch überraschend kreativ. Das große Muster wird nur offensichtlich, wenn das Augenmerk darauf gerichtet wird, dass der Unfrieden überall durch relativ kleine Gruppen von "Provokateuren" ausgelöst wurde, so geschehen im Fall der Laskar Jihad, oder auch letztens in West-Papua, wo ein angeblicher Überfall von Hochland-Papuas vom Militär als Anlass dafür genommen wurde, wieder extrem hart und brutal gegen die Bevölkerung durchzugreifen. Oder in Aceh, wo Übergriffe durch die Unabhängigkeitsbewegung (Beweise ??) den geeigneten Anlass bieten, wieder das gefürchtete Militärrecht einzuführen, unter dem es zuvor schon zu Tausenden von Toten gekommen war.

Parallelen zeigen sich auch zu 1965, als der angeblich von Kommunisten verübte Mord an sechs Generälen genügte, um Suharto zur Macht zu verhelfen und eine beispiellose Kommunistenhatz loszutreten, bei der mindestens eine halben Millionen Menschen getötet wurden. Im dichtbesiedelten Java möchten die Drahtzieher vielleicht eine Wiederholung der damals sich unkontrollierbar entwickel-nden Ausschreitungen vermeiden und verfolgen eine andere Strategie, um der Öffentlichkeit zu zeigen, wie wenig doch die Regierung Gus Dur in der Lage ist, Ruhe, Ordnung, Frieden, Wohlstand und Moral ins Land zu bringen. Ganz anders doch, als der ehemalige "Bapak Pembangunan" ("Vater der Entwicklung") Suharto. "Das habt ihr nun von eurem Undank!", könnte man den bösen alten Mann fast sagen hören, "Frohe Feiertage!". <>  
 

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