Suara Nr. 1/2008 (Zeitgeschichte)

In den Wogen der Zeitgeschichte:

Der Untergang der Van Imhoff

von Alex Flor


Gustav Wilhelm Baron van Imhoff war wahrscheinlich einer der ersten Deutschen, die bleibende Spuren in Indonesien hinterließen. Im Dienste der holländischen VOC (Vereenigde Oostindische Compagnie) war er in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts als Generalgouverneur in Batavia, dem heutigen Jakarta, der oberste Repräsentant der Gesellschaft im Inselreich. Das privatwirtschaftliche Handelsunternehmen VOC bemühte sich damals darum, den frühen Gegenbeweis zur neoliberalen These von der Überlegenheit der Privatwirtschaft gegenüber staatlichen Unternehmen anzutreten. Korruption und Misswirtschaft ihrer Bediensteten fügten der VOC schweren wirtschaftlichen Schaden zu. Der im ostfriesischen Leer aufgewachsene van Imhoff versuchte dem Übel mit preußischem Ordnungssinn beizukommen. Mit harter Hand setzte er eine Reihe wichtiger Reformen durch, die aber letztlich nur eine Verzögerung des unaufhaltsamen Niedergangs dieses frühen transnationalen Multis bewirken konnten. 1799 hatte die VOC endgültig abgewirtschaftet. Der holländische Staat musste als Konkursverwalter einspringen und übernahm die überseeischen Besitzungen der Gesellschaft als Kolonie.

Wie es das Schicksal will, sollte sein Name 200 Jahre nach der Regentschaft van Imhoffs ein zweites Mal deutsch-niederländische Geschichte schreiben. Ein unter niederländischer Flagge fahrendes Schiff, die KPM Van Imhoff, wurde für mehr als 400 Deutsche zum schwimmenden Sarg. „Niederländer haben mir später gesagt, dass das eines der schwärzesten Kapitel ihrer Geschichte ist,“ sagt Martin Baier, Pfarrer im Ruhestand und Sohn eines Überlebenden. Wer heute im Internet nach der Van Imhoff recherchiert, dem eröffnet sich neben dem schwarzen auch noch ein braunes Kapitel. Rechte Ideologen versuchen, das Thema zu besetzen und unter dem Schlagwort „Kriegsverbrechen gegen Deutsche“ für ihre Propagandazwecke zu instrumentalisieren. Verschiedene Webseiten, die man mit Google findet, sind aus rechtlichen Gründen gesperrt. Der Untergang der Van Imhoff vor der Küste Sumatras muss als Beispiel für den billigen Versuch herhalten, die zahllosen monströsen Verbrechen der Nazis gegen die Taten aufzurechnen, die von Kriegsgegnern begangenen wurden.

Der Zweite Weltkrieg erreicht das ferne Inselreich

Wir schreiben das Jahr 1942. Zwei Jahre zuvor hatten Hitlers Wehrmachttruppen die Niederlande überrannt und übten seither ihren Terror auch im Land der Windmühlen aus. Das berühmte Tagebuch der Anne Frank gibt Zeugnis über die dortige Naziherrschaft. Die Kolonien in Übersee wurden von einer niederländischen Exilregierung in London regiert. Als Antwort auf den deutschen Einmarsch im Heimatland am 10.Mai 1940 begann die Kolonialverwaltung in Niederländisch-Ostindien, wie Indonesien damals hieß, noch am selben Tage damit, alle dort lebenden Deutschen zu internieren. So wenig wie damals sämtliche Holländer aufrechte Systemgegner waren, so wenig waren freilich alle in den Kolonien lebenden Deutschen stramme Anhänger des Nazi-Regimes. Unter den 2436 Deutschen, die in Lager gesteckt wurden, befanden sich Bedienstete der Kolonialverwaltung, Geschäftsleute, Missionare und einige Künstler. Der vielleicht bekannteste unter ihnen war der in Bali lebende Maler Walter Spies, ein genialer Künstler, der sich für Politik nicht im geringsten interessierte. Als bekennender Schwuler, der seine Homosexualität in Bali offen lebte, hätte ihn die Politik in seiner Heimat Deutschland schnell eingeholt. Homosexuelle landeten dort in KZs und Gaskammern. Die Politik holte ihn schließlich auch im damals noch beschaulichen Bali ein. Hier wurde Walter Spies festgenommen, weil er Deutscher war. Er landete im Lager von Alas im heutigen Kutacane (Aceh).

