Indonesien Information Nr. 3/1999 (Aceh)

Auf der Suche nach einem neuen Volk

Am Samstag, den 23. Juli 1999 ereignete sich ein weiterer tragischer Höhepunkt in der leidvollen Geschichte Acehs. Einheiten der Armee drangen in die Ortschaft Beutong Ateuh, ca. 140 km westlich der Hauptstadt Banda Aceh, ein, um nach Tengku Bantaqiah, einem angeblichen Mitglied der bewaffneten Befreiungsbewegung Aceh Merdeka (GAM) zu suchen. Mindestens 71 Todesopfer sowie ein entvölkertes und teilweise zerstörtes Dorf sind das schockierende Resultat dieses Einsatzes.

Der regionale Militärkommandant Syarifudin Tippe behauptete, es habe ein Feuergefecht zwischen bewaffneten Separatisten um den gesuchten Tengku Bantaqiah und den Einsatztruppen gegeben. Er bezifferte die Zahl der Toten auf 31, gab aber zu, daß keiner der an dem Einsatz beteiligten Soldaten getötet oder verletzt wurde. Lokale Menschenrechtsgruppen widersprechen der Darstellung Tippes. "Es hat kein Feuergefecht gegeben. Die Opfer wurden beschossen, nachdem man sie aus einer islamischen Schule herausbeordert hatte," sagte Jacob Hamzah von der Rechtshilfeorganisation Iskandar Muda. /AP, 26.7.99/ Nach Darstellung von Überlebenden wurden bei Ankunft des Militärs 15 Dorfbewohner gezwungen, sich einem Suchtrupp als ortskundige Führer zur Verfügung zu stellen, um das Dorf zu durchkämmen. Alle anderen Bewohner wurden zunächst in der von Bantaqiah geleiteten Islamschule zusammengetrieben. Bantaqiah, der erst vor kurzem aus der Haft entlassen worden war, wurde nach Erkenntnissen des Geheimdienstes als Unterstützer der Befreiungsbewegung GAM verdächtigt und soll über mehrere hundert Feuerwaffen verfügt haben. Nachdem die Suchaktion erfolglos abgebrochen wurde, sei den Leuten befohlen worden, die Schule mit erhobenen Armen wieder zu verlassen. Das Militär habe sodann auf die nun vor der Schule versammelte unbewaffnete Menge, zu der sich auch die 15 ortskundigen Führer gesellen mußten, das Feuer eröffnet, erklärten Augenzeugen. Unter den 31 noch an Ort und Stelle in einem Massengrab verscharrten sowie in einen Brunnen geworfenen Todesopfern befanden sich auch Teungku Bantaqiah, seine Frau und zwei seiner Söhne. Eine zunächst unbekannte Zahl weiterer Opfer, von denen zumindest ein Teil noch am Leben war, wurden mit einem Militärlaster abtransportiert /International Forum for Aceh, 27.7.99/. Wie sich noch herausstellen sollte, wurden sie kurze Zeit später ebenfalls ermordet. Der Vorfall ist der vorläufige Höhepunkt einer seit Wochen andauernden Welle der Gewalt in Aceh, der nach offiziellen Angaben seit Anfang Mai 211 Menschenleben zum Opfer fielen, davon 167 Zivilpersonen und 44 Soldaten bzw. Polizisten. Überfälle auf Militärfahrzeuge und andere Terroraktionen, bei denen die genannten 44 Uniformierten ihr Leben lassen mußten, wurden der Befreiungsbewegung GAM zugeschrieben und dienten immer wieder als Vorwand für Repressionsmaßnahmen, angefangen von Razzien und Straßensperren bis hin zu willkürlichen Erschießungen und regelrechten Massakern (s. Indonesien-Information Nr. 1/99 u. 2/99). Erst eine Woche vor dem Massaker von Beutong wurden bei einem Überfall 8 Soldaten getötet und 20 verletzt /AP, 26.7.99/.

