Suara Nr. 2/2007 (Osttimor)

 

Wahlen in Osttimor

von Monika Schlicher


Osttimor hat gewählt. Am 9. April und 9. Mai war die Bevölkerung aufgerufen, einen Präsidenten zu wählen, am 30. Juni erfolgten die Parlamentswahlen. Hinter dem Land liegen spannungsgeladene Monate, es kam zu Zusammenstößen und Ausschreitungen, innerhalb von Sekunden sind friedliche Kundgebungen in Gewalt umgeschlagen. Doch es blieb weit hinter den erwarteten Unruhen zurück und die internationalen Sicherheitskräfte hatten die Lage im Griff. An den Wahltagen selbst blieb es friedlich. Reihum beglückwünschten internationale Wahlbeobachtermissionen das Land zu einem positiven Wahlverlauf. Soweit so gut.
 

Demokratische Fassade der politischen Elite

Doch die Bevölkerung blieb skeptisch und in Sorge. Werden die Parteien das Wahlergebnis friedlich anerkennen? Vor allem, wird die bisher mit fast Zweidrittelmehrheit regierende Fretilin (Frente Revolucionária de Timor-Leste Independente) in demokratischer Manier akzeptieren, dass sie möglicherweise an einer zukünftigen Regierung nicht mehr beteiligt sein wird? Oder wird sie ihre militanten Anhänger aufstacheln, gar bewaffnen wie im Jahr zuvor? Viele in der Bevölkerung befürchteten letzteres, und sie sollten recht behalten. Von der demokratischen Fassade ihrer politischen Elite ließen sie sich nicht blenden. Gab es denn dazu Anlass? Wenn in Osttimor um die politische Macht gerungen wird, dann zählt der einfache Mensch nicht viel. Doch er hat es auszubaden. Dann gibt es keine Sicherheit, dann drangsalieren aufgestachelte bewaffnete Männer die Bevölkerung, es brennen Häuser, dann heißt es fliehen. Gewalt, Einschüchterung und Manipulation sind in Osttimor noch immer die Mittel zur Durchsetzung politischer Interessen. Politische Ideale bleiben auf der Strecke. Das trifft nicht allein auf die Fretilin zu und es ist auch kein Erbe der indonesischen Gewaltherrschaft.

Indonesien machte sich die Uneinigkeit und Manipulierbarkeit, die Missgunst und Käuflichkeit der Osttimoresen zu Nutze, zuletzt 1999, als das indonesische Militär osttimoresische Milizen ins Feld führte und versuchte einen Bürgerkrieg zu entflammen. Die Milizen begangen Gräueltaten und legten das Land in Schutt und Asche, nachdem die Unabhängigkeitsbefürworter das Referendum deutlich für sich entscheiden konnten. Das Land sollte wieder bei Null anfangen müssen. Eine Bedrohung für die junge Nation ging in den folgenden Jahren nicht so sehr von den Milizen aus, die sich nach Westtimor geflüchtet hatten - wie von der politischen Elite und den Vereinten Nationen oft behauptet wurde. Die angebliche Bedrohung von Seiten der Milizen wurde als Argument für eine weitere Präsenz der Blauhelme benutzt. Getrübt blieb hingegen der Blick für die Brüche, Divergenzen und politische Animositäten innerhalb der Unabhängigkeitsbewegung. Diese - und nicht Übergriffe seitens der Milizen aus Westtimor - brachten das junge Land 2006 an den Rande des Zusammenbruchs. Die Wut und Enttäuschung bei den Osttimoresen über ihre politische Führung ist groß. Fünf Jahre nach der hart errungenen Unabhängigkeit ist die Nation gespalten. Osttimoresen bekämpfen Osttimoresen. Ausländische Mächte mussten zu Hilfe gerufen werden. Internationale Stabilisierungskräfte aus Australien, Neuseeland und Portugal sowie UN Polizei versuchen die Sicherheit im Land wiederherzustellen.
 

Präsidentschaftswahlen

Beim zweiten Wahlgang zu den Präsidentschaftswahlen am 9. Mai setzte sich der bisherige Außenminister und Friedensnobelpreisträger von 1996, José Ramos-Horta, mit 73 % der Stimmen gegenüber seinem Gegenspieler Lu-Olo Guterres von der Fretilin durch. Im ersten Wahlgang lag Lu-Olo noch mit 27,89 % der Stimmen vor Ramos-Horta, der 21,8 % erhielt; gefolgt von Fernando de Araujo von der Partido Democratico (PD) mit 19,18 %. Francisco Xavier do Amaral, einst Mitbegründer der Fretilin und heutiger Parteiführer der sozialdemokratischen ASDT (Associação Social-Democrata de Timor ASDT - Vereinigung der Sozialdemokraten Timors) kam auf 14,39 %, die übrigen vier Kandidaten blieben unter 10 %. Das recht ausgewogene Bild ließ für die Fretilin nichts Gutes hoffen, weder für die Stichwahl noch für die Parlamentswahlen am 30. Juni diesen Jahres.

