Indonesien-Information Nr. 2 1996 (Menschenrechte)

 

Das Makassar Massaker


12 Soldaten müssen sich wegen Ungehorsams und Amtsmißbrauchs vor dem Militärgericht verantworten. Die Staatsanwaltschaft sieht in den 12 Angeklagten die Schuldigen für die Gewaltsamkeiten, denen im April diesen Jahres mindestens 6 Menschen zum Opfer gefallen waren. Folgt das Gericht dem Antrag der Anklage, drohen den Angeklagte Haftstrafen zwischen 5 und 6 Monaten. /AFP, 10.10.96/

Der laufende Prozeß vor dem Militärgericht ist typisch für den seit einiger Zeit in Indonesien gepflegten Umgang mit schweren Menschenrechtsverletzungen. Aufgrund steigenden Drucks von seiten indonesischer Menschenrechtsorganisationen und dem drohenden Ansehensverlust im Ausland, kann es sich Indonesiens Militär nicht mehr leisten, Gewaltvergehen des Militärs schlicht zu ignorieren. Andererseits können Militärangehörige noch immer auf den Korpsgeist vertrauen, der sie vor langen Haftstrafen verschont. Ähnlich wie in den Fällen der Massaker von Dili und Liquisa, Ost-Timor, und Timika, West-Papua (Irian Jaya), müssen sich die angeklagten Soldaten nicht vor einem Zivilgericht, sondern lediglich vor dem Militärgericht verantworten. Dort lautet die Anklage nicht auf Mord, sondern auf Zuwiderhandlung von Befehlen oder dergleichen. Üblicherweise gibt es eine starke Diskrepanz zwischen Militär- und Zivilgerichten: Während beispielsweise in Dili friedliche Demonstranten von Zivilgerichten zu lebenslänglichen Haftstrafen verurteilt wurden, beließ es das Militärgericht bei eher symbolischen Strafen für einige Soldaten, die das Feuer auf die Demonstration eröffnet hatten und somit für den Tod mehrerer hundert Menschen verantwortlich sind.

Den 12 nun vor Gericht stehenden Militärs wird vorgeworfen, bei StudentInnendemonstrationen in Ujungpandang, der Hauptstadt Nord-Sulawesis, „überreagiert“ zu haben. Bis zu den noch blutigeren und politisch weitreichenderen Ereignissen von Ende Juli in Jakarta war das Massaker von Makassar - so der frühere Name Ujungpandangs - eines der beherrschenden Themen in Indonesien.

Anlaß der Demonstrationen waren vom Bürgermeister von Ujungpandang vorgesehene Tariferhöhungen für Busse und Sammeltaxis um bis zu 70 %. Nach einer Vorschrift des Verkehrsministeriums hätten die Tarife um höchstens 30 % angehoben werden dürfen. Die somit illegale Preiserhöhung sorgte für Aufregung, vor allem unter StudentInnen. Diese zahlen zwar einen ermäßigten Fahrpreis, werden daher aber oft abgewiesen, wenn die Verkehrsunternehmen ihre Sitzplätze mit zahlungskräftigeren Fahrgästen füllen können. Die Anhebung der Tarife hätte wegen der größeren Spanne zwischen Normal- und Ermäßigungstarif für viele StudentInnen bedeutet, zu einem deutlich höheren Preis noch schlechtere Chancen auf Mitfahrt zu haben als bisher.

Vom 22. April 1996 an gingen die StudentInnen über fünf Tage hinweg regelmäßig auf die Straße, um eine Rücknahme der Tariferhöhung zu fordern. Die Situation geriet außer Kontrolle, als DemonstrantInnen einen Bus stoppten, den Fahrer herauszerrten und die Fahrgäste zum Aussteigen aufforderten, um anschließend ihre Wut an dem Fahrzeug auszulassen. Scheiben wurden eingeworfen, Graffitis gemalt und Teile demontiert, bis der Bus schließlich reif war für den Schrottplatz.

Daraufhin näherte sich eine etwa 800 Mann zählende Artillerieeinheit dem Ort des Geschehens und jagte die StudentInnen mit Schlagstöcken und Tränengas auf das Universitätsgelände. Schüsse fielen. StudentInnen setzten sich mit Steinwürfen zur Wehr. Nach zwei Stunden stürmte das Militär die Universität und prügelte ohne Unterschied auf Studenten und Studentinnen ein. Wer versuchte zu fliehen wurde bis in die Toiletten hinein verfolgt. Etwa 40 Festnahmen und eine unbekannte Zahl von Verletzten waren die traurige Zwischenbilanz bis zu diesem Zeitpunkt.

