Indonesien-Information Nr. 2 2003 (Demokratie)

 

Die Wahlkommission muss mogeln

von Pipit Kartawidjaja


In seiner Eigenschaft als Europapräsident der unabhängigen Wahlbeobachtungskommission KIPP bereiste der Autor vier Wochen lang sein Heimatland Indonesien, um die Öffentlichkeit, Experten, Parteien und Mitglieder der Wahlkommission KPU über Probleme und technische Feinheiten bei der Durchführung der Parlamentswahl 2004 aufzuklären.
 

Noch nie war ich ein so gefragter Mann wie zwischen dem 20. Juli und 15. August 2003. Täglich musste ich entweder einen oder zwei Vorträge halten, ein Interview oder eine Presseerklärung abgeben. Wenn ich einen Vortrag hielt oder ein Interview gab, verstanden meine Zuhörer (sowohl das Publikum als auch die Journalisten) meine Ausführungen nicht. Deshalb fanden sich in der indonesischen Presse immer nur meine „einfachen“ Erklärungen zum neuen Wahlsystem. In einer Talkshow des Radiosenders 68H Jakarta diskutierten Prof. Dr. Ramlan Subarkti, Vize-Chef der indonesischen Wahlkommission (KPU), und ich eine Stunde lang über das neue Wahlrecht. Die Hörer hatten Gelegenheit, uns Fragen zu stellen. Aber keiner fragte uns. Besser verlief die Diskussion bei der Radio-Talkshow in Palu, der Provinzhauptstadt von Sulawesi Tengah (Zentralsulawesi). Während der einstündigen Talkshow riefen vier Zuhörer an und sagten, dass meine Erklärungen zum neuen Wahlsystem zu kompliziert seien und sie diese nicht verstanden hätten. Sie fragten mich deshalb anschließend, ob ich einverstanden wäre, wenn sie die kommenden Wahlen boykottieren würden.

Diese skizzierten Zustände in Indonesien sind traurig und zugleich gefährlich.
 

Das neue Wahlsystem

Im Gegensatz zu den vergangenen Wahlen von 1999 finden die Wahlen im kommenden Jahr mit einem neuen Wahlsystem statt: Verhältniswahl mit offener Liste für die Parlamente auf allen Ebenen (national, regional und kommunal). Neben diesen gleichzeitig stattfindenden Wahlen werden 2004 auch Wahlen für die „Quasi-Senats“-Abgeordneten 1 und Präsidentschaftswahlen einschließlich der Wahl des Vize-Präsidenten abgehalten. Während meiner Reden, Vorträge und Interviews konzentrierte ich mich ausschließlich auf das Wahlsystem für die Parlamente.

Zunächst wurde das Verhältniswahlrecht mit offener Liste von den Gruppen außerhalb des Parlaments (DPR, Dewan Perwakilan Rakyat) propagiert, schließlich aber von den dominierenden Parteien im DPR (PDI-P und GOLKAR) angenommen. Das Verhältniswahlrecht mit offener Liste ist als Kritik an unserem vergangenen Wahlsystem (Verhältniswahl mit geschlossener Liste) zu verstehen. Diese Kritik richtete sich besonders gegen zwei Gesichtspunkte: Ersten bestand bisher keine direkte Beziehung zwischen den Gewählten und ihren Wählern. Und zweitens bestimmten die Parteizentralen die Abgeordneten (sowohl vor als auch nach den Wahlen) 2.

Voraussetzung für die Anwendung des Verhältniswahlrechts mit offener Liste ist eine neue Wahlkreiseinteilung. Laut Wahlgesetz (UU No. 12/2003 tentang Pemilihan Umum) und den Erläuterungen in der Anlage dazu (§ 48), muss ein Wahlkreis mit mindestens drei bis maximal zwölf Sitzen im Parlament vertreten sein. Dies gilt für alle Parlamentsebenen (DPR, DPRD auf Provinzebene und DPRD auf kommunaler Ebene der Kabupaten/Kotamadya). Aus diesem Grund wird Indonesien in eine Unmenge von Wahlkreisen mit drei bis zwölf Sitzen zersplittert.