Bei der Wahl zur verfassungsgebenden Versammlung 2001, der bislang einzigen Wahl in Osttimor, kam Fretilin auf überwältigende 57 % der Stimmen. Geschickt verstand es die Partei damals, sich als diejenige Kraft zu präsentieren, welche die Unabhängigkeit errungen hat. Die Bevölkerung bedankte sich und die Fretilin leitete aus dem für sie überwältigenden Wahlergebnis ihren alleinigen Herrschaftsanspruch ab. Einen nennenswerten Gegenspieler gab es nicht.

Präsident Xanana Gusmão versuchte die Macht auszubalancieren. Die Notwendigkeit, eine eigene Partei zu etablieren, sah er damals nicht. Doch die verfassungsgebende Versammlung, in der die Fretilin 55 der 88 Sitze innehatte, sah für Osttimor keinen starken Präsidenten vor. Auf eine Parlamentswahl wurde verzichtet. Der autoritäre Führungsstil von Premierminister Mari Alkatiri (Fretilin), die sich ausbreitende Cliquenwirtschaft, Filz und Korruption erzürnten Xanana mehr als ein Mal, und in der Bevölkerung wuchs die Frustration.

Der Umgang mit den meuternden Soldaten im Frühjahr 2006 brachte das Fass schließlich zum Überlaufen. Das junge Land schlitterte in eine tiefe politische und gesellschaftliche Krise. Erst als Präsident Xanana mit Rücktritt drohte, Ramos-Horta und weitere Minister offiziell ihren Rücktritt einreichten und Oppositionsparteien Demonstrationen organisierten, lenkte Alkatiri ein und räumte seinen Platz. Kurz darauf übernahm Ramos-Horta das Amt des Premierministers.

Die Krise hat die Fretilin isoliert. So war es für Ramos-Horta nun bei der Stichwahl ums Präsidentenamt ein Leichtes, stimmgewaltige Oppositionsparteien hinter sich zu bringen, obgleich die Fretilin von vielen Menschen im Osten des Landes nach wie vor als Schutzpatron angesehen wird. Lu-Olo hat seine Niederlage umgehend eingeräumt und die Anhänger der Fretilin aufgefordert, es ihm gleich zu tun. Es kam nicht zu gewalttätigen Ausschreitungen. Das deutliche Votum der Wähler für Ramos-Horta gibt diesem ein starkes Mandat. Der erste Schritt des großen Plans wurde erfolgreich vollzogen.
 

Horta und Xanana auf der Zielgeraden

Lange, bevor sich abzeichnete, wie es denn gehen könnte, pfiffen es die Spatzen in Osttimor von den Dächern: Premierminister Ramos-Horta und Präsident Xanana möchten die Positionen tauschen. Dazu gründete Xanana zu Anfang des Jahres eine neue Partei, die keinen geringeren Namen trägt als CNRT – die Abkürzung für den nationalen Widerstandsrat Osttimors (Conselho Nacional de Resistência Timorense), den er selbst 1986 zur Einigung aller Kräfte das Landes ins Leben gerufen hatte. Der Widerstandsrat CNRT löste sich 2001 vor der Wahl auf. Nun erfuhr er seine Wiedergeburt als National Congress for the Reconstruction of East Timor. Die Wahl der gleichen Kürzel war eine klare Kampfansage an die Fretilin mit ihrem exklusiven Anspruch, als einzige das Land regieren zu können. Xanana gewann für seine Partei ein breites Spektrum ganz unterschiedlicher Personen: Intellektuelle und Unabhängigkeitskämpfer ebenso wie finanzstarke Personen, die unter Indonesien in Amt und Würden waren und eher dem alten Pro-Autonomie Lager zuzurechen sind. Auch die sogannte Mudansa-Gruppe (Mudansa, Tetum für Wandel) fand Aufnahme, eine Reformgruppe innerhalb der Fretilin um den ehemaligen Außenminister José Luis Guterres. Die Gruppe war in der Fretilin kalt gestellt worden und wechselte zum CNRT über, ohne dass die Mitglieder der Gruppe jedoch aus der Fretilin austraten. Parteichef Mari Alkatiri droht deswegen, juristisch gegen sie vorzugehen. Die kleine Sozialistische Partei Osttimors (PSD) schickte fünf ihrer Kandidaten über die Liste des CNRT ins Rennen. Von Anbeginn setzte der CNRT auf die Einbeziehung anderer Parteien, um den Regierungswechsel vollziehen zu können. Bereits im Vorfeld der Wahl wurden Sondierungsgespräche über eine mögliche Koalition geführt. PSD, ASDT und PD waren nicht abgeneigt.

