Indonesien-Information Nr. 1 2001 (Zeitgeschichte)

Die Exhumierung des Massengrabes in Wonosobo

von Deny Tjakra-Adisurya1

Vorbemerkung

Die kürzlich gegründete Organisation Yayasan Penelitian Korban Pembunuhan 65/66 (Stiftung zur Forschung nach den Opfern der Morde von 1965/66), kurz YPKP, hat es sich zur Aufgabe gemacht, die Morde von 1965/66 zu untersuchen. Der größte Teil ihrer Mitglieder sind Opfer des in Indonesien als G-30S/PKI bezeichneten Umsturzes oder deren Familienangehörige. YPKP erhält jedoch erfreulicherweise auch viel Zulauf von der jüngeren Generation. G-30S/PKI steht für "kommunistische Bewegung des 30. September 1965". Es ist die offizielle Bezeichnung der Regierung für den angeblichen Putschversuch der kommunistischen Partei, dessen Niederschlagung Generalmajor Suharto zur Machtergreifung zu nutzen wusste. Die genauen Hintergründe des Putsches sind gerade in jüngster Zeit wieder vermehrt zum Gegenstand der gesellschaftspolitischen Debatte geworden. Der auf den 30. September folgenden Mordwelle fielen 1965 bis 1966 Massen von Menschen zum Opfer, die als Mitglieder oder Sympathisanten der PKI (Partai Komunis Indonesia) oder anderweitig als Kommunisten verdächtigt wurden.

YPKP sammelt Informationen von Augenzeugen und Hinterbliebenen der G-30S Opfer und prüft sie auf ihren Wahrheitsgehalt. So entstand eine Liste von 21 Personen, die in der Nähe von Wonosobo im Ndempes Wald im Dorf Situkup vermutlich ermordet und begraben worden waren.

Die Namen der Opfer sind hier im einzelnen aufgeführt:

1. Sandiwijoyo (vom Distriktparlament - DPRD);
2. Dolah Asror (Camat [Bezirksvorsteher] von Tempel);
3. Tondosuprapto (Tondoperto, Tempel);
4. Harsono Siswisumarto;
5. Amin;
6. Amat Ali;
7. Marian (damaliger Zeitungs-direktor von Waspada);
8. Drs. Ibnu Santoro (Dozent an der UGM, Yogyakarta);
9. Muhadi (der Vater von Sri Muhayati);
10. A Song (Händler aus Borneo);
11. Tony;
12. Sudiyono;
13. Widodo/Dodot;
14. Sri Murwani;
15. Setyo Mudjiiono (Abschnitt Cebongan);
16. Siswohardjono;
17. Slamet Suyatno;
18. Maryono;
19. Sumitro;
20. G. Supraworo;
21. Sudibyo.


Die Leute von YPKP haben daraufhin das Gespräch mit Indonesiens wohl bekanntestem Schriftsteller, Pramoedya Ananta Toer, gesucht. Pramoedya wurde 1965 verhaftet und fristete zusammen mit Zigtausenden anderen politischen Gefangenen ohne Prozess und Verurteilung 11 Jahre lang ein unmenschliches Dasein auf der Insel Buru. Pramoedya erklärte den Leuten von YPKP: "Ich kann Stellen benennen, wo massenhaft G-30S Opfer begraben sind. Aber es bringt nichts, wenn wir die Daten nur als Wandschmuck in unseren Häusern aufhängen wollen. Ihr solltet eine Ausgrabung machen, aber wir müssen dann auch alle Leichen richtig beisetzen. Es ist jetzt möglich so etwas zu machen, denn die Lage in Indonesien hat sich verändert."

Mit diesem Gedanken und auf Bitte der Angehörigen beschlossen wir die Erlaubnis einzuholen, das vermutete Massengrab in Wonosobo zu exhumieren.

Vorbereitung der Ausgrabung

Obwohl YPKP alle notwendigen Genehmigungen von den unterschiedlichen Institutionen und Gremien (dem Bupati [Distriktchef] von Wonosobo, dem Distriktparlament, dem Militär, der nationalen Menschenrechtskommission Komnas HAM u.a.) vorlegen konnte, stießen wir am ersten Morgen der Ausgrabungen doch noch auf Schwierigkeiten. Der stellvertretende Bürgermeister von Wonosobo ließ schriftlich mitteilen, dass sich die Ausgrabungen auf unbestimmte Zeit verzögern würden. Er begründete dies mit der Angst vor negativen Reaktionen aus der Bevölkerung. Da wir uns damit nicht zufrieden gaben, sollten weitere Entscheidungen von Komnas HAM in Jakarta abhängen. Diese hatte aber längst ihre Einwilligung gegeben, so dass wir am 16. November, mit etwas Verzögerung, mit der Exhumierung beginnen konnten.

