Suara Nr. 3/2008 (Menschenrechte)

 

Parlament verabschiedet Anti-Pornografie-Gesetz

von Alex Flor


Seit Jahren glauben islamische und konservative Kräfte einen Werteverfall der indonesischen Gesellschaft zu beobachten. Schuld daran sind westliche Einflüsse wie der „Liberalismus“, welcher die einheimische Wirtschaft schädigt und die Moral untergräbt. Der einflussreiche Rat der Muslime (Majelis Ulama Islam – MUI) erließ im Juli 2005 gar eine Fatwa gegen die Gefahren von SIPILIS – die Abkürzung steht für Säkularismus, Pluralismus und Liberalismus und ist gleichzeitig ein gelungenes Wortspiel, welches Assoziationen mit der Geschlechtskrankheit Syphilis und der Zivilgesellschaft (civilist) weckt.

Während sich Liberale im Westen häufig dem Vorwurf ausgesetzt sehen, ihre liberale Gesinnung beschränke sich nur noch auf die Freiheit des Marktes und lasse die Freiheit des Bürgers zunehmend in den Hintergrund treten, haben sich die Konservativen in Indonesien ein breiteres Verständnis des „Liberalismus“ bewahrt: sie lehnen gleichermaßen neo-liberale Rezepte der Wirtschaftspolitik wie individuelle Freiheiten der Bürgerinnen und Bürger ab. In atemberaubender Geschwindigkeit verstehen es islamistische Kräfte wie beispielsweise Vertreter der Hizbut Tahrir, in ihren Reden den Bogen von Benzinpreiserhöhungen, über die Globalisierung bis hin zum verderblichen Wirken des „pornografischen“ Playboy-Magazins zu spannen. Die Auswirkungen der Benzinpreise spürt jede und jeder am eigenen Geldbeutel. Globalisierungskritik ist in Kreisen, die sich progressiv verstehen ebenso angesagt wie im konservativ-nationalistischen Lager. Und die Hetze gegen den Playboy ist der Versuch, diese liberalismuskritischen Stimmen für das Lager des Islam zu gewinnen. Diese Vereinnahmungsstrategie zeigt durchaus Wirkung, wie die breite Zustimmung für das Anti-Porno-Gesetz durch säkulare Parteien beweist. Dabei spielt es überhaupt keine Rolle, dass der Playboy in Indonesien alles andere als ein pornografisches Magazin ist, denn das Heft erscheint hier ohne jegliche Nacktfotos. Die schärfsten Fotos zeigen hübsche Frauen im Nachthemd, etwa in der Art, wie sie in Europa in den Katalogen großer Versandhäuser abgebildet sind, um für Schlafanzüge und Unterwäsche zu werben.

Sind Bilder von Frauen im Nachthemd Pornografie? Ist ein Tank Top oder ein Minirock „aufreizende“ Kleidung, die unter Strafe gestellt werden muss? Verletzen die Tanzstile des indonesischen Dangdut-Stars Inul, von Michael Jackson und Madonna die guten Sitten? Und was ist mit traditionellen Gewändern wie den schulterfreien Trachten, die bei Tanzvorführungen in Java getragen werden? Wie verhält es sich mit in Stein gemeißelten Nacktszenen am Weltkulturerbe Borobudur oder mit Statuen in balinesischen Tempeln? Wie mit Michelangelos David und dem Hochlandbewohner Papuas, der nur mit der Koteka, dem aus einem Kürbisgewächs geschaffenen Penisschaft bekleidet ist?

Die im jüngst vom Parlament verabschiedeten Gesetz enthaltene Definition des Begriffes Pornografie ist so weit gefasst, dass sie potenziell all die genannten Beispiele umfasst. „Pornografie ist von Menschen gemachtes sexuelles Material in der Form von Bildern, Zeichnungen, Illustrationen, Fotos, Schriftwerk, Stimmen, Lauten, bewegten Bildern, Animationen, Comics, Lyrik, Aussprüchen, Körperbewegungen oder anderen Kommunikationsformen […], die sexuelles Verlangen hervorrufen können […].“ Jegliche Nacktheit oder explizite Darstellung von Sexualorganen ist verboten. Kunst sowie rituelle Sitten und Bräuche sind zwar explizit von den Regelungen ausgenommen, doch wo liegt die Grenze zwischen Kunst und pornografischen Zeichnungen, Bildern oder Videos? Und was löst eigentlich bei wem sexuelles Verlangen aus? Auf einschlägigen Websites gibt es eigene Bereiche für Schuh- und Lederfetischisten. Sind also Schuhe und Lederwaren pornografisches Material? Auch eine in letzter Minute getroffene Ausnahmeregelung, welche Touristinnen das Tragen von Bikinis an einschlägigen Stränden erlaubt, verdeutlicht nur, dass tatsächlich überall sonst ein Bikini als Pornografie angesehen wird – und dementsprechend geahndet werden kann.

