Suara Nr. 3/2008 (Papua)

 

Armut im Eldorado - Adat in Monokulturen

Ein Gespräch mit Pietsau Amafnini


Papua und Papua Barat werden derzeit von Investoren überrannt, die das Terrain sondieren, um dort in Bälde im Großmaßstab die Rohstoffe für den Weltbedarf an Nahrungsmitteln, Papier und Energie zu produzieren. Abgesehen von vorausschaubaren Problemen für die Umwelt stellt sich die große Frage, was aus den indigenen Papua wird. Werden sie ihr traditionelles Leben aufgeben, um Bauern und Industriearbeiter zu werden? Sind ihre Traditionen, das Adat, ein Hindernis auf diesem Weg? Oder kann es die Grundlage bilden, Würde und Charakteristika der Papua zu bewahren?

Heute sieht es so aus, als ob die Papua auf der Verliererseite stehen werden. Die meisten leben unterhalb der Armutsgrenze, und das in einer der reichsten Regionen Indonesiens. Die Armut sei strukturell, sagt Pietsau Amafnini, und daher könne eine einseitig ökonomische Armutsbekämpfung ihre Identität zerstören. Marianne Klute von Watch Indonesia! sprach mit ihm in Berlin über Elend und Konflikt in Papua.
 
 
 
Pietsau Amafnini ist Koordinator der NGO JASOIL (Jaringan Advokasi Sosial dan Lingkungan, Netzwerk für soziale und ökologische Fragen). Er stammt aus Westtimor, lebt aber seit dreizehn Jahren in Papua. Er hat an der Katholischen Hochschule für Philosophie und Theologie in Abepura (bei Jayapura) Anthropologie studiert. Seit seiner Studienzeit setzt sich Pietsau mit aller Kraft für die Menschenrechte und den Erhalt der Umwelt in Papua ein. Er ist, zusammen mit Munir, Mitbegründer von KontraS Papua. Noch ist die Zivilgesellschaft Papuas schwach, weil es ihr an Kompetenz und Unterstützung mangelt, nicht zuletzt aber auch, weil Regierung und Militär sie unter Druck setzt. Pietsau wohnt mit seiner Frau, einer indigenen Papua, „unterm Tafelberg“ in Manokwari, Provinz West-Papua. Im Sommer 2008 war er auf eigene Initiative in Deutschland, um auf die Bedrohung der Papua durch die Aufteilung des letzten intakten Regenwaldes Südostasiens an Palmöl-, Holz- und Minenkonzerne aufmerksam zu machen.

Watch Indonesia! Pietsau, du hast hier in Deutschland gesagt: „Palmölmonokulturen zerstören unser Leben!“ Noch handelt es sich nur um Pläne?

Pietsau Amafnini: Aber die Unternehmen sind bereits in Papua und erwerben überall Land. Sieben Millionen Hektar sollen Ölpalmplantagen werden, eine Million für Zellstoff, dazu noch Sago- und Zuckerrohr. Nach den Erfahrungen der letzten Jahre mit den bestehenden relativ kleinen Plantagen müssen wir damit rechnen, dass die Papua selbst dabei zu Bettlern im eigenen Land werden oder völlig vom Erdboden verschwinden .

Watch Indonesia! Könnten sie sich auf ein Leben als Plantagenarbeiter oder Kleinbauer umstellen? Gelingt der Schritt vom Jäger und Sammler zum Landwirt?

Pietsau Amafnini: Auf den Plantagen arbeiten sie nicht, aber sie können im Prinzip Smallholder werden, die an die Kernplantage angeschlossen sind und von ihr abhängig. Nach dem Modell der Kern-Plasma-Plantage bekommt jede Familie einen Hektar, um dort Ölpalmen anzupflanzen. Doch staatliche Fördermittel gibt es nur für nicht-lokale Bauern von anderen Inseln, nicht für die Papua.