Die Ausgrabung am 1. Tag: 16. November 2000

Nachdem der Ausgrabungsort identifiziert worden war, begannen wir die Ausgrabung mit einem gemeinsamen Gebet unter der Leitung eines lokalen Mitglieds der islamischen Organisation Nahdlatul Ulama (NU). Im Ndempes Wald wachsen eigentlich keine Kokospalmen bis auf zwei, die sich direkt auf dem Massengrab befinden. Wir vermuten daher, dass jemand früher die Stelle kennzeichnen wollte. Etwas gestört wurde die Aktion von den vielen neugierigen Menschen, die sich im Wald einfanden und der Ausgrabung beiwohnen wollten. Die Sicherheitsvorkehrungen waren nur minimal: Weder die Polizei noch die Sicherheitstruppen (Banser) der NU wollten die Verantwortung für den Schutz übernehmen. Deshalb wurde die Ausgrabung bereits gegen 17.00 Uhr beendet. In der Nacht wurde der Ausgrabungsort allerdings von den Veranstaltern und der Polizei bewacht.

Das Grab wurde in einer Tiefe bis zu 1,5m ausgegraben. Erst in 1m Tiefe wurden Schädelbruchstücke im Maß von 5 x 6 x 0,5cm in gutem Zustand aufgefunden. Im weiteren Verlauf der Ausgrabung versuchte man die Leichen zu identifizieren. Die Skelette waren aufeinander gestapelt und die Knochen nicht mehr so hart. Um so vorsichtiger wurde die Arbeit weitergeführt.

Das Ergebnis der Ausgrabung am 1. Tag:

1. Es wurden acht Skelette entdeckt
2. Der Zustand der aufgefundenen Skelette:
a. 4 Schädel, zwei davon mit Löchern von Geschossen, einer mit sehr ordentlich geschliffenen Schneidezähnen und ein roter Kamm.
b. Die Zähne im Ober- und Unterkiefer sind nicht mehr vollständig.
c. Die gefundenen Knochen sind u.a. Ober- und Unterarmknochen, Oberschenkelknochen und Rippen. Sie lagen unordentlich aufeinander.
3. Alle Skelette sind nicht mehr vollständig aufgefunden und teilweise durch Baumwurzeln zerstört.
4. Es wird vermutet, dass der Schädel mit den ordentlich geschliffenen Schneidezähnen von einer Frau stammt. In der javanischen Kultur müssen die Schneidezähne der Frauen, die ihre erste Menstruation erlebt haben, ordentlich geschliffen werden.
5. Die Knochen lagen aufeinander und sind sehr brüchig.


Die Ausgrabung am 2. Tag: 17. November 2000

Die Arbeit wurde heute von 08.00 Uhr bis 15.45 Uhr durchgeführt. Das gute Wetter unterstützte die Leute bei ihrer Aufgabe. An diesem Tag sind auch Mitglieder der Angehörigen zum Standort der Ausgrabung gekommen. Es konnten schon vier Familien identifiziert werden, deren Angehörige in dem Massengrab begraben worden waren. Sie haben darum gebeten, die identifizierten Skelette ihrer Familienangehörigen nach Yogyakarta fahren zu dürfen.

Die Familienangehörigen sind:

a. Endang Sri Astuti (die Tochter von Sandiwijoyo);
b. Suwarsono (der Sohn von Tondosuprapto);
c. Sri Muhayati (die Tochter von Muhadi);
d. Sarbibi Purwowihardjo (die Mutter von Ibnu Santoro)
Das Ergebnis der Ausgrabung am 2. Tag:
1. Es wurden Reste von 9 Leichen entdeckt
2. Der Zustand der aufgefundenen Skelette:
a. 1. Leiche: noch keine Besonderheiten;
b. 2. Leiche: gefundener Ehering aus Gold mit Aufschrift im Innenring "Sudjijem" (Name) und "26-06-1965" (Datum), drum herum waren mehrere Patronenhülsen, eine volle Patrone und ein hellblauer Kamm. Das Alter des Opfers wird auf 24 geschätzt.
c. 3. Leiche: ein grauer Hemdknopf von 1cm Durchmesser, eine lange Patronenhülse und fünf kleine Patronenhülsen, die zwischen den Knochen gefunden wurden.
d. 4. Leiche: Bruchstücke des Schädels mit Löchern von Geschossen, vermutlich im Knochen vom Keilbein, zwei Projektile in der Nähe der Knochen;
a. e.5. Leiche: ein ehemals gebrochenes und wieder geheiltes rechtes Schienbein;
e. 6. Leiche: noch keine Besonderheiten;
f. 7. Leiche: Teile von einem durch ein Geschoss durchlöchertes T-Shirt. Bruchstücke von einem Zahnersatz mit der med. Bezeichnung "Serie 1 oben";
g. 8. Leiche: eine Zahnpasta - Verpackung von "Denta" in der Nähe des Skeletts;
h. 9. Leiche: noch keine Besonderheiten.
3. Im Allgemein sind die gefundenen Knochen sehr brüchig und aufeinander gestapelt.
4. Es gibt einen starken Hinweis, dass auch das 18. Skelett am selben Ort liegt, um das zu beweisen wird morgen weitergemacht.