Politischer Dialog gestört

Das Massaker von Beutong Ateuh fiel zeitlich zusammen mit einer von den Menschenrechtsorganisationen ASIA-FORUM in Thailand und dem International Forum for Aceh (IFA) in New York veranstalteten Aceh-Konferenz in Bangkok. Alleine die Tatsache, daß in einem ASAEN-Nachbarstaat unbehindert eine Konferenz zu einem so hochbrisanten innenpolitischen Thema Indonesiens stattfinden konnte, zeigt, wie sehr sich das politische Klima in Asien seit dem Abtritt Suhartos geändert hat. Noch vor wenigen Jahren wurden vergleichbare Konferenzen zu Ost-Timor (APCET), die in Manila, Bangkok und Kuala Lumpur stattfanden, auf Verlangen der Regierung in Jakarta von den Behörden der Nachbarstaaten massiv gestört. Die neuerliche Konferenz in Bangkok, sollte den Grundstein legen für einen länger anhaltenden Dialog zwischen den Regierenden in Jakarta und dem Widerstand in Aceh. Beide Seiten hatten Vertreter zu einem ersten informellen Dialog nach Bangkok entsandt. Eine Delegation unter Leitung des Gouverneurs von Aceh, Syamsuddin Mahmud, beabsichtigte gar nach Schweden zu reisen, wo der exilierte Führer des Widerstandes Hasan di Tiro lebt /IFA, 28.7.99; AFP, 26.7.99/. Obgleich die Regierungen Indonesiens und Schwedens dementierten, von einem derartigen Zusammentreffen informiert zu sein, erklärte Carmel Budiardjo, Gründerin der Menschenrechtsorganisation Tapol und Konferenzteilnehmerin in Bangkok, das Treffen gehe direkt auf eine Initiative von Präsident Habibie und Gouverneur Syamsuddin Mahmud zurück /AFP, 26.7.99/. Der vage Hoffnungsschimmer, vielleicht doch noch eine politische Lösung für die schier ausweglose Situation in Aceh zu finden, erhielt durch das Massaker in Beutong einen massiven Dämpfer. Das International Forum for Aceh verurteilte den "Zynismus", mit dem das Militär die Initiative zur Suche einer friedlichen Lösung beantwortete /IFA, 28.7.99/. Zieht man jedoch in Betracht, mit welcher Unbeirrbarkeit und Brutalität das indonesische Militär seit Monaten versucht, eine politische Lösung des Konfliktes in Ost-Timor zu verhindern, so drängt sich der Verdacht auf, daß das Timing des Massakers in Beutong möglicherweise sehr bewußt gewählt wurde: In beiden Fällen würden alle Konfliktparteien von einer politischen Lösung profitieren - mit Ausnahme des Militärs, das eine Vielzahl von Privilegien aufzugeben hätte. Weitere Tote gefunden

Nur wenige Tage nach dem Massaker, am 26. Juli 1999, entdeckten Leute in einer Schlucht nur ca. 7 Kilometer von Beutong entfernt fünf Leichen. Es handelte sich offensichtlich um einige der am 23. Juli vom Militär aus Beutong abtransportierten Opfer. Am nächsten Tag wurden einen Kilometer weiter noch einmal 15 Leichen gefunden. Nach Angaben der Bevölkerung weisen alle Leichen Merkmale schwerster Mißhandlungen auf: neben den erwarteten Schußwunden auch gebrochene Gliedmaßen, beinahe vom Rumpf abgetrennte Köpfe u. dgl. mehr. Von fünf weiteren namentlich bekannten Opfern fehlt jede Spur /Waspada, 30.7.99/. Munir, Anwalt bei der in Jakarta ansässigen Organisation Kontras, die speziell zum Thema Entführungen und Verschwindenlassen arbeitet, erklärte, er rechne damit, daß noch weitere Opfer gefunden würden. Die Gesamtzahl könne bei über 100 Toten liegen /Kompas, 31.7.99/. Tatsächlich fand die Polizei kurz darauf weitere 15 Tote, die ebenfalls in eine Schlucht geworfen worden waren. Somit liegt die Zahl der Toten und Vermißten nun vorläufig bei 71 /Reuters, 1.8.99/.