Das Grundproblem ist jedoch nicht die Umstellung auf Landwirtschaft, denn die meisten Ethnien betreiben sehr wohl Landwirtschaft, wenn auch nur für den eigenen Bedarf. Schwierig wird es, wenn sie sich auf unbekannte Pflanzen einlassen müssen, wie auf die Ölpalme, die sie gar nicht kennen. Es ist eine fremde Pflanze für sie. Wie die zu pflegen ist, wie sie abgeerntet wird, das alles ist ihnen unbekannt. Deswegen verpachten sie die Ölpalmen meist an Javaner. Von der Pacht für einen Hektar minus die Abzüge für Steuern, Löhne, Arbeit, Transport bleibt ihnen oft nichts. Auch bei der Berechnung der Ernteerträge werden die Papua oft übervorteilt. Statt also Bauern zu werden, vegetieren sie am Rande der Plantage in Armut dahin.

Watch Indonesia! Keine verheißungsvollen Aussichten, wenn jetzt Ölpalmen im Großmaßstab angebaut werden sollen.

Pietsau Amafnini: Genau das ist das Problem. Es handelt sich nicht um eine, wenn auch schmerzhafte Revolution von der Steinzeit in die Moderne, sondern um einen Verdrängungsprozess ganzer Kulturen für den globalen Bedarf. Oder auch für den indonesischen, wie der neue Plan zeigt, nach dem in Papua ein Eine-Million-Hektar-Mega-Reisprojekt entstehen soll. Denn in Indonesien herrscht Reismangel, und nun schaut man nach Papua, um das eigene Ernährungsproblem zu lösen.

Watch Indonesia! Genau genommen verhandeln gerade fünfzehn saudi-arabische Investoren um 1,6 Million Hektar im Süden, in Merauke, darunter die Binladin-Gruppe.

Pietsau Amafnini: Aber die Frage ist, wo soll das sein? In Merauke hat man gerade erst den ganzen Distrikt unter Ölpalm- und Zellstoffkonzernen verteilt. Für so große Planungen wird auf jeden Fall der Wald abgeholzt werden. Die entwaldeten Gebiete reichen da auf keinen Fall. Der permanente Anbau von Monokulturen wird neue ökologische Probleme schaffen.

Es gab ja schon einige Versuche in Papua, Plantagen anzulegen, für den Export. Kakao, Ölpalmen, auch Reis. Wir wissen aber: die Setzlinge aus dem Ausland oder aus Java wachsen bei uns in Papua schlecht. Besonders gilt das für Hybridarten, die im Großmaßstab und für den Export angebaut werden. Das sehen wir bei allen Monokulturen, speziell bei Ölpalmen und Reis.

Watch Indonesia! Das würde bedeuten, dass die Megaprojekte von vornherein zum Scheitern verurteilt sind.

Pietsau Amafnini: Ich bezweifele, ob die Ziele wirklich eine ausreichende Ernte für die indonesische Bevölkerung und die Erschließung von Wald in landwirtschaftlich produktive Anbauflächen sind, oder ob nicht andere Ziele hinter dem Mega-Reisprojekt stecken, zum Beispiel an das Holz zu kommen und Land für Palmöl zu bereitzustellen.

Watch Indonesia! Es geht also die Aufteilung des Landes der Papua.

Pietsau Amafnini: Und dann stellt sich die Frage, wer auf den Plantagen arbeiten wird? Die Papua werden es nicht sein. Für die Megaprojekte müssen ungeheuer viele Arbeitsmigranten kommen. Denn wenn die Einführung der Landwirtschaft nur im Kontext von Großinvestitionen geschieht, nur für den Export, und dafür Millionen von Arbeitsmigranten kommen, ist es fraglich, ob man überhaupt lokale Papua beschäftigten wird, oder ob man sie nicht als unfähig stigmatisiert, als Leute ohne Arbeitsethik, die nicht in der Lage sind, auf den Reisfeldern zu arbeiten.

