Indonesien-Information Nr. 2/1999 (Ost-Timor)

übersetzt aus Publico, 4. Mai 1999

"Menschen sterben an Hunger"

Nach Angaben des US-amerikanischen Arztes Daniel Murphy, der während der letzten sechs Monate in Ost-Timor gearbeitet hat, sterben Menschen dort nicht nur an einer Tuberkulose-Epidemie, sondern auch an Hunger. Murphy sagt, er habe nie zuvor so viele Menschen mit Schußverletzungen behandeln müssen und beharrt auf seiner Überzeugung, in Liquiça existiere ein Konzentrationslager. Seiner Ansicht nach ist das indonesische Militär die Wurzel dieses Übels und hauptverantwortlich für die Gewalt.

Daniel Murphy wurde vor 51 Jahren in Iowa in einer Farmerfamilie geboren und wurde schon "in sehr jungen Jahren" Arzt. Er begann seine Laufbahn als freiwilliger Helfer umherreisend, und seine Arbeit gefiel ihm. Dr. "Dan" oder "Mufi", wie seine Patienten ihn nennen, ist seit 6 Monaten in Ost-Timor und behandelt jene, die medizinische Hilfe in der "Motael Poliklinik" suchen. In diesem Interview mit der portugiesischen Zeitung Publico zeichnet Daniel Murphy ein düsteres Bild von der Situation in Ost-Timor und macht das indonesische Militär ABRI für alle Probleme verantwortlich.

Publico (P): Was sind die hauptsächlichen medizinischen Probleme, mit denen Sie in Ost-Timor zu tun haben?

Daniel Murphy (DM): Während der letzten drei oder vier Wochen waren es hauptsächlich Verletzungen durch Schüsse, Macheten, Pfeile und Stöcke. Seit geraumer Zeit gibt es jedoch viele Fälle von Tuberkulose. Ich würde sogar so weit gehen zu sagen, daß es hier eine sich ausbreitende Tuberkulose-Epidemie gibt. Es gibt auch viele Fälle von Malaria, wie die endemische Malaria, die tödlich ausgehen kann, sowie viele Probleme mit Durchfall und Unterernährung.

P: Es gibt eine Tuberkulose-Epidemie in Ost-Timor?

DM: Ja, ich bin sicher, daß es die gibt. Vor etwa zwei Wochen hatten die ersten fünf Patienten, die ich in meiner Sprechstunde hatte, fortgeschrittene aktive Tuberkulose (Tbc). Ich sehe Patienten mit Lungen-Tbc, andere mit Tbc in Knochen, Hirnhaut oder Nieren... Wenn ein Patient zu mir kommt, muß ich immer für Tbc sensibilisiert sein. Viele Menschen sterben an Tbc. Ich habe überall auf der Welt gearbeitet, aber nirgends habe ich eine so hohe Häufigkeit an Tbc-Fällen gesehen, wie ich sie hier antreffe. Unterernährung ist auch weitverbreitet und verursacht sehr ernste Probleme. Meine Unterlagen zeigen, daß 44 von 100 Kindern, die zu mir kommen, an fortgeschrittener Unterernährung leiden.

P: Sterben Menschen an Hunger?

DM: Ja, und einige von ihnen sind Kinder. [...] Es gibt Menschen hier, die einfach nichts zu essen haben. Ich habe keinen Zweifel, daß hier Menschen an Hunger sterben.

P: Wie viele Patienten mit Schußwunden und Verletzungen durch Macheten haben sie in den letzten Wochen behandelt?

DM: Wahrscheinlich mehr als 50. Als ich hier ankam, waren diese Fälle noch selten. Aber jetzt wird alle paar Tage jemand mit einer Schußwunde oder einer Verletzung durch Macheten zu mir gebracht.

P: Haben Sie Schwierigkeiten mit Arzneimitteln?

DM: Kürzlich haben wir Arzneimittel aus dem Ausland bekommen. Das Problem ist jedoch, daß zur Eindämmung einer Tuberkulose-Epidemie ein Plan für die gesamte Bevölkerung vorhanden sein muß. Und es gibt einfach nicht genug Medikamente dafür hier. Abgesehen davon wäre es unmöglich, einen solchen Gesundheitsplan in einem Land umzusetzen, wo es keine Sicherheit gibt, wo Menschen einfach nicht sicher von einem Platz zu einem anderen gelangen können.

