Indonesien-Information Nr. 1, 1996 (West-Papua/Irian Jaya)

Berliner Biologe im Kannibalen-Urwald entführt

(Schlagzeile der BZ, 12.1.96)

Am 8. Januar 1996 wurden 24 Wissenschaftler von Angehörigen der OPM (Organisasi Papua Merdeka) in Irian Jaya (West-Papua) als Geiseln genommen. Die 17 IndonesierInnen und sieben EuropäerInnen (vier Briten, der deutsche Geograph Frank Momberg sowie zwei NiederländerInnen) befanden sich auf einer wissenschaftlichen Exkursion westlich des Baliem-Tals, als sie bei einem Aufenthalt in dem Dorf Mapenduma von ungefähr 200 OPM-Angehörigen gefangen genommen wurden.

Momberg und der Niederländer Marc van der Waal sind Mitarbeiter der Umweltstiftung World Wide Fund for Nature (WWF), während die vier Briten im Auftrag der Universität Cambrigde unterwegs waren. Eine weitere Holländerin arbeitet für die UNESCO. Die vier Studenten der Cambridge-University befanden sich zu Studienzwecken in der Gegend, die anderen EuropäerInnen sollten die Grundlagen für ein WWF-Projekt zur Ausarbeitung eines Managementplans für den Lorentz-Nationalpark erarbeiten. Die indonesischen Geiseln arbeiten für die lokalen Partner der beiden Expeditionen.

Nach Bekanntwerden des Entführungsfalles am 10. Januar schickten die deutsche, die britische und die niederländische Botschaft umgehend Beauftragte (Militärattaches) nach Jayapura, der Hauptstadt Irian Jayas, während in den Außenministerien der Heimatländer der Entführten sowie beim WWF Krisenstäbe eingerichtet wurden. In einem vom australischen Fernsehen ausgestrahlten Interview bezeichnete Moses Werror, ein OPM-Vertreter in Port Moresby (Papua-Neuguinea), das Motiv für die Entführung als "Teil unserer neuen Strategie", um die Welt auf den Unabhängigkeitskampf in Irian Jaya aufmerksam zu machen /Frankfurter Rundschau, 12.1.96/.

Erste überraschte Reaktionen in Jakarta mit der schablonenhafte Forderung nach einem Militäreinsatz ließen erkennen, daß man dort nicht gewillt war, sich auf derlei Provokationen einzulassen. Asnu Hasan Sazili, Ausschußvorsitzender des indonesischen Parlaments für auswärtige Angelegenheiten, Verteidigung, Sicherheit und Information, gab in einem Interview mit Radio Indonesia bekannt, daß es "keinen anderen Weg" als einen Militäreinsatz gebe und "der OPM auf diesem Weg eine Lektion erteilt werden sollte, damit sie auf ähnliche Aktionen in Zukunft verzichte" /BBC, 12.1.96/.

Armeesprecher verlautbarten, daß 300 Mann starke Kopassus-Spezialeinheiten der indonesischen Armee nach Irian Jaya unterwegs seien, um den Fluchtweg für die Entführer nach Papua-Neuguinea abzuriegeln und die Entführten zu lokalisieren. In Wamena, der größten Stadt im Entführungsgebiet, richteten Brigadegeneral Prabowo Subianto, Kommandeur der Kopassus-Einheiten und Schwiegersohn Präsident Suhartos, sowie Generalmajor Tarub, Kommandeur der ebenfalls eingesetzten Kostrad-Truppen (strategische Armee-Reserve), ihr Lagezentrum ein.

Die gemischte Nationalität der Entführten sorgte jedoch dafür, daß der Entführungsfall nicht als rein innerindonesische Angelegenheit betrachtet werden und mit den besonders in Irian Jaya üblichen Gepflogenheiten des indonesischen Militärs, ABRI, behandelt werden konnte.

Im westlichen Ausland (besonders UK, BRD, Niederlande) erschien der Entführungsfall ab dem 12.1.96 in den Schlagzeilen der Medien und erweckte das Interesse der Öffentlichkeit am Schicksal der Entführten. Menschenrechtsorganisationen brachten in Interviews ihre Besorgnis zum Ausdruck, daß durch einen militärischen Einsatz das Leben der Geiseln und der zivilen Bevölkerung im Entführungsgebiet gefährdet sein könnte. Gleichzeitig setzten sie sich in offenen Briefen und Appellen an ihre Regierungen für eine friedliche Lösung des Entführungsfalles ein. Der WWF hoffte ebenfalls auf "ein moderates Vorgehen" der indonesischen Behörden /Frankfurter Rundschau, 12.1.96/. Auch auf diplomatischer Ebene der beteiligten westlichen Regierungen hegte man wohl schon früh ähnliche Befürchtungen und setze sich im Krisenstab vor Ort für Verhandlungs- statt Konfrontationsstrategien ein /BBC, 13.1.96/. Ohnehin war jedoch eine schnelle militärische Lösung abwegig, da sich die Entführer in unzugänglichem dichtem Tropenwald in bergigem Terrain versteckten.

