Indonesien-Information Nr. 2 2003 (Demokratie)

 

Moskitos, Maniok und Malaria

Eindrücke einer Jugendbegegnung auf Biak

von Matthias Leanza, Tino Breitbarth und Antje Missbach


Eigentlich war jeder Sonnenuntergang ein Ereignis für sich: Mal in leuchtend-rot bis tief-violett, mal dezent hinter tropischen Haufenwolken versteckt, mitunter auch kitschig-rosa oder gar monströs-orange. Dass wir letztlich nur ungefähr jeden zweiten davon fotografiert haben, lag daran, dass wir nicht auf der Insel Biak (Westpapua) weilten, um einen Maximalurlaubsfaktor zu erzielen, sondern um unser Projekt weiterzuführen, das 2001 seinen Anfang nahm.

Doch sollten wir sowohl uns als auch das Projekt zunächst einmal vorstellen: Wir – das sind derzeit 15 junge Leute zwischen 17 und 29 Jahren aus Berlin, Bielefeld, Hannover und Leipzig, deren Interessen und Einstellungen von Umwelt- und Naturschutz, interkulturellen Kommunikationsformen und entwicklungspolitischen Fragestellungen bis hin zu basisdemokratischer Experimentierfreude reichen. Und unser Projekt ist folglich eine abwechslungsreiche Komposition aus all diesem – Zyniker könnten es Minimalkonsens nennen. Die Herausforderung, der wir uns gemeinsam gestellt haben, ist der Aufbau eines Freizeit- und Bildungszentrums für Jugendliche in der Nähe der Stadt Biak. Die Initiative dafür ging von einer relativ jungen Organisation namens Yayasan Pemuda-Pemudi Insos Kabor Biak (Jugendstiftung Biak – kurz: Yapikbi) aus. Wie überall in Indonesien, formierten sich im Zuge der allgemeinen Demokratisierungseuphorie nach dem Abgang Suhartos 1998 auch hier in Westpapua zahllose emanzipatorische Gruppierungen, Vereine und Organisationen. Zu dieser Zeit kehrte Otis Simopiaref aus seinem mehrjährigen Exil in den Niederlanden auf seine Heimatinsel zurück. Innerhalb kurzer Zeit gelang es ihm, zwei Dutzend motivierter Männer und Frauen für seine Idee von der Schaffung einer alternativen Bildungs- und Begegnungsstätte für Jugendliche zu gewinnen. Dank der langjährigen Kontakte von Otis zum Jugendaktionsnetzwerk Umwelt und Natur (Janun e.V.) in Hannover bekamen wir Wind von der Sache. Ein Finanzantrag für den Aufbau des Zentrums wurde geschrieben und die Flugkosten für unsere Reise hierher aufgetrieben. Mit demselben Enthusiasmus und vorerst ohne verbindliche konkrete finanzielle Zusagen aus Deutschland errichteten die Yapikbis nach traditioneller Bauweise ein Pfahlhaus über dem Meer, in dem wir wohnen sollten.

Die Bewilligung des Antrages durch die niedersächsische Umweltlotterie Bingo-Lotto ließ alle Herzen höher schlagen und spornte uns als auch die Yapikbis bei der Arbeit an. Neben den vielen Diskussionen und Besprechungen, die für die detaillierte Planung des Jugendzentrums notwendig waren, genossen wir bereits damals die Ausflugs- und Erholungsmöglichkeiten, die Biak zu bieten hat.

Es ging uns aber nicht allein um die Durchführung des Bauvorhabens, sondern auch um den persönlichen Austausch zwischen beiden Gruppen. Aus diesem Grunde schrieben wir neue Anträge, um Gelder für einen Rückbesuch zu organisieren, an dem dann 2002 zehn Yapikbis teilnahmen. Der Logik von Jugendaustauschprogrammen entsprechend, folgte ein weiterer Biak-Aufenthalt im Sommer diesen Jahres.

Für diejenigen von uns, die Biak bereits kannten, war die Ankunft wie eine Rückkehr – ein Eintauchen in Vertrautes. Und doch war vieles anders als in der Erinnerung gespeichert. Die Freundlichkeit und Herzlichkeit der Menschen beeindruckt uns nach wie vor außerordentlich, wenngleich der Zauber des Moments durch nicht zu unterschätzende finanzielle Lasten überschattet wurde. Ehrgeizige Vorhaben wie die kostenlosen Englisch- und Computerkurse waren ausgesetzt worden, weil die laufenden Kosten für Yapikbi alle Rücklagen aufgezehrt hatten. Als Folge der eingeschränkten Handlungsspielräume machte sich unter den Jugendlichen eine gewisse Lethargie breit. In Verbindung mit unserem Besuch wurden zwar viele Aktivitäten wieder aufgenommen oder neu angeregt, doch vielen von uns bereitete diese unfreiwillige Rolle des „Animateurs“ eher Unbehagen. In zahlreichen Gesprächen haben wir immer wieder darauf verwiesen, dass das „Projekt Yapikbi“ nach der zeitlich begrenzten Zusammenarbeit mit uns unbedingt weitergeführt werden sollte. Dafür sind wir bereit, auch Input zu geben, doch die Motivation für eine kontinuierliche Arbeit muss von Yapikbi selbst ausgehen. Angesichts unserer eingeschränkten finanziellen und zeitlichen Möglichkeiten und unserer Semi-Professionalität fühlen wir uns von den meisten materiellen als auch organisatorischen Erwartungen überfordert. In der Zeit dieser mehrwöchigen Begegnung boten wir Hilfestellung und veranstalteten verschiedene Seminare, bei denen es um Enthierarchisierung von Kommunikationskultur, nachhaltige Ausgabenplanung und die Schaffung transparenter Entscheidungsstrukturen ging. Darüber hinaus gab es verschiedene Sprach- und Musikkurse, die auf beiden Seiten für viel Spaß und Ausgelassenheit sorgten.

