Indonesien-Information Nr. 3 2000 (Ost-Timor)

Trügerische Erscheinungen: Der alltägliche Widerstand der Ost-Timoresen gegen die indonesische militärische Besetzung

von John Roosa

Bei meinem ersten Besuch in Ost-Timor wurde ich von meinen Gastgebern gleich nach der Ankunft am Flughafen in ein baufälliges Restaurant zum Mittagessen gebracht. Während wir darauf warteten, dass uns die indonesischen Besitzer des Restaurants, ein christliches Batak-Paar aus Sumatra, gebratenes Schwein servieren, erschien ein Bettler mit wilden Augen an der Tür. Barfuss, in Fetzen gehüllt und mit wirren, ungewaschenen Haaren, erschien er mir als ein weiteres unglückliches Opfer der Armut, die in Ost-Timor endemisch ist. Einer meiner Gastgeber gab ihm eine 1.000-Rupiah Münze. Als er weg war und weiter die Straße hinunter ging, lehnte sich einer meiner Gastgeber herüber und flüsterte mir zu, dass der Bettler eigentlich ein wertvoller Kurier für die Guerillas sei. Er war Bettler geworden, damit er herumstreifen konnte, ohne Verdacht zu erregen. Ich war verblüfft. Ich konnte kaum glauben, dass ein solcher Mensch ein wichtiger Teil des Widerstandes sein sollte. Aber als ich mehr über den Widerstand herausfand, begann ich zu verstehen, dass nur wenige Ost-Timoresen wirklich das waren, was sie zu sein schienen. Auch meine Gastgeber gehörten zum Widerstand, trugen jedoch die Maske von dem indonesischen Staat loyalen Rechtsanwälten. Um dem indonesischen Ausdruck zu folgen: die Ost-Timoresen haben typischerweise 'zwei Köpfe' (kepala dua). Sie sind Experten darin, Masken der Loyalität zu formen während sie standhaft das Ideal der Unabhängigkeit hochhalten.

Ost-Timor zeigt uns, wie es möglich ist, unter schlimmsten Bedingungen Widerstand gegen eine schier übermächtige (Staats)Macht zu leisten. Der ost-timoresische Widerstand wurde militärisch und finanziell bei weitem von den indonesischen Truppen übertroffen und doch hat er sich am Ende durchgesetzt. Wenn man nach den Zahlen geht, scheint der Sieg der Ost-Timoresen wie ein Wunder: das Militär des viertgrößten Landes der Welt unterhielt eine ständige Truppenstärke von mindestens 20.000 Soldaten, 24 Jahre lang in einem winzigen Land von der Größe New Jerseys, mit einer Bevölkerung, die kleiner ist als die von Lissabon. Für das indonesische Militär gab es weder Beschränkungen hinsichtlich Finanzen, noch an Soldatenleben, die es opferte und schon gar nicht hinsichtlich des Leidens, das es über die Ost-Timoresen brachte. Einflussreiche Nationen, wie die Vereinigten Staaten, akzeptierten die Besetzung als 'fait accompli', wie es die meisten mächtigen Nachbarn in der Region, Australien und alle asiatischen Staaten, auch taten. Der ost-timoresische Widerstand hatte keinerlei Zugang zu bedeutenden ausländischen Geld- und Waffenquellen. Angesichts dieses allzu auffälligen Machtungleichgewichts erscheint die Geschichte des überraschenden Sieges des ost-timoresischen Widerstandes wie ein Gaunermärchen, das es in vielen Kulturen der Welt gibt: sie gewannen durch ihren Verstand, nicht durch die Muskeln.

Alltäglicher Widerstand

Die Ost-Timoresen waren vollendete Meister in jeder subtilen Kunst des Widerstandes: in geheuchelten Gesten, die fast satirisch waren, demonstrierten sie Gehorsam, sie sabotierten die Arbeit der Unterdrücker während sie ihre emsigen Assistenten spielten. Solche Formen sind natürlich viel schwieriger zu erkennen, da die Unterdrückten normalerweise nicht zugeben, sich im Widerstand zu engagieren. Hinter der Kulisse der sozialen Harmonie gibt es das, was James Scott als 'versteckte Abschriften' bezeichnet, in die nur die Unterdrückten und ihre Verbündeten eingeweiht sind1.

Doch auch die 'Herrschenden' verstehen es, diese subtilen Künste des Widerstandes anzuwenden, wie wir in den Armeehandbüchern der psychologischen Kriegführung nachlesen können. Subversive Bewegungen können zerstört werden, indem eine Umgebung großen Misstrauens und großer Verwirrung geschaffen wird.

Ein weiteres Problem ergibt sich, wenn der Widerstand stark verschlüsselt ist. Dann kann die Identifikation von Freund und Feind unklar werden, selbst für diejenigen, die sich im Widerstand engagieren. Auch sollten wir bei aller Bewunderung für den Mut der Unterdrückten nicht vergessen, welch große Last es ist, eine Maske zu tragen, täglich vorzutäuschen, genau das Gegenteil von dem zu sein, was man ist; in einer Gesellschaft zu leben, wo man nie ganz sicher ist, wer Freund und Feind ist, und wo ein Fehler in der Schauspielerei einen schmerzhaften Tod bedeuten kann.

