Indonesien-Information Nr. 1, 1996 (Ost-Timor)

Eindrücke einer Reise in ein vergessenes Land

Von Januar 1989 bis zum 9. November 1995 war Osttimor für Touristen geöffnet. Weniger als 10.000 Besucher haben in dieser Zeit ihren Fuß auf diese entlegene Insel im Osten des indonesischen Archipels gesetzt. Stellt man diese Zahl den ca. 4 Millionen Touristen gegenüber, die allein im letzten Jahr in Indonesien registriert wurden, wird das geringe Interesse an diesem Land und seiner durch das indonesische Regime unterdrückten Bevölkerung deutlich. Seit dem Santa Cruz Massaker, das vor vier Jahren weltweit Entsetzen hervorrief, hört man nur noch wenig von Osttimor. Obwohl die indonesische Regierung mit der erneuten Schließung indirekt eingesteht, daß die Menschenrechte in Osttimor weiterhin vehement verletzt werden, ist die Berichterstattung zum Timorproblem, vom zwanzigsten Jahrestag der Besetzung einmal abgesehen, völlig unzureichend. Zum einen liegt das daran, daß Journalisten die Einreise verweigert wird und Telefongespräche sowie Briefe aus Osttimor kontrolliert werden, zum anderen am allgemeinen Desinteresse an Osttimor.

Von Ende August bis Mitte September letzten Jahres habe ich mich in Osttimor aufgehalten. In diesem Zeitraum konnte ich selbst erfahren, daß Repression und Überwachung noch immer auf der Tagesordnung stehen. Viele Timoresen haben mich, insbesondere vor dem Hintergrund der jüngsten Unruhen gebeten, den Menschen in meinem Land von den Problemen in Timor zu berichten. Bei der Schilderung meiner Eindrücke verzichte ich bewußt auf Namensnennung und nähere Angaben zu den Personen mit denen ich gesprochen habe oder bei denen ich zu Gast war.

Nach einer gesonderten Paßkontrolle am Flughafen von Dili habe ich mich auf die Suche nach einer Unterkunft gemacht. In mehreren der in diversen Reiseführern erwähnten Unterkünfte billigerer Kategorie war es, aus mir nicht bekannten Gründen, nicht möglich unterzukommen. So blieb mir zunächst nichts anderes übrig, als im teuren Hotel "Tourismo" abzusteigen. Bereits am nächsten Tag hatte ich allerdings das Glück, eingeladen zu werden, privat bei einer Familie in Comoro, einem Stadtteil im Westen Dilis, zu wohnen. Schon in diesen ersten Tagen lernte ich die Herzlichkeit der Menschen kennen, die das Wenige, das sie besitzen, zu teilen vermögen. In Gesprächen mit der Familie und vielen anderen Menschen, darunter einem Timoresen, der lange Zeit in Sydney gelebt hat, sowie einer katholische Ordensschwester, habe ich von den Schicksalen vieler Timoresen erfahren. Das Bedürfnis mitzuteilen, unter welch grausamen Umständen in fast allen Familien Menschen ums Leben gekommen sind, und wie sehr die Bevölkerung Osttimors unter der indonesischen Repression leidet, überwog der Angst vor einem Verhör durch den Überwachungsdienst (Intel), welches häufig durchgeführt wird, wenn Einheimische sich mit Ausländern unterhalten.

Nach Dili war mein nächstes Ziel die 130 km östlich gelegene Stadt Baucau. Obwohl die Militär- und Polizeipräsenz aufgrund der seit November letzten Jahres wieder vermehrt aufgetretenen Demonstrationen gegen die indonesische Besatzung bereits in Dili auffallend hoch war, wurde sie von der in Baucau noch übertroffen. Das Stadtbild war von schwerbewaffneten Polizisten und Militärs geprägt, die vor den Ständen der Marktfrauen auf- und abmaschierten. Mehrere Einheimische erzählten, daß in der Nähe Baucaus Ende August zwei Männer, denen man vorwarf die Fretilin zu unterstützen, durch das Militär umgebracht wurden. Sich in Baucau und Umgebung frei zu bewegen, war so gut wie unmöglich. Bis zu fünf mal an einem Tag wurde ich registriert. Solche Kontrollen gingen von einfachen Paßkontrollen bis zu dreiviertelstündigen, verhörähnlichen Gesprächen, zu denen ich auf dem Polizeirevier zu erscheinen hatte. Auch die Dörfer in der Nähe Baucaus waren von Militärposten durchzogen, die teilweise in Häusern traditioneller Bauart untergebracht waren und von außen völlig unscheinbar erschienen. Laut Angaben mehrerer Bewohner Baucaus ist die Lage dort schon seit Monaten sehr angespannt.

