Indonesien-Information Nr. 1, 1996 (West-Papua/Irian Jaya)

Auch die Menschen in West-Papua (Irian Jaya) fordern grundlegende Menschenrechte!

Chronologie des "Kasus Timika"

Bischof veröffentlicht Bericht über Morde

Während Indonesien im August 1995 seinen 50. Jahrestag der Unabhängigkeit feierte, veröffentlichte Bischof Munninghof einen Bericht, der die Regierung mit klaren Beweisen für Menschenrechtsverletzungen in West-Papua konfrontiert. Die riesige Gold- und Kupfermine Freeport/RTZ sowie die Landvertreibungen und die Zerstörung von Lebensgrundlagen der lokalen Bevölkerung stehen plötzlich im Rampenlicht.

Eine Delegation der Nationalen Kommission für Menschenrechte (KOMNAS HAM) wurde in das Gebiet geschickt, am 22.9.95 bestätigten sie Menschenrechtsverletzungen sowie Morde an 16 Zivilisten.

Das Massaker in Hoea

Schockierend ist das Massaker an 11 Personen am 31.3.95 im Dorf Hoea, wo Soldaten des Trikora Bataillons 752 das Feuer auf Menschen eröffneten, die zu einem Gottesdienst versammelt waren. Die Toten, unter ihnen vier Kinder, eine Frau und der Pfarrer, gehörten zu einer Gruppe, die 1994 vor Kämpfen zwischen der OPM-Guerilla und dem Militär in den Wald geflohen war. Sie hatten sich versammelt um über ihr weiteres Schicksal zu sprechen. Auf der Suche nach OPM-Angehörigen stieß eine Patrouille auf die Versammelten. Ein Augenzeuge berichtet: "Wir kamen von hinten. Sie sahen uns, erschraken und rannten davon. Drei der Soldaten begannen sofort zu schießen" /Tiras, 7.9.95, amnesty international/

Die Morde an Weihnachten

Der Bericht des Bischofs enthält auch den Augenzeugenbericht eines Mannes, der einen Mordversuch überlebte. In einer Gruppe von 15 Männern fuhr er mit dem Bus nach Timika zurück, nachdem sie Weihnachten 1994 in Waa, einem Dorf bei Tembagapura (der Stadt der Freeport-Mine), verbracht hatten.

Der Zeuge und eine Gruppe von Männern der Dani hatten die Erlaubnis erhalten, über Weihnachten nach Waa zu fahren (die lokale Bevölkerung darf seit 1974 das Gebiet - ihr traditionelles Land - nur mit Sondererlaubnis der Behörden betreten). Auf ihrem Rückweg wurden sie am Sicherheitsposten von Freeport angehalten und beschuldigt, OPM- Rebellen zu sein und an der Flaggenzeremonie der OPM in Tembagapura teilgenommen zu haben. Obwohl sie klar verneinten, wurden sie von Soldaten der Patimura Division 733 festgenommen, hart geschlagen, nach Tembagapura gebracht und dort in 3 x 6 m großen Containern der Firma Freeport eingesperrt. Diese Container werden in vielen der im Bericht dokumentierten Vorfälle benannt.

Mit von Klebeband verbundenen Augen fuhr man sie schließlich in einem Bus, der ebenfalls der Firma Freeport gehörte, zurück nach Timika. In großer Angst versuchte ein Mann, Wendi Tabuni, durch ein Fenster zu fliehen, darauf stach ihm ein Soldat in den Bauch. Es gelang Wendi noch, den Bus zu verlassen, aber er erhielt einen Schuß in den Kopf. Sein Körper wurde in eine Schlucht geworfen. In Timika angekommen brachte man die übrigen in eine Freeport-Werkstatt, wo sie erneut geprügelt wurden. Drei Manner, noch immer mit verbundenen Augen, starben nach harten Stockschlägen auf ihren Hals.

Auf ingesamt 28 Seiten beschreibt der Bericht von Munninghof detailliert die Übergriffe des Militärs, die teilweise mit Unterstützung von Freeport zwischen Juni 1994 und Mitte 1995 geschahen. Neben Gruppenexekutionen stellt er willkürliche Festnahmen und Haft, Folter, Verschwindenlassen, Überwachung und Zerstörung von Besitz dar /tapol Bulletin, Nr.131; ai index asa 21/47/95; Laporan Munninghoff und ACFOA: Trouble at Freeport, 4/95/.