Bei den Parlamentswahlen am 30. Juni verlor die Fretilin fast die Hälfte ihrer Stimmen. Sie bleibt aber mit 29,02 % die stärkste politische Kraft. Die Partei hat vor allem im Osten des Landes gepunktet. Der CNRT kam auf 24,10%, die Koalition ASDT-PSD gewann 15,73 % und die PD 11,30 % der Stimmen. Wie zu erwarten, haben sich diese Parteien nach der Wahl zu einer Allianz (Alliance of the Parliament Majority, AMP) zusammengeschlossen und kommen zusammen auf 37 der 65 Sitze im Parlament. Nun gibt es Unklarheit über die Auslegung der Verfassung. Dort heißt es, dass die Partei mit den meisten Stimmen oder eine Allianz von Parteien, die die Mehrheit der Stimmen im Parlament haben, die Regierung bilden und den Premierminister stellen soll. Doch in welcher Reihenfolge ergeht der Auftrag des Präsidenten? Die Fretilin pochte zunächst darauf, den Premierminister zu stellen und als stärkste Partei die Regierung zu bilden. Sie könne auch als Minderheitsregierung die Geschicke des Landes bestimmen. Präsident Ramos-Horta hatte zur Lösung eine Regierung der nationalen Einheit vorgeschlagen. Seiner Meinung nach würde eine solche Regierung das Wahlergebnis am besten abbilden und die Fretilin als stärkste Kraft berücksichtigen. Unter der Bevölkerung, wie auch bei den angesprochenen Parteien, fiel dieser Vorschlag nicht auf sehr fruchtbaren Boden. Die Wählerinnen und Wähler wollten den Regierungswechsel und haben anderen Parteien als der Fretilin ihre Stimmen gegeben. Mario Carrascalão von der PSD hält die Positionen und Interessen der Parteien für viel zu gegensätzlich, als dass eine nationale Einheitsregierung funktionieren könnte.

Hortas Aufforderung zur Einheits-regierung war möglicherweise nicht mehr als Taktik, um die Fretilin nicht aktiv auszuschließen. Als sich abzeichnete, dass Ramos-Horta den Auftrag zur Bildung der Regierung an die Allianz geben würde, drohte die Fretilin noch auf die Schnelle, das Parlament zu boykottieren und zeigte sich plötzlich offen für eine Einheitsregierung (government of grand inclusion) mit einem parteiunabhängigen Premierminister und zwei Stellvertretern, je einer von der Fretilin und einer von der Allianz. Doch keine der Parteien innerhalb der Allianz mochte

sich für diesen Vorschlag erwärmen. Ramos-Horta rief die Anhänger der Fretilin auf, friedlich zu bleiben. Auch wenn die Partei nicht an der neuen Regierung beteiligt sei, so hieße das nicht, dass man sie ignoriert, sie sitze schließlich mit 21 Vertretern im Parlament. Am 30. Juli wurde endlich das neue Parlament eingeschworen. Zum Parlamentspräsidenten wurde der Vorsitzende der PD, Fernando de Araujo „Lasama“, gewählt. Er setzte sich mit 41 zu 24 Stimmen gegen den von der Fretilin aufgestellten Anicetto Guterres durch.



Fretilin um den Sieg gebracht?

Am 6. August forderte Ramos-Horta die Allianz auf, eine Regierung zu bilden und ernannte Xanana zum Premierminister. Mari Alkatiri ließ umgehend vermelden, dass die Fretilin diese Regierung nicht anerkenne. Sie sei illegal und nicht verfassungsmäßig. Aus Protest verließ die Fretilin das Parlament. Sie pochte darauf, dass sie als Partei mit den meisten Stimmen das Vorrecht hätte, die Regierung zu bilden und das Wahlergebnis zeige, dass die Bevölkerung eine Einheitsregierung wünscht. Mari Alkatiri und seiner Clique scheinen alle Mittel recht zu sein, um ihre politischen und vor allem wirtschaftlichen Interessen zu wahren. Die Botschaft an Mitglieder und Wählerschaft war jedenfalls deutlich: „Ramos-Horta und Xanana betrügen uns um den Sieg!“

