Suara Nr. 3/2008 (Osttimor)

 

Schlussstrich oder Erster Schritt?

Kommentar zum Bericht der Wahrheits- und Freundschaftskommission

von Henri Myrttinen und Monika Schlicher


Am 16. Juli nahmen die Präsidenten Osttimors und Indonesiens in Bali den Bericht der bilateralen Wahrheits- und Freundschaftskommission (Commission for Truth and Friendship, CTF) entgegen, der jedoch bis zum jetzigen Zeitpunkt immer noch nicht offiziell veröffentlicht worden ist. Laut der Menschenrechtsorganisationen und Medien zugespielten Version des Berichts kommt die Kommission zu dem Ergebnis, dass Pro-Autonomie Milizen, Indonesiens Militär, Polizei und Behörden die institutionelle Verantwortung für die in Osttimor 1999 begangenen Verbrechen gegen die Menschlichkeit tragen.

Auf der einen Seite ist diese Erkenntnis nicht neu. Sie wurde bereits durch die nationale Wahrheitskommission Osttimors (CAVR), durch die von den Vereinten Nationen eingesetzte Ermittlungsbehörde (Serious Crimes Unit), VN-Untersuchungskommissionen und durch die von der Regierung Indonesiens eingesetzte Kommission KPP HAM bewiesen. Des weiteren gibt es zahlreiche Berichte internationaler und nationaler Menschenrechtsorganisationen sowie Aussagen von Opfern und Augenzeugen, die belegen, dass die Pro-Autonomie Milizen die Handlanger der indonesischen Sicherheitskräfte waren. Trotzdem hat sich Indonesien bislang, mit Ausnahme einer mündlichen Entschuldigung des damaligen Präsidenten Abdurrahman Wahid im Jahre 2000, nicht zu seiner Verantwortung bekannt.

Andererseits erteilt der Bericht der Freundschaftskommission der in Indonesien verbreiteten Darstellung, es habe sich bei den Ereignissen 1999 in Osttimor lediglich um Zusammenstöße von Gegnern und Befürwortern des Referendums gehandelt, eine klare Absage. Dieser Sichtweise waren auch die Ermittlungsbehörden sowie die Mehrzahl der Richter des ad-hoc-Gerichtes in Jakarta gefolgt, die in ihren Urteilen an der de-facto-Kontrolle des Militärs über die Milizen und die Zivilverwaltung Osttimors hinwegschaute und in den Sicherheitskräften letztlich eine neutrale, wenngleich mit der Situation überforderte, Partei sah. Von den 18 Angeklagten wurden zunächst sechs verurteilt. Inzwischen sind aber alle Urteile im Revisionsverfahren aufgehoben worden.

Die Wahrheits- und Freundschaftskommission wurde von den Präsidenten der beiden Länder im Jahr 2005 eingesetzt, um Rufe nach einem internationalen Tribunal und weiterer Strafverfolgung abzuwenden. Die Arbeit der Kommission war durch ihr schwaches Mandat in mehrfacher Hinsicht eingeschränkt: Zeitlich bezog sich das Mandat nur auf die Ereignisse unmittelbar vor und nach dem Unabhängigkeitsreferendum 1999, ohne auf die 23 vorangegangenen Jahre indonesischer Gewaltherrschaft eingehen zu können. Zudem sah das Mandat die Möglichkeit von Amnestien vor, schloss Empfehlungen zur Strafverfolgung aber aus. Darüber hinaus ließ es das Mandat nicht zu, die Schuldigkeit einzelner Akteure zu untersuchen, sondern beschränkte sich auf die Verantwortung von Institutionen.

Die Kommission fand daher nicht die Zustimmung von Opferverbänden und Menschenrechtsorganisationen in Osttimor und Indonesien. Auch die Vereinten Nationen verweigerten die Zusammenarbeit, denn Amnestien für Kriegsverbrechen und schwere Menschenrechtsverletzungen verstoßen gegen internationale Normen. Sie forderten daher wiederholt, das Mandat internationalen Standards anzupassen. Internationale Nichtregierungsorganisationen, darunter auch Watch Indonesia!, unterstützten diese Forderung.

Die Befürchtungen, dass die Kommission in ihrem Bericht aufgrund von politischem Druck die Wahrheit unter den Tisch kehren würde, haben sich nicht erfüllt. Vielmehr stellte sich die Kommission auf die Seite der Opfer. Es wurde explizit keine Empfehlung für Amnestien ausgesprochen und somit der Weg für mögliche zukünftige Gerichtsverfahren offen gehalten.