Auch hier gilt das gleiche wie bei den Ölpalmen: es ist nicht der Schritt hin zum Bauern,  denn Trockenreis ist eigentlich kein Problem für die Papua. In kleinem Maßstab wird es seit dem 19. Jahrhundert in der Umgebung der ehemaligen Hollandia gemacht, und damals hat die Stadt davon gelebt. Historisch ist das nicht bewusst, denn in den Geschichtsbüchern steht bis heute, die Papua wären nicht in der Lage, Reis anzubauen. Ein anderes Beispiel aus meiner Gegend: Papua, ehemalige Sklaven des Sultanats Tidore, kamen im 18. Jahrhundert zurück nach Amberbaken, an der Küste des heutigen Distrikts Manokwari. Sie brachten den Reisanbau mit und kultivierten ihn in Amberbaken. Als es im 19. Jahrhundert Hungersnot auf Java gab, also kein Reis aus Java kam und die Holländer eine Nahrungsmittelkrise hatten, lebten sie drei Jahre lang ausschließlich von diesem lokal angebauten Reis und verkauften ihn sogar nach anderen ostindonesischen Inseln. Solche Beispiele zeigen: im Prinzip können die Papua Reis anbauen.

Aus den Erfahrungen mit Landwirtschaft in Papua und speziell in unseren KUBE-Projekten (Kelompok Usaha Bersama – community based Landwirtschaft und Vermarktung) wissen wir, die Umstellung von Wanderfeldbau zur permanenten Landwirtschaft kann sehr wohl gelingen. Der Schritt zur mechanisierten Landwirtschaft dauert aber seine Zeit. Der kann nur langsam gemacht werden.

Watch Indonesia! Nach deinem Verständnis wäre die Abholzung Papuas für großindustrielle Agrarproduktion auch sozial eine Katastrophe? Es wäre kein Aufstieg auf der Leiter der kulturellen Evolution und erst recht keine Entwicklung nach dem Wunsch der Papua selbst.

Pietsau Amafnini: Viele Papua empfinden das Ende ihrer traditionellen Lebensform als Qual, wie eine Tötung ihrer Identität. Objektiv ist es eine akute Bedrohung ihrer Existenz, mehr als nur der Verlust ihres Lebensraums Wald ahnen lässt. Im besten Fall bleiben sie eine Attraktion in den wenigen Reservaten, die man vielleicht als kleine Inseln zwischen den Megaplantagen errichtet.

Watch Indonesia! Und das in dem an Naturressourcen so reichen Papua.

Pietsau Amafnini: Ja, Papua ist wahrhaftig reich an vielen verschiedenen Naturressourcen: Wald, Bodenschätze, und auch die Meere sind außergewöhnlich reichhaltig. Noch ist ziemlich viel Wald intakt, und unter dem Wald liegen Bodenschätze, die noch nicht ausgebeutet werden. Kein Wunder, dass Indonesien sich noch mehr von Papua verspricht.

Bisher hat Indonesien unverhältnismäßig von den Ressourcen Papuas profitiert. Denn seit Papua indonesisch ist, beuten indonesische und internationale Unternehmen die Reichtümer aus, vor allem Gold und Holz. Das Problem ist, dass allein die Regierung die Entscheidungen trifft, ob und wo Gold abgebaut werden soll oder welche Holzfirma den Wald fällen darf. Die Bevölkerung wird da nicht gefragt und muss noch nicht einmal zustimmen. Denn nach indonesischer Gesetzeslage ist der Staat Souverän über Land, Wald, Meer und alles, was darin oder darunter ist. Deswegen meint man, die Bevölkerung in die Entscheidungen nicht einbeziehen zu müssen. Und sie wird nicht einmal informiert. Es gibt auch kein Abkommen, wie die Beteiligung an den Entscheidungen der Konzessionsvergabe geregelt wird oder die Profite gerecht und im Sinne der Verbesserung der Lebensbedingungen verteilt werden. Die Bevölkerung hat, bis auf wenige Ausnahmen, keinerlei materiellen Anteil am Reichtum Papuas.

Watch Indonesia! Also bleiben die Papua in ihrem reichen Land arm?

