Indonesien-Information Nr. 1 2001 (Zeitgeschichte)

Lexikon

von Wolfram Lorenz

In Nachrichtenmeldungen über Indonesien tauchen immer wieder Begriffe auf, deren Bedeutung sich nicht eingeweihten Lesern selbst beim bestem Willen nicht erschließen will. Dadurch können schwerwiegende Missverständnisse entstehen. Watch Indonesia! möchte versuchen aktuelle Begriffe kurz und verständlich zu erläutern. Dazu muss aber deutlich gesagt werden, dass in Indonesien selbst wenig sorgfältig mit Sprache umgegangen wird. Die indonesische Sprache hat sich aus dem Malaiischen entwickelt, unter Einfluss von Sanskrit, Arabisch, Portugiesisch, Holländisch, Englisch und verschiedenen regionalen indonesischen Sprachen. Häufig werden Begriffe aus anderen Sprachen übernommen, ihrer Bedeutung beraubt und in neue Zusammenhänge gebracht. Zum Beispiel wurde der Annexion der in 'Irian Jaya' (Glorreiches Irian) umbenannten ehemals holländischen Provinz 'Neuguinea', symbolisch mit einer ideologisch belegten Auslegung ihres neuen Namens Ausdruck verliehen. 'Irian', ein Begriff der Papuas aus der Gegend um Biak, steht sinngemäß für das "aufsteigende Land", wurde wie eine Abkürzung behandelt und mit 'Ikut Republik Indonesia Anti Nederland' belegt, was soviel heißt, wie 'Gemeinsam mit der Republik Indonesien gegen die Niederlande'. Schon bevor die Holländer Papua verließen, wurde die Sinnverdrehung von indonesischer Seite benutzt, um bei den Papuas Sympathie für Indonesien gegen die Holländer zu wecken. (siehe http://www.irja.org/eypij2.htm )

Begriffe werden in Indonesien gern im Sinne ihrer Symbolträchtigkeit, ohne Rücksicht auf Inhalte, verwendet. Besonders beliebt ist es, Abkürzungen mit symbolischem Wert zu verwenden. Abkürzungen enthalten manchmal selbst schon eine eigene Bedeutung. So wurde zum Beispiel die angebliche kommunistische Umsturzbewegung 1965 als 'Gestapu' stigmatisiert. 'Gestapu' ist die Abkürzung für: 'Gerakan September Tigapuluh' - 'Bewegung 30. September' - und soll bewusst an Hitlers Geheime Staatspolizei erinnern. Ähnlich symbolisch ist die Abkürzung

'Banser',

die in letzter Zeit in den Nachrichten sehr oft im Zusammenhang mit den Demonstrationen für und gegen den indonesischen Präsidenten Gus Dur erwähnt wurde. 'Banser' klingt fast so wie 'panser', was tatsächlich die indonesische Entsprechung für 'Panzer' ist und dem Ausdruck eine sehr kämpferische Note verleiht. 'Banser' steht für 'Barisan Ansor Serbaguna', was soviel heißt, wie: 'Multifunktionale Hilfstruppe'. Kern ist der Begriff 'Ansor'. Dieser Begriff ist eng mit der islamischen Geschichte verbunden und bezeichnete ursprünglich die Helfer und Kampfgefährten Mohammeds (Kaum Anshor) in Medina, von wo aus Mohammed zur gewaltsamen Eroberung Mekkas rüstete, dem erwählten heiligen Zentrum des Islam. In Indonesien sehen sich die aktiven Anhänger muslimischer Organisationen selbst als 'Ansor'. Doch auch wenn wohl Gewalt einen großen Teil der islamischen Geschichte bestimmt hat, muss 'Ansor' nicht gleichbedeutend mit Gewalt sein. Wie gesagt - muss nicht. Trotzdem treten 'Ansor' als selbsternannte 'Banser' hier und da militant in Erscheinungen, spielen sich als Ordnungs- und Sicherheitskräfte bei öffentlichen Veranstaltungen auf, fühlen sich als Vorreiter, als die wahren Anhänger und vielleicht im Ernstfall auch als Märtyrer.

