Suara Nr. 2/2008 (Menschenrechte)

 

 
 

Bis dass der Tod euch scheide

Vom Dilemma mit der Todesstrafe und einer bizarren Hochzeit

von Alex Flor

 
 

Ende 2006 befanden sich in Indonesien 134 Häftlinge in Todeszellen. 37 davon sind AusländerInnen, größtenteils wegen Drogendelikten verurteilt. Seit 2000 wurden mindestens acht Menschen hingerichtet.
 

Möglicherweise steht in Indonesien die Exekution von sieben zur Todesstrafe Verurteilten unmittelbar bevor. So vermeldete am 22. Mai, kurz vor Redaktionsschluss der SUARA, die Tageszeitung Kompas unter Berufung auf Vize-Generalstaatsanwalt Abdul Hakim Ritonga. Bei den Delinquenten handelt es sich um die drei Bali-Attentäter Amrozi, Imam Samudra und Ali Ghufron, die zwei wegen mehrfachen Mordes Verurteilten Ahmad Suradji (des Mordes an 43 Frauen auf Sumatra für schuldig befunden) und Tubagus Mulyana Yusuf (8 Morde in Rangkasbitung, Banten) sowie zwei namentlich nicht genannte, wegen Drogendelikten Verurteilte, die im Gefängnis von Nusakambang einsitzen. Aller Wahrscheinlichkeit handelt es sich bei ihnen um Andrew Chan und Myuran Sukumaran. Sie gelten als die Bandenchefs der so genannten „Neun von Bali“ - neun AustralierInnen, die in Bali festgenommen und vor Gericht gestellt wurden.

Sollte sich die durchaus ernst zu nehmende Ankündigung bewahrheiten, wäre dies der Endpunkt zweier parallel stattfindender Dramen. Während die drohende Exekution der beiden wegen Mordes Verurteilten „nur“ ein Fall für Menschenrechtler ist, die sich aus prinzipiellen Erwägungen gegen die Todesstrafe aussprechen, gerieten die Fälle der Bali-Attentäter sowie der „Neun von Bali“ zu einem Politikum, welches die ohnehin strapazierten Beziehungen der Nachbarstaaten Indonesien und Australien nicht einfacher werden ließ.

Amrozi, Imam Samudra und Ali Ghufron sind die ausführenden Täter des ersten Bombenanschlages auf Bali im Jahre 2002, bei dem 202 Menschen getötet wurden, davon 88 Australier. Die „Neun von Bali“ dagegen sind australische Staatsbürger, die beim Versuch ertappt wurden, mehrere Kilogramm Heroin außer Landes zu schmuggeln. Sechs von ihnen wurden zum Tode verurteilt. Über die drei weiteren wurden Haftstrafen von 20 Jahren bis lebenslänglich verhängt. Seither steckt Australien in einem Dilemma. Zwar hat die ehemalige britische Sträflingskolonie selbst im Jahre 1985 die Todesstrafe abgeschafft, aber eine klare Haltung zur Praxis der Todesstrafe in anderen Staaten hat sich daraus bislang nicht entwickelt.

Die Forderung nach Aussetzung der Todesstrafe ist unsensibel

Als der Labor-Politiker McClelland im Oktober letzten Jahres die Ansicht vertrat, sein Land müsse sich an die Spitze der weltweiten Opposition gegen die Todesstrafe stellen, wehte ihm ein eisiger Wind entgegen. McClelland erklärte, im Ansinnen der Abschaffung der Todesstrafe dürfe es keine Ausnahmen geben. Damit wandte er sich explizit gegen den damaligen Regierungschef John Howard, der die Hinrichtung Saddam Husseins und Osama bin Ladens öffentlich befürwortete. Es war Wahlkampf in Australien. Details, wie die Tatsache, dass Osama bin Laden noch nicht einmal festgenommen, geschweige denn vor ein Gericht gestellt wurde, störten daher in der allgemeinen Polemik des Schlagabtausches nur wenig. McClelland wurde für seine Äußerungen öffentlich gerügt, sogar von eigenen Parteifreunden. Seine Äußerungen seien wenige Tage vor dem 5. Jahrestag des ersten Bali-Attentates unsensibel gegenüber den Hinterbliebenen der Opfer, wurde ihm vorgehalten. Viele Angehörige der Opfer von damals scheinen nichts dringlicher zu erwarten, als dass Indonesien die verurteilten Täter endlich exekutiert. Der später siegreiche Spitzenkandidat der Labor Partei, Kevin Rudd, musste öffentlich zurück rudern und erklärte, er werde niemals von einem anderen Staat die Aussetzung einer gegen Terroristen verhängten Todesstrafe verlangen.