Da uns nicht nur das konkrete Projekt am Herzen lag, sondern auch der größere soziale Kontext, in dem wir uns befanden, reservierten wir viel Zeit für Schulen und weiterführende Bildungseinrichtungen. Außerdem lernten wir sämtliche Krankenhäuser von innen kennen, da vielen von uns trotz Chemiekeule (Lariam bzw. Malarone) mehr oder weniger gravierende Malariaformen (malaria tertiana/malaria tropica) nicht erspart blieben. Zu unserem weiteren Pflichtprogramm gehörten ebenfalls Radiointerviews, Dorfbesuche und Treffen mit anderen Jugend- und Kirchengruppen. Unseren obligatorischen freien Tag pro Woche wussten wir mit interessanten Ausflügen in die nähere Umgebung auszufüllen. Besonders beeindruckten uns die wunderschönen Strände im Norden, wo man beim Schnorcheln noch richtig was geboten bekommt, die Sonne für eine rasche Hauterneuerung sorgt und Strandgutfetischisten ihren Sammelleidenschaften fröhnen können. Die nahegelegenen Padaido-Inseln, wo uns ein mehrtägiger Ausflug hinführte, sind diesbezüglich ebenfalls nicht zu verachten. Vor allem die Bootsfahrten, bei denen wir den einen oder anderen Delphin zu Gesicht bekamen und des Nachts im tropischen Sternenhimmel versanken, sind uns noch lebhaft in Erinnerung.

Vermutlich werden es aber nicht diese Highlights sein, die uns – zurück in Deutschland – fehlen, sondern die alltäglichen Kleinigkeiten und die kleinen Alltäglichkeiten, die uns einander näher gebracht haben. Die gemeinsamen Kochexperimente, die ausgedehnten Liederabende und freilich die zusammen geleisteten Arbeitseinsätze auf der Baustelle und im Wald.

Die Krönung der gemeinsam verbrachten Zeit bildete zweifellos der malam budaya (Kulturabend), den beide Gruppen mit Beiträgen unterschiedlichster Art ausfüllten. Yapikbi präsentierte traditionelle Heilungszeremonien und eigene Tanzkreationen, die mit einem deftigen Schlag Selbstironie versehen waren. Wir dagegen ließen unserer Kompetenz in puncto deutscher Leitkultur freien Lauf: fettige Pommes mit Tofu-Avocado-Creme, Eisenacher Kuckuckspolka, Rio Reisers „König von Deutschland“, Stuhltanz und zerplatzte Luftballons. Wir können nur hoffen, dass auch unsere hohen Gäste vom Kantor Imigrasi Gefallen an den Darbietungen fanden. Diese hatten die Gelegenheit genutzt, um zu überprüfen, ob denn unsere kulturellen Aktivitäten auch den Reglementierungen für Cultural-Studies-Visa entsprachen. Immerhin erregten wir Langnasen bei den Sicherheitsbehörden so großes Aufsehen, dass der Chef des Immigrationsbüros höchst persönlich an seinem freien Samstagabend bei uns vorbeischaute und uns gönnerhaft die Verlängerung der Visa zusagte (die Schmiergelder waren aber immer noch hoch genug!). Zwei Tage später wurde uns die Rechtmäßigkeit unseres Tuns sogar in der Cenderawasih Pos verkündet.

Angesichts der gestiegenen internationalen Sympathien für Westpapua ist die Nervosität bei den offiziellen indonesischen Stellen durchaus nachvollziehbar. Noch immer benötigen Reisende für bestimmte Regionen im zentralen Hochland Sondergenehmigungen (Surat Jalan) und nach wie vor herrschen in manchen Dörfern Westbiaks Ausgangsbeschränkungen. Im Vorfeld des indonesischen Unabhängigkeitstages war die Polizei in den Dörfern Biaks emsig damit beschäftigt, dass am 17. August vor jedem Haus eine rot-weiße Fahne wehte. Dabei sind die papuanischen Protestaktionen auf den Straßen merklich zurückgegangen. Laut Otis Simopiaref wurde in den letzten Monaten nirgends in Biak eine Morgensternflagge gehisst. Überhaupt sind wir vor zwei Jahren wesentlich häufiger zum Thema Unabhängigkeit Westpapuas angesprochen und zu Stellungnahmen gedrängt worden. Scheinbar ist die Euphorie vorerst verblasst. Alltagsprobleme wie wachsende Korruption und Veruntreuung von staatlichen Hilfsgeldern überschatten das ambitionierte Vorhaben nach nationaler Eigenständigkeit. Resignation ist vielerorts die vorherrschende Grundhaltung. Wie es mit Westpapua nach der Aufteilung in drei Provinzen weitergeht, wird sich zeigen. Wesentliche Veränderungen werden wohl erst nach den Präsidentschaftswahlen im kommenden Jahr zu erwarten sein. Wir sind gespannt auf die Berichte der Yapikbis, die wir beim Wiedersehen im nächsten Sommer zu Ohren bekommen werden – bei hoffentlich vielen schönen Sonnenuntergängen im Mauerpark in Berlin... <>
 
 
 

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