Bereits im Januar letzten Jahres kam es zu schweren Auseinandersetzungen, bei denen das zentrale Marktgebäude der Stadt, angeblich von Militärkräften, niedergebrannt wurde. Die Situation in Los Palos hingegen wirkte entspannt. Alles schien seinen gewöhnlichen Lauf zu gehen. Frauen webten traditionelle Ikatstoffe, Männer und Jugendliche die keine Arbeit hatten, lungerten auf der Straße herum, hinter mir folgte auf Schritt und Tritt im Sicherheitsabstand von einigen Metern die obligatorische Schar von Kindern und man war, wie anderswo auch, erstaunt, einen Weißen zu sehen. Von hier aus machte ich mich auf den Weg in das nur 35 km entfernte Tutuala, im äußersten Osten der Insel. Diese Gegend unterscheidet sich stark von anderen Gebieten der Insel. In den meisten Gebieten wurden seit der Annexion riesige Waldgebiete gerodet, um den Guerillakämpfern ihre Zufluchtsmöglichkeiten zu zerstören. Hier hingegen gibt es noch ausgedehnte ursprüngliche Waldgebiete, in denen sich auch die letzten Fretilin-Aktivisten aufhalten sollen. Während die 200 km von Dili nach Los Palos in sechs bis sieben Stunden zu bewältigen sind, braucht man für diese letzten paar Kilometer selbst bei guten Witterungsverhältnissen mehr als zwei Stunden. Bei meiner Ankunft wurde ich gleich dreimal, auf der Polizeistation, der Militärstation und beim Bürgermeister registriert. Außerhalb des Dorfes durfte ich mich nur in Begleitung einheimischer Führer bewegen. Als ich mich trotzdem einmal weiter als bis zur etwa einem Kilometer entfernten Wasserstelle entfernt hatte, suchten mich am Abend zwei Militärs in meiner Unterkunft auf. Ohne Vorwarnung betraten sie mein Zimmer, als ich bereits im Bett lag. Etwa eine dreiviertel Stunde lang fragten sie mich nach meinem Beruf, bzw. dem was ich studiere und nach dem Grund meines Aufenthaltes in Osttimor. Erst nachdem ich ihnen einige Male erklärt hatte, daß ich bereits zum dritten mal in Indonesien sei, und dieses Jahr einige Gebiete bereisen wollte, in denen es nur wenige Touristen gibt, ließen sie von mir ab. Allerdings nicht ohne voher klarzustellen, daß ich mich am nächsten Tag nur in Begleitung von zwei Führern aus dem Dorf entfernen durfte.

Nach zwei Nächten in Tutuala wollte ich mich auf den Weg zurück nach Dili machen, um von dort aus noch einige Tage in die Berge im Landesinneren zu reisen. Im Bus von Los Palos nach Dili traf ich einen Norweger, den ersten Weißen den ich seit nunmehr einer Woche zu Gesicht bekommen habe. Zusammen wurden wir eingeladen bei einer Familie in Becora im Osten Dilis zu wohnen. Diese Einladung hatte auch dann noch Bestand, als wir bereits im Bus davon hörten, daß es in Dili Unruhen gegeben habe.

Auslöser dieser Unruhen war, wie bereits in vielen Fällen zuvor, die Diffamierung der römisch-katholischen Religion. Seit Beginn der indonesischen Besatzung, zu deren Beginn ihr erst 30% der Timoresen angehörig waren, hat sie sich zu einer Art kollektiver und auch kultureller Identität entwickelt, durch die sich die Timoresen von den größteneils islamischen Indonesiern abgrenzen. Am 2. September äußerte sich der indonesische Gefängnisbeamte Sanusi Abubakar, der bereits letztes Jahr durch beleidigende Bemerkungen zur Person Jesu und der heiligen Mutter Gottes auffiel, im osttimoresischen Malina erneut abfällig gegenüber der katholischen Religion: Er bezeichnete sie als "bornierte Religion, deren Inhalte leeres Geschwätz seien". In den darauffolgenden Tagen kam es in mehreren Städten zu mitunter gewaltätigen Demonstrationen, bei denen Geschäfte von in Osttimor lebenden Indonesiern niedergebrannt sowie einige Moscheen angegriffen wurden.

