Indonesien-Information Nr. 2 2003 (Demokratie)

 

Wir müssen professioneller werden

Interview mit Rachland Nashidik


Watch Indonesia!: Wie geht es den Menschenrechten fünf Jahre nach dem Sturz des Diktators Suharto?

Rachland: Es gibt schon Einiges, was wir erreicht haben. Aber in einigen Regionen geschehen noch immer systematische Menschenrechtsverletzungen. Wir erleben den typischen Zustand eines Transformationslandes, da macht Indonesien keine Ausnahme. Es wäre falsch, zu sagen, es habe sich nichts verändert. Wir können heute frei unsere Meinung sagen. Wir haben Pressefreiheit, wir dürfen Organisationen gründen. Das muss man schon anerkennen, das ist ein Erfolg der Reformbewegung von 1998. Das Problem ist aber, dass die Kräfte der Orde Baru (Neue Ordnung) ständig versuchen, ihren früheren Einfluss wieder zu gewinnen oder auszubauen. Daneben gibt es neue beunruhigende Tendenzen. In Konfliktgebieten lässt sich gut beobachten, wie das Militär mit der Polizei konkurriert. Dabei hat es nach dem Ende von Dwifungsi (der Doppelfunktion des Militärs) eigentlich nur noch die Aufgabe, das Land nach außen zu verteidigen. Diese Gesetzesänderung ist fundamental für das Militär. Die Macht über die innere Sicherheit ist natürlich auch ein Wirtschaftszweig – den man sich ungern aus den Händen nehmen lässt. Diese Verteilungskämpfe haben weitere Menschenrechtsverletzungen zur Folge. Aber im Vergleich zur Suharto-Zeit hat die Zivilgesellschaft jetzt auch bessere Ressourcen, um die Kritik hörbar zu machen, die vorher nur versteckt geäußert werden konnte.

Welcher Art sind die Menschenrechtsverletzungen, die Ihnen heute Sorge bereiten?

In Aceh spitzt sich die Gewalt immer weiter zu. Folter ist immer noch an der Tagesordnung. Dort ist das noch relativ klar zu sehen. Subtiler wird es bei den neuen Gesetzen, mit denen Militär und Geheimdienst versuchen, sich Macht zurückzuholen. Das neue Geheimdienstgesetz gibt dem BIN (Badan Intelijen Negara, staatl. Geheimdienst) eine gesetzlich ausgeweitete Macht, genau wie das neue Militärgesetz. Das sagt, dass die TNI (Tentara Nasional Indonesia, nationale Streitkräfte) selbst entscheiden darf, wann die Lage kritisch genug ist, um Truppen in Bewegung zu setzen. Das ist eine klare Verschiebung von Kompetenzen, die nichts bei der TNI zu suchen haben. Das Gesetz steht dem Militär eine eigene Interpretation von Recht und Gesetz zu. Das halte ich für eine sehr gefährliche Entwicklung, die indonesische Menschenrechtsaktivisten sehr genau im Auge behalten sollten.

Betrachten wir das tägliche Leben. Was macht die Gefahr dieser neuen Gesetze aus?

Das BIN-Gesetz verleiht dem Geheimdienst eine Autorität, die bislang dem Justizwesen vorbehalten ist. Diese Autorität darf BIN nicht besitzen! Mit dem neuen Gesetz können Verdächtige ohne Haftbefehl sieben Tage lang vom BIN in Haft genommen werden. Die Haftzeit kann ausgeweitet werden auf drei mal 90 Tage, also insgesamt 270 Tage, ohne dass der Verdächtige einem Richter vorgeführt wurde. Sie verweigern dem Verhafteten das Recht zu schweigen. Sie verweigern die Auskunft, wo der Verhaftete hin gebracht wurde. Diese Verletzungen der grundlegendsten Menschenrechte werden mit dem Kampf gegen den Terrorismus begründet. Der Geheimdienst möchte außerdem gern sein Budget und seine Mitarbeiterstärke selbst festlegen und die Regionen, in denen er Büros unterhält. Das ist unfassbar. Doch nicht nur ein verselbständigter Geheimdienst hat seine Gefahren. Als verlängerter Arm der Regierung ist der BIN schon gefährlich genug. Wenn man Menschen derart lang ohne Rechtsbeistand ins Gefängnis stecken kann, ist das ein Freibrief für Folter. Deshalb müssen wir dieses Gesetz verhindern.

Interessieren sich die „kleinen Leute“ in Indonesien für diese Problematik?

Den Wenigsten sind die möglichen Folgen bekannt. Das ist wohl das Problem der Menschenrechtsaktivisten in vielen Ländern. Die Mehrheit der Indonesier hat nicht den Fokus, den wir Menschenrechtler haben. Ihnen geht es natürlich erst einmal um die nötige Stabilität fürs tägliche      Überleben und nicht um eine funktionierende Zivilgesellschaft. Diese Einstellung ist für uns eine weitere Herausforderung. Wie sollen wir effektiv arbeiten ohne eine breite Unterstützung unseres Volkes? Deshalb müssen wir in unseren Programmen und Kampagnen auch noch stärker darauf achten, Partizipationswillige zu suchen und einzubinden.

