Suara Nr. 2/2007 (Menschenrechte)

Old habits die hard

von Alex Flor


Soldaten der indonesischen Marine eröffneten am 30. Mai 2007 das Feuer auf protestierende Dorfbewohner. Sie handelten aus Notwehr, heißt es von offizieller Seite. Vier Menschen wurden bei dem Zwischenfall erschossen, darunter eine schwangere Frau und die Mutter eines Vierjährigen, die in ihrer Küche saß.
 

In den 90er Jahren gab es kaum eine Erklärung von Menschenrechtsaktivisten oder demonstrierenden Studenten gegen das Regime Suharto, die nicht auf den Fall Sampang, Madura, Bezug nahm. Dort hatten im September 1993 Soldaten das Feuer auf gewöhnliche Bauern eröffnet, die gegen den Bau des Nipah-Staudammes und den damit verbundenen Verlust von Anbauflächen protestierten. Die Schüsse der Militärs kosteten vier Menschen das Leben (s. Indonesien-Information, Dezember 1993). Der Fall Sampang wurde seither in einem Atemzug mit den blutigen Zwischenfällen von Haur Koneng (1992), Lampung (1989), Tanjung Priok (1984) und dem Santa Cruz-Massaker in Dili (1991) genannt. Die genannten Fälle standen exemplarisch für die menschenrechtsverachtende, auf die Macht der Bayonette gestützte Politik von Diktator Suharto.

Suharto ist längst zurückgetreten. Seither gab es zahlreiche demokratische Reformen. Indonesien ist Mitglied im Menschenrechtsrat und hat wichtige internationale Abkommen zum Schutz der Menschenrechte unterzeichnet. Politiker und Experten im In- und Ausland diskutieren eifrig um weitere Reformen, nicht zuletzt eine Reform des Sicherheitssektors. Doch hat sich wirklich etwas geändert?

Szenenwechsel: Wir schreiben den 30. Mai 2007. Schauplatz ist das Dorf Alas Tlogo bei Pasuruan in Ostjava. Um etwa 9.30 Uhr früh erscheint ein Traktor, begleitet von ca. 10 Soldaten. Der Traktor soll die von den Dorfbewohnern hier gepflanzten Maniokfelder umpflügen, um Platz zu schaffen für Zuckerrohr und Manggobäume. Ca. 50 Dorfbewohner versammeln sich, um zu protestieren. Später kommen weitere hinzu, um die Mittagszeit sind es um die 300 Leute. Sie bitten um Aufschub der Aktion, bis die Ernte eingefahren ist und die Landrechtsverhältnisse abschließend geklärt sind. Die Soldaten fühlen sich von der Menge bedroht, geben ein oder zwei Warnschüsse ab und schießen dann scharf. Sie handelten aus Notwehr, wird es später von offizieller Seite heißen. Am Ende liegen vier Leute tot am Boden, umgeben von Blutlachen und verspritzter Gehirnmasse. Eine davon war Mistin, eine 27-jährige Frau und Mutter des vier Jahre alten Khoirul, der ebenfalls angeschossen wurde, aber überlebte. Mistin und ihr Sohn wurden in der Küche ihres Hauses sitzend getroffen. Notwehr?

Auch Dewi Khodijah erlag ihren Schussverletzungen. Die junge Frau war im vierten Monat schwanger. Neben dem kleinen Khoirul wurden sieben weitere Personen verletzt.

Ein Sprecher des Militärs erklärte den Angehörigen der Opfer im Fernsehen sein Beileid. Erklären konnte er sich die Todesfälle allerdings nicht, denn die Soldaten der TNI (Tentara Nasional Indonesia) schießen nicht auf schwangere Frauen und Kinder, meinte er. Es könne daher eigentlich nur sein, dass Projektile von Steinen abgeprallt seien und dann unglücklicherweise die Frauen und Kinder getroffen hätten. Querschläger, die Menschen zu Hause in ihrer Küche treffen??

Der Fall verläuft nicht gänzlich folgenlos. Immerhin werden die 13 beteiligten Marinesoldaten wenige Tage später festgenommen. Allerdings sollen sie nicht vor ein ordentliches ziviles Gericht, sondern vor ein Militärgericht gestellt werden. Die Öffentlichkeit ist von Prozessen vor Militärgerichten ausgeschlossen. Vergleichbare Fälle in den 90er Jahren endeten meist mit der Verurteilung wegen Disziplinarverstößen, die Degradierung oder unehrenhafte Entlassung aus der Armee endeten. In seltenen Fällen wurden kurze Haftstrafen verhängt. Nun darf man gespannt sein, ob die Militärgerichte in der neuen, demokratischen Ära zu anderen Urteilen gelangen. Man darf aber auch fragen, warum eigentlich in dieser neuen, demokratischen Ära solche schwer wiegenden Fälle nicht vor einem ordentlichen Gericht verhandelt werden.