Zunächst werden für das nationale Parlament (DPR) die Sitze abhängig von der jeweiligen Bevölkerungszahl an die Provinzen verteilt. Erhält eine Provinz aufgrund seiner hohen Bevölkerungszahl mehr als zwölf Sitze, so muss die betroffene Provinz in zwei oder mehr Wahlkreise aufgeteilt werden. Dieses Verfahren gilt ebenso für die Sitzverteilung in den Parlamenten auf Provinz- und auf kommunaler Ebene (DPRD).

Bezugseinheit für die Aufteilung in mehrere Wahlkreise ist die jeweils nächste untergeordnete Verwaltungsebene. Das heißt, Provinzen werden in Wahlkreise aufgeteilt, die den Städten und Kommunen (Kotamadya u. Kabupaten) entsprechen. Entfallen auf eine Kommune mehr als zwölf Sitze, so wird weiter unterteilt in Wahlkreise, die den Subdistrikten (Kecamatan) entsprechen. Im Umkehrschluss gilt auch, dass Verwaltungseinheiten zu einem Wahlkreis zusammengeschlossen werden können, um die zur Erlangung des Minimums von drei Sitzen notwendige Bevölkerungszahl zu erreichen. Dies gilt jedoch nur für die unteren Verwaltungsebenen. Eine Zusammenlegung mehrerer Provinzen zu einem Wahlkreis für die Wahl des nationalen Parlaments ist nicht vorgesehen.
 

Der schwierigste Fall: Die Sitzverteilung im nationalen Parlament (DPR)

Nach den Wahlen von 1999 und dem Verlust von Osttimor entstanden mehrere neue Provinzen, von denen mindestens drei zu Problemen bei der Sitzverteilung führen: Kepulauan Bangka-Belitung, Gorontalo und Maluku Utara. Die Anerkennung der ebenfalls neu entstandenen Provinzen Kepulauan Riau, Irian Jaya Barat und Irian Jaya Tengah ist noch strittig. 3 Dagegen bereitet die von Westjava abgespaltene neue Provinz Banten keinerlei neue Probleme.

Bei einer festgelegten Anzahl von 550 Sitzen im nationalen Parlament (DPR) und bei einer Gesamtbevölkerung von 214.877.606 Menschen muss gemäß Anlage zu § 48 Wahlgesetz von 2003 ein Sitz einer Bevölkerungszahl zwischen 325.000 bis 425.000 entsprechen. Mit einer Bevölkerung von 885.627 erhielte demnach die neue Provinz Maluku Utara nur zwei Sitze. Selbiges gilt auch für die neue Provinz Gorontalo.

Aber: Zwei Sitze im Parlament für diese beiden neuen Provinzen ist nicht möglich, denn laut Anlage zu § 48 Wahlgesetz muss eine neue Provinz mindestens drei Sitze erhalten. Die Paragraphen widersprechen sich. Denn wenn die neue Provinz Maluku Utara drei Sitze bekommt, dann entspricht ein Sitz einer Bevölkerungszahl von 285.209, d.h. weniger als die minimal geforderten 325.000.

Das gleiche Problem tritt bei der Sitzverteilung für die Provinz Papua auf (vor der neuen Einteilung), die mit einer Bevölkerungsanzahl von 2.358.100 sechs Sitze erhalten müsste. Diese sechs Sitze wären aber gegen das Gesetz, denn laut Anlage zu  § 48 Wahlgesetz von 2003 muss jede Provinz mindestens die gleiche Anzahl von Sitzen erhalten, die sie im 1999 gewählten Parlament inne hatte. Bei der Wahl von 1999 erhielt Papua insgesamt 13 Sitze. Mit einer Anzahl von 13 Sitzen entspricht jedoch jeder Sitz einer Bevölkerungszahl von 181.392 Papuas – weit weniger als die geforderten 325.000. Nicht nur die Provinz Papua genießt eine solche Bevorzugung, sondern auch andere Provinzen wie Sulawesi Selatan, Sumatera Barat oder Nusa Tenggara Timur. Dort liegen die durchschnittlichen Bevölkerungszahlen pro Sitz ebenfalls unter 325.000.

