Indonesien-Information Nr. 1, 1996 (Soziales)

Die Massen sind wütend

Immer häufiger kommt es in Indonesien zu gewalttätigen Massenunruhen. Die aufgebrachten Massen neigen zu Lynchjustiz und schrecken auch vor der geballten Macht des Militärs nicht mehr zurück. Als vordergründige Motive für die Unruhen dienen religiöse Konflikte, antichinesische Ressentiments oder Rachegelüste gegen Kriminelle. Unruhen wegen Landenteignungen wie in Jenggawah oder die jüngsten Krawalle in Irian Jaya deuten darauf hin, daß der eigentliche Anlaß in der wachsenden sozialen Unzufriedenheit der breiten Bevölkerung zu suchen sein könnte. Indonesiens Militär dagegen meint, die Krawalle seien von außen gesteuert.

"Wir brauchen eine Intifadah!", schrien die Massen im Angesicht des bewaffneten Sicherheitsapparates. Und so begannen sie, die Soldaten mit Steinen zu bewerfen. Das Militär schoß daraufhin mit Gaspatronen und drei Leute wurden verletzt. Sie mußten sofort ins Krankenhaus gebracht werden. Das Klima wurde zusätzlich aufgeheizt, nachdem Gerüchte verbreitet wurden, die drei Opfer seien gestorben. Dies alles geschah nicht in Palästina, sondern in Pekalongan, Ost-Java. Die Massen waren wütend, da berichtet worden war, ein Indonesier chinesischer Abstammung habe einen Koran zerrissen. Der Mann wurde verprügelt und von der Polizei in die Gewahrsam genommen. Es folgte eine Welle von Gewalt in der Stadt, die zwei Tage lang andauerte. Die Opfer waren alles was irgendwie chinesisch zu sein schien: Geschäfte, Autos, Büros oder Häuser /Forum Keadilan, 18.12.95/.

Der Fall von Pekalongan war vielleicht der Höhepunkt der Massengewalt im Jahr 1995. Republika vom 26.11.95 schrieb in einer Sonderausgabe "Gewalt im Jahr 1995" zu einem anderen Fall: In der Region Kerinci, Jambi, waren die Erdbebenopfer wütend, obwohl die Probleme einfach schienen. Sie griffen die Journalisten an, da sie meinten, daß die Journalisten bei ihrer Berichterstattung ungerecht gewesen seien und sie so zu wenig Beachtung gefunden hätten. Die Erdbebenopfer griffen auch den Sicherheitsapparat an. Zwei Soldaten wurden dabei getötet.

Von besonderer Aggressivität war auch der Überfall auf eine Familie in der Nähe von Jakarta geprägt. Im Juli wurde die Bauernfamilie Acan von 12 Gangstern im Schlaf überrascht. Statt sie aber ihrer Habe zu berauben, vergewaltigten sie Acans Frau und seine beiden Töchter. Die Gangster wurden später gefaßt. Nun aber wurden die Anwälte der Gangster zu Opfern der Wut der Massen. Es sei "unglaublich, daß sie diese Banditen verteidigen", hieß es /Republika, 26.12.95/.

Ähnlich brutal verlief auch eine Begebenheit in Jakarta: Da ein Mann namens Kia Leidjap das Stück Land einer Lehrerfamilie haben wollte, diese aber das Land nicht verlassen wollten, ermordete er die Frau des Lehrers (31) und seine drei Kinder im Alter von 8, 4 und 2 Jahren auf sadistische Weise. Als bekannt wurde, wer der Mörder war, gingen tausende von Menschen zu Kias Haus, das bei der Aktion vollständig zerstört wurde /Republika, 26.12.95/.

In Purwakarta, West-Java, waren Anfang November erneut Indonesier chinesischer Abstammung dran. Eine Schülerin der Koranschule kaufte eines Tages im Supermarkt "Nusantara" ein. Sie wurde ertappt, als sie eine Tafel Schokolade einsteckte, ohne zu bezahlen. Wie berichtet wurde, haben die Sicherheitskräfte des Supermarktes sie daraufhin erniedrigt. Die Besitzerin des Marktes habe die Schülerin gezwungen, die Toilette zu putzen und dazu auch noch ihren Schleier abzunehmen. Außerdem habe man sie beschimpft und geschlagen, bevor man sie zum Polizeirevier brachte. Daraufhin gingen tausende von Menschen auf die Straße, zerstörten den Supermarkt "Nusantara" und bewarfen die anderen Geschäfte mit Steinen /Republika, 26.12.95/.

