Indonesien-Information August 1994 (ArbeiterInnen)

ArbeiterInnenunruhen in Medan: Wer mischt mit?

Die Arbeiterproteste in Medan, Indonesiens viertgrößter Stadt,an denen sich schätzungsweise 30.000 Menschen beteiligten, endetenblutig: Ein chinesischer Geschäftsmann wurde getötet /DeTik,20.-26.4.94/. Dies erweckte zunächst den Eindruck, es habe sich umeinen Ausbruch von Rassismus gehandelt - kein neues Problem in Indonesien,und insbesondere nicht in Medan, wo viele Indonesier chinesischer Abstammungleben. Auch die indonesische Presse betonte vor allem diesen Aspekt, wennauch nach Einschätzungen unterschiedlicher Quellen hinter den pogromartigenAusschreitungen weder die unabhängige Gewerkschaft SBSI noch die Mehrzahlder Arbeiter steckte.

Die Streiks und Protestaktionen...

Schon Anfang März dieses Jahres hatte es mehrere spontane Streiksin verschiedenen Fabriken in Medan gegeben. Nach Schätzungen des Arbeitsministeriumswaren 30.000 ArbeiterInnen, auch aus kleineren Orten in der Umgebung vonMedan, auf die Straße gegangen. Die meisten der Protestaktionen warenfriedlich, und nur in vereinzelten Fällen verursachten die ArbeiterInnenSachschäden.

...die Forderungen...

Sie forderten höhere Löhne, die Auszahlung ihres Lebaran-zuschlags(entspricht dem hiesigen Weihnachtsgeld), Urlaubsgeld sowie bezahlten Menstruations-und Schwangerschaftsurlaub. Außerdem verlangten sie die Zulassungfreier Gewerkschaften, sowie die Auflösung der regierungsgesteuertenGewerkschaft SPSI. Dem Arbeitsminister Abdul Latief wurde vorgeworfen,sich nicht genügend gegen Gesetzesübertretungen seitens der Unternehmeneinzusetzen /Report of Human Rigths Watch, 16.5.94/. Dieser zeigte sichbefremdet über die Forderung einer Lohnanhebung auf 7.000 Rp./Tag(ca. 5,80 DM). "Zur Zeit liegt der offizielle Mindestlohn bei 3.100Rp./Tag (ca. 2,60 DM)", sagte er /DeTik, 27.4.-3.5.94/. Der bekannteWirtschaftswissenschaftler Sritua Arief dagegen bestätigte, daß7.000 Rp./Tag eine realistische Forderung sei. Anders als in den Städtenauf Java könnten sich die Arbeiter in Medan nicht mit billigeren Lebensmittelnaus dem Umland versorgen, sondern müssen die hohen Großstadtpreisebezahlen /DeTik, 27.5.-3.5.94/.

...bleiben ungehört und werden unterdrückt

Dennoch setzten Militäreinheiten Tränengas ein und löstendie Demonstrationszüge auf. Dabei kam am 11. März der zweiundzwanzigjährigeArbeiter Rusli unter ungeklärten Umständen ums Leben. 29 Personenwurden verhaftet und z.T. bei den Vernehmungen mißhandelt. Tags daraufzogen ca. 5.000 ArbeiterInnen vor das Provinzparlament, um ihren ForderungenNachdruck zu verleihen und die Freilassung ihrer KollegInnen einzuklagen.Doch da es dort zu keinem Dialog kam, wurden die Protestaktionen nach denLebaran-Feiertagen erneut aufgenommen.

Die Großdemonstration vom 14. April

Die größte, von der SBSI vorbereitete Demonstration fandschließlich am 14. April statt. Mehrere tausend ArbeiterInnen ausüber 40 Fabriken des Industriegebietes von Medan zogen in einem Sternmarschzum weiten Merdeka-Platz im Stadtzentrum. Dort versammelten sie sich vordem Büro des Gouverneurs von Nord-Sumatra und verlangten, mit diesemzu verhandeln. Schließlich empfingen dessen Mitarbeiter, ein Offizierdes militärischen Sicherheitsdienstes Bakorstanasda und Lokalvertreterdes Arbeitsministeriums eine Delegation der ArbeiterInnen.

Erfolglose Verhandlungen...

Allerdings wurden die ArbeiterInnenvertreterInnen nur mit altbekanntenFormeln abgespeist: Es hieß, ihre Forderungen könnten vorerstnur gesammelt werden und bedürften der eingehenden Prüfung. AufRuslis ungeklärten Tod, dessen Untersuchung seine KollegInnen wütendeinklagten, gingen die Regierungsbeamten nicht weiter ein /DeTik, 20.-26.4.94/.

..Randale und Militäraufgebot...