Der Bericht fand in der indonesischen Presse eine überwältigende Öffentlichkeit, da er von einem sehr glaubwürdigen Mann - dem katholischen Bischof von Jayapura - unterzeichnet ist. Es erschienen in Wochenzeitschriften Hintergrundberichte über die Verfolgung der Dorfbevölkerung. Erstmalig wurde ausführlich und ungewöhnlich offen über die Umweltzerstörung durch Freeport, die Konflikte um das traditionelle Landrecht, die Guerilla OPM, die Allmacht des Militärs und die Angst der Leute berichtet.

Am 28.8.95 fand die erste Demonstration von 75 Studierenden aus Irian Jaya (West-Papua) vor dem Parlament in Jakarta statt. Auf Plakaten standen die Namen der Opfer. Die Demonstranten berichteten, daß bis heute die Bevölkerung von Timika eingeschüchtert werde, um zu verhindern, daß sie mit Journalisten oder KOMNAS HAM sprechen.

Freeport

Das "Forum of Concern", das von in Java lebenden Studierenden und Persönlichkeiten aus West Papua gebildet wurde, bat KOMNAS HAM, überparteilich zu sein. Sie betonten, daß es offensichtlich sei, daß die Verbrechen mit Freeports Aktivitäten in Verbindung stünden. Wenigstens die moralische Verantwortung solle Freeport übernehmen /Jakarta Post, 2.9.95/. Pfarrer Erari erklärte, daß für die Amungme Land wie ihre Mutter sei, die Schutz brauche, während das Unternehmen ihr unbeschreibbaren Schaden zufüge. Er verurteilte, daß Freeport diese Bedeutung von Land ignoriere, gerade wie auch weiße Siedler die Beziehung der Indianer oder Aboriginees zu ihrem Land ignorierten /Presseerklärung 1.9.95, Republika 5.9.95/.

KOMNAS HAM bestätigt in einer Pressemitteilung vom 22.9.95 16 Morde, 4 Fälle von Verschwindenlassen und benennt als eindeutigen Verantwortlichen das Militär. Freeport wird aber nur zweimal erwähnt. Es sei die Aufgabe des Militärs, für die Sicherheit der Freeport-Mine zu sorgen, die als "vitales" nationales Projekt gilt. Desweiteren fordert KOMNAS HAM, daß klar benannt werden solle, welche Verantwortlichkeiten jeweils Lokalregierung, Freeport und Armee zum Schutz elementarer Menschenrechte haben.

In einer Stellungnahme dazu kritisiert der Stammesrat der Amungme, daß ökonomische Zusammenhänge bewußt ausgeblendet würden. Sehr deutlich stellt er die Morde in den Kontext der Landnutzungskonflikte mit Freeport. Sie seien nur die Spitze des Eisbergs, solche Konflikte seien integraler Bestandteil der Geschichte Freeports. "Es ist offensichtlich, daß Lokalregierung und ABRI (Militär) völlig vom Unternehmen vereinnahmt werden."

Der Stammesrat kritisiert weiter, daß die Rechte der Amungme völlig ignoriert würden. "Zu den Faktoren, die zu einer Welle von Protesten führten, gehören: die Weigerung, unsere Präsenz als Stammesbevölkerung mit unseren traditionellen Rechten anzuerkennen, und die unlösbaren Beziehungen der Amungme mit diesen Ressourcen - den Bergen, Tälern, Flüssen. Unsere heiligen Orte wurden entweiht und zerstört, unser Land vermessen und weggenommen. Wir werden in Hinsicht auf Arbeitsmöglichkeiten, Ausbildung, Stipendien und Verarmung in unserem Schlaraffenland diskriminiert und beleidigt." Der Stammesrat kommt zu der Schlußfolgerung. daß die Menschenrechtsverletzungen im Gebiet von Freeport nicht von dem lokalen Militarkommandanten allein gelöst werden können, sondern daß die Zentralregierung in der Verantwortung stehe, eine Lösung in Übereinstimmung mit Recht, Gerechtigkeit und Wahrheit zu finden. "Die Tatsache, daß Freeport die Erlaubnis bekam, hier zu arbeiten und abzubauen, unsere Mineralien auszubeuten, die Grundlagen unserer Existenz zu zerstören, uns vom Land unserer Vorfahren zu vertreiben, uns in Armut und Elend zu stürzen, uns auf unserem eigenen Land zu töten, all das ist Ergebnis einer Politik, die im Zentrum beschlossen wurde. Darum ist es die Zentralregierung, die Verantwortung übernehmen muß, eine Lösung dieses Problems zu finden." /tapol Bulletin, Nr. 123/