P: Wieviele Ärzte gibt es in Ost-Timor?

DM: Ich glaube, es gibt etwa 15 timoresische Ärzte und etwa 20 indonesische. Immer mehr indonesische Ärzte verlassen jedoch Ost-Timor.

P: Sind die Ärzte hauptsächlich in Dili?

DM: Ja, die meisten sind in Dili, der Rest ist über das Gebiet verstreut. Manchmal passieren die verrücktesten und unglücklichsten Dinge. In Oekussi waren zwei javanische Ärzte und ein timoresischer Arzt. Vor zwei Wochen sind die zwei Javaner mit dem gesamten Geld des Krankenhauses abgehauen. Der timoresische Arzt blieb allein zurück. Dann wurde er von Paramilitärs angegriffen und mußte sich verstecken. Das ist schierer Wahnsinn.

P: Ist es ausländischen Ärzten noch immer verboten, in Ost-Timor zu arbeiten?

DM: Ja. Viele medizinische Teams - aus Australien, den USA, Europa - sind bereit und warten darauf, hierher zu kommen und zu arbeiten. Aber Indonesien läßt sie nicht rein.

P: Es gibt aber einige französische Ärzte hier.

DM: Ja, aber sie sind nur im Urlaub hier. Sie sind Touristen. (Er lächelt) P: Sind Sie außerhalb von Dili gereist?

DM: Früher ja. Aber jetzt ist mir das nicht mehr möglich, denn die Paramilitärs haben Straßensperren aufgestellt. Die indonesische Armee ABRI bereitet sich darauf vor, das gesamte Gebiet zu "säubern", und sie wollen keine "Zeugen" für ihre Operationen.

P: Woher bekommen Sie ihre Informationen?

DM: Von den Patienten, von allen. Die Menschen hier können nicht reden, aber ich kann. Zum Beispiel gerade jetzt in Liquiça, wo vor kurzem unzählige Menschen abgeschlachtet worden sind, existiert ein Konzentrationslager. Vor drei Tagen hat ABRI Menschen aus all den Dörfern gefangen genommen und sie in das Lager in Liquiça gebracht. Alle Häuser in den Dörfern wurden abgebrannt. In dem Gebiet um Liquiça wurde alles bis auf den Grund abgebrannt. Jetzt sind 20.000 Menschen in Liquiça, viele von ihnen kleine Kinder, ohne Nahrung, sie müssen auf dem Boden schlafen. Jeden Morgen werden sie von ABRI-Soldaten geweckt und gezwungen, sich aufzustellen und die indonesische Nationalhymne zu singen. Die Soldaten schlagen die Menschen, tun ihnen alles mögliche an. Es ist ein Konzentrationslager.

P: Hat das Militär nicht all dies abgestritten?

DM: Alles Lügen. Sie kontrollieren alles, und natürlich sagen sie, daß keine Notwendigkeit für Friedenstruppen in Ost-Timor besteht, da sie schon 20.000 Mann dort haben, um für Frieden zu sorgen. Nein, sie sind diejenigen, die dafür verantwortlich sind.

P: Vor zwei Tagen wurde nachts die Motael Klinik bedroht. Passiert dies oft?

DM: Ja. Alle paar Tage rufen sie an und sagen, sie seien dabei, den Job, den sie angefangen haben, zu Ende zu führen. Ich weiß nicht, wer sie sind, ABRI, Paramilitärs oder wer.

Man sollte den Indonesiern Geld anbieten

P: Warum sind Sie nach Dili gekommen?

DM: Ich habe als Arzt im Freiwilligendienst in vielen Ländern gearbeitet. Kürzlich habe ich in Mozambique gearbeitet. Als sich die Lage dort zu verbessern begann, entschied ich mich, nach Ost-Timor zu kommen, weil man mir erzählt hatte, es gäbe große Probleme hier. Ich war nie ein Unterstützer dieser Invasion, und ich tue was ich kann, um sie zu einem Ende zu bringen. Ich schreibe Briefe an meinen Präsidenten und an andere Verantwortliche.