Mit solchen widersprüchlichen Gesetzvorgaben kämpft die Wahlkommission KPU (Komisi Pemilihan Umum) nun bereits seit Monaten. Von Deutschland aus habe ich auf Bitten mehrerer Organisationen (KIPP Nasional,  CETRO) und Mulyana W. Kusumah (Mitglied der KPU) versucht, eine Einteilung der DPR-Sitze zu berechnen. Zu den bereits genannten Problemen kam erschwerend hinzu, dass die KPU die der Berechnung zugrunde zu legenden Bevölkerungsdaten von November 2002 bis August 2003 dreimal änderte. Außerdem musste die KPU auch die Anzahl der Provinzen ständig ändern: im November 2002 waren drei neue Provinzen gesondert zu berücksichtigen (Bangka Belitung, Maluku Utara und Gorontalo), Ende August 2003 waren es bereits fünf  (zusätzlich Kepulauan Riau und Irian Jaya Barat).

Obwohl die KPU und ich auf die untere Grenze von 325.000 Personen pro Parlamentssitz nicht mehr beachteten (d.h., bewusst gegen das Gesetz verstießen), blieb eine Einteilung trotzdem sehr schwierig, denn man kommt zu dem Schluss, dass die vorgegebenen 550 DPR-Sitze zu wenig sind. Es müssten mindestens 554 Sitze sein, damit wenigstens die obere Grenze von 425.000 Personen pro Parlamentssitz nicht überschritten werden würde. Wohlgemerkt, bei dieser Berechnung wurde die Quote in Java schon auf die höchste (425.000) pro Sitz festgelegt.

Wie verteilt man die 550 DPR-Sitze so, dass die obere Grenze von 425.000 Personen pro Parlamentssitz nicht überschritten wird (die untere Grenze von 325.000 vernachlässigen wir), jede Provinz mindestens drei Sitze und zudem mindestens die Anzahl der Sitze wie im DPR von 1999 erhält? Da das Wahlgesetz nicht vorschreibt, welches Berechnungsverfahren für die Sitzverteilung angewandt werden muss, habe ich alle Berechnungsverfahren angewandt (Quotenverfahren von Hare/Niemeyer, Hagenbach-Bischoff/Dropp/Imperiali und Divisorverfahren von Adams, Jefferson/d´Hondt, Huntington-Hill, St. Lague/Webster) – ohne Ergebnis.

Es führte zu nichts. Nur ein Trick, den ich zusammen mit der KPU zufälligerweise anwendete, führte zu einer Lösung. Der Trick besteht darin, dass die neuen Provinzen besonders genau untersucht werden.

Die neue Provinz Gorontalo beispielsweise war im Wahljahr 1999 Bestandteil von Sulawesi Utara. Für das Wahljahr 2004 wurde Sulawesi Utara in zwei Provinzen aufgeteilt: Sulawesi Utara und Gorontalo. Im Wahljahr 1999 erhielt Sulawesi Utara insgesamt sieben Sitze. Nach der neuen Berechnung würde Sulawesi Utara sechs und Gorontalo drei Sitze erhalten. Wichtig ist: im Wahljahr 2004 stellen Gorontalo und Sulawesi Utara zusammen neun Sitze, d.h. zwei mehr als im Wahljahr 1999. Diese Art von Berechnung kann man auch für die Provinzen Maluku und Maluku Utara, und Papua (wird unterteilt in Papua und Irian Jaya Barat) anwenden.

