Indonesien-Information Nr. 2 1996 (Umwelt)

 

Tropenwaldabholzung in Indonesien:

„Entwicklung“ gegen die Ureinwohner

von Johannes Brandstäter


Eine schwarze Waldlichtung aus verkohlten Zweigen und rauchender Asche. Die mächtigen Stämme jahrhundertealter Baumriesen türmen sich ungeordnet übereinander. Tropenholz bester Qualität, abholbereit. Dazwischen ein paar noch kümmerlich aussehende grüne Triebe junger Reis- und Gemüsepflanzen. Ein wegeloses Chaos unter sengender, senkrecht stehender Sonne. Man kann nur kletternd und balancierend das kleine Schutzdach in der Mitte der Lichtung erreichen. Hier machen ein Dutzend Dayaks Mittagspause, die Besitzer des neu geschaffenen Ackers. Ein Topf mit Kaffeewasser kocht über einem kleinen Feuer aus den verkohlten Überresten des Waldes. Die Frauen und Männer essen den mitgebrachten Reis und rauchen selbstgedrehte Zigaretten. Und sie erzählen freimütig, warum sie dieses große Areal vor wenigen Wochen abgebrannt haben.

Im letzten Jahr kam eine Holzgesellschaft mit vielen malaiischen Arbeitern hierher nach Pahauman und begann, mit großen Maschinen die besten Bäume zu fällen. Ohne die Besitzer des Landes um Erlaubnis zu fragen, betont der alte Lasiun. Investoren wollten dort einen Nutzwald anlegen. Die Ureinwohner protestierten heftig gegen diesen Mißbrauch ihres Landes, und drohten mit der Zerstörung der teuren Maschinen. Die Gesellschaft konnte die Proteste nicht einfach ignorieren, denn die Bauern hatten gute Kontakte in die Provinzhauptstadt Pontianak, und das bedeutete Öffentlichkeit. Die folgenden Verhandlungen mit der Firma ergaben, daß diese ihre Maschinen und Arbeiter erst einmal abzog. Nur die bereits gefällten Baumstämme blieben liegen. Stolz zeigt Lasiun Fotos vom Ereignis.

Die Frauen und Männer erzählen, sie hätten das Waldstück sozusagen vorbeugend abgebrannt, bevor die Holzgesellschaft wiederkomme. Denn sie befürchteten, daß die Gesellschaft das Dorfoberhaupt bestechen und der ihr das Land heimlich abtreten würde - ein alltäglicher Vorgang in Westkalimantan. Das Holz wollen sie selber verwenden oder weiterverkaufen.

Pontianak auf der Tropeninsel Borneo. Die moderne Hauptstadt von Westkalimantan, der drittärmsten Provinz Indonesiens, liegt genau auf dem Äquator. Ihr Wahrzeichen ist das Äquatormonument vor den Toren der Stadt, ein Turm mit der in zwei Hemisphären unterteilten Weltkugel. In Miniaturausgabe ist es überall in den Souvenirläden erhältlich. Von hier regelt eine Wirtschafts- und Verwaltungselite aus Javanern und Chinesen den Aufbau des Landes, oder die Ausplünderung seiner natürlichen Reichtümer, wie der Dayakexperte Stephanus kritisiert. Die satten Gewinne, die die Firmen in Westkalimantan erzielten, würden größtenteils auf Indonesiens Hauptinsel Java transferiert.

Stephanus ist ein selbstbewußter Dayak, der an der Universität Pontianak Geschichte studiert hat. Er will sein Wissen für die Kultur und die Rechte der etwas über eine Million zählenden Ureinwohner einsetzen. „Die Landfrage ist das größte Menschenrechtsproblem, das wir hier haben. Der Staat sagt, der Wald der Dayaks sei ungenutzt und deshalb seiner. Er gibt das Land an die Holzfäller und die Plantagengesellschaften weiter. Die Bauern, die dort seit Menschengedenken leben, haben das Nachsehen“, sagt Stephanus. „Im Wald gibt es ja keine Grenzsteine und auch keine Grundbücher wie bei euch in Europa. Nach traditionellem Recht ist es im Besitz der Gemeinschaft; es gibt gar kein privates Grundeigentum. Man müßte den Bauern Mittel an die Hand geben, damit sie die Grenzen ihrer Dörfer selber markieren und den Behörden dokumentieren können.“

Die Deutsche Gesellschaft für technische Zusammenarbeit GTZ hat die Idee bereits abgeguckt und läßt im Rahmen ihres Social Foresting and Development Projects in Sanggau die Gebiete der Ureinwohner kartieren, allerdings in Zusammenarbeit mit den Behörden.

Doch damit ist den Dayaks noch nicht grundlegend geholfen. „Unser größtes Alltagsproblem hier ist das Regenwasser“, sagt Lasiun, der alte Dayak, auf dem Rückweg vom Brandacker. „Es macht alle Wege schlagartig unpassierbar.“ Der Fußmarsch führt heute durch knietiefes Wasser. Über die Bäche gibt es keine Brücken, sondern nur dünne Baumstämme, die auf schwankenden, x-förmig zusammengebundenen Bambusstäben montiert sind. Immerhin, das Wasser fühlt sich angenehm warm an. Nur der imposante Kapuas-Strom und eine Asphaltstraße stellen eine Verbindung des Landesinnerns mit Pontianak und der Küste her. Oft sind die Dörfer nur nach stunden- oder sogar tagelanger Fahrt mit dem Motorrad zu erreichen, natürlich nur während der Trockenzeit.

