Suara Nr. 2/2007 (Osttimor)

 

Alles, was recht ist

Kuhhandel und Wahlgeschenke in Osttimor

von Monika Schlicher


Auf die Schnelle und wohl auch ein wenig klammheimlich, vier Wochen vor den Wahlen am 30 Juni, hat die Fretilin ihre Mehrheit im scheidenden Parlament dazu benutzt, ein Amnestiegesetz für schwere Straftaten, begangen in der „Krise“ zwischen dem 20. April 2006 und dem 30. April 2007, zu verabschieden (Gesetz Nummer 30/I/5a „Truth and Measures of Clemency for Diverse Offences”). 44 der 88 Parlamentarier stimmten für das Gesetz, zwei enthielten sich der Stimme, es gab keine Gegenstimmen. Vertreter der PD (Partido Democratico), PNT (Partido Nasionalista Timorense) und PST (Partido Socialista de Timor) hätten aus Protest zuvor den Plenarsaal verlassen, so die Beobachtung eines Journalisten. Es fehlt an klaren Positionen und Stellungnahmen seitens der Oppositionsparteien, um dies hinlänglich beurteilen zu können. Einzig die PD hat sich deutlich dagegen ausgesprochen und gleichsam wendet sich die Partei in ihrem Wahlmanifest gegen eine Versöhnungspolitik ohne Gerechtigkeit. Der CNRT (Congresso Nacional de Reconstrução de Timor-Leste), die neue Partei von Xanana Gusmão, bezichtigt die Fretilin des Amtsmissbrauchs und bezeichnet das Gesetz als ein Wahlgeschenk für die eigenen Reihen. Wie der CNRT zu dem Gesetz steht, erfahren wir indessen nicht. Die Fretilin-Parlamentarier hätten das Gesetz verabschiedet, während die Parlamentarier der anderen Parteien nicht anwesend und statt dessen im Wahlkampf zu Gange waren, heißt es /CNRT Promotes Democratic Rule, Dili, 25.06.2007/

Nun lag es am Präsidenten, José Ramos-Horta, das Gesetz innerhalb von 30 Tagen zu unterzeichen oder sein Veto dagegen einzulegen. Eine weitere Möglichkeit war, den höchsten Gerichtshof (zur Zeit das Berufungsgericht) damit zu beauftragen, das Gesetz auf seine Verfassungskonformität zu überprüfen.
 

Gnade statt Recht

Das Gesetz listet 180 verschiedene Straftaten auf, bei denen Gnade statt Recht ergehen soll, für diejenigen, die bereits verurteilt wurden. Amnestien sollen gewährt werden für jene, deren Verfahren noch nicht eröffnet sind. Darunter fallen Diebstahl, Waffenvergehen, Verbrechen gegen die nationale Sicherheit (Rebellion), Zerstörung von Besitz im Wert von weniger als 10.000 US $, die Anordnung von und Aufstachelung zu Verbrechen, Gewaltanwendung und Folter auch mit tödlichem Ausgang. Ausgenommen sind Genozid und Verbrechen gegen die Menschlichkeit, doch unter diese beiden Kategorien sind sowieso keine der begangenen Straftaten zu fassen. Opfer haben in Fällen bestimmter Straftaten die Möglichkeit, finanzielle Entschädigungen zu erhalten. Gefängnisstrafen unter acht Jahren sollen pauschal um ein Jahr, Urteile über acht Jahren um ein Sechstel reduziert werden. Haftstrafen von weniger als drei Jahren, die über Täter von unter 18 Jahren bzw. über 59 Jahren verhängt wurden, sollen in Geldstrafen umgewandelt werden. Sexualstraftäter sind davon ausgenommen, wenn das Opfer unter 14 Jahren war. Die Amnestie ist an die Bedingung gebunden, dass die Täter innerhalb der nächsten drei Jahre nicht erneut straffällig werden.

Dem Wesen nach, so Osttimors Watchdog JSMP (Judicial System Monitoring Programme), sei das Gesetz eher politisch und weniger juristisch zu verstehen. Es sei mit der Intention geschaffen worden, bestimme Individuen und Gruppierungen, die sich einer Anklage entziehen möchten, zu schützen. Sogenannte „moralische Akteure“ – solche, die andere zu Verbrechen angehalten oder aufgefordert haben, profitieren wesentlich mehr von dem Gesetz als „direkte Akteure“. JSMP sieht in dem Gesetz eine inhärente Diskriminierung zwischen den großen Fischen und den kleinen Fliegen und hält nach rechtlicher Prüfung das Gesetz für nicht verfassungskonform.