Durch dieses Verfahren ist es möglich, die 550 DPR-Sitze auf die Provinzen zu verteilen. Das Ergebnis verkündete die KPU am 22 August 2003. In einer gemeinsamen Erklärung von KIPP Nasional und KIPP Europa, die wir am 13.08.2003 der KPU unterbreiteten, machten wir klar, dass dieser Trick den betroffenen Regionen oder Parteien ermöglichen könnte, sich zu beschweren und eventuell gegen die KPU zu klagen.
 

Verkehrte Welt

Wie schon vermutet, meldeten sich nach dieser Verkündung die im DPR vertretenen Parteien (GOLKAR, PDI-P und PPP). Sie protestierten gegen die KPU. „Ungerecht“, „diskriminierend“, „Verstößt gegen das Gesetz“, so lautete ihr Urteil. Die Kritik richtete sich vor allem gegen die Sitzverteilung bei geteilten Provinzen wie Maluku, Sulawesi Utara und Papua. GOLKAR fand es nicht richtig, dass Maluku jetzt nur drei Sitze erhält, denn laut Gesetz müsste Maluku sechs Sitze erhalten.

Richtig konterte die KPU: Maluku hatte 1999 zwar sechs Sitze, teilte sich in der Zwischenzeit aber in Maluku und Maluku Utara. Zwar bekommt jetzt Maluku nur drei Sitze, dafür erhält Maluku Utara aber auch drei Sitze. Insgesamt stellen die Provinzen Maluku und Maluku Utara sechs Sitze.

Außerdem erhoben GOLKAR und die Vertreter von Papua schwere Vorwürfe, denn GOLKAR betrachtet Papua weiterhin als eine Provinz und lehnt die von der KPU verkündete Teilung in Papua und Irian Jaya Barat ab.

Laut GOLKAR machte die KPU einen großen Fehler bei der Berechnung der Sitzverteilung. GOLKAR schlägt folgende Vorgehensweise vor: Zunächst müssten die Sitze an die neuen Provinzen verteilt werden, nämlich an Bangka Belitung, Gorontalo und Maluku Utara. Der zweite Schritt wäre eine Sitzverteilung an die „alten“ Provinzen entsprechend der DPR-Sitzverteilung von 1999. Der dritte Schritt wäre die Restverteilung.

Folgt man dem GOLKAR-Vorschlag, werden nach meinen Berechnungen die 550-Sitze an die Provinzen tatsächlich verteilt. Der Haken ist nur eines: Die Quoten von drei Provinzen (Jambi, Sumatera Selatan und Sulawesi Tengah) würden die oberste Bevölkerungsgrenze von 425.000 je Sitz überschreiten. Um diesen Gesetzesverstoß der Provinzen zu vermeiden, müsste die Gesamtzahl der Sitze im DPR um mindestens drei auf 553 erhöht werden. Dies würde aber ebenfalls gegen das Wahlgesetz verstoßen.

Die Art und Weise, wie die drei dominierenden Parteien (GOLKAR, PDI-P und PPP) die KPU als Vollstrecker des Wahlgesetzes seit der Verkündung der Sitzverteilung im nationalen DPR am 22. August 2003 kritisierten, gehört zu einer der traurigsten Geschichte im Zusammenhang mit den bevorstehenden Wahlen. Ähnliche Geschichten erlebte ich öfter. Zum Beispiel am 21. Juli 2003, als ich von der KPU der Provinz Jakarta eingeladen wurde. Anwesend waren fast alle Parteien. Die Anwesenden klagten die KPU der Provinz aufgrund der Reduzierung der DPRD-Sitze von Jakarta an. Gemäß Wahlgesetz von 2003 muss die Anzahl der Sitze in der DPRD Jakarta von 85 auf 75 reduziert werden. Die Anzahl der Sitze im Provinzparlament von Jakarta müsste mindestens 100 betragen, forderten sie gegenüber der KPU Jakarta. Etwa zehn Tage später sammelten alle Parteien in Jakarta Unterschriften ihrer Funktionäre. Sie forderten die nationale KPU auf, dass Jakarta für die Wahlen des Provinzparlaments (DPRD Provinz Jakarta) nicht in mehrere Wahlkreise aufgeteilt werden sollte. Jakarta solle ein Wahlkreis bleiben. Würde die KPU dies nicht akzeptieren, dann würden die Parteien die KPU beim Mahkamah Agung, dem Obersten Gericht 4 verklagen.

