Suara Nr. 2/2007 (Aceh/Politik)

 

Verschwundene Flaggen bedrohen den Friedensprozess

von Ingo Wandelt


Was zuerst wie ein Witz erschien, als im Vorlauf zu den Feierlichkeiten zum Nationalfeiertag Indonesiens am 17. August in Aceh mehr und mehr der aufgezogenen rot-weißen Nationalflaggen Indonesiens von Masten verschwanden, muss angesichts der Reaktion indonesischer Autoritäten bis hin zum Präsidenten Besorgnis erwecken. Als dann auch in Westpapua Flaggen verschwanden und die Reaktionen seitens der Sicherheitskräfte dort sehr heftig waren – bis bin zur Androhung des Schießbefehls – war eindeutig, dass diese Angelegenheit nicht mehr Aceh allein betraf.

Große Teile der indonesischen Elite, zivile wie militärische (mehr noch die Zivilen) sind seit Jahren von einer Paranoia befallen, die langsam Sorge bereiten muss. Sie sind der festen Überzeugung, dass separatistische Bewegungen dabei sind, mehr oder weniger konzertiert – und immer verdeckt unterstützt vom Ausland – das indonesische Vaterland qua Subversion und regionaler bewaffneter Separatistengruppen Stück für Stück zu zerteilen. Sie sehen ihren Staat, den „Einheitsstaat der Republik Indonesien“ (abgekürzt zu NKRI) in Gefahr.

Was mit einer in der Elite (nicht in der Bevölkerung) kollektiv psychologisch nicht verarbeiteten Ablösung der ehemaligen Provinz Osttimor 1999 und deren Transformation in einen unabhängigen Staat begann, weitete sich zu einer traumatischen Haltung aus, die mehr oder weniger die gesamte politische Elite, darunter ganz besonders und quer durch alle Parteien weite Teile des Parlaments sowie den diplomatischen Dienst Indonesiens erfasst hat. Diese von außen schwer nachvollziehbare traumatisierte Haltung, die wohlweislich lange nach 1999 erstmalig unter Präsidentin Megawati ab 2001 als politische Symptomatik in Erscheinung trat, ist in der internationalen Presse nicht oder kaum thematisiert worden. Sie schlägt sich seit Jahren fast ausschließlich in den indonesischsprachigen Medien, dort aber fast täglich, in diversen Meldungen nieder.

Die Wahl des Präsidenten Susilo Bambang Yudhoyono (SBY) hat diesen Trauma-Ultranationalismus für zwei Jahre in den Hinter- bzw. Untergrund gedrängt, bis er über Westpapua (die vormalige Provinz Irian Jaya) wieder sichtbar wurde. Westpapua befindet sich seit über einem Jahr in einem Quasi-Kriegszustand, weil die Sicherheitskräfte gegen die Unabhängigkeitsbewegung der OPM (Organisasi Papua Merdeka), deren paramilitärische Kraft von Experten als eher bedeutungslos eingeschätzt wird, überhart vorgeht. Wie üblich leidet die unbeteiligte zivile Bevölkerung darunter am meisten. Dennoch wird seit etwa März 2006, was ich im Internet gut verfolgen konnte, von ultra-nationalistischen Kreisen die Stimmung einer kurz vor dem Sieg, sprich der Abtrennung Westpapuas von Indonesien, stehenden Separatistenkampagne suggeriert. Seitdem sich der Präsident kürzlich bei einem Besuch auf der Molukkeninsel Ambon mit einer Tanzgruppe der dortigen Separatistenbewegung RMS konfrontiert sah – wobei völlig unklar ist, wie diese Gruppe von 30 Leuten durch drei Sicherheitskordons überhaupt in seine Nähe gelangen konnte – schlägt auch er härtere Töne gegen Separatisten an. Separatisten, die nicht existieren, oder wenn sie existieren, keinerlei ernsthafte Gefahr für Indonesiens Existenz darstellen. Eine genau gegenteilige Einschätzung verbreiten allerdings seit Wochen fast sämtliche indonesischen Medien, wovon sich nur noch die liberale Jakarta Post wohltuend abhebt.

Dass sich heute auch Ex-Präsident Abdurrahman Wahid (Gus Dur) gegen „Separatisten“ ausspricht, unterstreicht den Ernst der Lage. Präsident SBY steht ernsthaft unter Druck von ultranationalistischen Kreisen, die insbesondere im Sicherheitsapparat zu vermuten sind. Die Ablösung des Pangdam Pattimura, des Wehrbereichschefs von Ambon/Molukken, durch den nicht ultrarechten Kommandeur der Heeresspezialkräfte (Kopassus) Aquary im August belegt, wie ernst die Lage dort eingeschätzt wird. Ohne führende Beteiligung des örtlichen Militärs wäre der Pangdam nicht abgelöst worden. Der Polizeichef der Südmolukken, so sei angemerkt, wurde ebenfalls entlassen.

Kommt nun Aceh an die Reihe? Hier sieht die Situation anders aus, vor allem wegen der Aufmerksamkeit des Auslandes. Den Friedensprozess kann niemand so einfach kippen, ohne Reaktionen aus den Regierungsmetropolen der Welt befürchten zu müssen. Aber gerade deswegen muss die Lageentwicklung in Aceh präzise beobachtet werden. Wer hat die Flaggen stibitzt? War es die GAM oder will ihr jemand etwas ans Leder flicken?

Es ist auch klar, dass gewichtige Gruppierungen den Friedensprozess für Aceh niemals wirklich akzeptiert haben, und dass sie das Memorandum of Understanding von Helsinki als eine unerträgliche Einmischung des Auslands empfunden haben. Da ist eine Menge an Unmut entstanden, der sich Bahn schaffen kann, wenn die Lage in Aceh günstig erscheint. Jeder Anschein separatistisch motivierter Gewalt, gleich woher, wo, wie und warum, dient diesen Kreisen als Beleg für den „Verrat“ der GAM und des Westens. Des Westens deswegen, weil dieser der GAM über Jahrzehnte Unterschlupf in Schweden geboten hat. So einfach ist die ultranationalistische Logik in Indonesien immer gewesen. Wer nicht für uns ist, ist gegen uns.

Die Flaggenaffäre reicht weit über Aceh hinaus bis in die Politik Jakartas. <>
 
 

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