Suara Nr. 2/2007 (Menschenrechte)

 

62 Jahre indonesische Unabhängigkeit:

Kein Gedanke an das Ende der japanischen Besatzungszeit?

 

von Boryano Rickum


1945 war wohl die Vorstellung, dass Indonesien einmal sein zweiundsechzigjähriges Jubiläum begehen würde, noch nicht viel mehr als ein Wunschgedanke der ansässigen Nationalisten gewesen. Überhaupt wurde der neu entstandene Staat durch den fragwürdigen Besitzanspruch der Niederländer bereits in seinem Aufbruch gefährdet. Nicht ohne Sinn generiert sich deshalb der nationale Mythos des großen Unabhängigkeitskampfes gegen die ehemalige Kolonialmacht jedes Jahr am Tag der Proklamationserklärung, dem 17. August neu. Die symbolische Kraft des erfolgreichen Widerstandes gegen den Rückkehrversuch der niederländischen Krone nach 1945 ist ungebrochen, zeigt aber erste Einbußen: Von Jahr zu Jahr sind seine Veteranen vermehrt um ihre Beachtung gerade bei den jüngeren Generationen des Landes besorgt. Nichtsdestotrotz werden sie bisher an jenem geschichtsträchtigen Tag stets als Nationalhelden geehrt. Doch sind die alten Kämpfer nicht die einzigen, die um ihre Anerkennung ringen. Lange Zeit unbeachtet blieben auch jene, denen der 17. August vielleicht mehr bedeutet als die Unabhängigkeit alleine: die Opfer der japanischen Okkupationszeit.

Möglicherweise sehen sie in diesem Feier- und Gedenktag stärker das gleichzeitige Ende der dreieinhalbjährigen Besatzungszeit denn die Gründung ihrer eigenen Nation. Wahrscheinlich gedenken sie dann vorrangig der Menschen, welche die Gräueltaten der japanischen Armee nicht überlebten als jenen, die sich später gegen die Holländer zur Wehr setzten. Genau kennt man die Empfindungen der mittlerweile vergreisten Generation von Indonesiern freilich nicht, denn diese letzten Zeitzeugen der Unabhängigkeitserklärung wurden bisher nur selten zur japanischen Besatzungszeit befragt.
 

Ein Gedanke an die „Trostfrauen“

Ein Teil von ihnen hat es dennoch ins Licht der Öffentlichkeit geschafft: Die international sogenannten „Comfort women“ oder vielmehr „Jugun Ianfu“, wie Sie euphemistisch von den japanischen Soldaten während des Pazifikkrieges bezeichnet wurden, obschon diese Frauen in Wirklichkeit gemeinsam mit ihren Leidensgenossen aus den nördlicheren Teilen Asiens nichts anderes ertragen mussten als sexuelle Sklaverei. Bloß bedurfte es für ihren Schritt auf die öffentliche Bühne vier Jahrzehnte, bis zum Beginn der 90er Jahre. Und noch immer müssen sie um ihre volle Anerkennung und Wiedergutmachung bei der japanischen – jedoch auch bei ihrer eigenen Regierung streiten. Dabei werden sie weltweit von Frauenorganisationen unterstützt. Wohl hatte Japan 1995 einen privaten Opferfonds ins Leben gerufen mit dem Ziel, die ehemaligen „Trostfrauen“ finanziell zu entschädigen. Allerdings lehnten die meisten ehemaligen Opfer diese aus ihrer Perspektive betrachtet reinen Almosen ab und forderten weiter eine offizielle Entschuldigung von Seiten der japanischen Regierung. Die politische Führung des Landes der aufgehenden Sonne hat bis heute massive Schwierigkeiten damit, dieses Verbrechen ihres Staates öffentlich einzugestehen. Die indonesische Administration unter Suharto jedoch erklärte mit Errichtung des Asian Women Funds das Kapitel der einheimischen „Jugun Ianfu“ für beendet, wodurch es seither den betroffenen Frauen an staatlichem Zuspruch und Unterstützung in ihrer Sache fehlt.