Doch weshalb kam es überhaupt zu der Auseinandersetzung zwischen Dorfbewohnern und der Marine? Die Antwort darauf steht in unmittelbarem Zusammenhang mit einem bislang nur oberflächlich angekratzten Kernbereich dringend notwendiger Reformen des Sicherheitssektors: die Finanzierung der Streitkräfte. Denn noch immer finanziert sich das Militär zu wesentlichen Teilen aus eigenen – legalen und illegalen – Quellen. Nur ein relativ geringer Anteil des Finanzbedarfs entstammt dem staatlichen Haushalt.

Der Zwischenfall im Dorf Alas Tlogo resultiert aus einem Landkonflikt, dessen Wurzeln bis in die Kolonialzeit zurück reichen. Das umstrittene Areal von insgesamt 2.600 Hektar Größe wird seit 1960 von der Marine beansprucht. Der Plan, das Land zum Übungsgelände auszubauen, wurde nie verwirklicht – allerdings bis heute auch nicht endgültig aufgegeben. Die Marine machte bislang keinerlei Gebrauch von den Flächen, sondern gewährte den Bewohnern der anliegenden Dörfer Nutzungsrechte. Diese bestellen dort seit nunmehr einigen Jahrzehnten das Land. Einige haben auch Häuser auf dem Gelände errichtet. Doch jüngst besann sich die Marine, dass sich mit dem für sie bisher unproduktiven Land Geld verdienen ließe. Mit der Immobiliengesellschaft PT Rajawali Nusantara Indonesia (RNI) wurde ein Pachtvertrag bis zum Jahr 2018 abgeschlossen. RNI möchte dort Zuckerrohr und Manggobäume pflanzen. Der Vertrag straft Politiker Lügen, die nach dem blutigen Zwischenfall behaupteten, das Land sei für die Marine unverzichtbar, da es zum Übungsgelände ausgebaut werden solle.

Die Bewohner von Alas Tlogo und einigen Nachbardörfern zogen gegen die Pläne von Marine und RNI vor Gericht. Im Urteil vom 22. März 2007 wurden ihnen zwar einige Rechte auf Entschädigung zugesprochen, in der Hauptsache wurde der Prozess jedoch verloren. Die Dörfler gingen in Berufung und sehen den Fall daher – wohl nicht ganz zu Unrecht – als schwebendes Verfahren. Verständlich war daher ihr Zorn, als am Morgen des 30. Mai ein von Soldaten begleiteter Traktor Fakten schaffen sollte. „Wir sahen den offensichtlichen Missbrauch von Militärbesitz für Geschäftsinteressen und den Missbrauch des Staatsapparates, um diese geschäftlichen Interessen zu schützen. Dies sind die Wurzeln des Problems, die zu der Schießerei führten,“ kommentierte Sri Yunanto, Direktor des Institute for Defense Security and Peace Studies gegenüber der Presse.

Eine Erklärung ganz anderer Art hatte Kiki Syahnakri, früherer Vizestabschef der Armee, der sich insbesondere in Osttimor einen zweifelhaften Ruf erworben hat. Ohne seine These auch nur mit einem einzigen Indiz zu untermauern, stand für Kiki Syahnakri fest: „Die Ausländer waren schuld!“ Die psychologischen Bedingungen, unter denen das Militär die Kontrolle gegenüber den Dorfbewohnern verloren hat, geben Hinweis auf die Beteiligung von Ausländern. Unter normalen Umständen sei es unmöglich, dass das Militär auf solche Provokationen mit Gewalt reagiere. Daher müssen Ausländer dahinter gesteckt haben, denn die Ausländer wollen Indonesien schwächen und eine ihrer Methoden ist es, Probleme zwischen den Streitkräften und dem Volk zu schüren. „Wir müssen als wachsam sein, sonst wird das Land zerbrechen.“

Kiki Syahnakri dürfte als geeigneter Dialogpartner in Sachen Sicherheitssektorreform wohl ausfallen. <>
 
 

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