Die Vereinten Nationen wie auch Osttimors Nationaler Beauftragter für Menschenrechte (Human Rights and Justice Provedor) haben schwere Bedenken angemeldet. Das Gesetz behindere die Bemühungen, diejenigen zur Rechenschaft zu ziehen, die verantwortlich für den Ausbruch der politischen Krise im April und Mai letzten Jahres waren, in deren Folge 37 Menschen getötet wurden. Seither sind weit über 100 Menschen bei anhaltenden Unruhen ums Leben gekommen. Der Provedor appellierte an den Präsidenten, Veto einzulegen und das Gesetz nicht in Kraft treten zu lassen /Diario Nacional, 04.07.2007/.

Die Regierung, unter Premierminister José Ramos-Horta, hatte seinerzeit die Vereinten Nationen gebeten, eine unabhängige Untersuchung durchzuführen (s. Suara, Nr.1/2007) Die Kommission empfahl, gegen 68 aufgeführte Personen Gerichtsverfahren und gegen weitere 70 Untersuchungen anzustrengen. Ausdrücklich betonte sie, dass es Gerichtsverfahren geben müsse, um ein klares Zeichen gegen Straflosigkeit zu setzen.

„Das Gesetz soll der jungen Nation dabei helfen, die Krise zu überwinden und nach vorne zu blicken“, erklärt Minister José Teixeira gegenüber der Nachrichtenagentur AAP. Als Folge der Krise hätten sehr viele Menschen Straftaten begangen. Sie alle vor Gericht zu stellen würde das Justizwesen überfordern und die Gefängnisse zum Bersten bringen. Er bestritt, dass die Regierung blanket amnesties geben möchte. Mörder und Vergewaltiger seien von der Regelung ausgenommen. Die Möglichkeit des Gnadengesuchs solle für Täter einen Anreiz darstellen, sich ihren Taten zu stellen. Die Wahrheit zu erfahren, so der Minister, sei für Opfer von Verbrechen das höchste Gut.

Der Bevölkerung dürfte dies schwerlich zu verkaufen sein. Zehntausende von Osttimoresen leben seit über einem Jahr in Flüchtlingslagern, sie haben zum Teil alles Hab und Gut verloren. In den Vierteln der Hauptstadt Dili regieren Banden, die sich die Gesetzlosigkeit zu Nutze machen. Einigen der Banden werden Verbindungen zu Parteien nachgesagt, ihre Finanziers bleiben im Dunkeln. Gemeinhin gilt bereits: wer in Osttimor die richtigen politischen Verbindungen hat, kann sich über das Gesetz stellen. Zynisch könnte man sagen, hierfür noch den gesetzlichen Rahmen zu schaffen, wäre eigentlich nur folgerichtig.

Der flüchtige Major Alfredo Reinado, der die internationale Sicherheitstruppe narrt und mit der Regierung Katz und Maus spielt, genießt in weiten Teilen der Bevölkerung (im Westen des Landes) inzwischen Kultstatus. Er gilt als Kämpfer für Gerechtigkeit. „Die Bevölkerung sieht, dass es Gleichheit vor dem Gesetz nicht gibt. Wer politisch bedeutend ist, wird privilegiert behandelt“, beklagt Joaquim da Fonseca, der als Menschenrechtsberater unter Premierminister Ramos-Horta gearbeitet hat und Mitglied der Rechthilfeorganisation Yayasan HAK ist /The Japan Times: Campaigner for Accountability, 25.02.2007/.

Die Verurteilung von Ex-Innenminister Rogerio Lobato zu siebeneinhalb Jahren Gefängnis für die illegale Bewaffnung einer Gruppe von Zivilisten unter dem Kommando von Vincente da Conceição, alias Railos, war ein bedeutender Schritt, um Vertrauen in die Justiz wieder herzustellen. Innerhalb von Tagen nach der Verabschiedung des neuen Gesetzes, so die osttimoresische NGO La’o Hamutuk, hätten die Anwälte von Lobato beim Generalstaatsanwalt um Amnestie für ihren Klienten nachgefragt. Sophia Cason, von der International Crisis Group wittert einen Kuhhandel. „Das [Amnestie-]Gesetz ist augenscheinlich bestimmt für Rogerio Lobato.“ Nach Aussagen von Mitgliedern der Fretilin-Mudansa Gruppe, habe Lobato die Schuld auf sich genommen unter der Bedingung, dass er amnestiert wird. Andernfalls könnte er versuchen, Ex-Premier Mari Alkatiri mit hineinzuziehen und zu belasten.