„The commission concludes that amnesty would not be in accordance with its goals of restoring human dignity, creating the foundation for reconciliation between the two countries, and ensuring the non-recurrence of violence within a framework guaranteed by the rule of law”, heißt es dazu im Bericht. Damit richtet sich die Kommission gegen den aktuellen Trend in Osttimor und Indonesien, Täter politischer Gewalt rasch zu amnestieren oder erst gar nicht vor Gericht zu stellen.

Dem engen Mandat ist es geschuldet, dass der Bericht weder Namen nennt noch Strafverfolgung ausdrücklich empfiehlt. Anzuerkennen ist, dass die Kommission gewissenhaft sämtliche Untersuchungsberichte, Anklagen und Urteile zu den Verbrechen in Osttimor studiert hat und analysiert, welche Akteure wie agiert haben und welche Verantwortung sie dadurch für die Menschenrechtsverletzungen im Jahr 1999 tragen. Die Kommission kommt zu dem Ergebnis, dass fehlende Rechtsstaatlichkeit und mangelnde demokratische Kontrolle über die Sicherheitskräfte sowie eine schwache Justiz die Verbrechen ermöglicht haben. Daher empfiehlt sie verstärkte und grundlegende Reformen im Justiz- und Sicherheitssektor Indonesiens. Nur so könne gewährleistet werden, dass sich ähnliche Verbrechen in Zukunft nicht wiederholen werden. Der Bericht der Wahrheits- und Freundschaftskommission ist demnach besser als erwartet, bleibt aber wegen des stark beschränkten Mandats unzulänglich.

Indonesiens Präsident Susilo Bambang Yudhoyono hat bei der Übergabe des Berichtes Verantwortung der Institutionen anerkannt und die Gewalt bedauert. Anders als der frühere Präsident Abdurrahman Wahid unterließ er es jedoch, eine förmliche Entschuldigung auszusprechen. Sowohl Osttimors Präsident Ramos Horta als auch Premierminister Gusmão betonten, dass es nun an der Zeit sei, nach vorne zu blicken. Beide Regierungen sehen den Fall damit als erledigt an. Interesse an Strafverfolgung besteht nicht.

Doch ausgerechnet die als Schlussstrich unter die Vergangenheit intendierte Freundschaftskommission ist es nun, die das Thema Strafverfolgung mit Vehemenz wieder auf die politische Agenda zurück bringt. „Jetzt kennen wir die Wahrheit, jetzt brauchen wir Gerechtigkeit“, fordert eine Koalition aus Opferverbänden und Nichtregierungsorganisationen in Osttimor. Mit Nachdruck fordert sie die Annahme und Umsetzung der Empfehlungen der nationalen Wahrheitskommission CAVR durch das Parlament ein. Unterstützung erhält sie von indonesischen und internationalen Menschenrechtsorganisationen, wie auch von Watch Indonesia!. Die zentralen Forderungen sind die umgehende Veröffentlichung des CTF-Berichtes, die Anerkennung und Aufarbeitung der kompletten 24-jährigen Besatzungszeit von 1975-1999, eine Entschuldigung und Entschädigungen an die Opfer der gesamten Besatzungszeit durch Indonesien und nicht zuletzt neue Verfahren gegen die für die Gewalt Verantwortlichen. Sowohl für die Opfer der Gewalt als auch für die weitere gesellschaftliche Entwicklung in Osttimor sowie in Indonesien wären das wichtige Schritte.

Die Organisationen und Verbände finden sich mit diesen Forderungen in guter Gesellschaft:  Der Generalsekretär der Vereinten Nationen, Ban Ki-Moon fordert die beiden Staaten auf, nun konkrete Maßnahmen zu ergreifen, um der Straflosigkeit ein Ende zu setzen und die Opfer zu entschädigen. Dies sollte entsprechend internationaler Menschenrechtsstandards und gemäß den Empfehlungen der VN-Expertenkommission geschehen. Die VN-Kommission, die 2005 ihren Bericht vorlegte, war eingesetzt worden, um die bisherige Strafverfolgung zu evaluieren. Sie kam zu dem Schluss, dass für die Opfer der Verbrechen in Osttimor noch keine umfassende Gerechtigkeit erzielt wurde. Diejenigen, die die größte Verantwortung tragen, sind bisher nicht zur Rechenschaft gezogen worden. Eine der zentralen Forderungen der Expertenkommission war, dass Indonesien die Verfahren des ad-hoc Tribunals wieder aufnimmt und gegen weitere Beschuldigte neu eröffnet. <>
 
 

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