Die Versammlung vor dem Gouverneursbüro löste sich zwar auf.Aber bevor die enttäuschten und empörten ArbeiterInnen nach Hausegegangen waren, begannen einige damit, chinesische Geschäfte mit Steinenzu bewerfen. Mehrere Autos und Motorräder wurden demoliert. Sofortstanden militärische Spezialeinheiten bereit, gegen die DemonstrantInnenvorzugehen. Drei Personen wurden verhaftet, später jedoch wieder freigelassen.Obwohl die Stadt am nächsten Tag vom Militär abgeriegelt wordenwar, gingen ca. 25.000 ArbeiterInnen erneut auf die Straße. Auchin anderen Städten in der Umgebung kam es in den folgenden Tagen zuGroßdemonstrationen. Mehrere ArbeiterInnen wurden beim Eingreifendes Militärs verletzt und festgenommen.

..anti-chinesische Ausschreitungen...

In Medan wurden wieder chinesische Geschäfte demoliert und geplündert,und der chinesische Unternehmer Yuli Kristianto (alias Kwok Joe Lip) inseinem Auto ermordet. Am 18. April blieben viele Geschäfte, darunterauch große Einkaufszentren geschlossen. Bis zum 21. April hieltendie Unruhen weiter an, und obwohl sich die Lage am nächsten Tag einigermaßenberuhigt hatte, blieben viele chinesische Geschäfte weiterhin geschlossen.

..Verhaftungen...

Bis Anfang Mai wurden über hundert DemonstrantInnen verhaftet.Fünfzig von ihnen wurden vernommen und wegen Gewaltausübung gegenMenschen und Sachen angeklagt, worauf eine Höchstrafe von fünfeinhalbJahren aussteht. Zwei Männer wurden des Mordes an Yuli Kristanto angeklagt.

..offizielle Reaktionen...

Die Gewaltausbrüche während der ArbeiterInnenproteste in Medanhaben den Militärkommandanten von Nord-Sumatra zu der Äußerungveranlaßt, er würde "keine Arbeiterstreiks mehr tolerierenund sie rigoros niederschlagen". Arbeitsminister Abdul Latief, selbstein Großunternehmer, bezeichnete die SBSI gar als "eine Organisation,die den Verstand verloren hat"/DeTik, 27.4.-3.5.94/. Lt.-Gen. R. Hartonovon der ABRI-Abteilung für Politisches, sagte in einem Interview,von nun an würde der militärische Geheimdienst Bakorstanas als"Koordinator" in Arbeiterkonflikten auftreten. "Aber sagenSie nicht, das sei militärische Einmischung, denn hiesige Arbeiterangelegenheitenwerden im Ausland scharf beobachtet.", fügte er hinzu /Editor,19.5.94/.

..wer steckte hinter der Gewalt?

Das Militär klagt die SBSI-Vertretung in Medan an, für dieGewaltausbrüche verantwortlich gewesen zu sein. ABRI-Sprecher Lt.-ColonelMantiri sagte, die SBSI wende "PKI-ähnliche Taktiken" an,um die ArbeiterInnen zu mobilisieren; und Medans Polizeichef war sich sicher,daß das Hauptziel der SBSI gerade die anti-chinesischen Übergriffegewesen seien. Vertreter der SBSI dagegen standen mit anderen NGOs offendafür ein, die Demonstration vom 14. April organisiert zu haben, jedochwiesen sie jeden Verdacht der Aufwiegelung zur Gewalt zurück. Auchvor den Ereignissen hatte die SBSI konsequent ein friedliches Vorgehenpropagiert und in ihre Forderungen nie rassistisches Gedankengut einfließenlassen. Am 16. April verurteilte der SBSI-Vorsitz in Jakarta öffentlichdie Gewalttäter als "ungenannte Elemente, die die Arbeiter nichtfür ihre Rechte kämpfen lassen wollen."

SBSI: "Das war Provokation"

SBSI-Vertreter sehen in den anti-chinesischen Gewalttaten eine gezielteProvokation, die vom Militär ausging und auf die Diffamierung derArbeiterInnenbewegung abzielte. Flugblätter, die während derDemonstration verteilt wurden, und dazu aufriefen, "die Chinesen zuzerschlagen, die das Land kolonisieren, die vergewaltigen, morden und Staatsgelderstehlen", und in denen keine Rede von den aktuellen Forderungen derArbeiterInnen war, weisen schon in ihrer Machart darauf hin, daßsie nicht von den Streikenden selbst produziert worden waren. NGO-AktivistInnenberichteten, daß während dem Sternmarsch nirgends Transparentemit anti-chinesischen Slogans zu sehen waren, sondern erst auf dem Merdeka-Platzauftauchten. Im Gegensatz zu den einfachen Plakaten der ArbeiterInnen trugensie fein säuberlich gemalte Schriftzüge. Darüber hinausgaben bei den nachträglichen Untersuchungen des SBSI verschiedenePersonen aus der Kriminellenszene Medans zu, für ihr gezielt gewaltsamesAuftreten bezahlt worden zu sein. Auch aus der Vergangenheit ist bekannt,daß der militärische Geheimdienst Provokateure in Demonstrationszügeschickte, um die ohnehin angeheitzte Stimmung zum explodieren zu bringen.In Medan, wo vergleichsweise viele IndonesierInnen chinesischer Abstammungleben und die sozialen Gegensätze extrem sichtbar sind, war es nichtallzu schwierig, auf rassistische Ressentiments zu bauen. Der Ausbruchvon Gewalt gab dem Militär den passenden Anlaß, seinerseitsdie Proteste gewaltsam niederzuschlagen und die SBSI in Verruf zu bringen.