Im Wahlkampf um die Präsidentschaft, vor der zweiten, entscheidenden Runde, ließ Ramos-Horta die Jagd auf Alfredo Reinado abblasen und setzte statt dessen wieder auf Dialog. Damit entsprach er „dem Wunsch“ der PD, die daraufhin ihre Mitglieder und Wählerschaft aufforderte, für Ramos-Horta zu stimmen. Die PD hat ihre Hochburg im Westen des Landes und Alfredo wie auch die übrigen abtrünnigen Soldaten werden dort als gerechte Kämpfer für die gemeinsame Sache – das Land von der Fretilin-Regierung zu befreien – angesehen. Ramos-Hortas Entscheidung, die Jagd abzublasen, war eine nicht minder machtpolitische, die im Lager der Fretilin-Anhänger die Ansicht nährte, dass er und Xanana die Krise im letzten Jahr benutzten und auch schürten, um Premierminister Mari Alkatiri und seine Fretilin-Regierung zu stürzen. Hinzu kommt, dass Railos – derjenige, der von Lobato die Waffen erhalten hat und laut UN Untersuchungsbericht vor Gericht gestellt werden sollte – im Distrikt Liquisa Ramos-Hortas Wahlkampfkoordinator war. Die EU Wahlbeobachtermission kritisierte diesen Umstand deutlich in ihrem Bericht zu den Präsidentenwahlen.

Davon unbeeindruckt hat Xananas CNRT Railos, gegen den der Generalstaatsanwalt inzwischen eine Untersuchung eingeleitet hat, als Koordinator für die Parlamentswahlen   übernommen. Railos gilt der Fretilin Mudansa-Gruppe als nahe stehend, wenn nicht gar zugehörig. Der EU Bericht kritisiert  nicht   nur   Ramos-

Horta, sondern auch seinen Gegenspieler, den Fretilin-Präsidentschafts-kandidaten Lu-Olo: beide Kandidaten hätten sich nicht von Personen, die angeblich Wählereinschüchterung betrieben und Spannungen geschürt haben, distanziert. Dagegen beschuldigten sich beide gegenseitig im Wahlkampf unfairer Praktiken, wie Einschüchterung, Stimmenkauf und aggressiven Tür-zu-Tür Kampagnen. „Beide Kandidaten waren in ihrem Verhalten unnötig aggressiv gewesen, sie haben einander beleidigt und jede Menge Anschuldigungen erhoben,“ beanstandet der EU Missionsleiter Javier Pomes Ruiz. „Sie haben damit die Stabilität des Landes gefährdet, anstatt die nationale Einheit zu befördern, welche die Bevölkerung dringend benötigt.“ /AAP: Fretlin still a force despite poll defeat, 11.05.2007/

Osttimor ist gefangen in einem Kreislauf sich wiederholender Straflosigkeit, der die Rechtsstaatlichkeit aushöhlt, konstatiert die osttimoresische NGO La’o Hamutuk. Die anhaltende Straflosigkeit habe maßgeblich zum Ausbruch der Krise beigetragen. Es hat für die Menschenrechtsverbrechen 1999 nicht ausreichend Gerechtigkeit gegeben, geschweige denn für die Verbrechen, die zwischen 1974 und 1998 begangen wurden. Um so wichtiger wäre es, dass die Arbeit der nationalen Wahrheits- und Versöhnungskommission (CAVR) ihre Wirkung entfalten könnte, doch mit den Empfehlungen des Abschlussberichtes Chega! hat sich das Parlament bis zum heutigen Tag noch nicht befasst. Einen Hoffnungsschimmer am Horizont sieht Pat Walsh, der internationale Berater bei CAVR: die Krise hätte Xanana und Ramos-Horta wachgerüttelt. Sie hätten erkannt, dass Osttimor seine gewaltsame Geschichte immer aufs Neue wiederholt. Doch eine entsprechende Änderung ihrer Politik, gar Taten, sind bislang noch nicht zu vermelden. Trotz der starken Kritik aus der Zivilgesellschaft treiben beide die bilaterale Freundschafts- und Versöhnungskommission mit Indonesien voran. Statt die Wahrheit offen zu legen, werden die Tatsachen bei den Anhörungen der Kommission verdreht, kritisieren NGOs in Osttimor. Sie fordern effektive Schritte, um Verantwortliche für die Gräueltaten zur Rechenschaft zu ziehen und keine Kommission, die diesen Straflosigkeit gewährt.