Umgehend nach der Ankündigung von Ramos-Horta brachen gewaltsame Proteste los. Einer der Schwerpunkte waren die Flüchtlingslager, in denen Menschen aus dem Osten des Landes verharren. Aufgestachelte Anhänger der Fretilin gingen in Dili auf die Straße, errichteten Blockaden, griffen Autos an und brannten Häuser nieder. „Xanana ist ein Verräter“, war auf Bannern zu lesen. Am schlimmsten waren die Zerstörungen in Baucau und Viqueque. Rund 4.000 Menschen suchten dort in Einrichtungen Zuflucht vor dem wütenden Mob. In Baucau wurden die Büros des Catholic Relief Service und der Caritas niedergebrannt, gleichfalls das Lagerhaus des Ministeriums für Landwirtschaft. Tonnen von Saatgut und Nahrungsmitteln, die jetzt dringend benötigt würden, wurden zerstört. Jegliches landwirtschaftliches Gerät war zuvor geplündert worden. Das Lagerhaus war mit Unterstützung u.a. der GTZ eingerichtet worden. Es wurde vom Ministerium gemeinsam mit der GTZ, dem World Food Program und Seeds of Life genutzt. Augenzeugen waren über die entfesselte Gewalt entsetzt. Was die Angreifer zur Rechtfertigung vorbrachten, folgte der irrationalen Logik, „das Gebäude gehört uns (der vormaligen Fretilin Regierung) und die neue Regierung soll es nicht bekommen“. Wieder bei Null anfangen.

In Viqueque wurde ein Konvoi der UN angegriffen, so dass humanitäre Hilfe nur noch mit Helikoptern geleistet werden konnte. Die UN ließ die Sicherheitsstufe im Land heraufsetzen. Der Mob machte gezielt Jagd auf Unterstützer des CNRT, wieder gingen zig Häuser in Flammen auf. Über 110 Personen wurden verhaftet, 34 bislang angeklagt.

Und die Fretilin-Führung? Nach zwei Tagen Unruhen und Zerstörung verkündetet der Vizesekretär der Partei, Arsenio Bano, sie habe ihre Unterstützer aufgefordert, Abstand von der Gewalt zu nehmen. Die Partei rufe lediglich zu zivilem Ungehorsam auf. Zugleich räumte er ein, dass sie die Kontrolle über ihre Anhänger verloren habe, die der Partei, für die sie gestimmt haben, die die Wahl gewonnen habe und nun doch nicht die angemessene Position erhielt, nicht mehr vertrauten. Er warnte davor, dass australische Geschäfte angegriffen werden könnten.

Präsident, Premierminister und die Leitung der UN-Mission richteten deutliche Worte an die Fretilinführung. Diese wehrte sich nun massiv gegen den Vorwurf, dass die Gewalt von ihren Mitgliedern ausgegangen sei. Schließlich könne sich jeder eine Fretilin-Flagge besorgen, das mache noch kein Mitglied aus ihm. Die Mitglieder der Fretilin seien diszipliniert. Die Partei werde diffamiert. Allen voran von den ausländischen Medien. Auch die australischen Sicherheitskräfte seien parteiisch.

Inzwischen rief die Partei in den Distrikten zur Mäßigung auf und kehrte ins Parlament zurück. Gleichwohl beharrt sie darauf, die neue Regierung sei nicht verfassungsgemäß. Ein vermittelndes Angebot von Xanana, die Fretilin an der Koalitionsregierung zu beteiligen, lehnt sie bislang ab.

Xanana versprach bei seiner Einsetzung, all seine Energie darauf zu verwenden, die Unabhängigkeit und nationale Einheit des Landes zu verteidigen und zu konsolidieren. Er wird zeigen müssen, dass er als der Premierminister, wie auch Horta als Präsident, das Wohl der ganzen Nation im Blick hat. Der Osten des Landes blickt mit Skepsis auf die beiden nationalen Größen, denn auch sie sind Teil der politischen Krise und haben viel an Ansehen und Vertrauen verloren.

Mit einer Entspannung der Lage in den Flüchtlingslagern ist vorerst nicht zu rechnen. Die Lagerbewohner sind Leute aus dem Osten des Landes, die aus ihren Wohnvierteln in der Hauptstadt Dili vertrieben wurden. Nicht nur die Wohnviertel, sondern auch die Lager werden mittlerweile von Banden kontrolliert. Längst haben sich dort eigene Ökonomien entwickelt, die den Erhalt der Lager lukrativ machen. Manche Einrichtung, wie das große Lager in Metinaro, wird auf eine permanente Ansiedlung hinauslaufen.

Die Allianz bündelt recht unterschiedliche Interessen, die bei der Bildung der Koalitionsregierung Berücksichtigung finden mussten. Parteiprogramme spielten weder bei der Wahl noch bei der Bildung der Koalition eine Rolle. Es ging einzig darum, die Fretilin abzulösen. Das löst jedoch nicht die enormen Probleme, mit denen das Land zu kämpfen hat. Die Demokratisierung der politischen Elite wäre ein guter erster Schritt in Richtung auf eine Lösung. <>
 

Detaillierte Aufteilung nach Wahlkreisen s. Homepage der Nationalen Wahlkommission: http://www.cne.tl
 
 

Zurück zur Hauptseite Watch Indonesia! e.V. Back to Mainpage