Indonesien-Information Nr. 2 2003 (Demokratie)

 

Menschenrechtsschutz durch Strafgerichtshöfe – ein kurzer Überblick

von Wolfgang S. Heinz, Deutsches Institut für Menschenrechte


Die Menschenrechtskatastrophe in Ex-Jugoslawien Anfang der 90er Jahre führte zu einem enormen Schub für die Schaffung internationaler Strafgerichte. Bereits 1993, dem Jahr, als in Wien die Weltmenschenrechtskonferenz der Vereinten Nationen (VN) tagte, setzte der VN-Sicherheitsrat den Ad-hoc-Strafgerichtshof zu Ex-Jugoslawien ein, der bis heute in Den Haag arbeitet. 1994 schuf er den Ad-hoc-Strafgerichtshof zum Völkermord 1994 in Ruanda in Arusha/Tansania, der ebenfalls bis heute tätig ist.

Am 1. Juli 2002 trat das Statut des Internationalen Strafgerichtshofs in Kraft, der 2003 seine Arbeit in Den Haag aufnahm (er sollte nicht verwechselt werden mit dem gleichfalls in Den Haag arbeitenden Internationalen Gerichtshof (IGH), der Streitigkeiten zwischen Staaten behandelt).  Einer der 18 Richter wird der Deutsche Hans-Peter Kaul sein, der sich im Auswärtigen Amt lange Zeit für das Projekt eingesetzt hatte.

Ungewöhnlich für diese neuen Gerichte ist die Möglichkeit, einzelne Menschen für Straftaten international vor einem Gericht zur Verantwortung zu ziehen, da dies bisher ausschließlich in die Verantwortung nationaler Gerichte fiel, zumindest theoretisch – die Praxis war und ist durch politische Faktoren beeinflusst, besonders auch durch Amnestieklauseln in vielen Friedensverträgen der 80er Jahre.
 

1. Der Internationale Strafgerichtshof (engl. ICC)


Auf diese neue Institution richten sich viele Hoffnungen, Man wünscht ihr natürlich Erfolg und vor allem auch eine präventive Wirkung ihrer Arbeit gegenüber Menschenrechtsverletzungen. Dennoch muss man an einige Bestimmungen des Statuts erinnern:


Aus dem Statut des ICC (1998):

Article 12
Preconditions to the exercise of jurisdiction
1. A State which becomes a Party to this Statute thereby accepts the jurisdiction of the Court with respect to the crimes referred to in article 5.
2. In the case of article 13, paragraph (a) or (c), the Court may exercise its jurisdiction if one or more of the following States are Parties to this Statute or have accepted the jurisdiction of the Court in accordance with paragraph 3:
(a) The State on the territory of which the conduct in question occurred or, if the crime was committed on board a vessel or aircraft, the State of registration of that vessel or aircraft;
(b) The State of which the person accused of the crime is a national.
3. If the acceptance of a State which is not a Party to this Statute is required under paragraph 2, that State may, by declaration lodged with the Registrar, accept the exercise of jurisdiction by the Court with respect to the crime in question. The accepting State shall cooperate with the Court without any delay or exception in accordance with Part 9.

Article 13
Exercise of jurisdiction
The Court may exercise its jurisdiction with respect to a crime referred to in article 5 in accordance with the provisions of this Statute if:
(a) A situation in which one or more of such crimes appears to have been committed is referred to the Prosecutor by a State Party in accordance with article 14;
(b) A situation in which one or more of such crimes appears to have been committed is referred to the Prosecutor by the Security Council acting under Chapter VII of the Charter of the United Nations; or
(c) The Prosecutor has initiated an investigation in respect of such a crime in accordance with article 15.10

Article 17
Issues of admissibility
1. Having regard to paragraph 10 of the Preamble and article 1, the Court shall determine that a case is inadmissible where:
(a) The case is being investigated or prosecuted by a State which has jurisdiction over it, unless the State is unwilling or unable genuinely to carry out the investigation or prosecution;
(b) The case has been investigated by a State which has jurisdiction over it and the State has decided not to prosecute the person concerned, unless the decision resulted from the unwillingness or inability of the State genuinely to prosecute;
(c) The person concerned has already been tried for conduct which is the subject of the complaint, and a trial by the Court is not permitted under article 20, paragraph 3;
(d) The case is not of sufficient gravity to justify further action by the Court.
2. In order to determine unwillingness in a particular case, the Court shall consider, having regard to the principles of due process recognized by international law, whether one or more of the following exist, as applicable:
(a) The proceedings were or are being undertaken or the national decision was made for the purpose of shielding the person concerned from criminal responsibility for crimes within the jurisdiction of the Court referred to in article 5;
(b) There has been an unjustified delay in the proceedings which in the circumstances is inconsistent with an intent to bring the person concerned to justice;
The proceedings were not or are not being conducted independently or impartially, and they were or are being conducted in a manner which, in the circumstances, is inconsistent with an intent to bring the person concerned to justice.
In order to determine inability in a particular case, the Court shall consider whether, due to a total or substantial collapse or unavailability of its national judicial system, the State is unable to obtain the accused or the necessary evidence and testimony or otherwise unable to carry out its proceedings.
 