In meinem Interview mit Indopos am 31. Juli habe ich mich über den Vorfall verwundert gezeigt, denn die KPU setzt doch nur bestehende Gesetze um. Die Parteien aber beschließen diese Gesetze. Deshalb schlug ich vor, dass sich die Parteien (u.a. GOLKAR, PDI-P, PPP usw.) bei ihren Parteizentralen und Abgeordneten beschweren, denn diese haben dem Wahlgesetz selbst zugestimmt.
 

Die Unwissenheit ist eine Gefahr

In der Regel fragte ich nach meinen Vorträgen die Anwesenden, ob sie meine Ausführungen verstanden hätten. Einstimmig sagten sie: „Nein“. Ich habe mich gefragt, wieso? Denn meine Vorträge waren auch durch Overhead-Folien und Computergrafiken unterstützt. Diese Arbeitsmittel sind für mich unerlässlich, denn ich präsentiere ja ausschließlich Zahlen.

Nur einige, darunter PKB Jawa Timur, hatten meine Ausführungen verstanden und luden mich am 10. August 2003 nach Surabaya ein. Am Ende fungierte ich als ihr politischer Berater.

Weniger erfolgreich waren meine Ausführungen beispielsweise in Sulawesi Tengah. Der Präsident des Parlaments von Kabupaten Donggala (DPRD-Donggala) sagte vor den Anwesenden, dass ich sofort wieder nach Palu zurückkehren sollte, um vor allen im Parlament vertretenen Parteien zu wiederholen, was ich jetzt hier vorgetragen hatte. Denn, so sagte er , „ [...] ich habe gedacht, dass die Berechnungen nicht anders sind, als sie im Jahre 1999 waren“.

Er stand nicht alleine da. Mochtar Pakpahan, der Vorsitzende der neu gegründete Partai Buruh Sosialdemokrat, zum Beispiel schlug vor, dass für das nationale Parlament Jakarta mit 21 Sitzen nicht in zwei Wahlkreise, sondern mindestens in vier eingeteilt werden sollte.

Vor allem die kleineren und die neuen Parteien plädierten für mehr Sitze (100) des Provinzparlaments für Jakarta (DPRD Propinsi Jakarta), mit der Hoffnung, dass auch sie Sitze bekommen würden. Sie waren erstaunt, als ich sagte, sogar mit einer Gesamtzahl von 300 Sitzen werden sie keine Sitze erhalten, solange die Wahlkreise in drei bis zwölf Sitze eingeteilt werden. Für die kleinen Parteien wäre es besser, wenn das Provinzparlament von Jakarta nur 50 Sitze hätte, aber einen einzigen Wahlkreis bildete.

Von Prof. Dr. Ramlan Subarkti, Vizepräsident der KPU, erfuhr ich, dass nicht nur die Parteien, sondern auch die Mehrheit der Mitglieder des nationalen Parlaments (DPR) nicht wissen, wie die Berechnungsverfahren ablaufen werden. Viele Parteien dachten, die Wahlkreise werden wie 1999 eingeteilt und die Stimmen der Wahlkreise werden zusammengezählt (auf Provinz-Ebene). Der Vorschlag von Mochtar Pakpahan zielte darauf, dass mit kleineren Wahlkreisen besser Wahlkampf gemacht werden könnte. Deshalb war der Parlamentspräsident von DPRD Donggala (Sulawesi Tengah) erstaunt, als ich erzählte, dass die Stimmen der Parteien im jeweiligen Wahlkreis am Ende verrechnet werden, denn so steht es im Gesetz. Man kann sich vorstellen, was passiert, wenn eine Partei 15 Prozent der Stimmen erhält und am Ende in einem 3-Sitze-Wahlkreis keinen Sitz bekommt, da drei andere Parteien eben mehr als 15 Prozent erhielten. Schlimmstenfalls würden die Anhänger dieser Partei die Wahlkommission KPU stürmen, da sie die KPU beschuldigen, die Berechnungen manipuliert zu haben.
 

