Indonesien-Information Nr. 2 1996 (West-Papua/Irian Jaya)

 

„Wir hatten ein Verhältnis zueinander“


Von Januar bis Mai hielt die Befreiungsbewegung OPM mit der Geiselnahme von indonesischen und europäischen Wissenschaftlern die Welt in Atem. Trotz ihres anfänglichen Erfolgs, das Interesse der Weltöffentlichkeit an der Lage in West-Papua (Irian Jaya) wecken zu können, wurde die Entführungsaktion für die OPM zu einem politischen und militärischen Fiasko. Dennoch halten die Buschkämpfer an ihrer Strategie fest, durch Entführungen auf sich aufmerksam zu machen - Taten der Verzweiflung.

Am 16. Mai setzte das indonesische Militär dem monatelangen Geiseldrama (s. Indonesien-Information 1/96) in West-Papua (Irian Jaya) ein Ende. Die indonesische Presse feierte den Erfolg des Militärs, das durch ein Sonderkommando neun der zuletzt verbliebenen Geiseln befreien konnte. Dabei gab es eigentlich keinen Grund zur Freude, denn zwei der Geiseln, die Indonesier Navy Panekenan und Yosias Lasamahu, kamen bei der Befreiungsaktion ums Leben. Wenige Minuten bevor ihnen indonesische Soldaten zu Hilfe eilen konnten, wurden sie offenbar von Mitgliedern der OPM niedergestochen und erlagen ihren schweren Verletzungen. Navy Panekenan war der Verlobte von Adinda Saraswati, einer der befreiten Geiseln, die mitansehen mußte, wie er verblutete /Voice of America, 16.5.96 u. tapol, 17.5.96/. Unbestätigten Berichten zufolge wurden bei dem Einsatz acht Kämpfer der OPM getötet und zwei gefangengenommen.

Die elf WissenschaftlerInnen, darunter vier Briten und zwei NiederländerInnen, waren die letzten der seit Januar 1996 in der Gewalt der OPM befindlichen Geiseln. Die übrigen der ursprünglich 26 Geiseln waren bereits freigelassen worden. Am 9. Mai war der letzte Versuch einer friedlichen Übergabe der Geiseln unter Vermittlung des Internationalen Kommittees vom Roten Kreuz (ICRC) gescheitert. Entnervt von der Unberechenbarkeit des verantwortlichen OPM-Kommandeurs Kelly Kwalik brach das ICRC seine Vermittlungsversuche ab. Noch am Tag zuvor wurde mit großem Aufwand ein traditionelles Schweinefest veranstaltet, das die Freilassung der Geiseln besiegeln sollte. Das ICRC hatte die zu diesem Anlaß zu opfernden Schweine besorgt und organisierte die Anreise von Papua-Stammesführern aus den benachbarten Regionen. Daniel Kogoya, der die meiste Zeit das Kommando der Geiselnehmer angeführt hatte, hielt eine Rede, in der er betonte, die Geiseln seien ab sofort freie Leute. Doch nach ihm bestieg Kelly Kwalik das 4 m hohe Podium aus Bambus und hielt ebenfalls eine Rede, in der er sich langatmig über seine politischen Forderungen ausließ. Zur Überraschung aller endete seine Rede endete damit, daß er erklärte, die Geiseln blieben weiterhin in seiner Gewalt.

Nach Ansicht des ICRC-Vermittlers Henry Fourier waren auch die Stammesführer entsetzt über Kelly Kwaliks Erklärung, da nach ihrem Brauch mit dem Schlachten der Schweine quasi ein Vertrag zur Freilassung der Geiseln besiegelt war. Selbst Daniel Kogoya forderte eine Erklärung Kwaliks. Am folgenden Tag landete vergeblich ein Hubschrauber des Roten Kreuzes, um die Geiseln abzuholen. Stattdessen forderte Kwalik erneut von den Regierungen Großbritanniens, der Niederlande und Indonesiens die Anerkennung eines unabhängigen Staates West-Papua. /Henry Fournier in Tempo Interaktif, 22.5.96/.