Transformationen des ost-timoresischen Widerstandes

Alltäglicher Widerstand gegen die indonesische Besetzung entstand nach der Niederlage offenen, direkten Widerstandes. Bei der Invasion im Dezember 1975 floh ein großer Teil der Bevölkerung in die Hügel und Wälder, die außerhalb der Kontrolle des indonesischen Militärs lagen. Von dort halfen sie mit, einen Guerillakrieg zu führen. In den späten 70er Jahren antwortete das Militär mit der Bombardierung der befreiten Zonen. Die Angriffe wurden mit Bronco Flugzeugen durchgeführt. (eine Nettigkeit Jimmy Carters und Richard Holbrookes, die bis heute noch die Masken von Menschenrechtsverfechtern tragen). In den frühen 80ern war ein Großteil der Bevölkerung unter der Kontrolle des Militärs und sah sich gezwungen, sich verdeckteren Formen des Widerstandes zuzuwenden. Die Ost-Timoresen lernten, sich unterwürfig zu benehmen angesichts der alles durchdringenden Besatzung, und ihre Bitterkeit, ihren Ärger und ihre Trauer über massenhaften Tod und das Leiden, das sie gerade überlebt hatten zu verstecken.

Die Guerillas wurden in den frühen 80ern unter Xanana Gusmão reorganisiert und blieben eine militärische Bedrohung, die ausreichte, um 1983 ein Waffenstillstandsabkommen herbeizuführen. Ihre grundlegenden Ziele veränderten sich jedoch: war zuvor das Ziel, die feindlichen Truppen abzuwehren und die befreiten Zonen zu halten, in der Hoffnung auf eine internationale Intervention, so verlagerte man sich nun darauf, durch den Widerstand zu zeigen, dass die Ost-Timoresen kein erobertes Volk sind, dem die Forderung nach einem eigenen Staat so leicht verwehrt werden konnte. Von den frühen 80er Jahren an war es das ost-timoresische Volk, das, mit einem großen Risiko für sich selbst, die Guerillas schützte, nicht anders herum. Es gab einen organisierten, geheimen Widerstand unter der Zivilbevölkerung, die die Guerillas mit Proviant versorgten, ihnen Unterschlupf gewährten und sie mit Informationen versorgten. Viele Menschen waren für die Sache der Guerillas zu Opfern bereit, aus der Verpflichtung heraus, einige Menschen außerhalb der Kontrolle des indonesischen Militärs zu halten. Die Guerillas, denen es nie an Rekruten mangelte, waren lebende Symbole der Freiheit, die, anders als alle anderen, nicht vortäuschen mussten, gute Indonesier zu sein.

Mitte der 90er Jahre kämpften noch immer Hunderte von Guerillas, allen Operationen des indonesischen Militärs zum Trotz. Die indonesische Armee setzte in jeder Stadt, in jedem Dorf Posten für Einheiten von Soldaten ein, um das ganze Jahr mitten unter den Ost-Timoresen zu leben und jede ihrer Aktivitäten zu überwachen. Darüber hinaus schickte die Armee routinemäßig Teams in die Berge, um die Guerillas zu jagen. Die Guerillas waren immerzu auf der Flucht und in Bewegung. Sie hätten nicht überleben können ohne ein weites Netzwerk ziviler Informanten und Unterstützer, die viel Talent darin hatten, die Soldaten zu täuschen und die tapfer genug waren, Folter und Tod zu riskieren. In dem Netzwerk gab es Frauen, Kinder, alte Menschen - auch die scheinbar Geisteskranken. Ausschlaggebend für die Effektivität des geheimen Widerstandes unter der Zivilbevölkerung war die hervorragende Organisation. Es gab eine klare Kommandokette, übernommen von der Partei Fretilin, später dem Nationalen Widerstandsrat CNRT und des bewaffneten Widerstandes Falintil. Die politische Führung war nicht in den Bergen isoliert; sie blieb in engem Kontakt mit dem unbewaffneten zivilen Widerstand.

Der geheime, zivile Widerstand trat nach 1989 deutlich in Erscheinung, als Ost-Timor für ausländische Touristen und Journalisten geöffnet wurde. Um international Aufmerksamkeit zu erregen, organisierten Jugendliche und Studenten Demonstrationen während des Besuchs jedes ausländischen Würdenträgers. Die brutale Unterdrückung dieser Reihe von Demonstrationen kulminierte im Santa Cruz Massaker im November 1991. Durch die Erzählungen der Augenzeugen und ein Videoband des Massakers wusste die ganze Welt, dass in Ost-Timor etwas ernsthaft schief lief, da das Militär auf eine friedliche Demonstration unbewaffneter Zivilisten nur mit Massenmord antworten konnte.

Der große Vorteil des ost-timoresischen Widerstandes war, dass er die Form sowohl einer formalen Organisation, die Strategien bestimmte und ein politisches Programm artikulierte, als auch von diffusen, individuellen Akten der Sabotage und der Nichtkooperation annahm. Der Widerstand war nahezu allgegenwärtig. Viele ost-timoresische Hirne planten jeden Tag Strategien des Widerstandes, ohne Befehle eines zentralen Kommandos. Staatsangestellte gaben Dokumente heraus, Soldaten stahlen Waffen, Mechaniker reparierten die Ausrüstung nicht richtig, Dorfjungen warfen in der Nacht Steine auf die Dächer der Militärposten, um die Soldaten zu erschrecken und Priester und Nonnen beherbergten Aktivisten, die von der Armee gesucht wurden.

Die indonesischen Besatzer hatten nur die aktive und loyale Unterstützung sehr weniger Ost-Timoresen. Wenn es die indonesische Regierung geschafft hätte, eine verpflichtete Klasse von respektablen und einflussreichen Kollaborateuren zu kultivieren, wäre der Widerstand sehr viel schwieriger gewesen. Die wahllose und weitverbreitete Gewalt der ursprünglichen Invasion und die anschließenden Anti-Widerstandskampagnen machten eine loyale Kollaboration nahezu unmöglich, außer für ein paar abgehärtete Individuen, die dabei zusehen konnten, wie ihr Volk und ihre Nachbarn brutal zu Opfern gemacht wurden.