Probleme bei der Sitzverteilung

Nicht nur von den Parteien kommen Beschwerden, auch aus den Regionen gibt es Proteste hinsichtlich der Sitzverteilung. Durch die Gesetzesvorgabe von drei bis zwölf Sitzen pro Wahlkreis kommt es oft vor, dass Kabupaten mit anderen Kabupaten zusammengelegt werden und sich dadurch die Anzahl der Sitze verschieben wird. Ein Beispiel: Bei der Zusammenlegung einzelner Sitze können mehr Sitze entstehen als der Bevölkerungsanzahl der zusammen gelegten Kabupaten entspricht.
 

Beispiel: Zusammenlegung einzelner Kabupaten

 
   Wahlkreis 
  Nr. 
   Kecamatan 
   Einwohner 
Quote = Einwohner d. Kecamatan geteilt durch Einwohner d. Kabupaten 
mal Sitze
Sitze 
1. Schritt  (runde Zählung)
Restl. Einwohner
Sitze 
2.  Schritt 
Resultierende Sitze
Sitze insgesamt
I
1
Rio Pakava
17.386
1,61
1
6.610
1
2
 
 
2
Kulawi
23.875
2,22
2
2.324
 
2
 
 
3
Pipikoro
7.267
0,67
0
7.267
1
1
 
 
4
Dolo
42.260
3,92
3
9.933
1
4
9
                   
II
5
Sigibiromaru
53.030
4,92
4
9.928
1
5
 
 
6
Palolo
29.223
2,71
2
7.672
1
3
 
 
7
Marawola
38.776
3,60
3
6.449
 
3
11
                   
III
8
Banawa
54.876
5,09
5
998
 
5
 
 
9
Taweili
25.633
2,38
2
4.082
 
2
 
 
10
Sindue
34.399
3,19
3
2.072
 
3
10
                   
IV
11
Sirenja
18.282
1,70
1
7.506
1
2
 
 
12
Balaisang
29.340
2,72
2
7.789
1
3
 
 
13
Dampelas
26.022
2,41
2
4.471
 
2
 
 
14
Sojol
30.655
2,84
2
9.104
1
3
10
   
Total
431.024
 
32
 
8
40
40

 

Zusammenlegung der Bevölkerung, resultierend die Sitze

 
Wahlkreis
Nr.
Kecamatan
Einwohner
zusammengelegte 
Einwohnerzahl
Sitze 
1. Schritt 
Restl. 
Einwohner
Sitze 
2. Schritt
Sitze 
insgesamt
I
1
Rio Pakava
17.386
         
 
2
Kulawi
23.875
         
 
3
Pipikoro
7.267
         
 
4
Dolo
42.260
90.788
8
4.583
 
8
                 
II
5
Sigibiromaru
53.030
         
 
6
Palolo
29.223
         
 
7
Marawola
38.776
121.029
11
2.497
 
11
                 
III
8
Banawa
54.876
         
 
9
Taweili
25.633
         
 
10
Sindue
34.399
114.908
10
7.152
1
11
                 
IV
11
Sirenja
18.282
         
 
12
Balaisang
29.340
         
 
13
Dampelas
26.022
         
 
14
Sojol
30.655
104.299
9
7.319
1
10
 
Total
431.024
431.024
32
 
2
40

Bei Wahlkreis I verschieben sich die Sitze von neun auf acht.
 

Weiteres Problem: Wie wählt man richtig?

Wenn bis dahin alles geklärt ist, dann kommt das nächste Problem. Wie erklärt man den Wählern, wie man richtig wählt? Ein einfaches Beispiel: Die Wähler dürfen manche Kandidaten, die sie mögen, nicht mehr wählen, weil diese Kandidaten in einem anderen Wahlkreis aufgestellt sind.
 