Doch auch am nächsten Tag wurde wieder demonstriert. Neben der Rücknahme der Tariferhöhung war nun die Freilassung der Gefangenen vom Vortag eine weitere zentrale Forderung der StudentInnen. Und wieder kam es zu Ausschreitungen. Ein Müllauto wurde umgeworfen, Barrikaden aus brennenden Autoreifen wurden errichtet. Das Militär war mit deutlich mehr Leuten als am Vortag vertreten, sodaß die Campi von mehreren Hochschulen gleichzeitig gestürmt werden konnten. Dabei wurden mindestens 80 StudentInnen verletzt und mindestens einer, der Architekturstudent Syaiful Bya, getötet /Tempo Interaktif, 1.5.96/. Zwei oder drei weitere Leichen - hier widersprechen sich die Angaben - wurden später übel zugerichtet am Ufer eines nahen Flusses gefunden. Ihre Todesursache ist unklar. Nach Angaben des Militärs wurden diese Studenten von Kommilitonen gejagd, weil sie sich nicht solidarisieren wollten. Aus Angst und Verzweiflung seien sie in den Fluß gesprungen, wo sie ertranken, da sie nicht schwimmen konnten. Die Menschenrechtsorganisation LBH Ujungpandang identifizierte 2 erschossene Studenten, Supriadi und Egi, sowie 5 weitere Opfer: Syaiful, Andi Sultan Iskandar, Adnan, Tasrif und Sitti Sudibya, alle von der UMI (Universitas Muslimin Indonesia) /Media, 30.4.96/.

Am vierten Tag der Proteste präsentierte sich das Militär bis an die Zähne bewaffnet. Mit 8 Panzern und 13 weiteren Militärfahrzeugen gingen die Soldaten gegen die DemonstrantInnen vor und straften damit die deutsche Bundesregierung Lügen, die kurze Zeit zuvor den Export von 7 Panzern des Typs WIESEL nach Indonesien mit der Begründung genehmigte, die Panzer eigneten sich nicht zur Bekämpfung innerer Unruhen. Der Tag endete mit ca. 300 Verletzten und 200 Festnahmen.

Am 26. April änderte sich das Bild. Zwar kam es wiederum zu Demonstrationen seitens der StudentInnen, zeitgleich fanden sich aber auch die Bus- und Sammeltaxifahrer zu einer Gegendemonstration zusammen. Mit Rückendeckung der Behörden gelang ihnen das Unmögliche: Obwohl in Ujungpandang nur ca. 6.000 Menschen im Verkehrsgewerbe arbeiten, versammelten sich nach offiziellen Angaben 10.000 von ihnen zu der Gegendemonstration. Am selben Tag gab der Gouverneur von Nord-Sulawesi, der sich gerade auf Pilgerreise in Mekka befand, per Fax Anweisung, die Fahrpreiserhöhungen zurückzunehmen. /Tempo Interaktif, 1.5.96/

In den Tagen darauf begann die Aufarbeitung des Geschehens. Die nationale Menschenrechtskommission KOMNAS HAM sicherte in den Gebäuden der Universität Blutspuren und Patronenhülsen und bezichtigte damit das Militär der Überreaktion /Tempo, 1.5.96/. Um die Gemüter nicht zu sehr zu reizen, bestätigte die Kommission im Gegenzug nur die vom Militär genannte Zahl von drei der mindestens sieben Todesopfer /Jawa Pos, 6.5.96/.

Nachdem das brutale Vorgehen der Sicherheitskräfte auf allgemeine Kritik gestoßen war, setzte auch das Militär eine Untersuchungskommission ein, um nach möglichem Fehlverhalten in den eigenen Reihen zu forschen. Dabei wurde auch der Einsatz der Panzer problematisiert, die „nur“ zum Schutz der Militärkräfte vor Steinwürfen und zum Sturm auf die Universität, keineswegs jedoch zum direkten Einsatz gegen die DemonstrantInnen gedacht gewesen sei. /Antara, 29.4.96/

Das Militär begründet seine aktenkundigen Gewalttätigkeiten mit dem überreagieren einzelner Verantwortlicher. Dem widerspricht allerdings die Tatsache, daß die Situation in Ujungpandang über 5 Tage hinweg das selbe Bild ergab. Daher liegt der Verdacht nahe, daß es sich nicht um einzelne „Betriebsunfälle“, sondern um ein geplantes Vorgehen gehandelt hat.

Aufgrunddessen fanden in verschiedenen Städten Indonesiens, darunter Bandung, Jakarta, Solo und Padang, Solidaritätsaktionen statt. Auch hierbei kam es teilweise zu gewaltsamen Auseinandersetzungen mit Polizei und Militär. 40 Tage nach dem Makassar-Massaker gedachten Menschenrechtsorganisationen in Jakarta der Opfer. Die Veranstaltung wurde von Militärkräften angegriffen, mehrere Leute wurden verhaftet. Bahar, ein Mitglied von PIJAR Indonesia, der sich absolut friedlich verhalten hat, wurde geschlagen und an den Haaren 100 m über die Straße geschleift, wie auf einem Amateurvideo deutlich zu sehen ist. Dennoch wurde Bahar des gewaltsamen Widerstandes gegen die Staatsgewalt bezichtigt und nach Artikel §§ 213 und 218 KUHP (indon. Strafgesetzbuch) angeklagt. Erst im November wurde Bahar unter Auflagen aus der Untersuchungshaft entlassen. Er saß bereits länger im Gefängnis, als die wegen des Massakers angeklagten Militärs im schlimmsten Falle werden sitzen müssen. <>
 
 
 

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