Dies darf jedoch nicht darüber hinweg täuschen, dass trotz des grundlegenden Vertrauens zwischen den meisten Ost-Timoresen als gemeinsame Unterstützer des Widerstandes, die indonesischen Geheimdienste erfolgreich darin waren, ein Umfeld des Misstrauens zu schaffen. Einige Ost-Timoresen waren Spione für das indonesische Militär geworden, entweder verlockt durch die Nebeneinkünfte oder gezwungen durch Todesdrohungen. Einige waren Doppelagenten geworden und man konnte nicht sicher sein, welche Seite diese Person ernsthaft unterstützte, wenn überhaupt eine. Der gut bekannte Fall von Constancio Pinto ist ein Beispiel. Pinto stimmte zu, ein Spion der Armee zu werden, um seine Freilassung aus Haft und Folter zu erlangen2. Einige Menschen im Widerstand wussten, dass es Theater war, dass er eigentlich wertvolle Informationen von seinen Verbindungsleuten in der Armee bekam und sie im Gegenzug mit falschen Informationen versorgte. Als er aus dem Gefängnis draußen war, half er dem Widerstandsnetzwerk die Demonstration für den erwarteten Besuch einer portugiesischen Delegation von Parlamentariern im November 1991 zu organisieren. Aber andere im Widerstand verdächtigten Pinto ein Verräter zu sein. Die Kontroverse erreichte auch Aktivisten in den Vereinigten Staaten, wo er später lebte, und schadete am Anfang seiner Arbeit als CNRT-Repräsentant, bis die Angelegenheit bereinigt werden konnte.

Solche Fälle von Verwirrung über Loyalität konnten fatale Konsequenzen haben. Während der Kampagne der verbrannten Erde nach dem Referendum im September 1999, tötete eine Gruppe von Jugendlichen der Unabhängigkeitsbewegung in einem Flüchtlingslager zwei Menschen, die verdächtigt wurden, Mitglieder der Milizen zu sein. Als die Leichen der Opfer später überprüft wurden, fand man Briefe, die enthüllten, dass sie eigentlich Kuriere des Widerstands gewesen waren, die Mitglieder der Milizen spielten.

Das Doppel-Bewusstsein der indonesischen Besatzer

Die indonesischen Besatzer haben es nicht geschafft, die Falintil-Guerillas und den Widerstand der Bevölkerung komplett zu eliminieren. Dies kann teilweise ihrer eigenen Selbsttäuschung zugerechnet werden. Geheime Armeedokumente, die man nach ihrem Rückzug in Dili entdeckt hat, enthüllen, dass sich die Armee sogar in ihren internen Berichten selbst belog3. Nach Ansicht der Armee waren die Guerillas versprengte Banditen und Terroristen, Zivilisten, die sich Indonesien gegenüber ablehnend verhielten, unzufriedene Studenten, die mit ihren schlechten Schulleistungen unzufrieden waren oder Jugendliche, die angesichts ihrer Arbeitslosigkeit wütend waren - während der überwiegende Teil der Menschen zufrieden mit der wirtschaftlichen Entwicklung war, die Indonesien Ost-Timor großzügiger Weise zuteil werden ließ. Alle Geheimberichte der Armee zwischen 1991 bis 1999 wiederholten dieselbe Geschichte. Die Guerillas waren umherziehende Banden Krimineller, die sich von ihrem Diebesgut ernährten. Ein kleiner, harter Kern der Unabhängigkeitsgruppe der vor-75er-Generation beeinflusst die Unzufriedenen und leicht verführbaren Jugendlichen, während der Rest der Bevölkerung vollkommen zufrieden ist. "Insgesamt hat die Gesellschaft keine Probleme mehr mit der Integration und die, die nicht mit dem Integrationsprozess einverstanden sind, stellen nur einen kleinen Teil der Bevölkerung dar, der ein Produkt sozialen Neids und der Arbeitslosigkeit ist."4

Die Offiziere konnten sich nicht eingestehen, dass die Mehrheit der Ost-Timoresen ihnen feindselig gegenüberstand - das hätte dem von ihnen konstruierten Mythos widersprochen, dass der Widerstand aus sozialen Verlierern bestand - dennoch konnten sie die Realität nicht komplett ignorieren. Wenn sie tatsächlich glaubten, dass der Widerstand so unbedeutend war, weshalb war dann eine der weltweit proportional höchsten Anwesenheit von Militär zu Zivilisten notwendig5. Aber wenn sie nicht gleichzeitig an den Mythos glaubten, der die Besatzung legitimierte, hätten sie keinen sinnvollen 'esprit de corps' entwickeln können. Der Mythos der zufriedenen Einheimischen, ein Mythos den jede Kolonialregierung kreierte, diente nicht nur dazu, Ausländer zu beruhigen, sondern auch dazu, sich selbst zu bestätigen, dass man gerecht und richtig handelt. Die Besatzer waren gefangen zwischen der Realität der Besatzung und dem Mythos, den sie geschaffen hatten. Dabei dürfen wir auch nicht außer Acht lassen, dass die indonesischen Besatzer ja ernsthaft an ihren Mythos der zufriedenen Einheimischen glauben konnten, da viele Ost-Timoresen sich ihnen gegenüber unterwürfig verhielten. Es ist ein paradoxer Tribut an die Effektivität des geheimen Widerstands, dass die Besatzer vom Erfolg ihrer Eroberung dermaßen überzeugt waren. Die Ost-Timoresen präsentierten eine überzeugend loyale Fassade. Man kann hinzufügen, dass das indonesische Militär verzweifelt glauben wollte, dass diese Fassade real ist. Es war viel einfacher den Verrat vertrauenswürdiger ost-timoresischer Kollaborateure als isolierte und untypische Fälle zu betrachten, als darin einen Ausdruck des Bewusstseins der Mehrheit zu sehen.

