Suara Nr. 2/2007 (Menschenrechte)

 

Die Magie hat nicht gewirkt, weil Munir einen Kris hatte

von Alex Flor


Fast genau drei Jahre nach dem Giftmord an Munir, Indonesiens prominentestem Menschenrechtler, kommt neue Bewegung in die stockende Aufklärung des Falls. Alles deutet auf einen Auftragsmord auf Anordnung des Geheimdienstes BIN hin. Eine umfassende Aufdeckung der Hintergründe steht jedoch nicht zu erwarten.
 

Über viele Monate hinweg schien es, als ob Indonesiens Behörden den Fall bereits zu den Akten gelegt hätten. Im Oktober 2006 hatte der Oberste Gerichtshof (Mahkamah Agung) das erstinstanzliche Urteil über Pollycarpus Budihari Priyanto, dem einzigen jemals in Zusammenhang mit dem Mord an Munir Angeklagten, von 14 auf zwei Jahre reduziert. Dem Airbuspiloten der staatlichen Fluggesellschaft Garuda Indonesia war vorgeworfen worden, er habe sich am 6. September 2004 auf einem Flug von Jakarta nach Singapur mit gefälschten Papieren unter das Kabinenpersonal gemischt. An Bord der Maschine überredete er den in der 40. Reihe der Economy Class sitzenden Munir, seinen eigenen Platz in der Business Class einzunehmen, den er selbst nicht benötige. Obgleich auf dem Flug als Sicherheitsoffizier akkreditiert, half der Pilot nun als Steward bei der Bedienung der Passagiere aus.

Einige Stunden später auf dem Weiterflug von Singapur nach Amsterdam, irgendwo im Luftraum über der Ukraine oder Rumänien, starb Munir einen elendigen Tod aufgrund einer akuten Arsenvergiftung. Die auf Pollycarpus als ausführenden Täter hinweisenden Indizien waren erdrückend. Der nahe liegende Verdacht war, dass Pollycarpus seinem Opfer die tödliche Dosis Arsen in die zwischen Jakarta und Singapur dargereichten Speisen oder Getränke gemischt hatte. Mit diesem Verdacht begründete die Staatsanwaltschaft ihre Anklage gegen Pollycarpus. Das Gericht folgte dieser Argumentation und verhängte ein Urteil über 14 Jahre Haft. Der genaue Tathergang konnte jedoch nicht geklärt werden. Wie sollte Pollycarpus sicher gestellt haben können, dass Munir auf dem Tablett mit den angebotenen Getränken zu dem für ihn bestimmten Giftcocktail griff? Und wie konnte Pollycarpus vermeiden, dass andere Passagiere genau dieses Getränk auswählten?

Angesichts solcher Fragen sah der Oberste Gerichtshof formal zu Recht die Tat als nicht bewiesen an und kassierte das Urteil. Wegen der Verwendung der gefälschten Dokumenten verhängte das Gericht eine Haftstrafe von zwei Jahren. Längst befindet sich Pollycarpus somit wieder auf freiem Fuße, denn die Untersuchungshaft wurde selbstverständlich auf die verhängte Haftstrafe angerechnet. Doch die Empörung auf Seiten von Munirs Angehörigen, ehemaligen Kolleginnen und Kollegen sowie nationalen und internationalen Menschenrechtsorganisationen war groß: soll es das nun gewesen sein? Fall erledigt, Akte geschlossen?
 

Neue Bewegung

Im März 2007 legte UN-Sonderberichterstatter Philip Alston in Genf einen Bericht vor, in dem er sich besorgt über die stockende Aufklärung des Falles äußerte. Nur wenige Tage später kündigten die indonesischen Ermittlungsbehörden an, in Kürze das Verfahren gegen einen neuen Verdächtigen zu eröffnen. Die Staatsanwaltschaft verfüge über neues Beweismaterial, darunter die Aussage des Geheimdienstagenten Raden Mohammad Patma Anwar, er sei von seinem Vorgesetzten aufgefordert worden, Munir zu ermorden.

Raden Mohammad Patma Anwar, auch Ucok genannt, sagte aus, es habe vier Szenarien für die Ausführung des Mordes gegeben. Er bestätigte damit die Richtigkeit eines bereits vor zwei Jahren aufgetauchten Papieres, in dem diese Pläne detailliert benannt worden waren (s. Indonesien-Information 1/05). Neben der letztlich erfolgreichen Variante einer Vergiftung im Flugzeug enthielt das Papier auch den bizarrr erscheinenden Plan, Munir mittels schwarzer Magie umzubringen. Ucok will zu diesem Zwecke den bekannten Paranormalen Ki Gendeng Pamungkas aufgesucht haben. Dessen Magie habe allerdings ihre Wirkung verfehlt, weil Munir einen Kris – eine Art traditioneller Dolch – besaß, der ihn vor bösen Flüchen schützte. Die Zuschauer im Gerichtssaal quittierten den Vortrag dieser Episode mit schallendem Gelächter.