Es verwundert daher nicht, dass neben zwei politischen Parteien – der nationalistisch orientierten Demokratischen Partei PDI-P und der christlichen Partei PDS – sowie den Vertretern einiger vom Tourismus abhängiger bzw. von überwiegend nicht-islamischer Bevölkerung geprägter Regionen – Bali, Yogyakarta, Nordsulawesi und Papua – vor allem Frauen gegen das seit Jahren heftig diskutierte Gesetz mobil machten. Alleine dies hätte den GesetzgeberInnen zu Denken geben müssen: denn sind es nicht weltweit vor allem Frauen, die sich durch Pornografie in ihren Rechten verletzt sehen und vielerorts strengere Regelungen einfordern?

Selbstverständlich machen auch indonesische Frauenrechtlerinnen keine Ausnahme von der Regel. Wirksame Maßnahmen, welche die Ausbeutung von Frauen oder Kindern als Sexualobjekte einzudämmen vermögen, ein schärferes Vorgehen gegen sexualisierte und häusliche Gewalt, gegen Frauenhandel und vieles mehr würden von der Mehrzahl der Frauen durchaus begrüßt. Doch dazu bedürfte es nicht eines neuen Gesetzes, sondern vielmehr der Ergänzung sowie vor allem der konsequenten Anwendung bereits bestehender Gesetze, betonen Sprecherinnen der führenden Frauenorganisationen. Balis Gouverneur Made Mangku Pastika bekräftigte diese Ansicht. Das Strafgesetzbuch, die Mediengesetze und das Kinderschutzgesetz böten genügend Spielraum, um der Pornografie zu begegnen, sagte er.

Der Widerstand gegen das Gesetz blieb nicht folgenlos. Erste Entwürfe kursierten bereits vor fünf Jahren. Damals sollten gar öffentliche Küsse, Oralsex, außerehelicher Sex und homosexuelle Handlungen unter Strafe gestellt werden. Das alles fand schließlich keinen Eingang in das nun verabschiedete Gesetz.

Es steht realistischerweise auch nicht wirklich zu befürchten, dass die Ordnungskräfte nun flächendeckend gegen unschickliche Kleidung vorgehen werden. Dies ist alleine aufgrund mangelnder Kapazitäten schwerlich möglich. Schwerer wiegt die Sorge vor Missbrauch von Gummiparagrafen, vor Denunziantentum und Selbstjustiz.

So sieht das Gesetz beispielsweise ausdrücklich die Mitwirkung der Bevölkerung bei Vorbeugungsmaßnahmen vor. Es steht zu befürchten, dass sich militante Gruppen wie die FPI (Front Pembela Islam – Front der Verteidiger des Islam) dadurch bestärkt fühlen werden, in Eigenregie Razzien durchzuführen. Der Inhaber eines Videoladens in einer kleinen Seitenstraße könnte sich versucht sehen, sich der lästigen Konkurrenz an der nahen Hauptstraße durch gezielte Denunziation zu entledigen. Und nicht zuletzt können sexuelle Darstellungen noch mehr als zuvor zum Anlass genommen werden, sich anderweitige Lästigkeiten vom Leibe zu halten. Steven Spielbergs Film „Schindlers Liste“ passte vielen in Indonesien nicht ins Konzept. Der Kassenschlager war ihnen zu judenfreundlich. Dass blanker Antisemitismus dem internationalen Image schadet, war allerdings auch den indonesischen Zensurbehörden klar. Offizieller Grund für das Verbot war daher eine Sexszene mit einem KZ-Aufseher, der nach vollendetem Akt nur mit Unterhose bekleidet von seinem Balkon aus Häftlinge erschoss.

Indonesien hat einen weiteren Schritt genommen, um sich von der modernen Welt abzukoppeln. <>
 
 

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