 
 

(A)
Symphatisanten

 
 

(B)
Kandidat

 

1999 durften die Wähler im Bezirk A noch den Kandidaten des Bezirkes B wählen. Jetzt nicht mehr. Mein Vater versteht das nicht. Für ihn sei das zu schwierig!
 

Schlussbemerkung

Im Grunde genommen war meine Reise mehr zur Aufklärung gedacht und weniger für Diskussionen. Bis heute erhalte ich Anfragen aus verschiedenen Regionen („Daerah“), da die Parteien nicht glauben, dass die neuen Berechnungen anders sind als die von 1999.

Aufgrund der vielen Nachfragen aus den Provinzen wäre ich am liebsten in Indonesien geblieben. Ich hoffe, dass ich bald vor Ort weitere Aufklärungsarbeit leisten kann. Denn meine Befürchtung ist sehr groß, dass es bei den Parlamentswahlen zu großem Chaos kommen wird, sollten keine weiteren Diskussionen und Aufklärungsveranstaltungen zum neuen Wahlsystem stattfinden. <>
 
 

Literatur:

Pipit Rochijat Kartawidjaja: Alokasi Kursi – Kadar Keterwakilan Penduduk dan Pemilih, Jakarta 2003
Pipit R. Kartawidjaja, Mulyana W. Kusumah, Editor: Aldrin Situmeang: Sistem Pemilu Dalam Konstitusi,
KIPP Eropa, INSIDE, 2002
Pipit R. Kartawidjaja, Mulyana W. Kusumah: Sistem Pemilu dan Pemilihan Presiden – Suatu Studi Banding,  KIPP Eropa, INSIDE, Friedrich Naumann Stiftung, 2002

1 Ich nenne es „Quasi-Senat“, weil der DPD in Indonesien keine politischen Befugnisse wie Senate in anderen Ländern besitzt, so zum Beispiel beim Gesetzgebungsverfahren, der Ernennung der Judikative usw. In Indonesien hat der DPD nur beratende Funktion. Die Gesetzgebungsfunktion liegt beim Parlament (DPR) und der Regierung.
2 Die Indonesier verstehen die „starre“ Liste als „geschlossene“ Liste (Daftar Tertutup). Dies ist eine direkte Übersetzung aus dem Englischen. (Closed-List). Aufgrund dieser direkten Übersetzung war es möglich, die Namen auf der Kandidatenliste nachträglich zu ändern, wenn die betroffene Partei bei den Wahlen Sitze gewonnen hat. Nicht selten kamen Kandidaten, deren Namen vor der Wahl auf der Liste gestanden hatten, nicht ins Parlament (DPR), obwohl ihre Partei die Sitze gewann. Denn nach den gewonnenen Wahlen wurden die ursprünglichen Kandidatennamen gestrichen und die Parteizentrale entschied sich für andere Kandidaten. Diese Fälle fanden am häufigsten bei der PDI-P statt. Andreas Kumala zum Beispiel, ehemaliger Aktivist aus West-Berlin, wurde bei den Wahlen 1999 als Kandidat Nummer 1 für die Provinz Westkalimantan aufgestellt. Nach der gewonnenen Wahl wurde er abserviert. An seiner Stelle wurde ein ehemaliger Geheimdienstoffizier platziert. Ähnliche Vorfälle ereigneten sich bei der PDI-P in Westsumatra. Diese Maßnahme entspräche dem Wahlgesetz und der Verhältniswahl mit „closed“-list, argumentierten die Parteizentralen. Eine geschlossene Liste bedeutet also, dass man nicht die Kandidaten wählt, sondern nur die Partei. Deshalb, so die Argumentation weiter, darf die Parteizentrale bei einer „closed-list“ ihre Kandidaten auch austauschen.
3 GOLKAR erkennt diese drei neuen Provinzen nicht an.
4 Das neu gegründete Verfassungsgericht (Mahkamah Konstitusi) wurde Ende August 2003 ins Leben gerufen.
 
 
 
 

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