Am 12.1.96 wurden überraschenderweise 9 indonesische Geiseln in Jiji, einem kleinen Ort 40 km östlich von Mapenduma, freigelassen. Da mittlerweile schon die militärische Pressezensur vor Ort wirksam war, wurde in Indonesien die Nachricht in der "militärisch korrekten Sprachregelung" von der "Befreiung von 9 Geiseln durch indonesische Armeeinheiten" verbreitet /Antara, 12.1.96/, wohl auch um das durch die Enführung ramponierte Ansehen von ABRI wieder aufzupolieren. Gleichzeitig versuchte Soesilo Sudarman, Minister für die Koordination von Verteidigungs- und Sicherheitsressort, in Jakarta zu dementieren, daß die Armee die Lage in Irian nicht unter Kontrolle hätte /tapol, 12.1.96/.

Am gleichen Tag wurden über Funk Lebenszeichen von den restlichen Entführten empfangen. Ein Sprecher der Geiseln bestätigte, daß alle gut behandelt würden und übermittelte die Forderung der Entführer, vier namentlich genannte Geistliche als Vermittler einzuschalten /AFP, 12.1.96/. Auch Bischof Muninghoff, der erst jüngst durch einen kritischen Bericht über die Menschenrechtssituation in Irian Jaya auf sich aufmerksam gemacht hat, wurde als Vermittler hinzugezogen.

Am 15.1.96 wurde der deutsche Wissenschaftler Frank Momberg nach einem ersten direkten Kontakt zwischen den Entführern und den kirchlichen Vermittlern freigelassen /BBC, 15.1.96/. Seine Freilassung erfolgte Berichten zufolge unter der Bedingung, daß er nach der öffentlichen Verlesung der Forderungen der Entführer im indonesischen Fernsehen (TVRI) zu diesen zurückkehren sollte. Die daraufhin aufgezeichnete Sendung wurde jedoch lediglich stark gekürzt im TVRI und ohne die verlangten politischen Inhalte gesendet. Am 16.1.96 wurde in einem Leitartikel der Jakarta Post nach den Ursachen der Entführung gefragt und die Begründung des "Forums of the Irian Jaya Younger Generation" diskutiert, welche die "akkumulierte Enttäuschung" (der Bewohner Irian Jayas über die indonesische Politik) als Anlaß der Entführung bezeichneten. Vorsichtig formulierte der Kommentator, daß wohl vor diesem Hintergrund nur "eine friedliche Lösung" in Frage komme, und daß es nach Beendigung der Geiselnahme wohl "nicht zu spät wäre, Fehler in der Landespolitik zu Irian Jaya zu korrigieren" /Jakarta Post, 16.1.96/.

Vor derlei sensibler Ursachenanalyse war man am selben Tag auf höchster politischer Ebene noch meilenweit entfernt. Armee-Befehlshaber Faisal Tanjung erklärte nach einem Treffen mit Präsident Suharto, daß "man sich keinem Terror beugen werde" und es "keine Verhandlungen geben werde" /Reuter, 16.1.96/. Aus Wamena wurde unterdessen von der Armee gemeldet, daß Momberg wegen eines "Schocks" und "mentaler Störungen" nicht zu den Entführern zurückkehren könne /AFP, 16.1.96/. Watch Indonesia!, IMBAS und andere in- und ausländische Menschenrechtsorganisationen bezweifelten in Presseerklärungen den Wahrheitsgehalt dieser Meldung und machten erneut auf die Konsequenzen einer militärischen Lösung aufmerksam /WI, 16.1.96/.

Am darauffolgenden Tag wurde nach Armeeangaben eine militärische Operation auf unbestimmte Zeit ausgesetzt /Reuter, 17.1.96/. Zur Begründung wurde angegeben, daß die Entführer gedroht hätten, Geiseln im Falle eines militärischen Angriffs zu erschießen (was sich später als freie Interpretation der Aussage Mombergs, daß ein militärisches Eingreifen für die Entführten fatal sein könnte, herausstellte /tapol 18.1.96/).