Heute wurde die Sicherheit von der Polizei und uns als Veranstalter zusammen gewährleistet. In der Nacht übernahm die Sicherheitstruppe von der Demokratischen Partei Indonesiens (PDI-P) den Schutz sowie die Polizei, einige Bewohner des Ortes und Mitglieder der YPKP.

Die Ausgrabung am 3. Tag: 18. November 2000

Das Ergebnis der Ausgrabung am 3. Tag:
1. Es wurden 7 Skelette entdeckt
2. Der Zustand der aufgefundenen Skelette:
a. 18. Skelett: eine bunte Gummisandale der beliebten Marke "Swalow", ein gelber Kamm und ein weiteres paar Sandalen mit Gummisohle;
b. 19. Skelett: Zahnersatz aus Platin, zwei Schneidezähne und ein Weisheitszahn im Oberkiefer;
c. 20. Skelett: Projektile zwischen den Knochen;
d. 21. Skelett: noch keine Besonderheiten;
e. 22. Skelett: noch keine Besonderheiten;
f. 23. Skelett: ein weißer Knopf von ca. 1 cm Durchmesser zwischen den Knochen;
g. 24. Skelett: noch keine Besonderheiten.


Kurze Zusammenfassung der dreitägigen Ausgrabung

Unsere Ausgrabungen wurden von den Leuten im Dorf neugierig verfolgt. Alte Menschen, Frauen mit Babys und Jugendliche sind gekommen; einige kletterten sogar auf Bäume, um aus der Höhe besser sehen zu können. Ein paar ältere Leute äußerten, dass sie unter den Ereignissen früher gelitten hatten. Jüngere Leute, die zu der Zeit noch nicht geboren waren, fragten uns nach dem wahren Verlauf der Geschichte und was es mit der Legende um das PKI Grab eigentlich auf sich hätte.

Wie vermutet, wurden am Ort der Ausgrabung 21 Skelette gefunden. Allerdings hat das forensische Ärzteteam, geleitet von Dr. Handoko, noch weitere 3 Skelette entdeckt. Dr. Handoko vermutet, dass noch mehr Leichen in diesem Grab liegen. Seiner Meinung nach sollten die Ausgrabungen deshalb weiter geführt werden. Es sei notwendig, dass alle Skelette geborgen werden. Die Ausgrabungen können aber von uns im Moment nicht weitergeführt werden, da unsere finanziellen Mittel erschöpft sind. Zum Schluss wurde der Ausgrabungsort umzäunt und abgeschlossen. Den Schlüssel gaben wir dem zuständigen Beamten der lokalen Regierung. Sie ist für die weitere Sicherheit verantwortlich. Alle 24 aufgefundenen Skelette wurden zur weiteren Identifizierung ins Krankenhaus (RSUP) Sardjito nach Yogyakarta, Zentral-Java, gebracht.

Nach der Ausgrabung

Am 20. November 2000 hat YPKP gemeinsam mit Komnas HAM eine Pressekonferenz veranstaltet und die Ergebnisse der Ausgrabung vorgestellt. YPKP hat Komnas HAM gebeten, eine Untersuchungskommission (KPP HAM) zu gründen und die Ereignisse von 1965-1966 aufzuarbeiten. Die Ausgrabungen scheinen zu beweisen, dass in Wonosobo tatsächlich Menschenrechtsverbrechen stattgefunden haben. Die meisten der aufgefundenen Skelette wiesen deutlich Löcher von Geschossen auf. Es wird vermutet, dass diese von automatischen Waffen stammen.