„Das ist nicht die Art und Weise, wie BIN (Badan Intelijen Negara – staatl. Geheimdienst) arbeitet,“ erklärte der ehemalige Chef des Geheimdienstes, Hendropriyono, in einem Interview mit dem Nachrichtenmagazin Tempo. „BIN bedient sich heute moderner Technologien“ /Tempo, No. 51/VII August 21 - 27, 2007/. Interessanter als der Inhalt dieser Stellungnahme ist die Tatsache, dass er sich überhaupt zu dem Fall äußerte. Vorladungen des vom Präsidenten eingesetzten Untersuchungsteams, an dem auch NGO-Vertreter beteiligt waren, hatte er stets ignoriert. Stattdessen überzog er zwei Mitglieder des Teams, Usman Hamid von KontraS und Rachland Nashidik von Imparsial, mit Klagen wegen übler Nachrede. Schon früh richtete das Untersuchungsteam den Verdacht auf BIN und die beiden damaligen Spitzen des Dienstes, Hendropriyono und Muchdi Purwopranjono. Aufzeichnungen einer Telefongesellschaft zeigten, dass Pollycarpus kurz vor und nach der Tat 41 Gespräche mit BIN-Vizedirektor Muchdi Purwopranjono geführt hat.
 

Die sicherste Fluggesellschaft Indonesiens und „unsere Leute“ in der Justiz

Indonesiens Billigfluglinien kamen angesichts einer Reihe von Flugzeugkatastrophen kamen in letzter Zeit ins Gerede. Die USA warnten vor Flügen mit indonesischen Airlines und die EU verhängte ein Landeverbot über sämtliche indonesischen Fluggesellschaften. Indonesische Behörden bestätigten weitgehend die Sicherheitsmängel. In einem internen Ranking schnitt die staatliche Garuda Indonesia am besten ab, da sie immerhin 80% der geforderten Sicherheitsvorkehrungen erfülle. Bei der Bewertung blieb offenbar unberücksichtigt, dass Garuda Indonesia mutmaßlich als verlängerter Arm des Geheimdienstes BIN diente und die Unternehmensspitze nicht davor zurückscheute, Personal zum Mord an Passagieren abzustellen.

Mitte April verhaftete die Polizei den früheren Generaldirektor von Garuda Indonesia, Indra Setiawan und seine rechte Hand, Rohainil Anwar. Die beiden werden verdächtigt, an der Ausstellung der notwendigen Papiere mitgewirkt zu haben, um Pollycarpus als Sicherheitsoffizier in die Maschine nach Singapur zu schleusen. Gegen weitere Verdächtige werde noch ermittelt, hieß es. Anfang August gestand Indra Setiawan, er habe die Dienstorder auf Anweisung von BIN ausgefertigt.

Aufsehen erregte die jüngst im Gericht abgespielte Aufnahme eines abgehörten Telefongespräches, das Indra Setiawan Ende Mai von seiner Zelle aus mit Pollycarpus führte. In dem Gespräch äußerte Indra seine Sorge, ein Mitarbeiter in seinem Büro könne einen an ihn gerichteten Brief von BIN gesehen haben und ihn mit dieser Aussage zusätzlich belasten. Pollycarpus versuchte ihn zu beruhigen: „Das ist alles nur ein politisches Spiel, damit SBY (Präsident Susilo Bambang Yudhoyono) nicht von den NGOs (Nichtregierungsorganisationen) aufgemischt wird. Denn SBY ist der Präsident der NGOs.“ Es bestehe aber kein Grund zur Sorge, denn „Bagir gehört zu unseren Leuten“. Gemeint ist Bagir Manan, Chef des Obersten Gerichtshofes. In einem Atemzuge mit ihm benannte Pollycarpus auch den ehemaligen Generalstaatsanwalt Abdul Rahman Saleh und dessen Nachfolger als „unsere Leute“.
 

Transit in Singapur: Giftcocktail im geschlossenen Cafe?