Was genau macht IMPARSIAL, um zum Beispiel gegen die genannten Gesetze mobil zu machen?

IMPARSIAL ist eine sehr junge Organisation, die drei Schwerpunkte hat. Zunächst bieten wir die Expertise für eine alternative Menschenrechtspolitik. Wir haben eine Kampagne gegen die Anti-Terror-Gesetze und das BIN-Gesetz gestartet. Wir untermauern unseren Protest mit der Veröffentlichung von alternativen Gesetzesvorschlägen. Was das bereits beschlossene Anti-Terror-Gesetz angeht, haben wir Änderungsvorschläge für das Parlament erarbeitet. Außerdem dokumentieren wir Menschenrechtsverletzungen. Und schließlich schützen und vertreten wir Menschenrechtsaktivisten.

Wo auf der politischen Bühne setzen Sie als NGO an, um ihre Ziele zu verwirklichen?

In einem Land mit derart vielen Parteien ist das schwer. Obwohl man sagen muss, dass zum Beispiel die Bauern und ihre Organisationen viel erreicht haben. Auch für Arbeiterrechte haben sich viele NGOs stark gemacht, die inzwischen gut organisiert sind. Organisationen wie Kontras und IMPARSIAL, die sich für politische Rechte stark machen, stehen auch vor dem Problem einer völlig zersplitterten Gesellschaft. Es gibt Tausende politische Strömungen und unter ihren Anhängern einen gemeinsamen Willen auszumachen, ist schwer. Außerdem können wir ja auch keine Parteiaufgaben übernehmen und Massen mobilisieren. Was wir also tun können und müssen ist, professioneller zu werden und unsere Aufgaben effektiv zu erledigen. So wie amnesty international es tut. Die haben massenhaft Mitglieder und Unterstützer weltweit, weil sie gute Arbeit leisten. Und sie können mit diesem breiten Rückhalt wirklich Einfluss auf Politik nehmen. Professioneller werden heißt für die indonesischen NGOs auch, wegzukommen vom lediglichen Kritisieren und Blockieren. Wir müssen statt dessen mit Engagement und Alternativvorschlägen zur gängigen Politik versuchen, unsere Sicht der Dinge einzubringen.

Sie kehren gerade zurück von der jährlichen Sitzung der UN-Menschenrechtskommission in Genf. Was haben die Vereinten Nationen dort über die Situation in Indonesien zu hören bekommen?

Die diesjährige indonesische Delegation war mit 20 Mitgliedern die bislang größte. Die verschiedenen NGO-Vertreter hatten auch ganz unterschiedliche Anliegen. Meines war, vor den Gefahren der Anti-Terror-Gesetze und des BIN-Gesetzes zu warnen und zu zeigen, wie sie die Demokratisierungsbemühungen unseres Landes konterkarieren. Ich habe auch mit vielen NGO-Vertretern anderer asiatischer Staaten gesprochen, die ganz ähnliche Probleme haben.

Wie hat denn die UN-Kommission auf die vorgetragenen Befürchtungen reagiert?

Da kann man nicht auf prompte Ergebnisse hoffen. Wir bieten ja nur ein Mosaiksteinchen in einem viel größeren Kontext, und der heißt: Straflosigkeit. Das war der Fokus aller indonesischen Delegationsmitglieder in diesem Jahr. Alle vorgetragenen Berichte sollen dazu beitragen, den Zustand der Straflosigkeit für die in Vergangenheit und Gegenwart begangene Menschenrechtsverletzungen endlich zu beenden.

Ihre Reise hat Sie auch nach Deutschland und Holland geführt, wo sie mit verschiedenen europäischen NGO-Vertretern gesprochen haben. Welche Chancen liegen in der internationalen Zusammenarbeit?

Das Ziel dieser Treffen ist, eine gemeinsame Strategie zu suchen im Kampf gegen die Straflosigkeit. Vor diesem Hintergrund ist die Zusammenarbeit mit den europäischen Freunden, derer wir uns ja schon sehr lange erfreuen, sehr, sehr wichtig. Diese Solidarität müssen wir unbedingt fortsetzen. Wir brauchen internationalen Druck. Internationaler Druck bedarf zuvor der Aufmerksamkeit. Diese Aufmerksamkeit für in unserem Lande begangene Menschenrechtsverletzungen schaffen die hiesigen NGOs. Ohne sie könnten wir den Kampf für Demokratie und Menschenrechte nicht führen. <>
 

Rachland Nashidik ist Mitbegründer und Programmdirektor bei IMPARSIAL. Er war früher Vizepräsident bei PBHI und Vorsitzender des Zentrums für Information und Aktionsnetzwerkes für eine demokratische Reform (PIJAR).

Das Interview führte Anett Keller beim Workshop: „Straflosigkeit für Menschenrechtsverletzungen“ von Watch Indonesia! und der Heinrich-Böll-Stiftung am 13. April 2003 in Berlin.
 
 
 

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