Zu der weitverbreiteten Vorstellung, die lokale Bevölkerung bestehe aus "Wilden", würde noch Stammeskriege führen und müßte von Indonesien zivilisiert werden, nimmt Frau Yosepa Alomang, selbst eine Amungme, in einem Artikel der Cendrawasih Pos vom 9.10.95 Stellung: "Ich wurde unter dem Verdacht festgenommen, die OPM zu unterstützen. In der Haft erlebte ich den Unterschied zwischen modernem Krieg und traditionellem Krieg. In unserem adat (traditionelles Recht), kennen wir keine Religion, keine Regierung und kein geschriebenes Recht, doch der Krieg ist humaner, weil Frauen und Kindern nichts getan wird. Dies wiederum ermöglicht es den Frauen, zur Vermittlerin zu werden und Nachrichten auszutauschen zwischen verschiedenen Seiten. Ich war mir sicher gewesen, daß auch die Regierung Frauen verschont. Aber ich erlebte das Gegenteil. Leute, die sich zivilisiert nennen, behandelten uns Frauen unmenschlich. Ganz im Gegensatz zu meiner Tradition. Eine 'Mama' bleibt immer eine 'Mama', in welchem Krieg auch immer, welcher Haß auch immer herrscht. Gerät eine 'Mama' in die Hände des Feindes, wird sie als Gast behandelt. Aber im modernen Krieg, wer auch immer erwischt wird, Männer oder Frauen, Alte oder Kinder, niemand wird verschont. Ich denke viel über die Soldaten nach, die mich in Gefangenschaft mißhandelten. Ich will wissen, ob sie von ihrer Mutter abstammen oder ob sie vom Himmel gefallen sind. Dafür habe ich noch keine Antwort gefunden."

Verschwiegener Völkermord

Doch über all diesen Untaten liegt nun wieder der Mantel des Schweigens. Das Freeport-Minengelände wird von 10.000 auf zweieinhalb Millionen Hektar erweitert werden. 2.000 Amungme sollen ins tropische Flachland umgesiedelt werden. Da die Bevölkerung keine Widerstandskraft gegen Malaria entwickelt hat und ihre Bergwirtschaft auf die Bedingungen im Tiefland nicht eingestellt ist, ist ein Massensterben zu befürchten. Freeport baut die größte Goldmine der Welt am Grasberg ab - und in 30 Jahren wird der Berg, den die Amungme als ihre Mutter ehren, verschwunden sein. Der Fluß wird weiterhin täglich mit 100.000 Tonnen Rückständen aus der Erzförderung belastet, was dazu führt, daß weite Regenwaldgebiete im Überschwemmungsgebiet biologisch tot sind.

Und kaum entführt die OPM ein paar Weiße, blickt die Welt nach West-Papua. In diesem Kontext sind die Entführungen eher zu verstehen als ein Aufschrei, um auf die verzweifelte Situation der lokalen Bevölkerung aufmerksam zu machen - auf die systematische Vernichtung ihrer Lebensgrundlagen, die Bedrohung ihrer kulturellen Identität und Unterdrückung durch das Militär.

Angesichts dieses Völkermordes wissen die Papuas, daß es um ihr Überleben geht. Doch auch für die Regierung steht viel auf dem Spiel: Die als "vitales Projekt" eingestufte Mine Freeport ist noch immer einer der größten Steuerzahler Indonesiens. 250 Mio US$ pro Jahr erwartet die indonesische Regierung in Form von Lizenzen, Körperschaftssteuern und Dividenden. In einem Artikel mit der Überschrift "Goldrush in Neuguinea - ein Steinzeitstamm und Umweltschützer bedrohen Freeport-McMoRans Abbau eines fantastischen Schatzes" betont die Business Week im November '95: "Für die indonesische Regierung ist die angespannte Situation um den größten Einzelinvestor ein entscheidender Test für ihre Fähigkeit, neue Investoren anzulocken."