Doch diese Gedankenführung der Armee hätte einen nachdenklichen Offizier nicht gänzlich überzeugt. Die Armee berichtete 1992, dass die Guerillas 18% der 442 ost-timoresischen Dörfer vollständig kontrollierten und 45% teilweise.6 (Der Begriff "Kontrolle" war in dem Bericht nicht definiert.) Nach siebzehn Jahren der Besatzung brüstete sich die Armee damit, volle Kontrolle über nun 37% der Dörfer zu haben. Die Anzahl der bewaffneten Guerillas wird mit 130 angegeben.7 Um den Ausführungen der Armee zu glauben, hätte man annehmen müssen, dass die Guerillas übermenschlich sind. Irgendwie schafften es 100 bewaffnete Guerillas, von denen jeder einzelne 150 indonesischen Militärangehörigen gegenüberstand, teilweise oder vollständig 278 Dörfer zu kontrollieren. Offensichtlich stimmte hier etwas nicht. Das Problem war, dass die Armee die Anzahl der Guerillas und die Anzahl ihrer Unterstützer in den geheimen Netzwerken unterschätzte, die den Guerillas halfen, sich durch die Dörfer zu bewegen und Angriffe durchzuführen. Interessanterweise wurden die Geheimberichte 1999, als die Besatzung hinterfragt wurde, realistischer. Der Geheimdienst der Armee schätzte, dass es 500 Guerillas in den Bergen gab, doppelt so viele als in den vorherigen Schätzungen der Höchstzahlen, und 6.000 Mitglieder des geheimen Netzwerks.8

Ungeachtet der internen Widersprüche versorgten diese Mythen die Regierung und Generäle mit einem kanonisierten Hintergrund, von dem aus sie den ost-timoresischen Widerstand betrachteten und zu verstehen suchten. Auch die indonesische Presse folgte in ihrer Berichterstattung den offiziellen Mythen weitgehend. Ein Indonesier, der 1999 jeden Tag die Nachrichten über Ost-Timor in der Zeitung las, hätte nicht gewusst, dass viele Ost-Timoresen sich leidenschaftlich Unabhängigkeit und Freiheit von militärischer Brutalität und Morden wünschten. In der Berichterstattung während der Monate vor dem Referendum, gab es kaum Stellungnahmen aus der breiten Bevölkerung Ost-Timors oder Äußerungen über den staatlichen Terror, den die Ost-Timoresen erdulden mussten. Die indonesische Öffentlichkeit musste glauben, dass die Ursache des Problems nur ein finanzielles war: die politisch aktiven Ost-Timoresen waren nicht zufrieden mit den Mitteln, die zur wirtschaftlichen Entwicklung bereit gestellt wurden. Die indonesische Regierung täuschte sich angesichts der wahren Beweggründe des ost-timoresischen Widerstands selbst und zusammen mit der unkritischen Presse die gesamte indonesische Öffentlichkeit.

Die indonesische Wahrnehmung des Referendums

Die immerwährende Fehleinschätzung der indonesischen Regierung angesichts der Lage in Ost-Timor erklärt zum Großteil die Entscheidung des Kabinetts von Präsident Habibie vom 27. Januar 1999, eine Volksabstimmung über die ost-timoresische Unabhängigkeit abzuhalten. Die Regierungsbeamten scheinen geglaubt zu haben, dass sie diese Abstimmung würden. Sie waren sogar nach den Großdemonstrationen, an denen Zehntausende Ost-Timoresen nach Suhartos Rücktritt im Mai 1998 teilnahmen, überzeugt davon, dass die Ost-Timoresen vollkommen unpolitisch und fügsam seien. Ein Geheimbericht über die Demonstrationen, die Ende 1998 in Dili stattfanden, bezeichnete die Organisatoren als "freche Kinder" (anak-anak nakal). Der Staatssekretär im Politik- und Sicherheitsministerium, H. R. Garnadi, äußerte im Juli 1999 die Ansicht, dass Indonesien die Abstimmung leicht gewinnen könne: "Die Aufgabe eine Mehrheit für einen speziellen Autonomiestatus für Ost-Timor zu gewinnen, ist nicht zu schwierig, da es gilt, eine schwankende Masse zu gewinnen, deren Forderung sehr einfach ist: die ausreichende Versorgung mit Nahrungsmitteln und Medikamenten. Die Menschen werden jedem folgen, der sie mit Nahrungsmitteln und Medikamenten versorgen kann."9 Die Ost-Timoresen waren für die hohen und edlen Herren in Jakarta genau dasselbe wie die Indonesier für das Suharto-Regime: eine dumme, einfache "wankelmütige Masse" (rakyat mengambang), die sich wie eine Viehherde von jedem Mächtigen, der sie mit Essen versorgt und mit einer Peitsche antreibt, in jede beliebige Richtung führen lässt. Der Distriktvorsteher von Alieu, ein Colonel, glaubte ebenfalls, dass ein Sieg für Autonomie leicht zu erreichen sei: "um die Autonomie für Ost-Timor zu gewinnen, wissen wir ja bereits, dass der Charakter der Ost-Timoresen uns dazu zwingt physische und nicht-physische Gewalt anzuwenden."10 Die Ost-Timoresen waren von niederer Rasse, nicht intelligent genug, um mit ihnen sprechen zu können. Kommunikation konnte nur durch Einschüchtern oder Niederknüppeln erfolgen.