Eine der ersten Amtshandlungen von Ramos-Horta als neuem Präsidenten war sein Antrittbesuch bei Susilo Bambang Yudhoyono in Indonesien. Beide stimmten überein, das Mandat der bilateralen Freundschaftskommission um weitere 6 Monate zu verlängern. Dabei verteidigte Ramos-Horta die Kommission als einen noblen Ansatz im Umgang mit der belasteten Vergangenheit. Er sei überzeugt, die Kommission werde die Bevölkerung in beiden Staaten zufrieden stellen und sie werde zugleich einen Präzedenzfall schaffen für andere Staaten, die sich in ähnlichen Situationen befinden. /Reuters, Indonesia, E.Timor say to leave bloody past behind, 05.06.2007/
 

General Wiranto singt falsch

Kürzlich ließ Horta nun verlauten, nach der Verlängerung um sechs Monate müsse aber Schluss sein mit der Freundschaftskommission. Er sei verärgert gewesen über den Auftritt von General Wiranto bei der Anhörung am 5. Mai 2007. Wohlbemerkt, diese Anhörung fand vor Hortas Besuch in Jakarta statt. Wiranto hatte in dieser Anhörung bestritten, dass es unter seinem Kommando 1999 zu Gräueltaten gekommen sei und die Armee Indonesiens Milizen kontrolliert oder gar ausgerüstet habe. Die Schuld für die Gewalt läge bei der UN-Mission (UNAMET), die nicht mit Blauhelmen ausgestattet war, wie dies in vergleichbaren Missionen üblich sei. „Es ist sehr enttäuschend, dass General Wiranto und andere, die aussagten, nicht ehrlich sind,“ so der Präsident. /Canberra Times: Ramos-Horta’s new direction for East Timor, 07.07.2007/ „Erst Amnesie, dann Amnestie,“ titelte Rainer Werning in seinem Beitrag zu besagter Anhörung in der Wochenzeitung Freitag. „Gemeinsam wegschauen,“ titelte Jochen Buchsteiner in der FAZ.

Die Kommission ist kein Instrument der Aufarbeitung und sie wurde auch nicht mit dieser Intention ins Leben gerufen (vgl. Watch Indonesia!: Info and Analysis, March 29, 2005: Trading Justice for Friendship). Ihre Aufgabe ist es, Freundschaft und Einigkeit zu demonstrieren. Sie bietet allen Akteuren ein Forum, ihre Version der Geschichte unwidersprochen vorzutragen: General Wiranto ebenso wie einem Milizionär der Aitarak, der jubelnd die Bühne betrat und in Siegerpose sein Plädoyer hielt. Eine Konfrontation durch die Kommissare Osttimors fand nicht statt. Sie sitzen ein wenig wie Juniorpartner in Indonesien mit am Tisch, und haben ihre Aufgabe gemäß dessen, was ihre Regierung sich davon verspricht, wohl verstanden.

Da es nun mal Gräueltaten gab, ist es bei den Anhörungen inzwischen Brauch geworden, die Verantwortung dafür bei den Vereinten Nationen zu sehen. Auch Ian Martin, der damalige Leiter der UNAMET, erhielt eine Einladung zur Aussage vor der Kommission. Nach Rücksprache mit New York folgte er dieser Einladung nicht. Die UN tut gut daran, ihr Personal nicht aussagen zu lassen, würde sie doch damit der Kommission Legitimität verschaffen und ein Gremium anerkennen, das auf Straflosigkeit zielt. Es dauerte jedoch bis zu der Anhörung Ende Juli, bis die UN dies öffentlich verlautbaren ließ: „Die Vereinten Nationen können Amnestien für Genozid, Verbrechen gegen die Menschlichkeit, Kriegsverbrechen und schwere Menschenrechtsverletzungen nicht billigen. Solange die Terms of Reference nicht überarbeitet und in Einklang mit internationalen Standards gebracht sind, wird kein Offizieller der Vereinten Nationen vor der Kommission aussagen oder sie in irgendeiner anderen Form unterstützen,“ so Generalsekretär Ban Ki-Moon.