Welche Erinnerungen in ihnen wohl geweckt werden, wenn bei den Feierlichkeiten zur Unabhängigkeit Staatsgründer Sukarno geehrt wird, der sich einst in seinen Memoiren damit rühmte, während der Okkupation persönlich durch die Besorgung von „gewöhnlichen“ Prostituierten für das fleischliche Verlangen der Besatzer weiteres Leid von seinen Landsleuten abgewendet zu haben? 1
 

Kein Gedanke an die Arbeiter

Kaum öffentliches Interesse im eigenen Land erfährt hingegen das ehemalige Arbeiterheer der sogenannten Romusha – die vornehmlich aus Java stammenden Zwangsarbeiter der kaiserlichen Armee Japans. Gemeinsam mit alliierten Kriegsgefangenen mussten sie unter unmenschlichen Bedingungen in Industrie- und Bauprojekten sowohl im eigenen Land als auch in ganz Südostasien regelrechte Sklavenarbeit leisten. Nach dem Ende des Pazifikkrieges hatte es noch zwei Jahre gedauert, bis die letzten von ihnen, welche Deportation, Zwangsarbeit, Hunger und Krankheit überlebt hatten, in ihre Heimat zurückkehren konnten. Zwar finden sie im Gegensatz zu den erwähnten  Frauen  in   indonesischen

Geschichtsbüchern häufig Erwähnung. Auch wurde unmittelbar nach dem Krieg in Bayah auf Java ein Monument errichtet, um daran zu erinnern, dass dort unzählige Menschen bei dem Bau einer Zugstrecke nach Saketi aufgrund der brutalen Verbrechen der Japaner umkamen. Allerdings lässt sich seitdem nur noch wenig aus den öffentlichen Medien über das Bauwerk selbst, noch über seinen Errichtungsgrund erfahren. Obendrein müssen die ehemaligen Zwangsarbeiter bis heute erdulden, dass diejenigen einheimischen Eliten, welche die Besatzer einst bei ihrer Rekrutierung unterstützt hatten, nie in die Kritik gerieten, oder gar sich dafür gerichtlich verantworten mussten. Dies hatte Sukarno im Gegensatz zum Verbrechen an seinen Landsfrauen schon gespürt, weswegen er am Ende seiner politischen Laufbahn bekannte: „In fact it was I – Sukarno – who sent them to work. Yes it was I. I shipped them to their deaths. Yes, yes, yes, I am the one. I made statements supporting the recruitment of romushas. […] It was horrible. Hopeless. And it was I who gave them to the Japanese. Sounds terrible, doesn’t it? […] Nobody likes the ugly truth.” 2

Was die Überlebenden wohl empfinden, wenn sich ihre eigene Regierung bedingt durch die Besuche japanischer Politiker beim Yasukuni-Schrein, an dem auch die für ihr Leid verantwortlichen Soldaten geehrt werden, zu keinen kritischen Signalen gegenüber Japan veranlasst sieht?
 

Verbotener Gedanke an den Widerstand

Bemerkenswert ist weiter die Tatsache, dass die Republik zwar den Widerstandskämpfern des Unabhängigkeitskampfes nach 1945 gedenkt, jedoch nicht der ehemaligen Opposition und der Untergrundbewegungen gegen den vormaligen japanischen Aggressor. Denn was für viele Nationen nach dem Zweiten Weltkrieg ein zentrales Motiv der eigenen Identität und Selbstvorstellung wurde – der Mythos einer antifaschistischen    Widerstandsbewegung – findet in Indonesien keine tiefgründige Verwurzelung. Ein weiterer Blick in die Schulbücher   bringt      freilich     den antijapanischen Aufstand der Verteidiger des Vaterlandes – der „Pembela Tanah Air“ (PETA), der Vorläuferarmee der TNI, in Blitar 1945 hervor. Allerdings kann der zivile Widerstand selten mit einer ihm angemessenen Bedeutung im Geschichtsbewusstsein der Indonesier aufwarten. Wohl vor allem, weil er vornehmlich von den kommunistischen Kräften des südostasiatischen Inselarchipels durchgeführt worden war. Hier wissen nicht nur ausgewiesene Experten der indonesischen Vergangenheit, dass alleine bei der bloßen Erwähnung von Kommunismus noch heute sprichwörtlich wie real vieles in Brand geraten kann.