Die Arroganz der indonesischen Offiziellen wurde von einigen ost-timoresischen Kollaborateuren geteilt. Die Standardaussage der FPDK (Forum Persatuan Demokrasi dan Keadilan - Vereinigtes Forum für Demokratie und Gerechtigkeit) und ihres in Großbritannien ausgebildeten Führers, Basilio Araujo, war, dass die Mehrheit der Ost-Timoresen ungebildet und analphabetisch sei, sie seien zu dumm und zurückgeblieben, um eine ernsthafte politische Äußerung zu machen. Wenn viele von ihnen die Unabhängigkeit unterstützten, lag das nur daran, dass sie von falschen Versprechungen der Anti-Indonesien Aktivisten verführt oder von den Guerillas eingeschüchtert wurden.11

Das offizielle Indonesien war zuversichtlich, eine Mehrheit für die Autonomie gewinnen zu können, wenn nur die richtige Mischung zwischen Zuckerbrot und Peitsche angewendet würde. Zu Beginn des Jahres 1999 bestand die Strategie nur aus der Peitsche. Ost-Timoresische Milizen wurden gegründet, bewaffnet und mit einer Lizenz zum Töten der Unterstützter der Unabhängigkeit ausgestattet. Die Massendemonstrationen von 1998, die für ein Referendum plädierten, endeten 1999, als die Milizen ihr Terrorregime begannen, besonders in den westlichen Distrikten. Die Milizen, mobilisiert durch ihre Vorgesetzten in der Armee, fielen in die Dörfer ein und verursachten eine großräumige Flüchtlingskrise. H.R. Garnadi kommentierte, dass "die Pro-Integrationsgruppe, einmal erwacht, innerhalb kürzester Zeit dazu in der Lage war, die Situation umzukehren und zu dominieren." Weiter betonte er, dass viele Offiziere "optimistisch waren, dass der spezielle Autonomiestatus die Wahl des Volkes sein würde." Der Kommandeur von Kodam IX in Bali, Generalmajor Adam Damiri, glaubte, dass die Machtdemonstration der Milizen am 17. April in Dili, als Hunderte brandschatzend durch die Straßen zogen und 15 Menschen ermordeten, die Stimmung unwiderruflich für Indonesien entschieden habe. Er gab in einem internationalen Bericht damit an, dass die Ost-Timoresen nach dem 17. April loyale Indonesier geworden seien, da an diesem Tag zum Ausdruck gekommen sei, dass die pro-indonesische Fraktion die Unterstützung der Massen besaß.12

Anfang Juli, als Garnadi sein Memo schrieb, hatte die Armee Bedenken angesichts ihrer Einschüchterungsstrategie. Garnadi schrieb, dass "unser ursprünglicher Optimismus, der so überzeugend schien, schwächer geworden ist." Der Widerstand erhielt neuen Antrieb mit der Ankunft von UN-Mitarbeitern im Mai. Die Gegenwart so vieler Ausländer - UN-Personal, Journalisten und Beobachter - bedeutete, dass die Milizen vorsichtiger agieren mussten. Garnadi nannte dies euphemistisch: "unser Aktionsradius ist begrenzt." Daher beschloss Garnadi Zuckerbrot zu verteilen, mehr humanitäre Hilfe nach Ost-Timor zu senden und sich so Loyalität zu erkaufen. Im Sinne dieser neuen Strategie schrieb der Kodam IX Stabschef, Brigadegeneral Mahidi Simbolon, am 6. Juli ein Memo an General Wiranto, in dem er Marineschiffe erbat, um Reis nach Ost-Timor zu transportieren. Mit ähnlichen Worten wie Garnadi schrieb er: "Im Angesicht der kommenden Wahl gibt es bereits 35 indonesische und ausländische Nicht-Regierungsorganisationen, die Reis verteilen. Diese Situation wird den Ausgang der Wahl beeinflussen. Daher muss die Provinzregierung von Ost-Timor sofort Reis an die Bevölkerung verteilen."13 Diese humanitäre Strategie wurde nie umgesetzt: der Reis, den die Regierung und das Militär in Dili im Juli und August anlieferten, ging direkt an die Unterstützer der Autonomieregelung. Es gab keine Reisverteilung durch die Regierung an die Flüchtlinge oder die normale Bevölkerung.

Die Strategie des Widerstands

In den Monaten vor der Abstimmung am 30. August fanden sich die Vertreter Indonesiens durch diverse Vorkommnisse in ihrer Sichtweise bestätigt. Die meisten Ost-Timoresen führten das alte Spiel der zu Schau gestellten Loyalität fort, da offene Opposition immer noch mit sofortiger Erschießung geahndet wurde. Die Anwesenheit der Vereinten Nationen konnte nur wenig gegen die Atmosphäre der Angst ausrichten, die das Militär verbreitete. Daher hissten die meisten Ost-Timoresen wie vorgeschrieben die rot-weiße indonesische Flagge vor ihrem Haus, nahmen an Pro-Autonomieversammlungen teil, verliehen ihre Autos an Pro-Autonomieunterstützer, trugen Pro-Autonomie T-Shirts und Baseballmützen. Der Widerstand beschloss angesichts der fortwährenden Angriffe durch die Armee und ihre Milizen, keine öffentliche Kampagne zu organisieren. Es gab nur wenige Demonstrationen und Veranstaltungen sowie schriftliche Stellungnahmen, in denen für die Unabhängigkeit Stellung bezogen wurde. Die weitverbreitete passive Kooperation mit der finanziell gut ausgestatteten Pro-Autonomiekampagne erweckte den Anschein, dass Indonesien tatsächlich gute Aussichten in der anstehenden Abstimmung hatte. Dem äußeren Anschein nach hätte man annehmen können, dass die Mehrheit der Ost-Timoresen für eine Weiterführung der Integration stimmen würden.