Pietsau Amafnini: Diese Frage, ob sie arm sind, klingt für uns, die wir mit ihnen leben, seltsam, fast paradox. Sie leben inmitten einer Natur, die ihnen alles bietet, was sie zum Leben brauchen, inmitten einer Fülle, als deren wahre Besitzer sie sich betrachten. Sie sind der Überzeugung, dass Papua reich ist, und man kann eigentlich nicht sagen, dass sie arm sind. Natürlich leben die Papua in Wirklichkeit noch sehr traditionell und materiell äußerst bescheiden. Doch die Messlatte von Armut ist oft schief. Ein Beispiel: Leute aus dem Hochland, die in einfachen Hütten wohnen und materiell gesehen arm sind, leisten sich eine Reise mit dem Flugzeug, wenn sie in die Stadt müssen. Im Vergleich zu ihnen ist die Armut von Javanern viel dramatischer. Wenn Javaner arm sind, dann sind sie wahrhaftig arm.

Watch Indonesia! Armut in Papua heißt also nicht Hunger?

Pietsau Amafnini: Es gab schon Todesfälle während einer Hungersnot. Ich erinnere an den Ausfall der Süßkartoffelernten in Yaukimo. Da sind Leute an Hunger gestorben. Ich habe aber noch nie gehört, dass Papua sich aus Hunger oder Armut umgebracht haben.

Armut kann nicht nur nach ökonomischen Kriterien gemessen werden. Armut in Papua existiert auf anderen Ebenen, auf der Ebene der Bildung und der Gesundheit. Außerdem gibt es keine Märkte, so dass es im dörflichen Bereich keinen Geldfluss gibt. Die Armut in Papua ist eine strukturelle Armut, und sie einfach mit mehr Geld bekämpfen zu wollen, greift nicht. Eine einseitige ökonomische Armutsbekämpfung kann sogar die Identität der Papua zerstören. Wenn man also von der Armut der Papua spricht, sollte man ihre Armut weniger materiell als vielmehr im Sinne von fehlendem Zugang zu Informationen und Wissen begreifen. Die Menschen in Papua wissen nicht, was in Indonesien abgeht, noch nicht einmal, welche politischen Entscheidungen innerhalb Papuas gefällt werden. Ganz zu schweigen von Kenntnissen über globale Entwicklungen, die sie jetzt ja unmittelbar betreffen.

Watch Indonesia! Armut als mangelnden Zugang zu Bildung heißt also nicht bloß: zu wenig Schulen und Lehrer, zu wenige Papua mit Schulabschluss?

Pietsau Amafnini: Ja, daran mangelt es sehr und deswegen haben die meisten Papus kaum eine Möglichkeit, eine Schule zu besuchen oder gar abzuschließen. Aber es ist noch etwas anderes, nämlich das Bildungswesen als solches, das ein System für alle sein will. Das führt zur Gleichmacherei, einer Art Bildungsuniformierung, die kulturelle und regionale Unterschiede hinweg wischt. Diese Uniformierung des Bildungswesens ist noch nicht einmal für die Javaner geeignet, erst recht nicht für die Papua. Durch Bildung sollen alle gleichgeschaltet werden, nach einem einzigen Maßstab gemessen. Das strahlt auf alle Bereiche aus, auch auf das alltägliche Leben. Auch dort legt man den javanischen Maßstab an, und das wird für die Papua zum alltäglichen Problem. Es ist weit mehr als die Schwierigkeiten gleicher Bildung.

Ein Beispiel ist die Landwirtschaft, auf die javanische Vorstellungen übertragen werden. Javaner haben bewässerte Reisfelder und Gärten. Es gibt viele traditionelle Märkte, wo die Bauern ihre Produkte verkaufen können, auch wenn heutzutage die traditionellen Agrarmodelle immer mehr industrialisierter Landwirtschaft und Vermarktung weichen müssen. Ganz anders in Papua, das intensive Landwirtschaft mit Nassreisfeldern nicht kennt. Die Papua müssen quasi den Schritt vom Jäger und Sammler hin zum Bauern tun. Wie vorher schon gesagt, werden sie jetzt aber gezwungen, den Sprung zur mechanisierten, industriellen Landwirtschaft tun. Weil dies für sie existenzgefährdend ist, fordern wir, dass sie als Indigene geschützt werden müssen. Zumindest muss die indonesische Regierung die kulturellen Bedingungen berücksichtigen.

Watch Indonesia! Mit der Sonderautonomie ist es theoretisch möglich, diese kulturellen Besonderheiten besser zu berücksichtigen. Wie wird die Sonderautonomie zum Wohle der Papua implementiert? Werden die Gelder, die im Rahmen der Umverteilung der Sonderautonomiegelder nach Papua zurück fließen, für eine positive ländliche Entwicklung im Sinne der Papua eingesetzt?