Die Häuser in Pahauman stehen vor Überschwemmungen geschützt auf einem Meter hohen Stelzen. Das Innere schmücken die Dayaks, die überwiegend katholisch sind, mit Jesus- und Marienbildern aus alten Kalendern. Licht gibt es in der Tropennacht nur aus Petroleumlampen. Das Trinkwasser kommt aus dem brackigen Fluß, daher haben viele Durchfall. Im ganzen Dorf trippeln borstige Schweine herum. Sie sind für die Beseitigung der Abfälle zuständig und ersetzen, beständig grunzend, auch die sanitären Anlagen.

Nur noch 10 Prozent vom Urwald sind übrig, oder auch weniger. Die größeren und wertvollen Bestände sind bereits sämtlich an Konzessionäre vergeben. Ursprünglichen Wald gibt es noch an vielen Stellen, und es sind längst nicht allein die Holzfäller, die ihm den Garaus machen. Die Bauern verbrennen ihn parzellenweise, wenn sie in der Trockenzeit neues Land urbar machen. Auf der Fahrt von Pontianak nach Sanggau sind überall die schwarzen Flecken, aus denen vereinzelt noch riesige verkokelte Baumriesen ragen, zu sehen.

Die Dayaks bestellen die abgebrannten Felder im traditionellen Wanderfeldbau, im Wettlauf mit dem Regen, der die fruchtbare Asche wegzuspülen droht. Der Boden ist meist so unfruchtbar, daß eine Parzelle nur alle acht Jahre mit Reis oder Gemüse kultiviert werden kann. Nur ab und zu unterhalten die Dayaks auch Naßfelder mit Reis, deren Fruchtbarkeit durch die konstante natürliche Bewässerung erhalten bleibt. Eine andere Möglichkeit ist die Bepflanzung mit Gummibäumen im zweiten Jahr nach dem Abbrennen. So haben es die Bauern von Pahauman vor. Mit dem Sammeln von Gummi können sie dauerhaft etwas Bargeld verdienen. Und Gummiplantagen erkennt die Regierung eher als Eigentum an als „ungenutzten“ Wald.

Vor fünfzig Jahren lebten nur sechs Familien in Pahauman, heute sind es siebzig. Damals gab es noch weit mehr große Bäume als heute, erinnert sich der alte Mann. Die Bauern wissen, daß sie nicht endlos fortfahren können, den Wald abzuholzen. Nach einer Generation schon könnte das Land verbraucht sein. „Die Menschen können sich von selber vermehren, aber das Land kann das nicht,“ bedauert Lasiun. Auch die Sorgen der Umweltschützer kennen sie. Aber sie wissen keine Alternativen zum Wanderfeldbau. Kulturschützer Stephanus sagt, alle Versuche eines alternativen Landbaus hätten sich bisher als nicht praktikabel erwiesen.

Entscheidender ist: die Regierung fördert die Entwicklung der Dayak-Landwirtschaft mit keiner Rupie. Es gibt keine vernünftige landwirtschaftliche Beratung wie z.B. über den Einsatz von Dünger. Und für die Verbesserung der Infrastruktur tut sie nur wenig. Ihre Investitionen und Entwicklungsprojekte gehen an den Ureinwohnern vorbei. Die Entwicklungsgelder werden vielmehr für Repräsentativbauten in Pontianak, für riesige Palmölplantagen, oder für die kapitalintensive Erdgasförderung ausgegeben.

Oder für die Transmigration, das offizielle Umsiedlungsprogramm der Regierung in Jakarta. Mit dem Druck der Armee und wirtschaftlichen Versprechungen werden hauptsächlich Javaner veranlaßt, nach Kalimantan umzusiedeln. Als billige Arbeitskräfte für weniger als 3.000 Rupien (umgerechnet 2 Mark) pro Tag sind sie bei den Palmöl- und Nutzholzplantagen willkommen. Dafür, daß sie weit abgelegene, gerodete Gebiete besiedeln, um dort das karge Land zu beackern, erhalten sie Ausrüstungsbeihilfen und für ein Jahr Nahrungsmittel umsonst. Die indonesische Armee gebraucht sie als Bollwerk gegen die Dayaks, die bereits jetzt eine 40-Prozent-Minderheit im eigenen Land sind.

Viele der Transmigranten haben kein glückliches Los gezogen. Sie verlassen ihre Schollen wieder und ziehen weiter, weil der Boden zu unfruchtbar war oder sie zu weit entfernt von Ortschaften und Straßen saßen, so daß sie ihre Feldprodukte nicht vermarkten konnten. Mit dem Zuzug der Transmigranten wächst die Bevölkerung jährlich um mehr als sieben Prozent, ebenso schnell wie die Wirtschaft. Der Wohlstand wächst also nicht mit. Vor allem nicht für die Dayaks.

Nur wenn die Dayaks sich geschickt wehren, könnten sie diese gegen sie gerichtete indonesische Entwicklungspolitik vielleicht aufhalten. Und auch nur dann, wenn sie Bündnispartner finden. „Wenn wir den Mund aufmachen, wird die Regierung uns nicht mehr so unbehelligt lassen wie bisher,“ sagt Stephanus. „Aber wir werden bald keine andere Möglichkeit mehr haben.“
 
 

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