P: Haben Sie je eine Antwort von Bill Clinton erhalten?

DM: Ja, ich erhielt eine dieser Standardantworten, die er allen schickt, die ihm schreiben. Nichts besonderes. Seit kurzem haben die USA jedoch einige wichtige Schritte in Richtung einer Lösung der Angelegenheit unternommen, aber das Militär tötet noch immer Menschen in Ost-Timor. Reden allein ist einfach nicht genug - es muß mehr getan werden.

P: Was muß getan werden?

DM: Eine internationale Militärtruppe sollte hierher gesandt werden. Oder man sollte den Indonesiern eine Auslösesumme zahlen, da sie Geld sehr schätzen.

P: Denken Sie, die Bedingungen hier sind geeignet für eine ernstzunehmende Volksbefragung?

DM: Im Augenblick kommt dies überhaupt nicht in Frage. Die Menschen, die in Liquiça eingeschüchtert werden, haben nichts zu essen. Sie werden alle tot sein, wenn die Zeit der Wahlen kommt. Das ist ein Konzentrationslager, und am 8. August werden dort keine Menschen mehr sein, die wählen können. Im Augenblick sind alle Menschen timoresischer Herkunft in Gefahr, in Ost-Timor ermordet zu werden.

P: Ihr Touristenvisum ist seit langem abgelaufen. Warum sind Sie in Ost-Timor geblieben? Warum riskieren Sie Ihr Leben hier?

DM: Ich wollte dieses Land seine Unabhängigkeit erlangen sehen und denke, daß ich dabei irgendwie geholfen habe. Was die Risiken betrifft, bin ich nicht sehr besorgt. Ich bin schon alt. Wenn ich hier nicht sterbe, dann in New York, in Lissabon oder irgendwo sonst.

Dr. "Willy" im Urlaub

Jeden Montag kommen Dutzende Patienten ins Motael Krankenhaus, um sich von Dr. "Dan" behandeln zu lassen. Während der letzten zwei Wochen hat er unschätzbare Hilfe gehabt: einen Chirurgen und einen Anästhesisten, beide Franzosen, im Urlaub in Ost-Timor, haben getan, was sie konnten, um den vielen Menschen zu helfen, die eine Operation benötigten. Dr. "Willy", wie der französische Chirurg gern genannt wird, ist der einzige Chirurg in Ost-Timor. Wenn er nach Hause zurückkehren muß, wird einer seiner Kollegen im Urlaub seine Stelle am Operationstisch in der Motael-Klinik übernehmen.

Die einzige Möglichkeit für "Willy" ein Visum zu bekommen, war zu sagen, daß er seine Ferien in Ost-Timor verbringen wollte. Hätte er um die Genehmigung einer Reise nach Ost-Timor nachgesucht, um dort humanitäre Hilfe zu leisten, wäre sein Visumantrag sicher abgelehnt worden. "Menschen können in ihren Ferien doch tun, was immer sie wollen. Ich mag operieren. So bin ich hier, um genau das zu tun, was ich in meiner Zeit tun will," sagt Dr. "Willy" und lächelt, während er eine Schwester anweist, den nächsten Patienten für die Operation vorzubereiten.

Der französische Arzt beschwert sich über die mangelnde Ausrüstung, die ihm bei diesem Theaterspiel zur Verfügung steht, obwohl amnesty international einige Grundbedarfsmittel gesandt hat, als sie hörten, er würde seinen Urlaub in Dili verbringen. "Dies beginnt nun besser zu funktionieren, obwohl mein Urlaub fast zu Ende ist. Aber wenn ich gehe, wird ein anderer Chirurg hier seinen Urlaub verbringen. Im Augenblick bin ich der einzige Chirurg in Ost-Timor, und das ist sehr ernst", sagt er.

"Willy" ist nicht bereit, mehr zu sagen. Nicht nur möchte er seine eigenen restlichen Urlaubstage genießen, er will auch vermeiden, die Pläne anderer Ärzte, Dili zu besuchen, zunichte zu machen. Dr. "Willy" möchte niemandes Urlaubspläne verderben. <>

 
 
Zurück zur Hauptseite Watch Indonesia! e.V. Back to Mainpage