Pietsau Amafnini: Schicke Verwaltungsgebäude werden überall gebaut, in den Städten gibt es immer mehr Autos. Ja, Otsus (Otonomi Khusus = Sonderautnomie) könnte eine Chance sein, Entwicklung im Sinne der kulturellen Eigenarten zu befördern, gerade in den Bereichen Gesundheit und Bildung sowie Landwirtschaft und sogar Infrastruktur. Doch leider ist Otsus nur eine einmalige Gelegenheit für die lokale Elite, sich selbst zu bereichern. Daher bedingt Otsus einen weiteren harten Bruch mit dem traditionellen Leben. Denn Korruption ist nicht in der Kultur verankert wie zum Beispiel auf Java.

Sei dir bewusst, in der indonesischen Zeit hatten die Papua niemals hohe politische Positionen. Politik wurde in Jakarta gemacht. Da hat sich einiges an Wut und Rachegefühlen aufgestaut, weil sie immer ausgeschlossen waren. Doch plötzlich sind Papua selbst in hohe Positionen aufgerückt. Der Gouverneur, das MRP, das Parlament – das sind jetzt alles Papua. Und sie nutzen die Gelegenheit, denn das Geld umnebelt ihren Sinn (kaget uang). Zyniker könnten sagen: Zweck einer Position als Politiker in Papua ist die Selbstbereicherung, nicht das Wohl der Bevölkerung. Das gilt natürlich nicht für alle, aber die dominierende Tendenz ist, dass die meisten die Chance, die Otsus bietet, für sich persönlich nutzen.

Watch Indonesia! Etliche der neuen Politiker haben sich früher für Papua eingesetzt.

Pietsau Amafnini: ... oder haben sogar für ein unabhängiges Papua gekämpft. Jetzt sitzen sie im MRP, sind ins System eingebunden und haben blitzschnell ihre Herkunft vergessen. Ein Faktor ist, dass all ihre materiellen Bedürfnisse erfüllt sind. Haus, Auto – alles steht ihnen zur Verfügung. Hatten sie früher im Monat höchstens 100 Euro, so haben sie jetzt tausende. Das heißt, sie müssen sich keine privaten Sorgen mehr machen.

Watch Indonesia! Das gilt für die meisten Papua nicht, dass sie sich keine Sorgen mehr machen müssen. Wie gehen normale Leute konkret mit den Umwälzungen im alltäglichen Leben um, die die Papua zur Zeit erfahren? Welche Beobachtungen habt ihr von Jasoil im Vogelkopfgebiet gemacht?

Pietsau Amafnini: Die größte Ethnie in der Gegend um Manokwari sind die Arfak. Wir unterscheiden fünf Unterethnien, zum Beispiel die Hatam, Moile oder die Mansim, und mehrere Clans. Sie sind ein gutes Beispiel für die kulturellen Umwälzungen der letzten Jahrzehnte.

Die Arfak lebten früher vollständig im Wald, isoliert in den Bergen, nicht in Dörfern. Bis heute leben viele Arfak noch immer im Wald, aber ihre traditionelle Lebensweise ist vielfach zerstört. Bevor die Indonesier in den 60er Jahren kamen, bauten die Arfak Baumhäuser, dabei bildet der Merbau-Baum (intsia bijuga) die Basis des Hauses. Bis heute gibt es noch einige Baumhäuser. Andere Hausformen sind die so genannten „Tausendfüßler“ (kaki seribu), wobei diese Häuser nicht direkt auf dem Boden stehen, sondern auf sehr vielen Pfählen.