Schon während der Pressekonferenz wurde deutlich, dass Komnas HAM keine Untersuchungskommission (KPP HAM) einsetzen möchte. Zum einen sei sie ohne Zustimmung des Parlaments dazu nicht befugt, zum anderen würden die Ergebnisse der Untersuchungen ja nicht an ein Gericht weitergeleitet werden. YPKP zeigte sich damit nicht einverstanden: nach Paragraph 8, Absatz (1), (2) und (3) des neuen Gesetzes über Menschenrechtsgerichte (UU Pengadilan HAM) hat Komnas HAM das Recht, bei Verdacht auf schwere Menschenrechtsverletzungen eine Untersuchungskommission einzusetzen.

Selbstverständlich kann ein Prozess erst dann geführt werden, wenn das Ergebnis der Untersuchung tatsächliche Menschenrechtsverletzungen beweist. Die Begründung von Komnas HAM, keine Untersuchung durchführen zu wollen, weil das Ergebnis sowieso nicht zum Gericht weitergeleitet wird, ist nach Auffassung von YPKP absurd.

YPKP ist überzeugt, dass eine Vielzahl von Mitbürgern das Parlament unter Druck setzen und einen Prozess wegen schwerer Menschenrechtsverletzungen fordern werden, sobald das Ergebnis an die Öffentlichkeit gelangt. Die Ergebnisse könnten aber auch an ein internationales Menschenrechtstribunal weitergeleitet werden, falls der Mechanismus des indonesischen Rechtssystems eine Untersuchung dieser Menschenrechtsverletzungen nicht ermöglichen sollte.

Obwohl Komnas HAM die Gründung einer Untersuchungskommission (KPP HAM) verweigert hatte, beschloss die YPKP die Ausgrabungen in Wonosobo weiter zu führen.

Die zweite Phase der Ausgrabungen

18. Januar 2001, Ankunft in Wonosobo

Von den Dorfbewohnern wurden wir auch diesmal wieder freundlich empfangen. Nach und nach trafen immer mehr Mitarbeiter ein, unter ihnen vor allem ältere Leute, Opfer oder Angehörige der Opfer von G-30S. Es waren zumeist nur Frauen, die bereit waren von ihren Erlebnissen damals zu erzählen. Die Männer haben meistens geschwiegen. Warum? Ich weiß es nicht. Während wir auf Ester, die Leiterin der Exhumierung, warteten, kam allerdings keine wirkliche Diskussion zwischen uns zustande.

19. Januar 2001, Ausgrabungen am 1. Tag

Wir haben mit der Arbeit gegen 8 Uhr begonnen und konnten sie gegen 15.15 Uhr beenden. Der Ort der Ausgrabungen vom November 2000 war umzäunt und abgeschlossen. Das Loch, das wieder ausgegraben wurde, lag bloß ca. 15 Meter abseits der öffentlichen Straße. Die Leute sollten das Loch soweit ausgraben, bis die Plastiksäcke, die die letzte Ausgrabung markierten, gefunden wurden. Auch diese Exhumierung wurde wieder mit einem gemeinsamen Gebet begonnen. Ergebnis: Ein Meter unter den Plastiksäcken fand man Knochen von Ober- und Unterarmen. Die Skelette lagen unordentlich in der Erde und waren sehr brüchig. Neben vielen Knochen (Ober- und Unterarm, Oberschenkel, Schienbeinknochen und Kiefer) entdeckte man auch einen schwarzen kaputten Geldbeutel aus Plastik, sowie einen Ring mit einem M eingezeichnet, viele Projektile, leere und volle Patronen und zwei Schädel. Insgesamt sind somit 26 ermordete Menschen in diesem Massengrab aufgefunden worden.

Gespräch mit Dr. Handoko, Leiter der forensischen Untersuchung

Dr. Handoko bestätigt, dass insgesamt 26 Leichen bei der Ausgrabung in Wonosobo gefunden wurden, wobei es sich bei einer Leiche definitiv um eine Frau handelt. Bei den anderen Skeletten kann man nicht mit Sicherheit das Geschlecht bestimmen. Früher konnten es sich nicht alle Frauen leisten einen Zahnarzt aufzusuchen, um ihre Zähne schleifen zu lassen, demnach könnte auch eine genaue Überprüfung der Zähne nicht zu einer exakten Aussage beitragen. Fest steht aber, dass schwere Menschenrechtsverletzungen vorliegen. Die Menschen sind durch Schüsse ermordet und dann begraben worden. Für Dr. Handoko steht fest, dass sich so etwas auf dieser Welt nie mehr wiederholen darf. Er erklärt uns außerdem, dass die Löcher in den Schädeln definitiv von Geschossen stammen. Wenn jemand erschossen wird, bleibt im Knochen ein kegelförmiges Loch. Genauso wie in unseren Funden.