Das Hauptziel des Nationalen Widerstandsrates CNRT war sicherzustellen, dass die Vereinten Nationen die Abstimmung durchführen würden. Xanana Gusmão war überzeugt, dass trotz der Einschüchterungsversuche Indonesiens die Mehrheit der Menschen sich für die Unabhängigkeit entscheiden würden. Aus Angst, dass gewalttätige Reaktionen auf die von der Armee unterstützten Milizen einen unumkehrbaren Teufelskreis der Gewalt in Gang setzten würde, die die UN zum Abzug veranlassen könnte, befahl der CNRT der Falintil-Guerilla einen einseitigen Waffenstillstand. Die Bevölkerung wurde ersucht, vor den Attacken der Milizen zu fliehen und sich selbst so gut wie möglich in Sicherheit zu bringen. Die Kampagne des CNRT verlief fast vollständig im Untergrund. Aktivisten gingen unauffällig von Tür zu Tür, um das Wahlverfahren und die Symbole auf den Stimmzetteln zu erläutern.

Die Guerillas inszenierten ihre eigene Aufführung. Falintil wiederholte beständig ihr Angebot, mit den Milizen zu "Friedensgesprächen" zusammen zu treffen. Somit gelang es CNRT und Falintil den von Indonesien kreierten Mythos zu verfestigen, dass es sich bei der Gewalt in Ost-Timor um ein Produkt eines Bürgerkrieges zwischen Autonomie und Unabhängigkeitsanhängern handelte. Die Position von CNRT und Falintil war klar: die Milizen waren Marionetten der Armee und waren nicht gleichzusetzen mit Falintil als nationaler Armee der ost-timoresischen Freiheitsbewegung. Aber sie gaben diese Position auf, um nicht als feindselig gegenüber der Thematik "Versöhnung" und "Frieden" dargestellt zu werden. Die kampferfahrenen Guerillas ließen sich photographieren während sie den dicklichen "Playboys" der Milizen unter den Blicken wohlwollender indonesischer Armeeoffiziere - die wie stolze Schulleiter aussahen, die Frieden unter kämpferischen Schülern gestiftet hatten - die Hand schüttelten.

Identitätsverwirrungen

Die Schauspielerei war vor der Abstimmung so durchgängig, dass ich oft verwirrt war, was die Loyalität der Ost-Timoresen betraf, die ich kennen lernte. Es war, als ob alle Ost-Timoresen Masken trügen. Meine Erfahrungen auf einer Tour von Dili nach Same Mitte August mit einigen ost-timoresischen Freunden verdeutlichen dies in vielerlei Hinsicht.

Unser Fahrer, ein ehemaliger Staatsangestellter, der ein Fahrzeug besaß, schien ein Befürworter der Autonomie zu sein. Ich wurde informiert, dass wir ihn gerade deshalb als Fahrer ausgewählt hatten, um so Probleme mit Autonomieanhängern zu vermeiden. Er schrie jedesmal enthusiastisch "lang lebe Indonesien!", wenn wir an einer Demonstration von Autonomieanhängern vorbeifuhren und machte siegreiche Zeichen zu den Demonstranten mit ihren rot und weißen Kopfbändern. Aber als ich mich mit ihm und seinen Familienmitgliedern unterhielt, entdeckte ich, dass das alles nur Schauspielerei war. Seine offensichtliche Freude an seinen "lang lebe Indonesien!" Ausrufen war ein Ausdruck davon, wie verrückt ihm diese Schauspielerei vorkam. Je lauter er schrie, desto lächerlicher kam ihm alles vor.

An einem entlegenen Stück der Straße nach Same sprachen wir mit zwei alten Dorfbewohnern, die, um Geld zu verdienen, Fahrzeuge an einer Stelle, an der ein Erdrutsch ein Stück Straße weggerissen hatte, den Hügel heraufzogen. Sie nahmen an, dass wir Autonomieanhänger seien, da Fahrzeug und Fahrer mit rot-weißen Bändern geschmückt waren. Als sie uns mit Pro-Autonomierufen begrüßten, begann ich mich zu wundern, wie es kam, dass diese alten, zahnlosen Dorfbewohner eine derartige Begeisterung für die Besatzungsmacht aufbringen. Als wir jedoch mit ihnen sprachen zeigte es sich, dass sie dem indonesischen Militär gegenüber genauso feindlich eingestellt werden wie alle anderen auch. Sie erklärten, dass sie sich versteckten, sobald sie ein Regierungs- oder Militärfahrzeug sähen und keine Anstalten machen würden, dieses Fahrzeug mit ihren Seilen den Berg hochzuziehen. Sie erklärten, dass die Angestellten der Bezirksregierungen den Dorfbewohnern angedroht hätten, sie von den Klippen zu stoßen, falls sie ihre Stimme für die Unabhängigkeit abgeben würden. Als ich meine Freunde befragte, wie sie abstimmen würden, antwortete mir einer: "Beleidige mich nicht, ich würde mein Vaterland nicht verkaufen!"

In Same verschleierten meine Freunde ihre Identität und versuchten sich unter die Milizen zu mischen, um Informationen zu bekommen. Aber bereits nach einem Tag erkannte sie zufällig ein Autonomieanhänger, der sie aus Dili kannte. Daher flohen sie, sobald sie herausgefunden hatten wie sie die Straßensperren der Milizen, die an den Straßen außerhalb der Stadt aufgebaut worden waren, umgehen konnten.

Diese Straßensperren waren getarnt. Ich hörte vom Chef der UNAMET Polizei in Same, dass die Milizen aufgrund seiner Proteste alle Zeichen eines ständigen Kontrollposten entfernt hatten. Als wir an diesem Posten vorbeifuhren, war alles was ich vorfand eine kleine Gruppe Teenager, die wie eine harmlose Jugendgruppe aussehen konnte, falls ein UN-Fahrzeug vorbeifuhr. Als sie jedoch unser Fahrzeug anhielten, sah ich wie sie Messer und Schwerter hinter ihren Gitarren und unter ihren Jacken hervorzogen. Ihr erwachsender Anführer wies sie von der Veranda eines Hauses hinter dem Posten an, uns durchzulassen. So gestaltete sich der alltägliche Widerstand der Milizen gegen die UN.