Parallel zur Aufnahme des Verfahrens gegen Indra Setiawan und Rohainil Anwar wurden auch neue Beweise bezüglich des Tathergangs gefunden, die möglicherweise zu einer Wiederaufnahme des Verfahrens gegen Pollycarpus führen könnten. Durch Vermittlung des FBI untersuchte ein Speziallabor in Seattle, USA, eine eingesandte Probe des Mageninhaltes des Verstorbenen. Das Labor konnte die genaue chemische Modifikation des tödlichen Arsens feststellen, welche nach 30 bis 90 Minuten ihre Wirkung entfaltet. Die bisherige Theorie, dass Munir das Gift auf dem Flug von Jakarta nach Singapur verabreicht wurde, ist damit in Frage gestellt, da die Wirkung dann bereits auf dem Zwischenstopp in Singapur hätte eintreten müssen. Als wahrscheinlicher gilt nun die These, dass Munir das Gift erst während der Zwischenlandung zu sich genommen hat.

Entsprechend dieser neuen Theorie diente die auf der ersten Teilstrecke ausgesprochene Einladung Pollycarpus’, Munir möge doch gerne in die Business Class wechseln, einzig dem Zweck, sein Vertrauen zu gewinnen, um im Transitbereich zusammen einen Drink nehmen zu können. Die Umplatzierung könnte auch den Vorteil gehabt haben, hierfür ein wenig Zeit zu gewinnen: der Zwischenstopp in Singapur dauerte eine Stunde. Passagiere konnten das Flugzeug dort nur durch die vordere Tür verlassen. Wer sich da von Reihe 40 aus anstellen musste und sich dann möglicherweise noch kurz auf der Toilette frisch machen oder etwas im Duty Free Shop besorgen wollte, hatte kaum Zeit und Muße, vor dem Boarding zum Weiterflug noch einen Drink zu nehmen. Die Plätze der Business Class sind nah zur Tür und Business-Passagiere dürfen als erste aussteigen.

Asrini Utami Putri, die in Frankfurt am Main studiert, saß eine Sitzreihe vor Munir. Sie sagte aus, Munir im Transitbereich des Flughafens Singapur zusammen mit zwei weiteren Personen gesehen zu haben. Andere Augenzeugen wollen gesehen haben, dass die drei etwas getrunken haben. Sie saßen auf einem Sofa im Coffee Bean, ein Restaurationsbetrieb, der zu der späten Abendstunde schon geschlossen hatte. Bei den beiden Personen, die Munir dort Gesellschaft leisteten, soll es sich um Pollycarpus und Ongen Latuihamallo gehandelt haben.

Ongen ist Ambonese und in seiner Heimat als Sänger religiöser Popsongs bekannt. Schillernde Gerüchte ranken sich um seine mutmaßlichen Kontakte zu der molukkischen „Mafia“ in Holland und seine Verwicklung in den Handel mit Ecstasy. Ongen benutzt zahlreiche Pseudonyme, u.a. Anton, Raymond und Johan. „Möglicherweise ist Ongen auch als Agent des Geheimdienstes aktiv,“ erklärte Mufti Makaarim, Sprecher der von Munir gegründeten Menschenrechtsorganisation KontraS gegenüber Watch Indonesia!. Es gebe Hinweise, dass Ongen sich bereits vor dem Mord mit Pollycarpus getroffen habe.

Ongen selbst sagte im Polizeiverhör aus, Munir und Pollycarpus im Coffee Bean gesehen zu haben. Pollycarpus habe Getränke für beide besorgt. Vor Gericht zog Ongen diese Aussage später wieder zurück. Sie sei aufgrund auf ihn ausgeübten Drucks zustande gekommen. Am 16. August beantragte die Staatsanwaltschaft die Wiederaufnahme des Verfahrens gegen Pollycarpus.

Womöglich können Pollycarpus, Indra Setiawan und weitere Personen überführt werden. Sollte ihre Tatbeteiligung bewiesen sein, müssen sie zu Recht mit langen Haftstrafen rechnen. Dennoch ist klar, dass sie bestenfalls ausführende Täter waren. Ob die wahren Hintermänner und deren Motive jemals ans Licht kommen werden, bleibt trotz einiger aufschlussreicher Indizien mehr als fraglich.

Alles deutet auf einen Mord im Auftrag des Geheimdienstes BIN. Dennoch wurde bislang gegen keinen Mitarbeiter dieses Dienstes ein Ermittlungsverfahren eingeleitet. Auch das Tatmotiv bleibt im Dunkeln. An inhaltlichen Differenzen zwischen BIN und Munir gab es sicherlich keinen Mangel. Doch das alleine erklärt noch keine Mordabsicht. Der einzige bislang bekannte, äußerst vage Hinweis auf das Tatmotiv ist der Aussage eines Zeugen zu entnehmen: „Munir muss vor der Präsidentschaftswahl getötet werden,“ habe ihm sein Auftraggeber eingeschärft, so Ucok im Polizeiprotokoll. <>
 
 

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