Indonesien-Information Nr. 3 1995 (ArbeiterInnen)

Freispruch für Gewerkschaftsführer

Internationaler Druck bewirkte die Freilassung des zu vier Jahren Haft verurteilten Gewerkschaftsführers Muchtar Pakpahan.

Muchtar Pakpahan, Generalsekretär der staatlich nicht anerkannten unabhängigen Gewerkschaft SBSI, ist frei. Im Mai beschloß der Oberste Gerichtshof überraschend, Muchtar Pakpahan einstweilen auf freien Fuß zu setzen, nachdem seine Haftstrafe wegen angeblicher "Aufwiegelung" erst im Januar in zweiter Instanz von drei auf vier Jahre verlängert worden war (s. Indonesien-Information Nr.2/1995). Die Gerichte in erster und zweiter Instanz befanden Muchtar Pakpahan für schuldig, im April 1994 ArbeiterInnen in Medan zu Streiks und Demonstrationen aufgerufen zu haben, die in blutige Unruhen ausuferten.

Der Oberste Gerichtshof (Mahkamah Agung) begründete die Haftentlassung Pakpahans mit verfahrensrechtlichen Vorgaben. Pakpahans Anwälte hatten beim Obersten Gerichtshof Berufung gegen das Urteil vom Januar eingelegt. Das Gericht habe aber versäumt, über die Berufung fristgerecht zu verhandeln. Daher habe Muchtar Pakpahan nach geltendem Recht vorläufig freigelassen werden müssen. Diese Entscheidung gelte solange, bis ein endgültiges Urteil des Obersten Gerichtshofes gefällt worden sei /Voice of America, 24.5.95/.

Tatsächlich sieht das indonesische Strafverfahrensrecht die Entlassung eines Gefangenen vor, wenn über eine von ihm angestrengte Berufung nicht binnen 110 Tagen verhandelt wurde. Dennoch überraschte die Entscheidung des Obersten Gerichts, denn von einer konsequenten Anwendung dieser Regelung ist Indonesiens Justiz weit entfernt. Beispielsweise hätte auch Amosi Telaumbanua, Muchtar Pakpahans Kollege, der - ebenfalls wegen der Streiks in Medan - zu 15 Monaten Haft verurteilt worden war, aufgrund derselben Regelung auf freien Fuß gesetzt werden müssen, wie Human Rights Watch bemerkte /HRW, 14.6.95/. Amosi wurde erst vor kurzem aus der Haft entlassen, nachdem er seine Strafe vollständig abgesessen hat.

Adi Andojo, Vizepräsident am Obersten Gerichtshof, gibt denn auch offen zu, daß internationaler Druck ein wesentlicher Grund für die Entscheidung des Gerichts gewesen ist. "Man war besorgt, daß wenn Muchtar Pakpahan weiter in Haft geblieben wäre, Indonesien von der internationalen Gemeinschaft angegriffen worden wäre. Es hätte geheißen, in Indonesien gibt es keine Rechtssicherheit", sagte Adi Andojo gegenüber der Zeitung Kompas /Kompas, 22.5.95/.

Das Timing jedenfalls stimmte. Kurz nach Muchtar Pakpahans Freilassung tagte vom 6.-23. Juni die Internationale Arbeitsorganisation ILO in Genf. Es stand zu erwarten, daß die ILO Indonesien wegen seines Umgangs mit ArbeiterInnen rügen und eine Resolution verabschieden würde, in der Indonesien zur Zulassung freier Gewerkschaften aufgerufen wird. Bereits im April hatte die ILO namentlich El Salvador, Peru und Indonesien wegen der Verletzung von Menschen- und Arbeiterrechten verurteilt.

Der internationale Gewerkschaftsverband ICFTU begrüßte in einer Stellungnahme die Freilassung Pakpahans, wies aber gleichzeitig darauf hin, daß sich noch mehr als 60 Mitstreiter des SBSI weiterhin in Haft befanden /ICFTU Press Release, 19.5.95/. Inzwischen befinden sich alle im Zusammenhang mit den Streiks in Medan Verurteilten wieder in Freiheit.

____________________ Raus zum 1. Mai! ____________________

Die unabhängige Gewerkschaft SBSI hatte durch die Inhaftierung ihrer Führungsspitze schweren Schaden genommen. Zwar hielten Streiks und Demonstrationen von ArbeiterInnen während der letzten Jahres unverändert an, doch nur selten trat dabei die Gewerkschaft SBSI in Erscheinung.

Andere Organisationen wie PPBI (Pusat Perjuangan Buruh Indonesia; Centre for Working Class Struggle) und SMID (Solidaritas Mahasiswa Indonesia untuk Demokrasi; Students Solidarity for Democracy) füllten die Lücke und riefen unter anderem am 1. Mai zu Demonstrationen auf. Es war zum ersten Mal in der Ära der Neuen Ordnung, daß der Tag der Arbeit gefeiert wurde. Über 1.500 ArbeiterInnen und StudentInnen in Jakarta und Semarang waren dem Aufruf gefolgt. Ihre Forderungen richteten sich in erster Linie auf eine bessere Bezahlung der Arbeit: Der offizielle Mindestlohn solle auf Rp. 7.000 pro Tag (ca. DM 4,50) angehoben werden. Im Verlaufe der Demonstrationen kam es zu 21 Festnahmen. Mehrere Arbeiter wurden während ihres Arrests schwer mißhandelt, einer mußte gar ins Krankenhaus eingeliefert werden. Nach wenigen Tagen wurden alle wieder freigelassen.

Die offizielle Gewerkschaft SPSI distanzierte sich von den Demonstrationen und nannte die Forderung nach Rp. 7.000 Mindestlohn "irrational". Erst kurz zuvor war der offizielle Mindestlohn von Rp. 3.000 (ca. DM 1,90) auf Rp. 3.800 (ca. DM 2,45) pro Tag angehoben worden /AKSI, 2.5.95; Greenleft, 21.5.95/.

Das Bündnis aus ArbeiterInnen, die in der neugegründeten Gewerkschaft PPBI organisiert sind, und den StudentInnen von SMID scheint sich zu bewähren. Im Juli riefen die beiden Organisationen dazu auf, den Textilbetrieb Great River Industries in Bogor zu bestreiken. Fast eine Woche lang wurde der Betrieb bestreikt und gemessen an der Produktion wurde aus dem Great River vorübergehend ein unbedeutendes Rinnsal. Demonstrationen der ca. 5.000 ArbeiterInnen von Great River Industries schwollen durch hinzukommende Sympathisantinnen aus anderen Betrieben auf 10.000 TeilnehmerInnen an.

Nun versucht Muchtar Pakpahan, seine Gewerkschaft SBSI wieder auf die Beine zu bringen. Anfang Juli übernahm er erneut deren Vorsitz. Mit dem im August veröffentlichten Buch Potret Negara Indonesia, in dem er seine Ansichten über Indonesien zu Papier bringt, meldete sich Muchtar Pakpahan auch auf der Bühne der Politik zurück. Ende September bereiste Muchtar Pakpahan Europa, um sich bei verschiedenen Organisationen für ihre Unterstützung während seiner Haftzeit zu bedanken. Während seiner Abwesenheit akzeptierte das Oberste Gericht die Berufung seiner Anwälte gegen das im Januar ergangene Urteil und sprach Muchtar Pakpahan von allen Vorwürfen frei /Voice of America, 1.10.95/. <>

 
 
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