Flüchtlingselend

Möglicherweise wären bereits noch mehr Tote gefunden worden, wenn sich die Bevölkerung nicht bei jedem kleinsten Hinweis auf eine nahende Militärpatrouille ängstlich von diesen Orten des Schreckens zurückziehen würde. Es gehört viel Mut dazu, sich unter den allgegenwärtigen Augen der Soldaten mit Schaufeln an die Aushebung eines Massengrabes zu machen und damit unwiderlegbare Beweise ans Tageslicht zu bringen. Die Religion hilft ein wenig, die Angst zu überwinden: so wurden die Massengräber wurden ausgehoben, um die darin Verscharrten anschließend entsprechend der islamischen Rituale bestatten zu können. Das versteht auch das Militär. Doch die Angst vor Übergriffen peinigt inzwischen ganze Landstriche. Auf 140.000 Menschen ist die Zahl der Flüchtlinge angewachsen, die sich von ihren Dörfern aufmachten, um in Moscheen und an anderen öffentlichen Plätzen ein wenig mehr an Sicherheit zu finden. Die meisten Flüchtlinge weisen die Distrikte Pidie, Nord- und Ost-Aceh auf. Sofyan Muchtar, Sekretär des Gouverneurs von Aceh zeigt sich besorgt um die Flüchtlinge: "Ihr Gesundheitszustand verschlechtert sich aufgrund der mangelnden sanitären Einrichtungen und des Mangels an sauberem Wasser." Der Chef der Gesundheitsbehörde in Aceh, Hanif Asmara, erklärte, die meisten Flüchtlinge litten an hohem Fieber, andere unter Atemwegserkrankungen, Durchfall und Cholera. "Was aber schlimmer ist, viele Flüchtlinge hier leiden unter Mangelernährung," sagte er gegenüber der indonesischen Nachrichtenagentur Antara. Am schlimmsten sollen Antara zufolge die Verhältnisse in den Moscheen von Meureudu, Pidie und Kuta Binjai sein. Alleine in Pidie seien 60.000 Menschen in Notunterkünften untergebracht. Da Tausende Hektar Landes nicht mehr bewirtschaftet werden und vielerorts das Vieh sich selbst überlassen wurde, muß damit gerechnet werden, daß sich die Notlage mittelfristig noch verschlimmert. /Jakarta Post, 2.8.99/ Angesichts dieser katastrophalen Ausmaße und der schweren Vorwürfe, die gegen das Militär erhoben werden, sah sich Präsident B.J. Habibie gezwungen, ein aus 27 Menschenrechtlern, Akademikern und Regierungsvertretern bestehendes Untersuchungsteam einzusetzen, das der Gewalt in Aceh auf den Grund gehen soll /Kompas, 31.7.99/. Erst vor einigen Monaten hatten sich Habibie und sein Armeechef Wiranto förmlich bei der Bevölkerung Acehs für das ihr zugefügte Leid während des von 1989 bis 1998 andauernden militärischen Ausnahmezustandes entschuldigt. Taten oder auch nur eine für die Menschen wahrnehmbare politische Kursänderung sind dieser Entschuldigung seither jedoch nicht gefolgt.

Protest Großbritanniens und der USA

Auch die Einsetzung der Untersuchungskommission bedeutet sicher keine grundlegende Kursänderung. Vielleicht beabsichtigte Habibie aber mit diesem Schritt weiteren Verurteilungen aus dem Ausland vorzubeugen. Am 28. Juli 1999 mußte er sich nämlich bereits herbe Worte des neuen britischen Außenministers, Geoff Hoon, anhören: "Ich war schockiert als ich von dem Vorfall in West-Aceh hören mußte. Ich erwarte von der indonesischen Regierung eine umgehende Untersuchung über das, was geschehen ist, durchzuführen. Wenn es sich als wahr erweist, daß unbewaffnete Zivilpersonen ungesetzlich getötet wurden, dann müssen die hierfür Verantwortlichen vor Gericht gebracht werden. Trotz der Fortschritte in Richtung Demokratie in Indonesien hat sich die Situation in Aceh in den vergangenen Wochen signifikant verschlechtert: Ich dränge alle Seiten darauf, maximale Zurückhaltung zu üben." /UK Foreign Office, 28.7.99/ Offenbar unbeeindruckt von Habibies Untersuchungskommission erklärte sich eine Woche später auch der Sprecher des US-Außenministeriums, James Rubin, "besorgt über die zunehmende Gewalt". "[im Rahmen der] Kampagne des indonesischen Militärs separatistische Aktivitäten zu unterdrücken und die Sicherheit in der Provinz aufrechtzuerhalten wurden ernstzunehmende und glaubhafte Anschuldigungen wegen Menschenrechtsverletzungen erhoben," sagte er in einer Erklärung vom 5. August 1999 unter besonderem Hinweis auf die am 3. Mai getöteten 45 Zivilpersonen (s. Indonesien-Information Nr. 2/99) und die 40-70 Toten vom 24. Juli. Obgleich die Umstände des Vorfalls vom 24. Juli noch nicht restlos geklärt seien, "ist der nicht wegzudiskutierende Punkt, daß tragische extralegale Hinrichtungen im Zunehmen begriffen sind." /Reuters, 5.8.99/ Ein ebenfalls nicht "wegzudiskutierender Punkt" ist allerdings auch, daß von seiten des deutschen Außenministers bislang keine vergleichbare öffentliche Äußerung zu vernehmen war.

Generalstreik statt Streik der Generäle ...