 

2. „Gemischte“ Gerichte (internationale/nationale Ebene)


Aber es gibt nicht nur internationale (besetzte, finanzierte) Gerichte zu Menschenrechtsverletzungen, sondern auch gemischte Gerichte, die internationale und nationale Elemente aufweisen.

So ist im Juni 2003 nach langem Blockieren auf kambodschanischer Seite ein Abkommen zwischen diesem Staat und den VN abgeschlossen worden, nach dem ein kambodschanisches Menschenrechtsgericht mit einer Mehrzahl internationaler Richterinnen und Richter und einer Minderheit kambodschanischer Richterinnen und Richter über den Völkermord der Khmer Rouge verhandeln soll, der freilich 1979 mit der Invasion Vietnams in Kambodscha sein Ende fand. Man wird sehen, welche Straftaten nach 24 Jahren sich vor dem neuen Gericht in einem rechtsstaatlichen Verfahren nachweisen lassen – ein Problem, das wir natürlich auch von der späten Aburteilung von NS-Verbrechen in der Bundesrepublik kennen.

Auf Ersuchen der Regierung von Sierra Leone hat der VN-Sicherheitsrat 2001 ein nationales Gericht ins Leben gerufen, dass sich mit Verbrechen gegen die Menschlichkeit, Kriegsverbrechen und andere ernste Verletzungen des humanitären Völkerrechts während des Bürgerkriegs ab 1996 befasst, das dritte Ad-hoc-Strafgericht der VN. Vor allem die Haupttäter sollen zur Rechenschaft gezogen werden. Eine Schwierigkeit angesichts der Kindersoldaten war die Altersgrenze, ab der die Strafverfolgung beginnen sollte. Hier hat man sich auf 15 Jahre verständigt.

Die Parlamentarische Versammlung des Europarats hat 2003 für Tschetschenien einen Ad-hoc-Menschenrechtsgerichtshof angeregt, dies wurde von Russland abgelehnt.

Für Liberia ist ein Nationales Gericht vorgeschlagen worden.

Für Afghanistan, Irak und andere Länder sind keine eigenen Gerichte vorgeschlagen worden.
 
 

3. Nationale Gerichte


Nach dem Sturz Suhartos in Indonesien gab es Diskussion darüber, ob ein internationales Gericht die Untersuchung und Bestrafung der zahlreichen Menschenrechtsverletzungen sicherstellen sollte. Hiergegen wehrten sich deutlich die neuen demokratisch gewählten Regierungen. Indonesien hat schließlich bis heute drei Menschenrechtsgerichtshöfe, einen davon in Jakarta, geschaffen (Indonesien hat bis heute das Statut des Internationalen Strafgerichtshofs nicht ratifiziert). Deren Arbeit ist bisher von geringem Engagement, schlechter Qualität und wenigen Verurteilungen von Angeklagten unterer Dienstränge gekennzeichnet. Die Frustration mit dem Gericht in Jakarta ist in Menschenrechtskreisen erheblich; 10 von 18 Angeklagten wurden freigesprochen. Ob die Defizite eher im Bereich mangelnder juristischer Qualifikation einschließlich Erfahrungen auf diesem Gebiet liegen oder eher an mangelndem politischen Willen ist schwer zu sagen.

Die Gründung einer Wahrheitskommission wird im Parlament diskutiert.

In Osttimor ist die Kammer für besonders schwere Straftaten beim Bezirksgericht in Dili für der Ermittlung der Täter zuständig, die für die Menschenrechtsverletzungen vor und während der Unabhängigkeit verantwortlich sind (Es kamen mindesten 1.000 Menschen gewaltsam ums Leben, 80.000 wurden vertrieben). Das Gericht leidet in seiner Arbeit darunter, dass indonesische Angeklagte nicht nach Osttimor ausgeliefert werden, so dass man auch hier eher die direkten Täter und nicht die Befehlsgeber strafrechtlich zur Rechenschaft ziehen kann.

