Indonesien-Information Nr. 3 2002 (Menschenrechte)

 

Ad-hoc-Prozess sollte Schutz von Rechten gewährleisten

von Munir *


Die erste Runde des Ad-hoc-Menschenrechtstribunals zu Osttimor erreichte ihren Tiefpunkt, als nahezu alle Angeklagten von den Verbrechen gegen die Menschlichkeit freigesprochen wurden. Die Urteile, die vom ersten Menschenrechtsgericht, das in der Geschichte dieser Republik abgehalten wurde, gesprochen wurde, birgt eine Gefahr, die wir möglicherweise nicht ernst genug genommen haben. Die Urteile liefern eine Rechtfertigung für die Auffassung, dass staatliche Gewalt gegen Zivilpersonen zu entschuldigen, wenn nicht sogar gänzlich legal ist. Eine Anzahl weiterer Fälle werden noch verhandelt. Werden die Urteile im Großen und Ganzen die Gleichen sein: Freispruch?

Am Tag, an dem das Urteil über die Militär- und Polizeifunktionäre verkündet wurde, ist einem wirklich oberflächlichen Nationalismus Ausdruck verliehen worden: Zum Wohle der Staatsgewalt und der Wahrung der territorialen Integrität des Staates und auf Kosten von menschlicher Sicherheit. Das Urteil erklärte das Bemühen schwere Menschenrechtsverletzungen zu verhindern und zu bestrafen, wie sie in staatlichen Operationen unter unterschiedlichsten Vorwänden begangen wurden, als irrelevant.

Dieses Gerichtsurteil hat zu der ernsthaften Gefahr geführt, dass Taten von Mitgliedern des Staatsapparates im Namen der „Verteidigung der nationalen Integrität und Einheit Indonesiens, der Stabilität und Autorität des Staatsapparates“ gebilligt werden. Eine solche Billigung stellt eine Rechtfertigung oder einen Freibrief für Mitglieder des Staatsapparates dar, Aktionen jeglicher Art durchzuführen, einschließlich solcher, die die Sicherheit einer Person und ihr Recht auf Leben ignorieren.

Mehr denn je wird Menschenrechtsverteidigern in Indonesien vorgeworfen, unpatriotisch oder antinationalistisch zu sein, was ihnen eine schwierige mit vielen Missverständnissen beladene Beziehung mit der Gesellschaft beschert.

Von vielleicht herausragendster Bedeutung an den Prozessen war die juristische Institutionalisierung militärischer Straffreiheit. Dies hängt mit drei miteinander verbundenen Faktoren zusammen. Zunächst war das Mandat der Gerichtsbarkeit auf eine Zahl von bestimmten Fällen beschränkt, die so ausgesucht waren, dass sie bezugslos erschienen. Zweitens waren die Anklagen nicht stichhaltig aufgebaut: Die Anklage führte als einziges „Verbrechen“, dessen sich das indonesische Militär (TNI) und die nationale Polizei schuldig gemacht habe, auf, sie hätten „versäumt“ gewalttätige Zusammenstöße in einem „Bürgerkrieg“ zu verhindern. Drittens ist mit den Urteilen, in denen die Angeklagten in allen Punkten freigesprochen werden, die Möglichkeit genommen, sie wegen ähnlichen Verbrechen, nämlich Verbrechen gegen die Menschlichkeit, anzuklagen, selbst wenn in der Zukunft ein klareres Bild der „Operation verbrannte Erde“ im Osttimor nach dem Referendum gefunden werden kann.

Dieses Ergebnis lässt uns um die Zukunft unseres Rechtswesens, der Menschlichkeit und unserer Integrität gegenüber Wahrheit und Gerechtigkeit bangen. Die Dinge werden ungleich komplizierter, wenn wir das Rechtswesen als bloßes politisches Instrument betrachten.

Internationaler Druck zur Ahndung von schweren Verbrechen hat zu einem Widerstand geführt, dessen Ergebnis die Existenz eines Gerichtshofes mit allen seinen inneren Widersprüchen ist. Diese Widersprüchlichkeiten sind außergewöhnlich: Ein spezielles Gericht, das ursprünglich eingesetzt wurde, um die Menschenrechte der Bürger gegenüber der Staatsmacht zu wahren, wurde stattdessen zu einem treuen Verteidiger der absoluten Macht des Staates. Gerichtssäle wurden zunehmend nutzlos in dem Bemühen, Menschlichkeit als Rückgrat des Gedankens, Fakten zu enthüllen, einzusetzen.

