Indonesien-Information Nr. 3 1995 (Demokratie)

Regierung will Autonome Zellen

Der Start des indonesischen Versuchsprojektes einer Autonomie auf Bezirksebene (Kabupaten): Auswirkungen und Hintergründe

Daß die Bezirke (Kabupaten) bezüglich ihrer internen Angelegenheiten autonom sein sollen, wurde bereits in dem Gesetz No. 5 aus dem Jahre 1974 festgeschrieben. Doch bisher fehlte die Umsetzung. Jetzt wurde mit der Regierungsregelung No. 45/1995 der Grundstein für die konkrete Durchführung gelegt. Ziel ist, daß die Bezirke ihre eigenen Haushaltsangelegenheiten regeln sollen, um einen ausgewogeneren Entwicklungsprozeß zu ermöglichen und die Beteiligung der Bevölkerung dabei zu stärken /Suara Pembaruan, 30.3.95/. Oftmals waren die Beschlüsse der Zentralregierung bezüglich Entwicklungsvorhaben auf Bezirksebene nicht im Einklang mit dem, was vom Bezirksleiter (Bupati) als geeignet oder prioritär angesehen wurde /Gatra, 29.4.95/.

Die Ministerien für Religionsangelegenheiten und für Erziehung sowie das Informationsministerium hatten durch ihren Widerstand bisher die Umsetzung der regionalen Autonomie verzögert. Sie befürchteten eine Gefährdung der nationalen Einheit durch die Übergabe der Zuständigkeiten an die Bezirksregierungen. Der Minister für staatliche Einrichtungen, T.B. Silalahi, sagte, diese Befürchtungen wären unbegründet, da lediglich technische Angelegenheiten übergeben werden würden /Forum Keadilan, 13.4.95/. Auf die ewige Begründung diverser Stellen auf Provinz- wie auf Bezirksebene, "noch nicht vorbereitet zu sein" auf die Übergabe bzw. Übernahme von Zuständigkeiten, sagte Silalahi, daß mit eben dieser Begründung die regionale Autonomie seit 21 Jahren verschoben worden sei. Wenn man warten würde, bis wirklich alle endlich bereit wären, würde es nie dazu kommen /Kompas, 10.4.95/. Minister Silalahi war im Rahmen seiner Zuständigkeit für bürokratische Effizienz maßgeblich für die Implementierung des Autonomie-Versuchsprojektes verantwortlich und hatte sich dabei u.a. gegen den Widerstand des Innenministers Yogie S. Mehmed durchsetzen müssen (obwohl - oder weil - Yogie S.M.'s Vorgänger Rudini sich während seiner Amtsperiode erfolglos für eben dieses Projekt eingesetzt hatte) /Tiras, 27.4.95)/.

Das Versuchsprogramm zur regionalen Autonomie wurde nach der Rückkehr von Präsident Suharto aus Europa am 25. April 1995 offiziell gestartet. Hierbei werden Zuständigkeiten, die vormals auf Provinzebene (Dati I) lagen, an die Bezirksregierung (Dati II) übergeben. Die Durchführung dieses Versuches liegt dann also bei den jeweiligen Stellen der Ministerien auf Bezirksebene. Die 294 Versuchsregionen (Kecamatan/Unterbezirke) befinden sich in 26 Bezirken (Kabupaten) in jeweils verschiedenen Provinzen. Die Regionen mit Sonderstatus (DKI, Jakarta, Yogyakarta und Aceh) erfahren hierbei allerdings eine Sonderbehandlung. In diesen 26 Bezirken gibt es zur Zeit insgesamt 228 Ministerialbüros (Kantor Departemen) als ausführende Organe der Zentralregierung und 135 Zweigstellen der Ämter auf Provinzebene (Cabang Dinas) als ausführende Organe der Provinzregierung. Mit Einsetzen der Autonomie werden diese Ämter - mit Ausnahme der Vertretungen des Informations- und des Religionsministeriums - aufgelöst und ihre Zuständigkeiten werden nunmehr durch die Dienststellen (Kantor Dinas) übernommen. Die Beamten der aufgelösten Behörden wechseln dabei in die neuen über - alter Wein in neuen Fässern. Der Leiter des Ministerialbüros wird dann zum Leiter der Dienststelle, wobei der ehemalige Leiter der Zweigstellen der Ämter auf Provinzebene zu seinem Angestellten wird. Die Zuständigkeiten der Ämter auf Unterbezirksebene wird sich nicht ändern. Auch die Gelder, die bisher an die Ministerialbüros gingen, bekommen nun die neuen Dienststellen. Autos, Einrichtung und anderer Besitz der Ministerialbüros gehen an die neuen Dienststellen über /Gatra, 29.4.95/. Wenn das Religions- und das Informationsministerium ihre Probleme der Übergabe von Zuständigkeiten an die Bezirksregierungen beigelegt haben, sollen auch sie am Autonomie-Projektversuch teilnehmen, heißt es /Kompas, 10.4.95/.