Solche Häuser werden den Touristen heute als traditionelle Versammlungshäuser vorgestellt, aber in Wirklichkeit sind die „Tausendfüßler“ normale Wohnhäuser für eine Großfamilie. In diesen Häusern gibt es keine Zimmer, nur eine einfache Unterteilung. In der einen Hälfte wohnen die Männer, in der anderen die Frauen. Dort lebt die ganze Sippe, als Großfamilie oder als große Gemeinschaft. Das System der Kernfamilie ist ihnen unbekannt. Die verschiedenen Sippen können nicht zusammen in einem Haus leben, noch nicht einmal in einem Dorf. Die einzelnen Sippen waren meist verfeindet. Da die Adat-Vorschriften so streng sind, kam es oft zu Übertretungen. Z.B. dürfen die Hatam nicht im Jagdgrund der Moile jagen. Bei Verstößen kam es früher sehr oft zum Krieg.

Watch Indonesia! Das Clansystem kollidierte dann mit den indonesischen Vorstellungen von Dorfverwaltung?

Pietsau Amafnini: So ist es. In der Konfrontation mit der modernen Verwaltung sind die lokalen Arfak quasi gezwungen, sich dem neuen System anzupassen. Sie werden gezwungen, in Dörfern zu wohnen, in Häusern für Kleinfamilien. Das heißt, dass sie in Sozialbauten umziehen müssen, wo sie auf dem Zementfußboden kein Feuer machen dürfen und daher frieren. Sie finden das Leben in den alten Häusern viel angenehmer, außerdem leiden sie, wenn sie allein, ohne den Zusammenhalt mit der Sippe, leben müssen. Das können sie gar nicht. Aber die Regierung übt starken Druck aus, dass die Arfak sich ändern und ihren traditionellen Lebensstil aufgeben.

Watch Indonesia! Das Adat-System mit dem vielen kriegerischen Auseinandersetzungen birgt enormes Konfliktpotential. So könnte der Schritt in einen rechteckigen Sozialbau auch von Vorteil sein?

Pietsau Amafnini: Bis heute, trotz des Jahrzehnte langen Zwangs, das traditionelle Leben aufzugeben, ist der innere Zusammenhalt der Großfamilien oder Sippen nicht gebrochen. Dieser Zusammenhalt ist zwar immer noch Anlass für Konflikte mit anderen Sippen, aber er ist auch ihre Stärke. Und das Adat wurde trotz aller Veränderungen immer hoch gehalten, ja, es erlebt heute eine Renaissance. Positiv und negativ. Immer noch gibt es, genau wie früher, kriegerische Auseinandersetzungen mit Pfeil und Bogen, doch werden sie nicht mehr offen ausgetragen, sondern eher heimlich, still und leise.

Watch Indonesia! In das Vogelkopfgebiet sind viele Transmigranten umgesiedelt worden. Wie klappt das Zusammenleben mit ihnen? Leben die Arfak heute in solchen Transmigrantendörfern und gibt es Konflikte mit den Zugewanderten?

Pietsau Amafnini: Viele werden in Transmigrantensiedlungen umgesiedelt, die im Umkreis der Holzfällerlager und der Plantagen entstehen. Da haben sie enorm viele Schwierigkeiten. Sie können nicht ohne ihre Gemeinschaft leben, sind aber als Kleinfamilie in einem kleinen Haus untergebracht. Sie haben Stress mit den anderen Clans und Ethnien und auch mit den Transmigranten, die auf den Plantagen arbeiten. Mit den anderen Papua, weil frühere ungelöste Konflikte nach Rache schreien. Blutrache. Wenn ich weiß, dass der Vater des Nachbarn meinen Großvater umgebracht hat...

Watch Indonesia! Wie soll das Zusammenleben auf Distriktebene funktionieren, wenn traditionelle Konfliktmuster nicht durchbrochen werden können?

Pietsau Amafnini: Wie schwierig das ist, möchte ich an der so notwendigen Schulbildung zeigen. Da die Entfernungen so groß sind, müssen die Kinder in einen Ort mit Schule ziehen. Neuerdings werden Internatsschulen propagiert, eine Form von Bildungsinstitution, die die Papua sich sogar wünschen. Diese Schulen sind wunderschön und vergleichsweise luxuriös, schöner als das Haus des Bupati. Doch sie sind leer, weil die Schüler verschiedener Sippen nicht unter einem Dach wohnen können, ohne dass sie von ihren Eltern geschützt werden. Wenn sie wissen, dass für eine frühere Bluttat noch keine Schuld abgetragen wurde, haben sie Angst, dass ihr eigenes Kind getötet werden könnte. Also gehen die Eltern mit in die Stadt und verdingen sich höchstens mal als Gartenhelfer. Das alles berücksichtigt die Regierung nicht.