Die ArbeiterInnen werden mit Gewalt und Ignoranz konfrontiert

Sofyan Tan, ein chinesischer Menschenrechtsaktivist aus Medan bekräftigte,daß die Streiks nicht rassistisch motiviert waren. "Wenn essich um Rassismus handelte, dann wären die armen Chinesen hier ebenfallsOpfer", erklärte er. Seiner Ansicht nach lag die Schuld bei demGouverneur Gen. Raja Inal Siregar. "Er wollte keinen Dialog mit denArbeitern."

Auch Teten Masduki vom Rechthilfeinstitut LBH Jakarta ist dieser Meinung."Wären den ArbeiterInnen schon am 14. April Zugeständnissegemacht worden, wäre es nicht zu den Ereignissen am nächstenTag gekommen", sagte er /DeTik, 27.4.-3.5.94/.Die Gewalt, mit denendie ArbeiterInnen zunehmend konfrontiert sind, wie die Ermordung der ArbeiteraktivistinMarsinah, der Tod von Rusli und das gewaltige Militäraufgebot währendder Protestaktion in Medan, schafft eine Atmosphäre, in der die Frustrationder ArbeiterInnen leicht in Destruktion umzulenken ist.

...im Hintergrund: Der Machtkampf in der Elite

Außerdem scheinen die Ereignisse in Medan einen über dieArbeiterInnenproblematik hinausgehenden Machtkampf in Jakarta widerzuspiegeln.Seltsam erschien es z.B. Teten Masduki, daß die ArbeiterInnen vordem Gouverneursbüro demonstrierten, obwohl normalerweise das Provinzparlamentoder die lokale Vertretung des Arbeitsministeriums Ziel von Protestakionensind. Medans Gouverneur Gen. Raja Inal Siregar, dem nun der Ruf anhängt,er habe die Situation nicht kontrollieren können, war bei den letztenGouverneurswahlen von Präsident Suharto gegen den Willen der Militärführungernannt worden. Diese favorisierte den Provinzparlamentsprecher Modiono,dem im Gegensatz zu Siregar größere Sympathien mit den ArbeiterInnenprotestennachgesagt werden. Diesbezüglich äußerte Gen. Raja InalSiregar in einem Interview mit DeTik, es habe sich bei den Ereignissenum "falsche" Streiks gehandelt, die von einer "dritten Partei"gesteuert worden seien /DeTik, 20.-26.6.94/. Weiteren Quellen zufolge halfsogar die Militärführung in Jakarta dem Führer von SBSI-Medan,Amosi Telambanua, Repressionen der Sicherheitskräfte in Medan zu entgehen.

Über diesen Machtkampf innerhalb der Elite, den die SBSI taktischzu nutzen versucht, und der für mancherlei Spekulationen sorgte, solltendie eigentlichen Beweggründe der Arbeiter nicht vergessen werden.Unter hohem persönlichen Risiko zeigen sie, daß sie ihre schierunerträglichen Lebens- und Arbeitsbedingungen nicht weiter widerspruchsloszu ertragen bereit sind.

SBSI-Führer auf Europa-Tour

Der Vorsitzende der Gewerkschaft SBSI, Mochtar Pakpahan, unternahm imMai eine Europareise, bei der es ihm gelang, Zusagen für finanzielleUnterstützung durch Gewerkschaftsbünde in Holland und Belgienzu bekommen. Sehr wichtig ist die internationale Anerkennung der SBSI,die die indonesische Regierung dazu drängen könnte, die unabhängigeGewerkschaft anzuerkennen. Pakpahan versprach, "in zwei Jahren soweitzu sein" und eine wirklich große ArbeiterInnenbewegung aufgebautzu haben. Kämpferisch prophezeite er auf einem Treffen in Utrecht,die SBSI wolle eine Demokratisierung Indonesiens bewirken, die von denArbeiterInnen und nicht vom Mittelstand ausginge. <>

 
 
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