Gleichzeitig sorgt sich die australische Öffentlichkeit um das Schicksal der „Neun von Bali“, adrette junge Landsleute, die in Indonesien nun scheinbar hilflos einer Justiz ausgesetzt sind, welche die Bewohner im Lande der Kängurus als „kangaroo courts“ gering schätzen. Zumindest die Eltern der Gefangenen erheben jedoch auch schwere Vorwürfe gegen die eigenen Behörden. Die Festnahmen in Bali erfolgten nämlich aufgrund gezielter Informationen, die von der australischen Polizei an die Kollegen in Indonesien weitergegeben wurden. Dabei dürfen australische Behörden in Fällen, wo den Tätern in einem fremden Land die Todesstrafe droht, eigentlich keine Amtshilfe an die dortigen Kollegen leisten. Der Vater von Renae Lawrence, einer der „Neun von Bali“, beschwert sich daher bitterlich über ein persönliches Gespräch mit dem Commissioner der australischen Polizei, Keelty: „Wenn Sie mich fragen, dann ist [Keelty], entschuldigen Sie den Ausdruck, ein Arschloch. Diese jungen Leute wurden in diese Situation rein gedrängt ... man hätte sie entweder hier am Flughafen festnehmen oder sie verfolgen können, um an die großen Fische zu kommen. Ich weiß nicht wie die Nachts schlafen können ... selbst wenn [die „Neun von Bali“] schuldig sein sollten, das absichtlich getan zu haben, verdient das nicht die Bestrafung mit dem Tod.“

Wie er denken viele in Australien. Kurz gesagt: Indonesien erhält derzeit zwei völlig konträre Signale. Auf der einen Seite möchte Australien die Todesstrafe abgeschafft und auf jeden Fall eigene Landsleute davon ausgenommen sehen, während man andererseits darauf wartet, dass Indonesien gegen islamistische Terroristen endlich zur Tat schreitet. Das bietet freilich Indonesien die Möglichkeit, diese sich widersprechenden Interessen gegeneinander auszuspielen. Einfacher ist es für die indonesischen Behörden dadurch dennoch nicht. Denn sie sehen sich im eigenen Land einem ähnlichen Dilemma ausgesetzt: während die Hinrichtung eines ausländischen Drogenkuriers hier eher mit Sympathie oder Gleichgültigkeit zur Kenntnis genommen würde, droht die Exekution der Bali-Attentäter zu einem Solidarisierungseffekt in der muslimischen Bevölkerungsmehrheit zu führen, der das Problem des islamischen Extremismus eher verschärfen als mindern würde.

Abschaffung der Todesstrafe?

Solcher Dilematta könnte sich Indonesien auf ganz einfache Weise entledigen, indem es die Todesstrafe einfach abschafft. Doch dazu scheint die Zeit noch nicht reif. Führende Vertreter der Gesellschaft halten die Todesstrafe weiterhin für unerlässlich, da sie einen hohen Abschreckungseffekt habe. Andere meinen, der Islam schreibe für bestimmte Verbrechen die Bestrafung durch den Tod vor und das staatliche Gesetz müsse diesem Umstand gerecht werden.

In einer viel beachteten Resolution sprach sich am 18. Dezember 2007 die UN-Vollversammlung für ein Moratorium der Todesstrafe aus. 104 Mitglieder stimmten für diese Resolution, 54 Staaten stimmten dagegen und 29 enthielten sich. Australien stimmte dafür, Indonesien stimmte dagegen. Der kleine Nachbar Osttimor gehörte übrigens zur Gruppe der Initiatoren des Resolutionsentwurfes und stimmte selbstredend dafür.