In Pasuruan, Ost-Java, griffen tausende von Schrimpszüchtern die südkoreanische Firma Chiel Samsung Indonesia an. 14 Diensthäuser der Direktoren, ein PKW und drei Busse wurden verbrannt. Die Fischer waren verärgert, da ihr Fisch- bzw. Schrimpsertrag seit Betriebsbeginn dieser Firma Anfang 1990 immer rückläufig war. Die Firma Samsung, die Gewürze produziert, leitet ihre schmutzigen Abwässer in die Flüsse, die auch in die Zuchtteiche flossen. Zwar hatten die Züchter jahrelang protestiert, aber gehört wurden sie nicht. Trotz strengen Sicherheitsvorkehrungen der Streitkräfte, die den Komplex der Firma beschützten, zeigte die Masse keine Angst und konnte ungehindert die Gebäude zerstören /Republika, 26.12.95/.

Ende Juli 1995 griffen tausende von Tabakbauern die staatliche Plantage in Jenggawah, Jember, Ost-Java, an. Die Diensthäuser des Direktors und anderer Angestellter, das Veranstaltungsgebäude und 17 Tabaklagerhäuser sowie acht Motorräder wurden verbrannt. Die Bauern waren erzürnt, weil sie von einem 2.815 ha großen Landstück vertrieben wurden, das sie seit Generationen bearbeitet hatten. Die Unruhen dauerten zwei Wochen lang an. Die Massen zeigten keinerlei Respekt vor den Sicherheitskräften /Republika, 26.12.95/.

Anfang September 1995 begann eine Welle der Gewalt in einigen Städten in Ost-Timor. Die Transmigranten aus anderen Regionen, überwiegend Moslems, wurden von den Einheimischen vertrieben. Tausende kehrten dorthin zurück, wo sie hergekommen waren. Ähnliches geschah in Ost-Nusatenggara in den Stäten Larantuka und Maumere. Wegen einer Beleidigung der katholischen Religion durch einen Moslem griffen Katholiken Transmigranten, die überwiegend Moslems sind, an. Die Masse verbrannte Häuser sowie Hab und Gut der Muslime /Republika, 26.12.95/.

Und wer steckt hinter alle dem? Nach Meinung des Heereskommandanten von Mittel-Java, Generalmajor Yusuf Kertanegara, sei es unmöglich, daß der Chinese in Pekalongan den Koran selbst gekauft habe. Jemand müsse ihm den Koran absichtlich gegeben haben. Als der Chinese das Koranbuch zerrissen habe, seien sofort alle benachrichtigt worden, erklärte der General. Dies sei die Methode der Kommunisten gewesen, die immer und überall versuchten, Unruhe zu stiften /Forum Keadilan, 18.12.95/. Laut dem Regionalkommandanten von Pekalongan, Oberst Lintang Waluyo, steckten hinter den Massenunruhen die OTBs. Dies wiederum sei ein Beweis für die Existenz der OTBs /Forum Keadilan, 18.12.95/.

Selbst im Fall der Erdbebenopfer in Kerinci, Jambi, hatte der mächtige General Suyono (Chef für allgemeine Angelegenheiten des Militärs) einen einleuchtenden Beweis. Er sagte: "Es ist unmöglich, daß die Massen auf das Militär Hetzjagd machen. Stellen Sie sich vor, das Erdbeben war am Samstagabend, und am nächsten Tag kam sofort das Miltär (ABRI) mit Helikoptern und Herkules-Transportmaschinen, um Hilfe zu leisten. Und das Volk wußte genau, daß das Militär sofort Hilfe leisten werde. Aber urplötzlich griffen die Massen die Militärangehörigen an, obwohl sie den Massen schon erklärt hatten, daß sie vom Militär sind. Das ist doch unlogisch. Genauso in Padang, Sumatra. Wieso wurde ein Kapitän der Armee Opfer einer Hetzjagd der Massen? Das heißt, die Massen müssen dazu angestiftet worden sein" /Forum Keadilan, 6.11.95/. <>

 
 
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