Indonesien-Information Nr. 3 2000 (Aceh)

Frauen und der Krieg in Aceh

Frauen wollen, dass alle Waffen schweigen

von Suraiya Kamaruzzaman

Aceh ist reich an natürlichen Ressourcen. Nach der Entdeckung reicher Gasvorkommen im Norden Acehs siedelten sich dort Großunternehmen an, denen weitere, verwandte Industriezweige in Aceh Besar, folgten. Das Sagen in diesen Großunternehmen hatten Außenstehende. Ihr zur Schau gestellter Reichtum empörte die Menschen in Aceh, die mehrheitlich vom ökonomischen Segen der Industrialisierung ausgeschlossen blieben.

Selbst im spöttisch of als Petro-Dollar-Bezirk bezeichneten Norden Acehs wurden 70 % der Dörfer als "rückständig" eingestuft. Einigen Quellen zufolge sollen die Einkünfte aus Acehs natürlichen Ressourcen die Schatztruhen in Jakarta jährlich mit 33 Billionen Rupiah (nach aktuellem Kurs ca. 8,25 Mrd. DM) gefüllt haben. Nur ein Prozent davon floss in die Provinz zurück. Die Bevölkerung, die rund um die Unternehmen lebt, ist ein bloßer Zuschauer, der in der Armut und von außen zuschaut, wie Wohlstand im Inneren wächst. Das geht so seit Jahrzehnten. In diesem Kontext ist der bewaffnete Kampf für Acehs Unabhängigkeit und die Gründung der Befreiungsbewegung Aceh GAM (Gerakan Aceh Merdeka) unter Führung von Hasan di Tiro zu verstehen.1990 startete die Regierung Suharto die Operation Rotes Netz (Operasi Jaring Merah), um die "Bewegung zur Zerstörung von Frieden und Ordnung", kurz GPK, wie die Neue Ordnung die Befreiungsbewegung nannte, auszurotten. Diese Operation dauerte acht Jahre an, löste aber keines der Probleme Acehs. Stattdessen wurden unschuldige Zivilisten zum Opfer staatlich geförderter Brutalität. Jeder, der sich weigerte, das indonesische Militär zu unterstützen, wurde als GPK-Aktivist verdächtigt.

Tausende Frauen wurden zu Witwen, ihre Männer ermordet oder entführt. Kinder wurden zu Waisenkindern. Einige Frauen waren der sexuellen Gewalt von Soldaten ausgesetzt, die zum Teil gezielt als Instrument des Terrors gegen ihre Gemeinden einge setzt wurde. Die Frauen wurden zu Parias in ihrer eigenen Gemeinde, die mit niemandem etwas zu tun haben wollte, der mit dem GPK-Verdacht befleckt war. Die alleinstehenden Frauen konnten nicht mehr gefahrlos auf dem Feld arbeiten, um sich und ihre Kinder zu ernähren.

Ende 1998, nach dem Fall von Suharto und angesichts der gut dokumentierten Menschenrechtsverletzungen war der oberste Befehlshaber der Armee, General Wiranto, gezwungen, Acehs Status als "besonderes militärisches Einsatzgebiet" (DOM) aufzuheben.

Die Koalition von Menschenrechtsorganisationen hat für die Zeit von 1990 bis 1998 7.727 Fälle von Menschenrechtsverletzungen dokumentiert. Aber die Situation veränderte sich nicht nach der Aufhebung des DOM-Status. Von Januar 1999 bis Februar 2000 dokumentierte die Koalition neun Massaker, bei denen 132 Zivilisten getötet und 472 verwundet wurden. 304 wurden willkürlich verhaftet, 318 ohne Gerichtsverfahren hingerichtet. 138 sind verschwunden.

Flüchtlinge

Im Februar 1999 begann die Regierung damit, gezielt Einwohner aus einigen Teilen Acehs zu vertreiben. Von Juni bis August 1999 gab es 250.000 bis 300.000 interne Flüchtlinge in Aceh. Bislang gibt es keine Menschenrechtsuntersuchung darüber. Danach ging die Zahl der Vertriebenen zurück bis auf wenige hundert im Mai 2000.