Schuld am Scheitern der Vermittlungen waren möglicherweise die unklaren Kommandostrukturen der OPM. Anscheinend hatten die Kämpfer vom Volk der Nduga, darunter Pak Silas und Daniel Kogoya, der Freilassung der Geiseln zugestimmt. Die letzten entscheidenden Verhandlungen waren nur mit ihnen geführt worden, da Kelly Kwalik, der dem Volk der Amungme angehört, nicht zur Stelle war. Es ist möglich, daß Pak Silas die Zusage zur Freilassung gegeben hat, ohne das ausdrückliche Einverständnis des ihm in der Kommandohierarchie der OPM vorgesetzten Kelly Kwalik eingeholt zu haben.

Anlaß zu Spekulationen gab eine Gruppe von etwa 10 Leuten, die sich nach dem Schweinefest zum Trupp der Geiselnehmer gesellte. Nie zuvor in den 5 Monaten ihrer Gefangenschaft hatten die Geiseln diese Personen gesehen. Es wurden Vermutungen laut, daß diese Leute Vertraute von Kelly Kwalik waren, aber auch, daß es sich um Leute handelte, die von Indonesiens Militär eingeschleust wurden, mit dem Ziel die OPM zu diskreditieren. Als sicher gilt, daß die späteren Mörder von Navy und Yosias aus dieser Gruppe stammten /tapol, 18.5.96/.

Alles andere schien auch undenkbar. Denn zwischen der Gruppe von Pak Silas, die über Monate hinweg die Geiseln bewacht hatte, und den Geiseln selbst hatte sich längst das vergleichsweise gute Verhältnis einer Schicksalsgemeinschaft eingestellt. Der Projektmitarbeiter des WWF, Mark van der Waal, erzählte gegenüber dem australischen Sydney Morning Herald: „Wir hatten begonnen, ein Verhältnis zueinander zu haben ... Einerseits hatten wir Mitleid mit ihnen, weil wir merkten, daß diese Leute über keinerlei Erfahrung mit der Außenwelt verfügten. Sie haben riesige Probleme und wissen nicht, was sie dagegen tun können. Andererseits war uns klar, daß die Welt niemals eine Entführung akzeptieren würde, um im Gegenzug politische Forderungen zu erfüllen“ /SMH, 10.7.96/.

Nach dem endgültigen Scheitern der vom Roten Kreuz betriebenen Verhandlungen, begannen die Vorbereitungen zu einer militärischen Lösung durch die indonesische Elitetruppe KOPASSUS auf Hochtouren zu laufen. Obgleich Indonesien aus politischen Gründen ansonsten keinerlei Beziehungen zu Israel unterhält, hatte sich das Militär zu der Befreiungsaktion ausgerechnet eines High-Tech-Produktes der israelischen Rüstungsindustrie bedient. Mittels einer Drohne, einem mit Infrarot-Detektoren ausgerüsteten unbemannten Flugkörper, war es KOPASSUS gelungen, das Dschungelversteck der Geiselnehmer ausfindig zu machen.

Der etwa 20 Mann starke Trupp unter Führung von Pak Silas bemerkte den nahen Einsatz des Militärs und versuchte, zusammen mit den Geiseln zu entkommen. Ein äußerst beschwerlicher Marsch führte die Gruppe einen Abhang hinab zu einem Fluß, von wo aus ein Vorauskommando plötzlich den Befehl zur Umkehr gab, da sich von unten indonesische Soldaten näherten. Geschwächt von den Strapazen, von Krankheit und Unterernährung - die Holländerin Martha Klein war hochschwanger - weigerten sich die Geiseln, wieder bergauf zu steigen. Während sie noch diskutierten und sich am Fluß bereits die ersten indonesischen Soldaten zeigten, wurden weiter bergauf die beiden indonesischen Geiseln erstochen. Alle anderen fanden Zuflucht bei den anrückenden Soldaten. /Kompas, 18.5.96/