Andererseits konnte offensichtlich jedoch auch keine endgültige Einigung darüber erzielt werden, wie eine "nicht-militärische" Lösung aussehen könnte. Obwohl mittlerweile von der Armee eingestanden wurde, daß Momberg wieder vom "Schock" genesen war und einsatzfähig sei, um "sobald wie möglich" zu den Geiselnehmern zurückzukehren /Reuter, 17.1.96/, wurde seine angeblich bevorstehende Abreise während der nächsten Tage immer wieder verzögert, um Zeit zu gewinnen. Gleichzeitig demonstrierte das Militär vor Ort und in Jakarta "verbale Härte", indem Militärsprecher wiederholt bekräftigten, keine Kompromisse mit den Entführern einzugehen. Indes ist zu befürchten, daß diese Strategie auch die stille Diplomatie der kirchlichen Vermittler negativ beeinflußte, die währenddessen versuchten, mit den Entführern weiterzuverhandeln /tapol, 17.1.96/.

Auch in den nächsten Tagen änderte sich nichts an den widersprüchlichen Aussagen des Militärs. Einerseits signalisierte man die Bereitschaft für ein nichtmilitärisches Vorgehen, um das Leben der Geiseln nicht zu gefährden, andererseits blieb es bei der Geheimniskrämerei, wie denn der von ABRI zur Lösung des Falles gewählte "persuasive approach" konkret aussehen sollte. Bereits zu diesem Stadium schien sich anzudeuten, daß an eine Rückkehr des freigelassenen Vermittlers niemand mehr ernsthaft dachte (obwohl noch offiziell das "schlechte Wetter" als Begründung herhalten mußte). Indessen wurde über die kirchlichen Vermittler ein Ultimatum der Armee an die Entführer übergeben, alle Geiseln bis zum 21.1.96 freizulassen /Antara, 20.1.96/. Eine Verlängerung des Ultimatums um einen Tag verstrich ebenfalls ergebnislos. Die Erwartungen konzentrierten sich nun auf einen Durchbruch in den Verhandlungen in der Wochenmitte. Als einzigen Erfolg konnte jedoch die Freilassung einer weiteren indonesischen Geisel am 22.2.96 verbucht werden, deren Frau und Kleinkind bereits am 16.1. freigelassen worden waren /Antara, 22.1.96/.

Aufgrund der sich kaum ändernden Informationslage schrumpfte die aktuelle Presseberichterstattung über den Entführungsfall in Großbritannien, Deutschland und den Niederlanden fast auf Null.

Dafür veröffentlichten die Pressemedien ab der zweiten Woche des Entführungsfalles immer mehr kritische Hintergrundberichte zur Situation in Irian Jaya. Insbesondere die kritische Menschenrechtslage und die Aktivitäten des Bergbauunternehmens Freeport rückten in den Mittelpunkt der nationalen und internationalen Schlagzeilen. Seit dem 26.1.96 hat sich die Hoffnung auf ein schnelles Ende der Entführung für die noch festgehaltenen Geiseln zerschlagen. Der Funkkontakt zwischen Armee und Entführern war seit diesem Tag abgerissen. Die Armeeführung hat Vorbereitungen getroffen, die Flucht der Entführer über die Grenze zu Papua-Neuguinea zu verhindern - doch angesichts von mehr als 400 km dichtem Dschungel, die zwischen Mapenduma und der Grenze liegen, war eine solche Flucht nie sehr wahrscheinlich.

Als bemerkenswertes Signal wurde die Rückkehr von Brigadegeneral Prabowo Ende Januar nach Jakarta gewertet. Möglicherweise haben er und politische Verbündete in der Armeeführung erkannt, daß kaum Ruhm und Ehre bei der Lösung dieses schwierigen Fall in Irian Jaya zu erlangen sind, aber ein Fehlschlag der Mission sehr wohl einkalkuliert werden muß. Als eventuell aufzubauender Präsidentennachfolger muß Prabowo vorsichtig sein und hat sich demzufolge mit gutem politischen Instinkt für die sicherere Variante des Rückzugs entschieden, so die Theorie einiger Beobachter.

Andere Kommentatoren wiederum glauben nicht, daß Prabowos Rückzug als Eingeständnis seines Scheiterns zu werten ist, sondern Prabowo sich nur vorläufig vom Ort des Geschehens zurückgezogen hat. Prabowos internationales Ansehen sei durch sein bedachtes Vorgehen sogar gestiegen, was ihm auch innerhalb der Armeeführung weitere Punkte für seine Karriere einbringen dürfte.

Nachdem sich das Internationale Rote Kreuz Ende Februar in den Fall eingeschaltet hat, besteht wieder Kontakt zu den Geiselnehmern. Vertreter des Roten Kreuzes trafen mehrmals mit den Geiselnehmern zusammen und konnten sämtliche Geiseln untersuchen und - soweit notwendig - medizinisch versorgen.

Ein Ende des Geiseldramas ist bei Drucklegung der Indonesien-Information jedoch nicht in Sicht. <>

 
 
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