Es existiert auch eine Wahrheitskommission (Commission for Reception, Truth and Reconciliation /CRTR).

Neben Gerichten gibt es natürlich noch eine Vielzahl von Wahrheitskommission seit den 70er, besonders den 80er Jahren, die bei der Ermittlung von Informationen zu Opfern und Tätern eine wichtige Rolle gespielt haben. Sie besaßen allerdings nur selten Befugnisse, die üblicherweise der Justiz zukommen (im Fall der südafrikanischen Truth and Reconciliation Commission war z.B. ein volles Geständnis vor der Kommission Voraussetzung dafür, einen erfolgversprechenden Antrag auf Amnestierung bei der Justiz stellen zu können). Eine strafrechtliche Aufarbeitung nach der Arbeit der Kommission hat es nur selten und dann in nur wenigen exemplarischen Fällen gegeben.
 
 

4. Schluss


Wie deutlich geworden sein sollte, ist die Einrichtung von Strafgerichten politisch eine sensible Entscheidung, berührt sie doch häufig auch Interessen der neuen Regierungen, zumindest einiger ihrer Funktionäre. Besonders in Ländern mit starkem (mobilisierbaren) Nationalismus wird immer einer Lösung mit eigenen Gerichten der Vorrang gegeben werden (Indonesien, Kambodscha) zumindest wenn sie politisch ein entsprechendes Gewicht haben. Eine wirkungsvolle Strafverfolgung verlangt nach einer halbwegs professionellen, politisch neutralen Polizei und Staatsanwaltschaft und einer rechtsstaatlichen Justiz, alles institutionelle Anforderungen, über die Länder im Übergang zur Demokratie meist für einige Jahre gerade nicht verfügen. Unweigerlich wird man auch strategisch fragen müssen ob alle Menschenrechtsverletzer vor Gericht gestellt werden können oder ob nach bestimmten Kriterien ausgesucht werden sollte wie etwa die Schwere der Tat oder höhere Dienstränge, die die Befehle geben konnten.

Neben einer politisch-historische Aufarbeitung  ist eine strafrechtliche Aufklärung von großer Bedeutung, weil sie die Verbrechen aufdeckt und staatliche Verantwortung nachzuweisen sucht (politische und juristische Verantwortung des Staates), Täter auf einmal Namen und Vornamen bekommen und zur Rechenschaft gezogen werden (strafrechtliche Dimension) und damit für die Opfer und ihre Familien auch die Möglichkeit, Schadensersatz zu fordern (zivilrechtliche Dimension), eröffnet wird.
 
 

Literaturhinweise


Fischer, Horst u.a.(Hrsg.). 2001, International and National Prosecution of Crimes under International Law. Current Developments, Berlin
Flor, Alex u.a. Zum Rechtsgutachten über die Ad-hoc-Menschenrechtsprozesse in Jakarta, in: Indonesien Information, Nr. 1, S. 9-16
Heinz, Wolfgang S. 1999, Wahrheit, Recht und Versöhnung. Zu den Erfahrungen mit Wahrheitskommissionen in Südamerika und Südafrika, in: Peripherie, Nr. 73/74, S. 140-161
International Crisis Group 2001, Indonesia: Impunity versus Accountability for Gross Human Rights Violations, Jakarta/Brussels
Kalbusch, Marco 2003, Die Verfolgung schwerer Straftaten in Osttimor, in: Indonesien Information, Nr. 1, S. 17-25
Kaul, Hans-Peter 2001, Der Aufbau des Internationalen Strafgerichtshofs. Schwierigkeiten und Fortschritte, in: Vereinte Nationen, Nr. 6, S. 215-221
(Deutscher Richter am Internationalen Strafgerichtshof)
Lee, Roy (Hrsg.) 2001, The International Criminal Court. Elements of Crime and Rules of Procedure and Evidence, New York
Scharf, Michael P. 2000, The Special Court for Sierra Leone
http://www.asil.org/insights/insigh53.htm
Winter, Elke 2002, Straflosigkeit und Opportunität, in: Vereinte Nationen, Nr. 3, S. 120-121
(zu Kambodscha)
Wolny, Kerstin 2003, ist das Aggressionsverbrechen nach heutigem Völkerrecht strafbar?, in: Kritische Justiz, Nr. 1, S.  48-63
 

Websites:


NGO Coalition for the ICC:
http://www.iccnow.org
Vorbereitung des ICC:
http://www.un.org/law/icc/general/overview.htm
Statut des ICC:
http://www.un.org/law/icc
EU-Dokumente:
http://ue.eu.int/pesc/icc/de/index.htm
 
 

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