Bereits zuvor hatten fünf in indonesischen Todeszellen einsitzende Häftlinge, Edith Sianturi und Rani Andriani, zwei Indonesierinnen, und drei der „Neun von Bali“, Scott Rush, Andrew Chan und Myuran Sukumaran, versucht, die Abschaffung der Todesstrafe über ein Verfassungsgerichtsurteil zu erwirken. Sie beriefen sich auf das in der Verfassung von 1945 garantierte Recht auf Leben. Ob ein im Sinne der KlägerInnen gefälltes Urteil diese vor der Exekution bewahrt hätte, war von Anfang an umstritten. Denn selbst eine Grundsatzentscheidung über die Verfassungswidrigkeit hätte nicht automatisch bedeutet, dass damit rückwirkend bereits rechtskräftig gewordene Verurteilungen aufgehoben worden wären. Aber es sollte sowieso anders kommen.

Zunächst wies das Verfassungsgericht die Klage der drei Australier zurück. Es sei grundsätzlich nicht zulässig, dass Ausländer das Verfassungsgericht der Republik Indonesien anrufen. Zugelassen wurde hingegen die Klage der beiden Indonesierinnen. In der Sache urteilte das Gericht zur großen Enttäuschung der Klägerinnen jedoch, das Recht auf Leben sei nicht absolut zu werten, so dass die Verhängung der Todesstrafe in Fällen schwerer Delikte wie Drogenhandel rechtens sei.

Gleichwohl versuchten die Richter in ihrem 469 Seiten starken Urteil der Politik einen Weg zu weisen, wie die Todesstrafe zwar formal beibehalten, de facto jedoch außer Kraft gesetzt werden könnte. Das Gericht empfiehlt dem Parlament, eine Regelung zu erlassen, nach welcher der Vollzug der Todesstrafe künftig von einer Überprüfung nach einer 10-jährigen Bewährungszeit abhängig gemacht werden könnte. Abhängig vom Ergebnis dieser Überprüfung könnte dann darüber entschieden werden, die Strafe in eine 20-jährige oder lebenslange Haftstrafe umzuwandeln.

Nur wenige Tage nach diesem Urteil versetzte Präsident Susilo Bambang Yudhoyono (SBY) den Hoffnungen der Verurteilten einen weiteren Dämpfer. Er lehnte die Gnadengesuche von fünf anderen Todeskandidaten aus Nepal, Nigeria, Pakistan und Brasilien, die ebenfalls wegen Drogendelikten verurteilt sind, ab.

Die gute Nachricht folgte am 6. März 2008: Das Oberste Gericht gab einer letzten Eingabe der drei anderen Todeskandidaten der „Neun von Bali“, Si Yi Chen, Tan Duc Thanh Nguyen und Matthew Norman, statt. Die drei waren in erster Instanz zu lebenslänglich und in zweiter Instanz zu 20 Jahren Haft verurteilt worden. Dagegen ging jedoch die Staatsanwaltschaft in Berufung, woraufhin die Todesurteile verhängt wurden. Das Oberste Gericht setzte nun das zweitinstanzliche Urteil wieder in Kraft.

Hoffnung auf Märtyrertod

Ganz anders dagegen der Fall der drei Bali-Attentäter: Diese erklärten wiederholt, sie sehnten sich nach einer baldigen Hinrichtung und freuten sich darauf, als „Märtyrer“ sterben zu können. Ihr Blut „werde zum Licht für Gläubigen und zur Hölle für die Ungläubigen und Heuchler“ werden, erklärte der als „lächelnder Terrorist“ bekannte Amrozi. Die Balibomber lehnen es daher kategorisch ab, Gnadengesuche zu stellen. Präsident SBY erklärte in einem Fernsehinterview am 8. November 2007, eine Begnadigung komme ohnehin nicht in Frage

Abseits der medienwirksamen Propagandashow bemühen sich die Anwälte der drei allerdings mit allen juristischen Finessen, die Exekution zu verhindern oder zumindest zu verzögern. Dabei dürfen sie sich der Sympathie der indonesischen Justiz und Politik sicher sein, die aus verständlichen Gründen wenig Interesse an einer schnellen Exekution zu haben scheinen. Mitunter entstand der Eindruck, die Verurteilten wurden von offizieller Seite geradezu dazu gedrängt, alle rechtlichen Möglichkeiten auszuschöpfen und Gnadengesuche einzureichen.