Wegen der sich kontinuierlich verschlechternden Lage und der Unbeweglichkeit von Regierung und Militär riefen 27 NGOs für den 4. und 5. August die Bevölkerung in ganz Aceh zum Generalstreik auf. Muhammad Taufiq Abda, Koordinator des Joint Committee's for the Mass Strike (PBAMM), erklärte, der Streik solle dazu dienen, die Trauer über die Gewaltopfer zum Ausdruck zu bringen /Waspada, 4.8.99/ sowie der Forderung nach Abzug des Militärs und dem Protest gegen die Pläne zur Errichtung eines eigenen Militärkomandos für Aceh Nachdruck verleihen /Kompas, 5.8.99/. Weite Teile der Bevölkerung befolgten den Aufruf, so daß das Leben in Banda Aceh, Lhokseumawe und anderen Städten am 4. und 5.8. quasi zum völligen Stillstand kam /Kompas, 5.8.99/. Gleichzeitig flüchteten sich am Rande einer Protestaktion in Jakarta neun Leute aus Aceh auf das Gelände der niederländischen Botschaft. Sie erklärten, solange in der Botschaft ausharren zu wollen, bis ihre Forderung nach Unabhängigkeit erfüllt sei. Die Aktion erinnerte an die spektakulären Botschaftsbesetzungen durch Ost-Timoresen, Papuas und indonesische Solidaritätsgruppen vor einigen Jahren (die Indonesien-Information berichtete). Nachdem ein Sprecher der Gruppe seine Forderungen gegenüber dem Botschaftspersonal vorbringen durfte, verhielt sich die Botschaft zunächst abwartend. Doch nach 36 Stunden wurde das Gelände auf Veranlassung der Botschaft von der indonesischen Polizei geräumt. Die Polizeikräfte wandten keine Gewalt an und die BesetzerInnen leisteten keinen Widerstand. Obwohl auf der Straße Fahrzeuge bereitstanden, mit denen die BestzerInnen zum Polizeihauptquartier gefahren werden sollten, wurde ihnen nach kurzer Diskussion schließlich der freie Abzug per Taxi gewährt /AFP, 6.8.99/.

... but now the generals strike

Wenig Anlaß zur Hoffnung geben die Äußerungen, die Indonesiens Polizeichef Roesmanhadi am ersten Tag des Generalstreiks auf einer Pressekonferenz in Jakarta machte. Er erklärte, die Polizei habe eine sechs Monate dauernde Sonderoperation gestartet um das "Wiederaufleben des Separatismus in Aceh zu bekämpfen". Er habe Schießbefehl gegen alle verdächtigen Personen erlassen, die in Aceh mit einer Waffe gesehen würden /AFP, 4.8.99/. Die Anordnung kommt einem Freibrief gleich, in Zukunft jeden, der das in Aceh traditionell getragene Kurzschwert "Rencong" trägt, ohne Vorwarnung zu erschießen. 6.186 Polizisten und Hilfstruppen aus Aceh sowie weitere 3.100 Spezialisten für Aufstandsbekämpfung und 2.000 Soldaten plus deren Reserve aus Jakarta seien an der Operation beteiligt, führte Roesmanhadi weiter aus /AFP, 4.8.99/. Alles in allem werden also ca. 12.000 Einsatzkräfte ins Feld geschickt, um der nach offiziellen Schätzungen etwa 200 bewaffneten Widerständler habhaft zu werden. Dies erinnert an den Beginn des militärischen Ausnahmezustandes (DOM) 1989, als Suharto 12.000 Soldaten gegen die seinerzeit angeblich 149 Widerständler einmarschieren ließ. Die damals begonnene Operation hat bekanntlich nicht gerade dazu beigetragen, die Sicherheitslage in Aceh zu verbessern - und die Rebellen scheinen sich seither sogar um 51 vermehrt zu haben... Die neuerliche Offensive ist ein weiterer deutlicher Beweis dafür, daß Polizei und Militär gänzlich andere Ziele als eine Lösung des Konfliktes verfolgen. Auch Armeechef und Verteidigungsminister Wiranto - der sich wie Habibie brav bei den Acehnesen für erlittenes Unrecht entschuldigt hatte - machte einmal mehr deutlich, daß das Volk keinerlei Anlaß hat, Hoffnungen auf eine neue Geisteshaltung des Militärs zu hegen: "Entsprechend der Verfassung von 1945 und dem Verteidigungsgesetz von 1982 sollen das Militär, die nationale Polizei, das Volk und die natürlichen Ressourcen [zusammen] ein integriertes Verteidigungssystem darstellen. Die Tatsache, daß ein Teil des Volkes eine Rebellion betreibt und die Abspaltung vom indonesischen Staat anstrebt ist eine Form von Betrug an diesem integrierten System." Knapp zusammengefaßt: "Das Volk wurde zum Teil des Problems, nicht zum Teil der Lösung" /Jakarta Post, 4.8.99/. Es scheint an der Zeit, daß sich General Wiranto ein neues Volk sucht. Und eine neue Presse gleich dazu: Das Massaker in Beutong kommentierte Entschuldigungsminister Wiranto im selben Interview mit folgenden Worten: "Es gab keine Massenhinrichtung [...] bei diesem Vorfall. Es ist nicht fair, wenn gesagt wird, das Militär habe ein Massaker angerichtet. Ich will eine faire Berichterstattung durch die Medien. Die Medien sollten die Wahrheit berichten." /Jakarta Post, 4.8.99/. af<>

 
 
Zurück zur Hauptseite Watch Indonesia! e.V. Back to Mainpage