Erinnerungen einer Betroffenen

Abends saßen wir noch zusammen und einige Frauen fingen an zu erzählen. Eine erzählte, dass sie im September 1965 mit ihrer Familie (Mann und drei Kinder, davon eins erst sechs Monate alt) in Blitar in Zentral-Java lebte. Ihr Mann war Mitglied der PKI (Partai Komunis Indonesia) und sie bei Gerwani (Nationalistische Frauenbewegung Indonesiens). Sie war nicht im Bilde über die Entwicklungen in Jakarta, und ihr Mann war schon seit längerer Zeit nicht nach Hause gekommen. Als sie eines Tages vom Einkaufen zurückkam, sah sie auf der Straße viel Polizei und Militär. Diese marschierten durch die Stadt und suchten nach Menschen. Die Frau fragte ihren Nachbarn, was denn nur los sei und erhielt den Ratschlag alles wichtige zu nehmen und zu fliehen. Mit den Kindern lief sie schnell zu ihrer Mutter, ließ die beiden Ältesten dort und rannte mit dem Baby im Arm verwirrt durch die Straßen. Sie musste mit ansehen, wie viele Menschen abgeschlachtet wurden. Sie flüchtete damals in den Wald von Blitar, wo sich einige ihrer Freunde versteckt hielten. Einige Zeit konnten sie es dort, - zwar ohne zu essen, aber in Freiheit - aushalten, bis das Militär sie schließlich doch entdeckte. Sie beendete ihre Erzählung mit der Frage, was es denn eigentlich bedeute, KOMMUNIST zu sein? Sind denn Moslems, Christen und Mitglieder anderer Religionen nicht auch Kommunisten? Sie müssen doch auch ihre Sachen mit Bedürftigen teilen. Und warum wollten früher so viele der G-30S Gefangenen getauft werden? Weil die Muslime unmenschlich waren, erklärte sie uns. Es hätte im Gefängnis ein Mal in der Woche einen Gottesdienst oder ein Gebet gegeben. Entweder von Christen oder von Muslimen geführt. Im Gegensatz zu den Muslimen gaben ihnen die Christen, was sie täglich brauchten: Seife, Zahnbürste mit Zahnpasta, Shampoo usw. Sie selbst sei auch Muslimin gewesen, aber deswegen wollte sie sich taufen lassen. In dem Gefängnis, in dem sie damals lebte, gab es keinen Terror. Ganz am Ende verglich sie noch ihre damalige Situation mit derjenigen der Chinesen in Indonesien im Mai 1998. Auch wenn es natürlich Unterschiede gäbe, sei ihr Schicksal im Grunde das gleiche.

Die Erinnerungen der Frau waren für uns wie ein unbezahlbares Märchen vor dem Schlafengehen.

Wir hoffen, dass ihr durch diesen Bericht in Deutschland mitbekommt, was YPKP gerade macht Die nächste Ausgrabung ist schon geplant, allerdings hängt es von den Finanzen ab, ob wir die Aktion realisieren können oder nicht.

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1 Der Artikel basiert auf einem Bericht der Ausgrabungsleiterin Ester Indahyani Jusuf sowie auf eigenen Beobachtungen. Er wurde redaktionell bearbeitet von Jasmin Freischlad und Anna Schnepper. Nachtrag:

Nachtrag

Nach Abschluss der Untersuchungen beabsichtigte YPKP die aus dem Massengrab geborgenen Leichen Ende März 2001 im Dorf Kaloran, im Distrikt Temanggung, Ost-Java, mit einer kleinen feierlichen Zeremonie wieder beizusetzen. Dorfbewohner und Mitglieder einer Moslembruderschaft suchten jedoch diese Beisetzung mit allen Mitteln zu verhindern: sie errichteten Straßenblockaden und belagerten das Haus von Irawan Mangunkusuma, ein 80 Jahre alter Dorfbewohner, Mitglied von YPKP und früheres Mitglied der PKI-Ortsgruppe. Irawan musste vorübergehend bei der örtlichen Polizei Schutz vor der aufgebrachten Masse suchen. Laut der letzten uns vorliegenden Nachricht vom 29. März hat sich die Lage vor Ort wieder etwas beruhigt. Ob die Beisetzung inzwischen erfolgen konnte, ist uns bei Drucklegung dieses Heftes nicht bekannt. Red.
      
 

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