Es scheint verständlich, daß sich das Militär nach fünf Monaten des Hinhaltens schließlich dazu entschied, eine gewaltsame Befreiungsaktion zu starten. General Prabowo Subianto, Einsatzleiter der KOPASSUS-Spezialtruppen und Schwiegersohn von Präsident Suharto, wurde wegen des Erfolges der Aktion umgehend befördert. Doch für die überschwengliche Begeisterung, mit der die Befreiung der neun Geiseln in Indonesien gefeiert wurde, besteht kein Anlaß. Zwei Menschen sind tot. Watch Indonesia! und andere Organisationen haben wiederholt vor einem Militäreingriff gewarnt, um dies zu vermeiden - vergeblich. Vielleicht hätten Navy und Yosias gerettet werden können, wenn die Verhandlungen trotz aller Enttäuschungen fortgesetzt worden wären. Immerhin war durch Verhandlungen bereits die Freilassung von 15 Geiseln erreicht worden - sechs mehr als durch das letztendliche Eingreifen des Militärs.

Eine ganze Reihe weiterer Todesopfer, die direkt oder indirekt in Zusammenhang mit der Entführung stehen, wurde in der angeblich so glorreichen Bilanz des Militärs unterschlagen: die Besatzung eines Militärhubschraubers kam bei der Suche nach den Entführern angeblich durch einen Absturz ums Leben. Wahrscheinlicher ist, daß der Hubschrauber von der OPM abgeschossen wurde. Zwei andere Soldaten waren im Hochland von West-Papua ermordet aufgefunden worden. Einer ihrer Kameraden, der an der Bergung der Leichen beteiligt war, hatte die damit verbundene psychische Belastung offenbar nicht verkraftet und lief kurz darauf wild um sich schießend Amok - mehrere Soldaten starben. Auch auf Seite der Zivilbevölkerung gab es Opfer. Am 9. Mai, nur wenige Stunden nach der gescheiterten übergabe der Geiseln wurden die Bewohner des Dorfes Geselama von Hubschraubern aus beschossen /tapol, 28.5.96/. Die genauen Umstände all dieser Fälle und die Zahl der Todesopfer ist unklar. Sicher ist nur, daß das Eingreifen des Militärs zu jedem Zeitpunkt zur weiteren Eskalation des Dramas geführt hat.

Die Kämpfer der OPM müssen sich fragen lassen, womit die Entführung und Ermordung unschuldiger Opfer zu rechtfertigen ist. Die Entführung war ein Akt der Verzweiflung ob des aussichtslosen Kampfes gegen die ungerechte Ausbeutung ihrer Heimat durch die indonesische Herrschaft. Und gerade diese Verzweiflung war es, die anfangs dazu führte, daß die OPM-Kämpfer auf ein gewisses Verständnis gestoßen waren, obwohl niemand deswegen ihre Mittel rechtfertigen wollte. Wohl nie zuvor wurde in der Weltpresse soviel über die Probleme West-Papuas (Irian Jayas) berichtet, wie in den Wochen nach der Geiselnahme. Doch die Verzögerungstaktik Kelly Kwaliks und der dadurch bedingte blutige Ausgang des Dramas haben alle Sympathien wieder zunichte gemacht.

Keine der beteiligten Parteien hat aus dem Schaden gelernt. Kurz vor dem Unabhängigkeitstag Indonesiens am 17. August entführte ein Kommando der OPM wieder 16 Leute. Zwei der Geiseln konnten fliehen, zwei weitere wurden freigelassen, um einen Brief an die Behörden zu übergeben. Die internationale Presse interessierte sich kaum für diesen Fall, denn die Geiseln waren ausnahmslos IndonesierInnen - MitarbeiterInnen des Holzunternehmens PT Kamundan Raya /AFP, 17.8.96/. Die Behörden erwogen keine Verhandlungen, sondern begannen sofort mit den Vorbereitungen für eine Militäraktion. Neun der verbliebenen Geiseln konnten dabei befreit werden, eine weitere wurde tot aufgefunden. Der Anführer des Entführungskommandos, Tadius Yogi, wurde bei der Aktion erschossen /Straits Times, 1.9.96, Indonesia Times, 19.9.96/. <>
 
 

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