Minister T.B. Silalahi sagte, die regionale Autonomie werde zu einer effektiveren Nutzung von Mitteln und keinesfalls zu einer Aufblähung des Budgets führen /Suara Pembaruan, 30.3.95/. Rein statistisch bleibt zumindet die Anzahl der Behörden fast gleich /Tiras, 27.4.95/.

Insbesondere Grundschullehrer fallen nunmehr in die Zuständigkeit der Regionen. Die Ausbildung der Lehrer und die Erstellung des Lehrplans allerdings ist weiterhin die Aufgabe der Zentralregierung. Die Versuchsregion in Ost-Timor ist der Bezirk Aileu, und es wird von Regierungsseite Wert darauf gelegt, zu betonen, daß auch diese Region genau wie alle anderen behandelt werden würde. Doch allein die besondere Betonung dieses Umstandes läßt Zweifel aufkommen, wie es wirklich um die Gleichbehandlung bestellt sein wird. Nach Ablauf von 2 Jahren soll die Anzahl von Bezirken im Versuchsprogramm erhöht werden /Suara Pembaruan, 28.3.95/.

Das Problem der regionalen Autonomie ist ein schon lange heiß diskutiertes Thema in Indonesien. Ausgangspunkt der Debatte war, daß die regionale Autonomie auf keinen Fall die nationale Einheit gefährden dürfe. Deshalb mußte jeder Schritt sorgfältig überlegt sein. Das Hauptproblem für die Umsetzung des Programms ist seine Finanzierung. Es scheint allen Beteiligten klar zu sein, daß die regionale Autonomie zu höheren Verwaltungsausgaben auf Bezirksebene führen muß.

Eine Lösung scheint nicht einfach zu sein. Wenn man nur die Einnahmen der Bezirke aus Steueraufkommen rechnet, deckten diese im Zeitraum von 1975 - 1992 gerade einmal 18 % der Ausgaben für die Besoldung der Beamten ab. Und wenn alle Einnahmen aus Steuern, Bußgeldern und anderen Einnahmen zusammengerechnet werden, kommen immer noch erst 48 % aller Ausgaben für die Beamtenbesoldung zusammen, rechnete der Wirtschaftswissenschaftler Dr. P.R. Silalahi vor /Suara Pembaruan, 30.3.95/.

Wenn nur die Jahre 1984-92 betrachtet werden, machen die Steuereinnahmen sogar nur 7 % der Verwaltungsausgaben in den Bezirken aus (ibid.). Falls aber nun angestrebt würde, alle Verwaltungsausgaben durch eine Steueranhebung zu erreichen, würden die unteren Einkommensschichten ungebührend belastet und eine wirtschaftliche Entwicklung im Sinne einer Wohlstandszunahme der Bevölkerung würde verhindert werden, führt Silalahi fort.

Darum wäre es notwendig, einen Teil der Staatseinnahmen, die aus wirtschaftlichen Aktivitäten in den Bezirken resultieren, auch den Bezirken zur Deckung ihrer Ausgaben zur Verfügung zu stellen. Dies wäre aber insofern problematisch, als die Einkünfte der jeweiligen Bezirke aufgrund ihrer unterschiedlichen Ressourcenausstattung (z.B. Holz, Gold, Öl) und wirtschaftlichen Entwicklung sehr ungleich sind.

