Suara Nr. 3/2008 (Osttimor)

 

Sicherheitssektorreform in Osttimor

von Henri Myrttinen


Nach den gewaltsamen Vorgängen des 11. Februar 2008 haben sich die sich die letzten ‚Petitionäre’, die abtrünnigen Soldaten, Ende April 2008 ergeben. Damit scheint eines der größten Sicherheitsprobleme des Landes gelöst. Auch hat sich nach dem Tode Alfredo Reinados die allgemeine Sicherheitslage in Dili merklich verbessert – es kommt kaum mehr zu öffentlichen Ausschreitungen durch Jugendbanden und die Flüchtlingslager sind langsam aber sicher im Begriff, aus dem Stadtbild zu verschwinden. Die UN ist dabei, die Verantwortung für die innere Sicherheit wieder an die osttimoresischen Sicherheitskräfte zu übergeben. Doch wie sieht es aus mit diesen Sicherheitskräften, deren interne Probleme die Mitauslöser für die Krise 2006 waren?

Schon vor dem 11. Februar 2008 hatten sich die Vereinten Nationen besorgt über die Lage im Sicherheitssektor gezeigt. Und sie nehmen sie noch immer sehr ernst: Anfang September 2008 ernannte Generalsekretär Ban Ki-Moon Takahisa Kawakami zum DSRSG (Deputy Special Representative of the Secretary-General) speziell für diesen Bereich. Damit wurde der Sicherheitssektorreform-Prozess quasi zur Chefsache erklärt, denn die DSRSGs werden persönlich vom Generalsekretär bestimmt und stehen in der Hierarchie der UN-Missionen an zweiter Stelle hinter dem Missionsleiter.

Drei der grundlegenden Probleme des Sicherheitssektors in Osttimor liegen in dem Misstrauen zwischen der Polizei (PNTL – Policia Nacional de Timor Leste) und den Streitkräften (F-FDTL – Falintil-Forças de Defesa de Timor Leste), den fehlenden eindeutigen Rollendefinitionen der beiden Organisationen und in der Instrumentalisierung der Organisationen (bzw. von Fraktionen innerhalb beider Organisationen) für politische oder persönliche Zwecke.

Das Misstrauen sitzt tief

Das Misstrauen zwischen der F-FDTL und der PNTL liegt teilweise in ihrer Entstehungsgeschichte. Die F-FDTL sieht sich, wie schon aus dem Namen ersichtlich , als die rechtmäßigen Erben der Tradition der Falintil und des Widerstandes gegen die indonesischen Besatzer. Wie Armeechef Taur Matan Ruak es formulierte, ist die Armee „ein Symbol der staatlichen Unabhängigkeit, ein Symbol des Stolzes.“ Das erste Bataillon der F-FDTL, das sogenannte ‚Heldenbataillon’ (Batalion Asuwain) besteht daher auch größtenteils aus ehemaligen Falintil-Guerrillas, während für das zweite Bataillon jüngere SoldatInnen rekrutiert wurden.

Ähnlich wie bei der F-FDTL wurden beim Aufbau der PNTL sowohl ehemalige Falintil-Mitglieder als auch neue Polizeirekruten eingestellt – aber kontroverserweise auch ehemalige osttimoresische Mitglieder der indonesischen Polizei POLRI, welche ja Teil des Besatzungsapparates gewesen waren. Neben der Spannung zwischen ehemaligen Unabhängigkeitskämpfern und Mitläufern der Okkupation bauten sich sowohl zwischen als auch innerhalb der beiden Organisationen Spannungen auf, die auf parteipolitischen Differenzen, Altersunterschieden oder dem regionalen Ursprung basierten.

Ungenaue Rollenverteilung

Verschärft wurde das Misstrauen zwischen den beiden Organisationen noch durch den gegenseitigen Kampf um die jeweilige Rolle in der osttimoresischen Gesellschaft und, damit verbunden, um die knappen Ressourcen. Bis dato sind die jeweiligen Rollen von F-FDTL und PNTL nicht geklärt. Es ist nicht klar wer für die innere und wer für die äußere Sicherheit zuständig ist. Soll zum Beispiel bei gewalttätigen Demonstrationen das Militär oder die paramilitärische Polizeieinheit (UIR) eingreifen? Wer ist für die Grenzsicherung zuständig, die Armee oder die Grenzpolizei? Wer für den Personen- und Objektschutz? Im Revier- und Ressourcenkampf haben auch die zivilen Aufsichtsinstanzen, wie zum Beispiel das Innen- und Verteidigungsministerium sowie die Ämter des Präsidenten und des Premierministers oft eher zur Verwirrung als zur Klärung der Lage beigetragen.

Noch verwirrter wird die Lage durch die Präsenz der internationalen Truppen (ISF) und Polizisten (UNPOL), deren Mandate und Rollen ähnlich unklar definiert sind. Auch spielen private Sicherheitsfirmen wie Maubere Security eine zunehmend größere Rolle, so z.B. auch beim Personen- und Objektschutz – unter anderem des UNMIT-Hauptquartiers.