Eigentlich, so Bantarto Bandoro vom Centre for Strategic and International Studies in Jakarta, könnten Indonesien und Osttimor den Amnestieparagrafen ruhig fallen lassen. Er bezweifelt, dass dieser Paragraf für die Arbeit der Kommission von Relevanz ist, denn es stehe weiterhin nicht zu erwarten, dass ein hochrangiger Angehöriger des Militärs freiwillig Verbrechen gesteht, nachdem das Ad-hoc-Tribunal, das zur Ahnung der  Menschenrechtsverbrechen in Osttimor 1999 in Jakarta eingerichtet worden war, dabei versagt habe, ihnen die Beteiligung an den schweren Verbrechen nachzuweisen. /Jakarta Post: UN boycotts Timor truth body, 28.07.2007/
 

Alles, was zählt

Just während die Parlamentarier der Fretilin das Amnestiegesetz verabschiedeten, positionierte sich ihre Partei im Wahlkampf und verkündete per Presseerklärung am 1. Juni „Wir wollen Gerechtigkeit für Verbrechen“. Die Partei möchte diejenigen strafrechtlich verfolgen, die Verbrechen zwischen 1974 und 1999 begangen haben. „Fretilin ist die einzige politische Organisation, die konsequent die Rechte von Opfern von Menschenrechtsverletzungen verteidigt hat,“ lässt die Partei Anicetto Guterres verkünden. Die Partei habe bei der Erstellung des gesetzlichen Rahmenwerks sowohl zur Einrichtung der nationalen Wahrheitskommission CAVR wie auch zur bilateralen Freundschaftskommission mit Indonesien darauf gepocht, dass keine Immunität gewährt wird. Höchste Priorität für die Fretilin hätten die Empfehlungen der nationalen Wahrheitskommission, die im Parlament umgehend debattiert werden sollten.

Vorläufig haben Anicettos zukünftige Parlamentskollegen noch ein paar Weichen anderer Art zu stellen. Für einen sicheren Listenplatz hat sich der Menschenrechtsanwalt und ehemalige Leiter der CAVR von der Fretilin zur Parlamentswahl aufstellen lassen. 2005 wechselte er auf Bitten und Drängen Xananas zur Freundschaftskommission, was ihm bei Opferverbänden und in Menschenrechtszirkeln in Osttimor sehr viel Sympathie gekostet hat. Dann durfte er erleben, wie Xanana sich von der CAVR abwandte und deren Abschlussbericht ins politische Abseits schob. Amnestien als Vorausbedingung für Kooperation mit der Freundschaftskommission lehnt Anicetto Guterres ab. Gute Beziehungen zwischen Osttimor und Indonesien seien wichtig, „aber das sollte nicht darin münden, dass der Prozess der Versöhnung zwischen den Staaten vernachlässigt wird und Gerechtigkeit nicht verfolgt wird.“ /Fretilin: Media Release, We want justice for crime, 01.06.2007/

Damit stellte sich die Fretilin gegen Xananas CNRT und versuchte „Gerechtigkeit und Versöhnung“ zu einem Wahlkampfthema zu machen. Doch kauft die Bevölkerung ihr dies ab? Seit der Unabhängigkeit legte die Partei im Parlament immer wieder Amnestiegesetze vor. Einzig das politische Klima hatte sie davor abgehalten, diese zu verabschieden, obgleich sie Kraft ihrer Mehrheit dazu in der Lage gewesen wäre. Die Presseerklärung Anicettos sei nichts weiter als Wahlkampfpropaganda, so José Caetano vom technischen Büro der CAVR und Leiter des East Timor Crisis Reflection Network (ETCRN). Sie sei zudem eine Reaktion auf eine Veranstaltung des ETCRN und anderer NGOs zur Rolle von Parteien bei der Implementierung von Chega!