Ich traf einen ost-timoresischen Staatsangestellten, der ausländischen Wahlbeobachtern Informationen über die Funkkommunikation der Militärs zukommen ließ. Er hatte eine Position in der Bezirksregierung, die bedeutend genug war, um ihm ein manuelles Empfangsgerät und eine Liste der Codes und Frequenzen anzuvertrauen. Er besuchte heimlich die internationalen Beobachter und ermöglichte ihnen, die nächtlichen Unterhaltungen zwischen den Milizen und dem Geheimdienst der Armee aufzunehmen. Diese Aufnahmen zeigten, dass die Milizen Befehle der Armee entgegennahmen. Sie waren weder autonome Organisationen, wie die indonesische Regierung behauptete, noch der Armee nahestehende Organisationen, wie die meisten Beobachter glaubten: sie waren direkt in die Befehlshierarchie der Armee als niedrige, ferngesteuerte Spielfiguren integriert.

In der Gebirgsstadt Maubisse lernten wir einen Mann kennen, der an einer Pro-Autonomiedemonstration teilnahm. Er aß gierig von dem Essen, nasi bungkus, das freizügig verteilt worden war. Er sagte zu uns: "Mein Magen ist für die Autonomie, aber mein Herz ist für Unabhängigkeit."

Die Wahrheit zeigt sich an den Stimmzetteln

Als am 4. September bekannt gegeben wurde, dass beinahe 80 Prozent der Ost-Timoresen sich für die Unabhängigkeit entschieden hatten, kam der Moment der Wahrheit für den Widerstand. Was bereits in den Herzen der Ost-Timoresen festgestanden hatte, kam gegenüber der Weltöffentlichkeit als statistisches Ergebnis zum Ausdruck. Es war wie ein mathematischer Beweis einer theoretischen Gleichung, der die Existenz einer Tatsache bewies, die bisher noch nicht bekannt war. Aber sogar nach der Bekanntgabe blieb der Widerstand unsichtbar. Das Militär verübte Racheakte im Sinne einer "Politik der verbrannten Erde" und die Ost-Timoresen kehrten wieder einmal zu den jahrhundertealten Waffen der Schwachen zurück: Verstellung und Flucht. Die Ost-Timoresen, die gewaltsam nach West-Timor deportiert wurden oder freiwillig dorthin flüchteten, gaben vor, loyale Anhänger Indonesiens zu sein, trugen rot-weiße Stirnbänder und behielten ihre wahre Meinung für sich. Andere flüchteten in die Berge, weit weg von den Soldaten und Milizen und lebten von Wurzeln und Blättern. Es gab keine Unabhängigkeitsfeiern, keine triumphalen Paraden auf den Straßen, nur die traurige Fortsetzung der Notwendigkeit für den alltäglichen Widerstand.

Das Militär hatte einen festgelegten Plan, um den Sieg des Widerstandes zu vereiteln. Geheime Dokumente, die nach dem Rückzug des Militärs entdeckt wurden, zeigten, dass das Militär nie die Absicht hatte, seine Zusage an die UN, Sicherheit nach der Abstimmung zu gewährleisten, zu erfüllen. Während sie das Eingreifen fremder Truppen zurückwiesen, planten sie einen Aufruhr, Krieg und Massenevakuierungen unabhängig von der Richtung, die das Abstimmungsergebnis nehmen würde. Ein geheimer Polizeibericht vom August als Begleitschreiben zu den Planungsdokumenten der Polizei für die Zeit nach der Abstimmung, beschreibt das folgende Szenario für den Fall, dass die Unabhängigkeitsbewegung gewinnen würde:

Falls das ost-timoresische Volk eine weitgehende Autonomie ablehnt (die Unabhängigkeitsbewegung die Abstimmung gewinnt) werden die Integrationsbefürworter enttäuscht und frustriert sein, besonders, da sie davon ausgegangen sind, siegreich zu sein angesichts der großen moralischen und materiellen Unterstützung durch die indonesische Regierung. Die Enttäuschung und Frustration wird zu anarchischen und zerstörerischen Haltungen gegenüber den Befürwortern der Unabhängigkeit, indonesischen Einwanderern, Regierungsangestellten und sogar gegenüber dem Militär und Polizeipersonal führen ... so eine Situation wird dazu führen, dass viele Menschen an sichere Orte fliehen werden.14

Die Polizei stellte Tabellen mit der Anzahl der Ost-Timoresen auf, die evakuiert werden sollten. Sollte die Autonomiebewegung gewinnen, so war vorgesehen, die Befürworter der Unabhängigkeit zu evakuieren. Falls die Unabhängigkeitsbewegung gewinnen würde, sollten die Unterstützer der Autonomiebewegung evakuiert werden. Ohne die Vereinten Nationen zu informieren, plante die Polizei zwischen 184.000 und 259.000 Ost-Timoresen unabhängig vom Ausgang der Abstimmung aus Ost-Timor zu evakuieren.15 Anstatt wie versprochen eine geregelte Machtübergabe zu planen, plante das indonesische Militär eine Massenevakuierung.

Zum Teil lässt sich diese Reaktion des indonesischen Militärs dadurch erklären, dass ihre sorgfältig kultivierten Mythen zerstört wurden. Alle ihre beruhigenden Ansichten über die zufriedene Bevölkerung, die aufgelöste Widerstandsbewegung und primitive Eingeborene, wurden grundlegend widerlegt. Zuvor sehr selbstbewusste indonesische Offizielle mussten feststellen, dass sie erniedrigt und getäuscht worden waren. So zerstörten sie das Territorium und suchten darüber hinaus nach Sündenböcken und schossen sich auf UNAMET und Australien ein. Ausgehend von dem Grundprinzip, dass die Ost-Timoresen eine unwissende Herde von Primitiven sind, gelangten sie zu der Überzeugung, dass der Ausgang der Abstimmung gegen Autonomie auf den Einfluss der Ausländer zurück gehen musste: Ausländer hätten den Abstimmungsprozess manipuliert und die ungebildeten, einfachen Ost-Timoresen beeinflusst. Die scharfe anti-australische Kampagne war eigentlich ein Versuch, das angeschlagene Selbstbewusstsein der indonesischen Offiziellen wiederherzustellen.