Auch kann, wie es bereits einige osttimoresische Organisationen tun, die Mission der nationalen und internationalen Sicherheitskräfte hinterfragt werden. Sind die jetzigen, auf traditionelle Sicherheitsfunktionen ausgerichteten Institutionen in der Lage, die grundlegenden Sicherheitsprobleme der osttimoresischen Bevölkerung, seien es zum Beispiel die Nahrungsmittelsicherheit oder die sexuelle und häusliche Gewalt, zu lösen? Oder wäre es besser, einen alternativen Sicherheitsdiskurs anzuregen?

Institutionen und Seilschaften

Leider wird die Situation auch noch dadurch verkompliziert, dass viele der zentralen Akteure nicht unbedingt ein Interesse an neutralen, unparteiischen Sicherheitskräften zu haben scheinen, sondern sie lieber zur Festigung ihrer sozialen, wirtschaftlichen oder persönlichen Macht benutzen wollten. Als Musterbeispiele hierfür müssen Ex-Innenminister Rogerio Lobato und Ex-Verteidigungsminister Roque Rodriques gelten, die bei der Krise 2006 eine zentrale Rolle spielten. Die Manipulation des Sicherheitsapparates zur Förderung von Partikularinteressen seitens klientelistischer Seilschaften wird aber auch auf niedrigerer Ebene betrieben. So schlagen sich einzelne Polizisten, Soldaten oder Kommandeure mehr oder weniger offen auf die Seite von politischen Parteien oder auch der Banden und/oder Kampfsportgruppen, welche die Sicherheitskräfte (und auch die privaten Sicherheitsunternehmen) infiltriert haben. Hartnäckige Gerüchte über politische Parteilichkeit, Korruption, Teilnahme an Schmuggel und illegalem Glücksspiel haben das Ansehen sowohl der PNTL als auch der F-FDTL sinken lassen.

Nach Operasaun Konjunta – Ende gut, alles gut?

Der mögliche Attentats- und Putschversuch vom 11. Februar 2008 sowie sein Nachspiel haben die sicherheitspolitische Lage in Osttimor einerseits vereinfacht, andererseits noch mehr verworren. Vereinfacht wurde die Lage dadurch, dass mit dem Tod Alfredo Reinados, der Festnahme Gastão Salsinhas und der Aufgabe seitens der Petitionäre einige der größten Instabilitätsfaktoren im Land beseitigt worden sind. Auch hat sich die Bandengewalt, zumindest vorläufig, extrem vermindert. Andererseits hat die Jagd nach den „Putschisten“ durch gemischte F-FDTL/PNTL-Einheiten bei der Operasaun Konjunta die sowieso schon verschwommene Linie zwischen den Kompetenzen der Streitkräfte und der Polizei, was die Sicherung der inneren und äußeren Sicherheit angeht, noch verstärkt. Des weiteren hat die teilweise unangebracht gewaltsame Art, mit der das „Joint Command“ die Suche nach den mutmaßlichen Putschisten durchgeführt und die nächtliche Ausgangssperre durchgesetzt hat, den Sicherheitskräften weiteren Vertrauensverlust bei der Bevölkerung zugefügt.

Die internationale Gemeinschaft, sprich die UN und bilaterale Partner wie Australien, Brasilien, Portugal und Malaysia, versuchen seit der Gründung der F-FDTL und PNTL mit verschiedenen Maßnahmen in den SSR-Prozess einzugreifen. Sofern sich diese Unterstützung von außerhalb auf die Ausbildung der Sicherheitskräfte und die technische Aufrüstung beschränkt, zeigt sich die osttimoresische Seite der Kooperation gegenüber offen. Als schwieriger hat sich die Kooperation dort erwiesen, wo es quasi ans Eingemachte geht, zum Beispiel um die gesellschaftliche Rolle der Sicherheitskräfte. Die Einmischung der „Besserwessis“ wird kränkend als Eingriff in die nationale Souveränität empfunden. Besonders seit dem 11. Februar werden immer wieder Rufe nach dem Abzug der als ineffektiv empfundenen internationalen Truppen und Polizisten laut, denen sich zuletzt im September auch Premierminister Xanana Gusmão angeschlossen hat.

Die Sicherheitslage in Osttimor ist momentan so gut wie seit zweieinhalb Jahren nicht mehr und die osttimoresischen Sicherheitskräfte, besonders die Armee, geben sich durchaus selbstbewusst. Man kann es dem Land nur gönnen, dass die nationalen Instanzen so schnell wie möglich die Verantwortung übernehmen können und für die Sicherheit aller Bürger und nicht nur einzelner Seilschaften sorgen können, und dass dies unter effektiver, transparenter ziviler Kontrolle geschieht. Leider scheint es aber so, dass die Ungeduld größer ist als der Wille, die grundlegenden Probleme des Sicherheitssektors von Grund auf zu bewältigen. <>
 

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