Die Überantwortung eines größeren Zuständigkeitsbereiches ohne gleichzeitige Übergabe eines größeren Budgets erhöht die Abhängigkeit der Bezirke von der Zentralregierung statt sie zu verringern, folgert P.R. Silalahi. Er schlägt eine schrittweise Ausdehnung der Zuständigkeiten der Bezirksregierungen vor: Im ersten Schritt (von 1995-2005) die Übergabe von Verwaltungsaufgaben, im zweiten (2000-2010) Ausweitung des Zuständigkeitsbereiches der Bezirksregierungen durch die Übernahme der Koordinierung der lokalen Wirtschaft und im dritten Schritt (2005-2015) dann eine zunehmende Koordinierung von Wirtschaftsaktivitäten zwischen den einzelnen Bezirken durch die Bezirke selbst.

Dr. P.R. Silalahi betont weiterhin, daß der Erfolg der Durchsetzung regionaler Autonomie auch sehr von dem Ausmaß der Koordination und Zusammenarbeit zwischen den einzelnen Ämtern abhängig ist. Für die Finanzierung der Bezirksregierungen schlägt er vor, einen Teil der zentral erhobenen Steuern, wie die Grundbesitz- und die Gebäudesteuer direkt an die Bezirke abzuführen /Suara Pembaruan, 30.3.95/.

In der Diskussion über die regionale Autonomie tauchte vielfach die Befürchtung auf, ob denn der Bezirksleiter (Bupati) durch die erweiterte Kompetenz nicht zu einem "kleinen König" werden würde /Gatra, 29.4.95/. Auch der Soziologe Dr. Kastorius Sinaga hat Zweifel, ob es durch die regionale Autonomie wirklich zu einer größeren Mitbestimmung der Bevölkerung auf Bezirksebene kommen werde. Das Problem ist laut Sinaga, daß der Bezirksleiter mehrere Rollen einnimmt: Als Repräsentant der Zentralregierung, als alleiniger Machthaber auf Bezirksebene und als Entwicklungskoordinator. Der Bezirksleiter ist dem Bezirksparlament keine Rechenschaft schuldig, da er auch ihm übersteht. Es ändert sich also nichts an den bestehenden paternalistischen Machtstrukturen, da es nicht zu Kontrolle und Gewaltenteilung kommt /Tiras, 27.4.95/.

Der ehemalige Innenminister Rudini machte deutlich, in welche Richtung das Autonomie-Versuchsprojekt zielt: Autonomie von Bezirken hieße, daß Provinzen nicht autonom zu sein haben, sondern lediglich Verwaltungseinheiten darstellten (ibid.). Um aber wirkliche Autonomie zu erreichen, müßte mindestens Provinzgröße vorhanden sein.

Ist also das gesamte Projekt lediglich Augenwischerei? Soll das Bedürfnis der lokalen Bevölkerung nach mehr Partizipation durch eine Pseudo-Autonomie nur scheinbar erfüllt werden? Eine Aussage von T.B. Silalahi verstärkt diese Vermutung: Verantwortungsbereiche, die nicht an die Regionen übergeben werden, sind außenpolitische Angelegenheiten, Militär und Staatssicherheit/Polizei, Gerichtsbarkeit und Finanzwesen /Suara Pembaruan, 28.3.95/.

Hier liegt vermutlich der Schwachpunkt der Reform, denn die Möglichkeiten eines autonomen Verwaltungssystems sind stark eingeschränkt, wenn diese Verwaltung nicht über eigene Finanzmittel, eine eigene Gerichtsbarkeit und Gesetzgebung und eigene Kontrollmöglichkeiten (Polizei) verfügt.

Indonesiens Regierung scheint die Nachteile der zentralistischen Verwaltung des Landes erkannt zu haben. Doch es fehlt offenbar der Mut zur Konsequenz. Eine grundlegende Veränderung des Systems ist nicht in Sicht. <>

 
 
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