Diese Zeitzeugen lassen sich indes auch nur schwer nach ihren Erinnerungen an den antijapanischen Widerstand befragen, da sie entweder spätestens in den sechziger Jahren im eigenen Land Opfer von staatlicher Verfolgung und Massenmord wurden, oder – als Überlebende der Massaker von 1965/66 – aus diesem Grund bis heute lieber schweigen.
 

Indonesiens Problem mit Geschichte

Schon letztgenannte Unmöglichkeit zeigt schnell, dass die Ereignisse der Besatzungszeit nicht die größten und einzigen Treibgüter sind, die ihrer Bergung aus dem Meer der indonesischen Geschichte trotzen: Vor allem Suhartos alte Ordnung und die damit verbundenen Gewalterfahrungen der Bevölkerung bedürfen bekanntermaßen einer intensiven gesellschaftlichen Auseinandersetzung. Doch schon die einheimische Art der Behandlung und die geringe Berücksichtigung der Überlebenden alleine der drei genannten Begebenheiten aus der Besatzungszeit zeigen, dass auch mit dem japanischen Vermächtnis ein angemessener Umgang in Indonesien noch gefunden werden muss. Dies umso mehr, wenn berücksichtigt wird, dass die ehemaligen Jugun Ianfu und Romusha sowie Widerständler nach    über   sechs  Jahrzehnten  bald nicht mehr selber davon berichten können und sich deshalb die Frage aufdrängt, wie ihre Erlebnisse den nachfolgenden Generationen überliefert werden können.

Die Suche nach Antworten auf offene Fragen zur Phase der Besatzungszeit unterstützt überdies die Aufarbeitung der Suharto-Ära. Denn bei näherer Betrachtung offenbaren sich einige Verbindungsbrücken: So begann für Suharto und viele Eliten des späteren Indonesiens der militärische und politische Aufstieg in der von den Japanern initiierten und ausgebildeten PETA-Armee, wodurch dem späteren Befehlshaber und autoritären Präsidenten neben dem klassischen Kriegshandwerk auch Instrumente und Wege zur Überwachung und Repression der Zivilbevölkerung vor Augen geführt wurden. Eines dieser effektiven Kontrollinstrumente ist beispielsweise das RT/RW-Blockwartsystem, welches in den Städten und Gemeinden seit der Orde Baru (Neue Ordnung) erneute Verwendung fand und seinen Ursprung in dem japanischen Tonarigumi-System der Besatzungszeit hat.

Warum also tut sich die indonesische Gesellschaft insgesamt so schwer damit, ihre eigene Geschichte neu und frei von jeglicher Ideologie zu betrachten? Ist die Orde Baru, welche selbst Debatten zu den Taten der japanischen Besatzungszeit vorsorglich zu unterbinden gesucht hatte, noch nicht weit genug entfernt? Wird von den noch mächtigen Suhartogetreuen befürchtet, dass über eine Diskussion zu den Gräueltaten der Japaner hinaus weitere Treibgüter der eigenen Geschichte geborgen und betrachtet werden könnten? Sorgt sich die politische Elite des Landes um eine Belastung der Beziehungen mit dem großen Wirtschaftspartner Japan? Oder fehlt es der indonesischen Gesellschaft allgemein an einer tiefgehenden Erinnerungstradition, wie es etwa für die jüdische Kultur ein so zentrales Element darstellt? Diese Art von Fragen gehört mit hinein in den noch zu lösenden Aufgabenkatalog des politischen Konsolidierungsprozesses, nicht zuletzt, um dem 1998 wiedergeborenen demokratischen Gemeinwesen Indonesiens weitere Legitimation und Stabilität zu verleihen. <>

1 Vgl. Sukarno – An autobiography, as told to Cindy Adams, New York 1965, S.163f.
2 Ebenda, S.192.
 
 

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