Als wir am Freitag den 8. September in Dili ankamen, hatten sich dort großteils junge Leute aus allen Gegenden Osttimors zu weiteren Demonstrationen versammelt. Am Haus der Gastfamilie angekommen, waren das erste was wir zu sehen bekamen, einige völlig verstörte und verängstigte Frauen aus der Nachbarschaft mit ihren weinenden Kindern. Sie berichteten, daß sie kurz zuvor durch Tränengas verletzt worden seien. Auf die Frage, ob wir uns nicht besser eine offizielle Unterkunft suchen sollen, um mögliche Unannehmlichkeiten zu vermeiden, verneinten unsere Gastgeber. Als nach Einbruch der Dunkelheit Polizei- und Militäreinheiten von Fallschirmspringertruppen unterstützt durch das gesamte Stadtgebiet patroullierten, um das nächtliche Ausgangsverbot zu überwachen, war es uns nur aufgrund eines gut funktionierenden Informationsaustausches zwischen den Nachbarn im dicht besiedelten Becora möglich, uns früh genug im Haus zu verstecken, sobald sich eine Patroullie näherte.

Als wir am nächsten Morgen losgingen, um die Lage zu erkunden, bot sich uns ein erschreckendes Bild. Schaufensterscheiben, Ampelanlagen, Laternen und Polizeiposten waren zerstört, auf sämtlichen Sraßen waren brennende Barrikaden aus Autoreifen, Ölfässern, Motorrädern, etc. errichtet, und aufgebrachte Demonstranten lieferten sich Straßenschlachten mit Militär und Polizei. Ihren Höhepunkt erreichten die Ausschreitungen am 9. September, als der Marktplatz von Comoro in Brand gesetzt wurde. Auch wenn ihre Taten aus Verzweiflung heraus geschahen, war das hohe Aggressionspotential der Demonstranten beachtlich. Viel erschreckender allerdings war die Vorgehensweise der unter dem Kommando von Generalmajor Abdul Rivai und Polizeichef Andreas Sugianto agierenden Militär- und Polizeikräfte, deren ohnehin schon hohe Präsenz durch das Einfliegen neuer Truppen noch verstärkt wurde.

Hundertschaften säumten die Straßen Dilis und versuchten durch den ziellosen Einsatz von Tränengas die Demonstrierenden einzuschüchtern. Mehrere Demonstranten wurden zudem brutal zusammengeschlagen. Von Arnold Cohen und Korinna Horta (A. Cohen ist Journalist in den USA und arbeitet seit 1975 zu Osttimor, K. Horta hat vor der indonesischen Besatzung einige Jahre in Osttimor gelebt), die zu dieser Zeit gerade bei Bischof Belo zu Gast waren, erfuhren wir, daß bereits am Abend des 8. September mehrere Verwundete Zuflucht in der Bischofsresidenz gesucht haben. Außerdem war es den Priestern nicht mehr gestattet, die Gefangenen im Gefängnis zu besuchen. Am Sonntag dem 10. September glich Dili einer soeben durch feindliche Truppen besetzten Stadt: Landungsboote lagen im Hafen, auf jeder Straße waren schwerbewaffnete Sicherheitskräfte stationiert und über der Stadt kreisten Hubschrauber. Außer einigen noch immer brennenden Straßenbarrikaden erinnerte kaum mehr etwas an den Widerstand der vorangegangenen Tage. Da wir an diesem Tag wiederholt kontrolliert und auch nach unserer Unterkunft befragt wurden, beschlossen wir, in eine offizielle Unterkunft zu wechseln. Als wir am nächsten Morgen nochmals bei unserer Familie vorbeischauten, erfuhren wir, daß in der Nacht von Sonntag auf Montag zwei Menschen in unmittelbarer Nachbarschaft verletzt wurden. Trotz eines für Timoresen verhängten Markthandelsverbots, welches neben den aus Angst vor neuen Übergriffen ohnehin schon geschlossenen Geschäften der Indonesier zu einem Versorgungsnotstand führte (selbst in den drei großen Hotels der Stadt gab es, wenn überhaupt, nur noch Reis und Nudeln), hatte sie ein Schwein verkaufen wollen. Daraufhin ist sie von einem Militärangehörigen geschlagen worden und das Schwein wurde ihr weggenommen. Weiterhin wurde uns erzählt, daß ein kleines Kind durch einen von einem Soldaten geworfenen Stein schwer am Kopf verletzt worden sei.

Später am Tag machten wir uns, da die Lage nun etwas entspannter war, auf den Weg ins gebirgige Landesinnere, nach Maubisse. Auf der Fahrt dorthin wurden wir, wie alle anderen auch, erneut kontrolliert, da an allen Zufahrtsstraßen nach Dili Straßensperren errichtet worden waren. Erst in der Abgeschiedenheit dieser Bergregion war es möglich, sich der Ereignisse der letzten Tage bewußt zu werden. Eine große Anzahl von Massengräbern, an denen wir dort vorbeikamen, hielt uns nochmals vor Augen, daß das, was wir zu sehen bekamen, nur ein kleiner Eindruck eines nunmehr schon 20 Jahre andauernden Völkermordes ist. <>

 
 
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