In den folgenden Monate jedoch stieg die Zahl der Vertriebenen wieder rasch in die Tausende, obwohl die bewaffneten Auseinandersetzungen zurückgegangen waren. So lebten in nur einem Flüchtlingslager 4.110 Menschen, davon 818 Kinder unter fünf Jahren, 52 schwangere Frauen und 112 Frauen, die noch stillten.

Die Gründe ihrer Flucht sind vielfach:

- Häufige Durchsuchungen von Dörfern nach GAM-Mitgliedern durch das indonesische Militär. Diese Durchsuchungen waren zwangsläufig brutal und von Schlägen begleitet. Einzelne wurden abgeführt, Eigentum zerstört oder entwendet. - Fortgesetzte bewaffnete Auseinandersetzungen zwischen GAM und der Armee in ländlichen Gegenden, die die Sicherheit der dortigen Bewohner gefährdeten - Niederbrennen von Häusern in Dörfern durch Angehörige der indonesischen Armee und andere unbekannte Gruppen - Entführungen durch Soldaten und zivile Milizionäre, die als GAM-Anhänger verdächtigt wurden - Behinderung der Flüchtlinge durch verschiedene Gruppen, in ihre Dörfer zurückzukehren, obwohl sie in ihren Augen sicher waren

Einige der wohlhabenderen Dorfbewohner, wie z.B. Geschäftsleute, wurden von angeblichen GAM-Mitgliedern offen angegriffen. Ein Zeuge berichtete, dass das Haus eines Mannes, der nicht bezahlen wollte, niedergebrannt wurde. Solche Zwischenfälle waren jedoch selten und die Betroffenen konnten es sich in der Regel leisten wegzuziehen und ihr Geschäft woanders neu aufzubauen. Bis heute ist auch nicht sicher, ob die Angreifer tatsächlich Mitglieder der Befreiungsbewegung waren und nicht indonesische Soldaten oder auch gewöhnliche Kriminelle, die das allgemeine rechtliche Chaos in Aceh ausnutzten.

Auch in den Lagern fanden die Flüchtlinge nicht immer die Si-cherheit, die sie suchten. Am 13. Oktober 1999 feuerten Soldaten im Lager der Abu Beureueh Moschee in Pidie mehrere Salven ab, angeblich weil sie GAM-Aktivisten suchten. 10.000 Flüchtlinge liefen in Panik und Angst um ihr Leben davon. Mehrere Frauen wurden sexuell angegriffen. Am 29. Dezember wurden 150 Flüchtlinge im Lager der Seulimun Moschee vergiftet und mussten in ein Krankenhaus.

Die Lebensbedingungen in vielen Lagern sind bis heute erbärmlich. Viele Menschen leben in Unterkünften aus Plastikplanen. Schwangere Frauen und Kinder leiden unter Unterernährung. Dutzende von Babies wurden in den Lagern geboren, in denen es kaum oder gar keine medizinischen Einrichtungen gibt. Krankheiten aufgrund von Erschöpfung und unreinem Wasser sind notorisch.

Selbst unter den Bedingungen der Lager gibt es keine Geschlechtergleichheit. Die ‚Doppelbelastung' der Frau besteht auch hier fort! Die Frauen sind genau wie die Männer der staatlichen Brutalität ausgesetzt. Darüber hinaus werden sie aber auch durch die patriarchalen gesellschaftlichen Praktiken unterdrückt. In Aceh gehört die Frau der Norm nach ins Haus. Obwohl viele Frauen auf dem Feld und auf dem Markt arbeiten, werden sie immer nur als "Helferin des Ehemannes" betrachtet. Die Frauen in den Flüchtlingslagern nahmen daher an, dass die Zubereitung von Nahrung ihre Aufgabe sei. Aber im Lager wurde dies als öffentliche Arbeit angesehen und die Männer übernahmen das Kochen. Damit waren die Frauen der einzigen Funktion beraubt, die ihre Existenz als gesellschaftliche Wesen legitimierte.

Alle Entscheidungen im Lager werden von Männern getroffen. Frauen, vor allem Witwen, die keinen Kontakt zu einzelnen Männern haben, bleiben ohne Informationen oder sonstige Zuteilungen.