Es wäre in der Tat übertrieben anzunehmen, dass kurzfristige Notwendigkeiten zu einem Zustand dauerhafter Antipathie gegenüber dem Schutz der Menschenrechte in der Zukunft führen werden, besonders, wenn schwere Verbrechen gegen die Menschlichkeit wie normale Verbrechen behandelt werden.

Verbrechen gegen die Menschlichkeit sind außergewöhnliche Verbrechen, weil sie die Rolle des Staates und seines Apparates als Täter erfordern, wie es ihre drei Elemente voraussetzen: Die Verbrechen sind ausgedehnt und/oder systematisch und richten sich gegen die Zivilbevölkerung.

Weil Verbrechen gegen die Menschlichkeit sich von normalen Verbrechen unterscheiden, kann ein Angeklagter, wenn er von einem normalen Strafgericht freigesprochen wurde, immer noch vor ein Menschenrechtsgericht gebracht werden. Damit wird das Prinzip ne bis in idem außer Kraft gesetzt, das Verbot, jemanden in einem Fall anzuklagen, in dem bereits ein Prozess in der gleichen Anklage abgehalten wurde.

Darüber hinaus wollten die Richter in den zurückliegenden Fällen wegen Osttimor weder die  Notwendigkeit erkennen noch diese in die Tat umsetzen, den Nachweis über „staatliche kriminelle Verantwortung“ zu führen – die Verpflichtung eines Staates, Taten zu bestrafen, die nach den Normen des internationalen Rechts als Verbrechen eingestuft werden. Sie missachteten ebenfalls die Notwendigkeit, die individuelle Verantwortlichkeit festzustellen – die Verpflichtung eines Staatsapparates, Individuen für Taten zur Verantwortung zu ziehen,  die nach internationalem Recht als Verbrechen eingestuft werden.

Diese Realität konterkariert die allgemeine Wahrnehmung, dass dieses spezielle Gericht einen großartigen Fortschritt gemacht hat, indem es in seinen Erwägungen Bezug auf internationale Menschenrechtgesetze genommen hat.

Die Richter übergingen auch das Prinzip des Verbrechens durch Unterlassung, indem sie die Verbrechen nur als ein Ergebnis von „Versäumnissen“ der Angeklagten sahen. Verbrechen durch Unterlassung sind solche, die absichtlich unter Anweisung begangen werden, oder durch eine Politik, welche die Ausführung verschiedener Verbrechen zulässt. Eine solche  Politik ist im geringsten Falle das vorsätzliche Nichtverhindern von Gewalt, von der Menschen in Leib und Seele bedroht sind, entweder aufgrund psychologischer Faktoren in der Beziehung von gleichgesinnten Pro-Integrations-Verteidigern oder aufgrund der Aufgebrachtheit einer Partei, die verursacht wurde durch die unredliche Verbreitung von Unwahrheiten über eine angebliche internationale Verschwörung gegen Indonesien.

Beleidigt eine solche juristische Praxis nicht das Maß der Seriosität dieses Gerichtes im Umgang mit schweren Verbrechen? Wenn dieses Ad-hoc-Menschenrechtstribunal nicht zum Äußersten ausgenutzt wird, kommt dies nicht einer Ablehnung allen bisherigen Einsatzes für eine Rechtsreform gleich?

Es könnten noch viele weitere Fragen gestellt werden, die alle wichtig sind, um effektive und verantwortliche Rechtsmittel im Fall schwerer Menschenrechtsverletzungen zu schaffen, insbesondere im Kampf gegen militärische Straflosigkeit.
Die oben genannten Faktoren bezüglich des Rechtswesens sind für einige Kreise in der indonesischen Gesellschaft zu einem wesentlichen Punkt geworden, auf einen internationalen Mechanismus hinsichtlich dieser Verbrechen zu drängen. Eine beträchtliche Zahl ähnlicher schwerer Verbrechen müssen noch vor dem Menschenrechtstribunal verhandelt werden, was zu einer größeren Notwendigkeit führt, das Verhalten der Rechtsprechung zu kontrollieren.

Dies liegt eindeutig nicht nur in der Verantwortung des indonesischen Volkes, sondern auch der internationalen Gemeinschaft. Verbrechen gegen die Menschlichkeit können nicht ungeahndet bleiben, weil von engstirnigen politischen Interessen überschattet sind. <>
 

* Munir ist Direktor von Indonesian Human Rights Watch (IMPARSIAL), Jakarta. Der Beitrag erschien in der Jakarta Post vom 17. September 2002. Übersetzung aus dem Englischen von Nikola Hüging
 
 

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