Watch Indonesia! Ethnoromantiker könnten fordern: Lasst die Arfak nach ihrer Fasson im Wald glücklich werden.

Pietsau Amafnini: Wenn es den Wald noch gäbe... Aber als in den 90er Jahren das erste Palmölunternehmen nach Manokwari kam – es war die staatliche Plantagengesellschaft PTPN – begann man den Wald der Arfak abzuholzen. Nur ein kleiner Teil wurde mit Ölpalmen und Kakao bepflanzt, dann wurden Transmigratensiedlungen angelegt, darunter auch für lokale Transmigranten aus Papua. Auch die Arfak mussten dahinziehen, unter Zwang! Als ob die Regierung demonstrieren wollte, dass sie die Papua gleich behandelt. In den letzten fünf, sechs Jahren ist so ungeheuer viel Wald abgeholzt worden, wobei die Holzmafia es gerade auf Merbau abgesehen hat. Und jetzt gibt es nicht mehr genug Wald für die Arfak, um da noch leben zu können. Die noch an dem traditionellen Leben festhalten, weichen in entferntere Gebiete aus. So wird mit dem Verlust des Waldes das Leben für die Arfak immer schlimmer.

Watch Indonesia! Angesichts der geplanten Megaplantagen haben immer weniger Papua die Möglichkeit, ihr traditionelles Leben fortzuführen.

Pietsau Amafnini: Mehr als das. Die Realisierung der ehrgeizigen Expansionspläne für die Produktion von Palmöl, Agrodiesel oder Ethanol aus Zuckerrohr und Sago wäre fatal im Sinne der Papua, hier speziell der Arfak. Sie werden keine Industriearbeiter oder Pflücker im Akkord, und auf die Schnelle werden sie auch keine Bauern. Stattdessen mutieren sie zurzeit zu Landherren. Wenn sie früher, vor der Einführung der Sonderautonomie, in solchen Konfliktsituationen nicht zurecht kamen, wählten sie den Weg zurück in den Wald.

Jetzt aber kommen ungezählte ungeklärte Landrechtskonflikte auf uns zu. Denn bei aller Vielfalt der in Papua bekannten Formen der Bindung an Land ist eines überall gleich: die Bindung ist überaus stark, und die Papua sehen das Land als ihre Mutter an. Auf der Ebene der Realität des täglichen Lebens manifestiert sich dies als strenger Territorialanspruch. Jede Übertretung ist eine Verletzung des Adat, welche traditionell auch blutige Reaktionen auf sich ziehen kann. Inwieweit aber werden überlieferte Landrechte anerkannt? Die Arfak beginnen zu begreifen, dass sie Landrechte haben, die ihnen ja mit Otsus auch zustehen. Sie fliehen also nicht mehr vor der Moderne in den Wald, sondern fordern ihr Land zurück. Oder sie fordern eine Entschädigung für das ihnen genommene Land. Können aber Landrechte oder wenigstens Nutzungsrechte überhaupt veräußert werden, und wenn ja, wie und mit welchen Folgen?

Watch Indonesia! Einige Papua haben damit Erfolg gehabt, z.B. die Amungme und Kamoro, die ihre Rechte von Freeport eingefordert haben.

Pietsau Amafnini: Von dem Kampf der Amungme und Kamoro haben die Arfak gelernt. Die Amungme haben 1% der Profite Freeports für community development bekommen. Oder in der Bintunibucht, wo BP das Land von den Papua aus Bintuni kaufen mussten. Allerdings ist die Bezahlung ein Witz. Die Bintuni bekamen für einen Quadratmeter 15 Rupiah!!
Watch Indonesia! Also etwa 10 Euro für einen Hektar, bzw. 1.000 Euro für einen Quadratkilometer.
Pietsau Amafnini: Das ist ein Klacks, aber eine einfache Art, an Geld zu kommen, ohne an die Zukunft zu denken. Das geht so weit, dass in ganz Papua für bereits bebautes Land Entschädigung verlangt wird. Sogar für Land, auf dem offizielle Gebäude stehen, Schulen, Regierungsgebäude oder schon vor Jahrzehnten gebaute Kirchen. Jetzt fordern sie im Nachhinein Geld von den Institutionen, die Gebäude auf Papualand gebaut haben. Nur beim Militär machen sie eine Ausnahme, vor dem Militär haben sie Angst. Auch in Manokwari fordern die Arfak seit 2002 ihre Landrechte.