Ohne dass die Indonesier es bemerkten, waren aus den Ost-Timoresen während der Besatzung sehr sorgfältige Denker geworden, da sie so viele Gedanken für sich behalten und ihre Gefühle unterdrücken mussten. Sie nahmen eine radikale Unterscheidung zwischen Körper und Geist vor. Sie gehorchten nach außen hin den Indonesiern, sie sagten was die Indonesier hören wollten - auf indonesisch - und nahmen an den Demonstrationen zur Feier der indonesischen Herrschaft teil. Aber es war, als ob eine andere Person, ein Fremder, das tun würde. Ihre Handlungen nach außen waren unwichtig in bezug auf ihre persönliche Identität. Der vielleicht fundamentalste Aspekt des alltäglichen Widerstandes war die Kultivierung der Freiheit ihrer Gedanken und Gefühle. Wie es ein Mann der Sprachhistorikerin Michelle Turner sagte: "wir müssen tun, was auch immer die Indonesier uns zu tun auftragen, aber was wir denken ist für uns allein und wir behalten es in unseren Herzen."16

Die Ost-Timoresen lernten gegenüber den Indonesiern Masken zu tragen, um ihren verzweifelten Wunsch nach Unabhängigkeit zu verbergen. Trotzdem verloren sie diesen Wunsch nie. Sie trugen ihn tief in ihren Herzen bis zu dem Moment, an dem sie ihn nach außen tragen und der Weltöffentlichkeit sichtbar machen konnten. <>

John Roosa lebt und arbeitet in Jakarta. Er nahm an der IFET-Wahlprozessbeobachtung letztes Jahr in Ost-Timor teil, an der sich auch Watch Indonesia! mit 10 BeobachterInnen beteiligt hatte. Bei dem Artikel handelt es sich um eine leicht gekürzte Übersetzung seines Vortrages beim Symposium: "East Timor, Indonesia, and the Region: Perceptions of History and Prospects for the Future." New University of Lisbon, Portugal, 10.-15. Juli 2000; Übersetzung aus dem Englischen von Susan Khallaf, Barbara Sieghart und Michaela Müller.


1: vgl. James Scott, Weapons of the Weak: Everyday Forms of Peasant Resistance, New Haven: Yale University Press, 1985; Domination and the Arts of Resistance: Hidden Transcripts, New Haven: Yale University Press, 1990

2: Constancio Pinto and Matthew Jardine: East Timor's Unfinished Struggle, Boston: South End Press, 1997

3: Diese Berichte, gefunden im Militärdistrikt-Hauptquartier des Kodim 1627 in Dili, wurden ausgewert von der Menschenrechtsorganisation Yayasan Hak

4: Zitate aus den Planungsdokumenten des Militärs anlässlich der erwarteten portugiesischen Parlamentarierdelegation 1991; Kodam IX Kolakops, Rencana Operasi 'Halo Kapaz', Dili, 31. August 1991, geheim

5: Geheime Armeepapiere, die öffentlich wurden, belegen diese Zahl.

6: Kodam IX Kolakops: Perintah Operasi 'Tuntas I', 1992, Appendix D

7: Kodam IX Kolakops: Perintah Operasi 'Tuntas I', 1992, Appendix C, S.5; 1991 schätzte die Armee die Anzahl der Guerillas auf 100. 1995 berichtet ein Armeegeheimdienstreport von 98 Guerillas; Kepala Tim Analis Intelijen: Rekapitulasi Kekuatan Personil dan Senjata GPK Fretilin, Dili, Oktober 1995, geheim.

8: Korem 164, Rencana Operasi 'Wira Dharma-99', Dili, Juli 1999, geheim

9: H.R. Garnadi: Memo to Coordinating Minister of Politcs and Security, Gen. Feisal Tanjung, 3. Juli 1999

10: Col. Suprapto Tarman: Pemantapan Barisan Integrasi, Alieu, 3. Juli 1999, geheim

11: BBC, 3. März 1999

12: Generalmajor Adam Damiri an den Minister für Politik und Sicherheit, Gen. Feisal Tanjung: Perkembangan Situasi dan Kondisi Wilayah Timor Timur Penentuan Jajak Pendapat, Dili, Denpasar, Juli 1999, geheim

13: Brig. Gen. Mahidi Simbolon an den Panglima TNI: Pengajuan dukungan Kapa Laut AL Jenis Frost, Denpasar, 6. Juli 1999, geheim

14: Kepolisian Negara Republik Indonesia Daerah Timor Timur, Rencana Operasi 'Hanoin Lorosae II, Dili, August 1999, geheim; Perkiraan Keadaan Intelijen Kepolisian Khusus tentang Menghadapi Kontijensi Opsi I dan Opsi II di Polda Timor Timur, S.9-10

15: Kepolisian Negara Republik Indonesia Daerah Timor Timur, Rencana Operasi 'Hanoin Lorosae II, Dili, August 1999, geheim Michelle Turner: Cerita Tentang Timor Timur, Kesaksian Pribadi 1942-1992, Jakarta, Pijar 1998, S. 238

16: Michelle Turner: Cerita Tentang Timor Timur, Kesaksian Pribadi 1942-1992, Jakarta, Pijar 1998, S 238  
 

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