Doch allmählich sind die rechtlichen Möglichkeiten ausgeschöpft. Eine letzte Berufung der drei Angeklagten wurde im September 2007 abgelehnt. Neben der theoretischen Möglichkeit Gnadengesuche zu stellen blieb somit nur eine Neuaufnahme des Verfahrens in Form eines so genannten „judicial review“. Dies ist allerdings rein rechtlich nur in engen Grenzen möglich, z.B. wenn neues Beweismaterial vorgelegt werden kann.

Bereits im November begannen die Vorbereitungen für eine baldige Exekution. Die Gefangenen erhielten die letzten Besuche ihrer Angehörigen, denen sie ihr Testament übergaben. Bei der Gelegenheit bekräftigten sie noch einmal ihre Ablehnung von Gnadengesuchen. Gleichwohl erklärte Mukhlas einen „judicial review“ anstrengen zu wollen. Dies stehe nicht in Widerspruch zu seinem Wunsch auf einen baldigen Märtyrertod.

Später ersuchten die Gefangenen darum, entsprechend ihres Verständnisses des Islam durch Enthauptung hingerichtet zu werden, anstatt wie in Indonesien üblich durch ein Erschießungskommando. Das Gesuch wurde abgelehnt.

Anfang Februar wurde bekannt, dass das Gericht in Bali tatsächlich einen „judicial review“ zugelassen hat. Das Ergebnis des Verfahrens würde dann dem Obersten Gericht überreicht, welches die abschließende Entscheidung zu fällen habe. Eine erneute Verschiebung der Hinrichtung um ungewisse Zeit schien sich abzuzeichnen. Verwandte der Anschlagsopfer in Australien äußerten ihren Unmut. Doch dann beschloss das Verteidigerteam unter Anwalt Bachmid überraschend, das Verfahren mittendrin wieder abzubrechen. Zur Begründung hieß es, das Gericht hätte verweigert, die Angeklagten persönlich an dem Verfahren zu beteiligen. Eine solche Beteiligung hätte bedeutet, dass das Gericht den Verhandlungsort von Denpasar, Bali, nach Zentraljava verlegen müsste, wo die Gefangenen sich in Haft befinden. Dies lehnte das Gericht ab. Man beginnt zu ahnen, was der eigentliche Sinn und Zweck des Ersuchens um den „judicial review“ war: ganz offensichtlich verbanden die Delinquenten damit die Hoffnung auf ein weiteres medienwirksames Event. Als sich diese Hoffnung verflüchtigte, verloren sie das Interesse an dem Vorgang.

Stattdessen ersann Amrozi einen neuen an Bizzarerie kaum mehr zu übertreffenden Plan, noch einmal das geballte Interesse der Medienöffentlichkeit auf sich zu ziehen: Anfang Mai erklärte er, er wolle heiraten. Auf der Gästeliste der Hochzeitsfeier, die im Gefängnis von Nusakambang stattfinden sollte, stand auch der im Westen als „Hassprediger“ und geistiger Führer der Attentäter geltende Abu Bakar Ba'asyir. Es sollte bereits Amrozis vierte Hochzeit werden. Obgleich Amrozi nun bereits seit einiger Zeit im Gefängnis sitzt, wo es schwer ist, neue Bekanntschaften zu machen, kennen sich Braut und Bräutigam schon gut: die beiden waren nämlich schon einmal verheiratet und wurden vor 20 Jahren geschieden. Die erste und vierte Ehefrau Amrozis wird nun die Zweitgattin sein, denn Ehefrau Nummer drei ist derzeit immer noch seine Erstgattin. Mit jeder der Frauen hat Amrozi jeweils ein Kind.

Die Hochzeit fand tatsächlich statt, aber nicht ganz so, wie es sich Amrozi gewünscht hatte. Das Gefängnis erteilte keine Genehmigung für die Feierlichkeiten. So musste die Trauung im Dorf seiner Liebsten leider ohne den Bräutigam stattfinden. Amrozi musste sich durch seinen jüngeren Bruder Ali Fauzi vertreten lassen, was nach islamischem Recht eine erlaubte Variante ist. Sprecher der Haftanstalt erklärten, es werde auch keine in-door Flitterwochen geben. Die Gefängnisordnung schließe die Möglichkeit aus, dass Amrozi noch ein weiteres Kind zeugen könne. <>
 
 

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