Ursprünglich war es nicht die Gewalt, die Faszination auf die 'Ansor' ausübte, sondern eher der Stolz (wäre interessant zu wissen, was Indonesiern in einem entsprechenden Lexikon zu diesem Kampfbegriff der deutschen Politik einfällt; d. säzzer) der Nähe zum Religionsstifter und die Rolle als Mohammeds Helfer, die man mit dem Begriff 'Ansor' verbindet. Innerhalb der muslimischen Organisation Nahdlatul Ulama (NU) entstand eine Jugendorganisation, die in den Anfangsjahren öfter ihren Namen wechselte und schließlich 1934 von der NU offiziell als 'Ansor NU' anerkannt wurde. Im bewaffneten Kampf gegen die Japaner und Holländer vereinten sich die Ansor NU mit anderen islamischen Gruppierungen in der Hizbullah. 1949 änderten die 'Ansor NU' dann ihren Namen in 'GP Ansor'. In den 60er Jahren mischten Teile dieser Organisation unter der Bezeichnung 'Banser', paramilitärisch uniformiert in der Parteipolitik mit und zeigten sich als willige Vollstrecker politischer Intrigen. So waren sie in Ost-Java 1965 maßgeblich an der Ermordung unzähliger angeblicher Kommunisten beteiligt /Media Indonesia Minggu, Edisi: 2 Juli 1995/. Es ist bemerkenswert, dass 'Banser' kürzlich bei der Ausgrabung des Massengrabes von 1965 in Wonosobo für die Sicherheit gesorgt haben (siehe dazu Artikel S. 32). Die sich als 'Banser' organisierten und zum aktiven Führerkreis zählenden Anhänger der Nahdlatul Ulama, sind heute nicht mehr (aber auch nicht weniger) bewaffnet als jeder andere indonesische Bürger. Die Zahl der sich zu solchen 'Banser' zugehörig fühlenden Personen, dürfte auch eher relativ gering ausfallen und starken Schwankungen unterliegen, da 'Banser' im Gegensatz zu den 'Ansor' kaum oder keine formale Struktur haben. Jeder kann 'Mitglied' der 'Banser' werden, er braucht nur zusammen mit ihnen auf die Straße zu gehen.

Das macht es aber auch schwer die 'Banser' einzuordnen, sie zu kontrollieren oder gar ihre Handlungen vorherzusagen. Es besteht durchaus die Möglichkeit, dass sich aus den 'Banser' eine paramilitärische Eingreiftruppe entwickeln kann. Zumindest bieten sie optimale Voraussetzungen zur Rekrutierung von solchen Banden als willige Werkzeuge von unerkannt im Hintergrund agierenden Eliten. In Zeitungsberichten kursierten bereits Gerüchte über 'Ansor palsu' (Falsche Ansor), die sich mit gefälschten T-Shirts der 'richtigen' Ansor unter Demonstrationszüge mischen wollen, um Gewalt zu provozieren und somit die NU, deren Vorsitzender Gus Dur einmal war, zu verunglimpfen /Warta Berita-Radio Nederland, 12.01.2001/. Aber auch Gus Dur selbst scheint die Möglichkeit offen lassen zu wollen, die 'Banser NU' für sich zu instrumentalisieren. Zumindest hat er schon gelegentlich seinen Gegnern gedroht, eben diese 'Banser NU' zur Hilfe zu rufen. <>

N.B. Es gibt zu den zahlreichen in Indonesien benutzten Abkürzungen ein fast siebenhundert Seiten starkes Nachschlagewerk, das allerdings kaum befriedigende Antworten zu geben vermag. Es ist in Zusammenarbeit zwischen KITLV (dem holländischen Koninklijk Instituut voor Taal-, Land- en Volkenkunde) und LIPI (Lembaga Ilmu Pengetahuan Indonesia - der indonesischen Wissenschaftsbehörde) entwickelt und vom Grafiti Verlag in Jakarta verlegt worden. Auf dem Umschlag prangen fett hervorgehoben die Anfangsbuchstaben des Titels: Akronim, Inisialisme dan Singkatan = kurz: A-I-D-S.  
 

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