Die Regierung erkennt, wie wichtig den Papua die Bindung an ihr Land und – zynisch könnte man sagen: fast noch wichtiger – ein bisschen Geld in der Hand ist. Sie hat bereits riesige Gebiete für neue Ölpalmplantagen vergeben, auch in Manokwari, und sie drängt die Unternehmen, den lokalen Eigentümern eine Entschädigung für das traditionelle Land zu bezahlen. Das entspricht keinem Kauf mit Grundbucheintragung oder einem formellen Nutzungsrecht, sondern ist nur eine Art Brautgeld (mas kawin). Man glaubt, das damit alles erledigt sei und die Papua beschwichtigt seien. Und die lassen sich allzu leicht darauf ein, müssen dann aber zuschauen, dass ihr Land nicht bloß von anderen „genutzt“ wird, sondern sie selbst es nie mehr nutzen können.

Watch Indonesia! Welche Chance siehst du, den Papua das Schicksal der Aborigenes in Australien oder der nordamerikanischen Indianer zu ersparen? Die Rechte der Indigenen mittels internationaler Institutionen durchzusetzen dauert Zeit. Könnte das Adat ein Mittel der Verteidigung der Indigenenrechte sein?

Pietsau Amafnini: Adat ist eine Grundlage, aber kein Instrument! Es ist die Basis für die Verteidigung von Werten wie Naturschutz, Frieden, Gerechtigkeit! Genau das wird im Adat geregelt. Zum Beispiel ist für die Arfak in Manokwari ihr Adat die Grundlage, ihre Umwelt zu erhalten, in Frieden miteinander auszukommen und für Gerechtigkeit zu kämpfen. Dazu gehört Demokratie und wie sie sich gegen das globale Wachstum richten können, das die Finger nach ihrem Land ausstreckt. Vielleicht betrachten Industrie und globale Wirtschaft das Adat als Hindernis oder bestenfalls als Herausforderung. Aber sie sollten die vom Adat vertretenen Werte anerkennen.

Es geht darum, wie die vom Adat vertretenen Werte im Kontext der universal gültigen Menschenrechte betrachtet werden und umgekehrt, wie die Indigenen im Rahmen ihres Adat in den Genuss dieser universellen Werte kommen, die ja deckungsgleich mit ihren eigenen sind. Wenn wir alle Menschen mit Gewalt in das moderne Zeitalter stoßen, mitsamt seinen Vorstellungen von Entwicklung und Wirtschaftswachstum, aber auf der anderen Seite die traditionell verankerten Werte und Ideen zerstören, dann kommt das der Ermordung mancher Gemeinschaften gleich. Jede Art von Modernisierung oder Entwicklung muss die Indigenen und ihre Kultur berücksichtigen, damit diese Leute sich ganz langsam selbst drauf einstellen können. Das darf niemals mit Zwang und übereilt geschehen, so wie es zum Beispiel mit der Ansiedlung der Transmigranten geschah. Damit war die Vorstellung verbunden, die Arfak würden ihr traditionelles System aufgeben. Das ist aber nicht geschehen, im Gegenteil.

Deswegen habe ich gesagt: „Palmölmonokulturen zerstören unser Leben!“ Denn es ist abzusehen, dass das Transmigrasi-Programm nur ein Vorgeschmack war zu den Veränderungen, die jetzt auf uns zukommen. Jetzt kommt es darauf an, ob das Adat nur als formelles System bestehen bleibt, inklusive seiner negativen Aspekte, oder ob es tragfähig ist. Es kommt darauf an, den inneren Gehalt des Adat mit Leben zu erfüllen. <>
 
 

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