Erste Konsequenzen

Die Berichte von Bischof Munninghof und KOMNAS HAM fanden weltweit Aufmerksamkeit. Noch nie zuvor wurde die Situation in West Papua in Indonesien wie im Ausland so heftig diskutiert wie in den vergangenen Monaten. So war es für das indonesische Militär unausweichlich, Maßnahmen zu ergreifen, um die Gemüter wieder zu beruhigen. Im Februar 1996 verurteilte ein Militärgericht einen Leutnant und drei seiner untergebenen Soldaten, die an den Erschießungen in Hoea beteiligt waren, zu Haftstrafen zwischen ein und drei Jahren. Alle Verurteilten wurden unehrenhaft aus dem Militärdienst entlassen. /tapol, 19.2.96; Antara, 15.2.96/

Das für Irian Jaya und die Molukken zuständige Militärkommando veröffentlichte Anfang des Jahres einen Leitfaden für die Wahrung der Menschenrechte, der allen Soldaten ausgehändigt werden soll /Instruction of the Commander, Military Area VIII/Trikora Concerning Human Rights, December 1995/. In einer ganzen Reihe von Verhaltensmaßregeln weist der Leitfaden darauf hin, daß jede Handlung des Militärs nach Recht und Gesetz zu erfolgen hat. Soldaten werden ermahnt, sich nicht an Mord, Folter, Vergewaltigungen, Plünderungen u. dgl. zu beteiligen, und Meldung zu erstatten, wenn sie Zeuge von derartigen Menschenrechtsverletzungen durch Kameraden oder Vorgesetzte werden. Desweiteren stellt der Leitfaden klar, daß sich kein Soldat auf "Befehlsnotstand" berufen könne, wenn er sich schuldig gemacht hat. Jeder sei für sich selbst verantwortlich. Einem Befehl, die Menschenrechte zu verletzen, darf nicht Folge geleistet werden, ansonsten mache sich nicht nur der Befehlsgeber, sondern auch der Ausführende vor dem Gesetz schuldig.

Mulyana Kusumah von der Rechtshilfeorganisation YLBHI begrüßte in einer Stellungnahme das Erscheinen des Leitfadens und forderte, diesen zum Standard für alle nationalen Streitkräfte zu machen. Insbesondere verwies Mulyana auf Aceh und Ost-Timor, wo Menschenrechtsverletzungen durch das Militär ähnlich wie in Irian Jaya an der Tagesordnung seien. /Kompas, 27.2.96/

Doch mit dem, was bislang erreicht wurde, sind die Amungme nicht zufrieden. Sie schickten eine Delegation nach Jakarta, die sich darüber beschwerte, der Bericht der KOMNAS HAM sei unvollständig und bestätige lediglich, was zuvor schon Bischof Munninghof festgestellt habe. Über eine ganze Reihe von Morden, beispielsweise an 62 Leuten im Dorf Owea, fünf Leuten in Tsinga und drei Leuten in Arwanop und Tembagapura, schweige sich der Bericht aus. Die Amungme bestehen darauf, die Verantwortlichkeit der Firma Freeport klar beim Namen zu nennen und fordern eine Neuregelung ihrer Landrechte, die von Freeport verletzt wurden. /Kompas, 6.3.96/

Während dieser Artikel gerade in Druck geht, erreichen uns neue beunruhigende Nachrichten aus der Region. Unruhen erschüttern seit drei Tagen die Städte Tembagapura, Timika und Kuala Kencana. Mehrere hundert Menschen ziehen durch die Straßen, zerstörten Autos und Gebäude. Das Militär verlagerte 300 Soldaten in das Krisengebiet, die mit Gummigeschossen in die Menge schießen. Ausgangssperren wurden verhängt, Freeport stellte vorübergehend seine Bergbauaktivitäten ein und der Flughafen von Timika, der ebenfalls Ziel der Unruhen wurde, wurde geschlossen. Die Angaben über den aktuellen Anlaß der Straßenkämpfe sowie über die genaue Zahl der Aufständischen, der Verletzten und Toten widersprechen sich noch. Die Nachrichtenagentur AFP spricht von mindestens vier Toten. /Voice of America, 12.3.96; The Australian, 13. u. 15.3.96; Media Indonesia, 13.3.96, AFP, 13.3.96/

Zur selben Zeit erreicht uns die Nachricht, daß Dr. Thomas Wanggai, der Ende der 80er Jahre als Führer der Befreiungsbewegung Free Melanesia zu 20 Jahren Haft verurteilt wurde, in seiner Zelle in Jakarta gestorben ist. Über die Ursache seines plötzlichen Todes ist zur Stunde noch nichts bekannt. /AFP, 13.3.96/ <>

 
 
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