Fernanda Borges, Präsidentin der neuen Partei PUN (Partido Unidade Nacional) hält Gerechtigkeit für die zukünftige Stabilität des Landes für unbedingt notwendig. „Wenn wir ein Rechtsstaat sein wollen, müssen wir uns des Themas annehmen. Gerechtigkeit ist das, was die Menschen wollen und was bislang noch nicht stattgefunden hat.“ PUN, die den Rückhalt der katholischen Kirche genießt, war die einzige Partei, die im Wahlkampf aktiv für das Thema einstand. Aus dem Stehgreif erhielt sie 4,55 % und zieht damit ins Parlament ein. /AAP: Voters in East Timor hope for justice as well as democracy, 01.07.2007/

Doch zurück zum Amnestiegesetz. Am 3. Juli, einen Tag vor Ablauf der 30-Tagefrist überstellte Präsident Ramos-Horta das Gesetz an das Berufungsgericht mit der Aufforderung, zu überprüfen, ob es konform mit der Verfassung und Prinzipien des internationalen Rechtes gehe, zu deren Einhaltung sich Osttimor verpflichtet hat. Das Gericht hat einen Monat Zeit für sein Gutachten. Die Verfassungsmäßigkeit sei eine Dimension, die er, so Ramos-Horta, zu bedenken habe. Eine andere sei die Dimension der politischen Implikationen. Er habe sich noch keine abschließende Meinung gebildet. „Ich würde kein Gesetz von solcher Auswirkung unterzeichnen, ohne es nicht zuvor vom höchsten Gericht in unserem Land überprüfen zu lassen.“ /Asia, Court asked to look at Timor’s controversial amnesty law, 03.07.2007/

Der Präsident spielt offensichtlich auf Zeit und wartete zunächst den Ausgang der Parlamentswahl ab, um die neuen Machtverhältnisse taktieren zu können. Auch vermied er es tunlichst, vorab Stellung zu beziehen. Nachdem das Wahlergebnis vorlag, wurde er schon deutlicher: Gegenüber Vertreterinnen der NGO La’o Hamutuk, die Ramos-Horta zum Lobbytermin aufgesucht hatten, betonte er, dass er nach Konsultationen mit der Zivilgesellschaft, NGOs und der Kirche das Gesetz nicht unterzeichnen werde /Timor Post, 06.07.2007/. Wenige Tage später lautete die Sprachregelung, das Gesetz verletze nicht nur die Verfassung, sondern es sei auch voller Diskriminierungen, „weil dieses Gesetz nur angewandt werden soll auf die Ereignisse von 2006, und nicht die Vorfälle, die sich zwischen 1974 und 1999 ereignet haben, mit einschließt“ /Timor Post, 10.07.2007/.

Der selben Logik folgt das Berufungsgericht in seinem Urteil, welches am 16. August 2007 erging. Das Gericht hält die Begrenzung von Amnestien und Gnade auf den Zeitraum zwischen dem 20. April 2006 und dem 30. April 2007 wie in Artikel 1 und 7 des Gesetzes formuliert, für nicht verfassungskonform, da sie gegen das Prinzip der Gleichheit vor dem Gesetz verstoße. Wenig verwunderlich, denn, wie in dem Urteil nachzulesen ist, war diese Argumentation bereits in der Fragestellung vorformuliert. In seiner Qualität ist das Urteil schwach, da nicht begründet wird, worin die ungerechtfertigte Ungleichbehandlung liegt.

Doch was steht zu Gerechtigkeit, Strafverfolgung und Amnestien von einer CNRT-geführten Regierung zu erwarten? Xanana, der scheidende Präsident und neue Premierminister, ist bekannt für seine weitreichende Umarmungspolitik, sein Propagieren von Versöhnung und seine Aversion gegen Strafverfolgung. <>
 

Literatur:

Gesetz Nummer 30/I/5a „Truth and Measures of Clemency for Diverse Offences”
http://www.laohamutuk.org/Justice/ Clemency/07ClemencyLaw.htm

International Crisis Group: Timor-Leste’s Parliamentary Election, Asia Briefing No. 65, Dili/Brussels, 13 Juni 2007
http://www.icg.org

JSMP: Justice Update, The Amnesty Law protects Perpetrators of Crimes committed during the 2006-2007 Crisis, 13/2007

La’o Hamutuk Bulletin: Editorial: Amnesty Law Perpetuates Impunity, June 2007
http://www.laohamutuk.org/Bulletin/2007/Jun/bulletinv8n2.html
 
 
 
 

Zurück zur Hauptseite Watch Indonesia! e.V. Back to Mainpage