Die Kinder sind durch die Erlebnisse von Krieg und Vertreibung schwer traumatisiert. Hunderte von Schulen wurden niedergebrannt. Einem Bericht zufolge ist der Schulunterricht für 11.000 Kinder in Aceh ausgefallen.

Als eine Gruppe von Frauenaktivistinnen Kindern in einem Flüchtlingslager Papier und Stifte gab, spiegelten ihre Zeichnungen die von ihnen erlebte Gewalt wider. Es waren Bilder von marschierenden indonesischen Soldaten, vom Kampf zwischen GAM und indonesischer Armee, von Waffen, Leichen und verstümmelten Körpern.

Der bewaffnete Kampf zwischen der indonesischen Armee und der Befreiungsbewegung von Aceh hat katastrophale Folgen für die Bevölkerung. In manchen Dörfern gibt es nur noch Frauen und Kinder. Einige dieser Frauen arbeiten für andere Menschen für ein paar Kilo Reis. Andere ernähren ihre Familie mit den gekochten Stämmen von Bananenbäumen.

Frauen für den Frieden

Der bewaffnete Konflikt in Aceh muss beendet werden - mit welchen Mitteln auch immer. Und Frauen müssen an dem Friedensprozess beteiligt werden. Nicht nur weil Frauen 53% der Bevölkerung in Aceh ausmachen. Frauen haben unter dem gesamten Konflikt schwer gelitten. Als Bürgerinnen haben sie unter den Handlangern des Staates gelitten, wurden sie von indonesischen Soldaten vergewaltigt und misshandelt. Kulturell werden sie durch das Patriarchat und die falsche Interpretation der islamischen Gesetzte unterdrückt, wie etwa dem auferzwungenen Kleiderkodex. Selbst zu Hause sind sie Gewalt ausgesetzt, werden geschlagen und von ihren eigenen Männern vergewaltigt. Frauen müssen in alle Entscheidungsprozesse einbezogen werden. Laut Statistiken der Provinzregierung gibt es nicht weniger als 460.000 weibliche Haushaltsvorstände, davon 377.000 Witwen.

Frauen organisieren sich für den Frieden. Sie beten, demonstrieren auf der Straße, verteilen Blumen und die Botschaft "Schluss mit der Gewalt gegen Frauen". Frauen haben mit Präsident Gus Dur und selbst mit dem Militär Gespräche geführt. Dem Führer der Befreiungsbewegung Aceh haben sie vorgeschlagen, eine spezielle Friedenszone für Frauen einzurichten. Frauen wurden auch auf der Ebene der Vereinten Nationen aktiv.

Mit dem im Mai diesen Jahres geschlossenen Waffenstillstand gibt es wieder Hoffnung auf Frieden. Aber noch ist er nicht da. Noch herrscht Gewalt von beiden Seiten, dem indonesischen Militär und der GAM. Wieder durchsucht die Armee Dörfer nach GAM-Aktivisten, und eine neue Flüchtlingsbewegung entsteht in Ost-Aceh. Die Frauen wollen, dass alle Waffen von allen Seiten schweigen. Wir hoffen, dass die gegenwärtige Vereinbarung der Kämpfenden, die Feindseeligkeiten aus humanitären Gründen einzustellen, weder von der indonesischen Armee noch von der Befreiungsbewegung Aceh nur rhetorisch gemeint ist. <>

Suraiya Kamaruzzaman ist Leiterin von Flower Aceh (flower@aceh.wasantara.net.id) Als Flower Aceh 1989 gegründet wurde, setzte sie sich als erste Frauengruppe in Aceh mit den Folgen des brutalen Vorgehens der indonesischen Armee gegen die Befreiungsbewegung von Aceh auseinander. Dieser Artikel, entnommen aus Inside Indonesia, No 64, (Oct.-Dec.2000), ist ein Auszug von Suraiya Kama-ruzzamans leidenschaftlicher Rede auf einer Konferenz über Gewalt in Indonesien, die kürzlich in Melbourne stattfand. Übersetzt aus dem Englischen von Gabi Mischkowski, medica mondiale.
 

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