Schließlich erreichte der Krieg auch Indonesien. Im Dezember 1941 landeten die Japaner auf Sumatra. Zunächst von vielen Indonesiern als „asiatische Befreier“ von der verhassten Kolonialmacht willkommen geheißen, machten sie schnelle Geländegewinne. Die in der Defensive befindlichen Niederländer wollten verhindern, dass ihre Kriegsgefangenen den Japanern in die Hände fielen. Mit drei Schiffen, so der Plan, sollten die Gefangenen vom Hafen Sibolga an der Westküste Sumatras aus über Ceylon (heute Sri Lanka) nach Indien gebracht werden. Warum auch immer wurde die Van Imhoff, das dritte von Sibolga auslaufende Schiff nicht mit den Farben des Roten Kreuzes gekennzeichnet. Angreifende japanische Flieger konnten somit nicht erkennen, dass es sich nicht um ein möglicherweise kriegswichtige Güter transportierendes Frachtschiff, sondern um einen Gefangenentransport handelte. Nach Erzählung einiger Überlebender glichen die unter Deck herrschenden Verhältnisse den Sklaventransporten von Afrika nach Amerika. 483 Gefangene waren zum Teil in stacheldrahtbewehrte Verschläge eingesperrt.

Einen Tag nach ihrem Auslaufen, am 19. Januar 1942, wurde die Van Imhoff von einer japanischen Fliegerbombe getroffen. Ein Offizier soll den Gefangenen unter Deck erklärt haben, der Schaden sei nicht so gravierend; es bestehe keine Gefahr. Kurze Zeit später sahen sie jedoch durch die Ausgucke, dass die Schiffsbesatzung Rettungsboote zu Wasser ließ und sich auf diesen aus dem Staube machte. Die Boote hätten noch reichlich Platz für weitere Personen geboten, doch das sinkende Schiff wurde mitsamt seiner nun in Panik geratenden Passagiere der Unterdecks einfach sich selbst überlassen.

Den Gefangenen gelang es schließlich, sich aus ihren Zellen zu befreien. Den Schilderungen des überlebenden Albert Vehring zufolge sollen die Niederländer das Schiff mit seinen verbliebenen Passagieren nicht nur entgegen aller Regeln der Seefahrt aufgegeben, sondern vor ihrer Flucht auch noch dafür gesorgt haben, dass es keinerlei Rettungsmöglichkeiten mehr gab. Funkeinrichtung und Pumpen seien zerstört worden. Die Ruder des letzten verbliebenen Rettungsbootes, welches sich verklemmt hatte und daher nicht zu Wasser gelassen werden konnte, seien zerbrochen worden.

Einer Gruppe von Leuten gelang es schließlich, dieses Boot doch noch freizumachen. Auch ein kleines Ruderboot wurde noch gefunden. Andere bauten in Windeseile Flöße, auf die sie sich zu retten versuchten. Sechs Stunden nach dem Bombardement ging das Schiff mit 281 Leuten an Bord unter. Der Rest hatte sich in die beiden Boote, auf die Flöße und ins offene Wasser geflüchtet, wo schon die Haie auf sie warteten.

Herwig Zahorka beschreibt das dramatische Geschehen: „Die beiden Boote und die Flöße versuchten nun, die 55 Seemeilen entfernte Insel Nias zu erreichen, die Sumatra vorgelagert ist. Am nächsten Morgen, den 20. Januar, erschien das holländische Motorschiff „BOELOENGAN“. Es kam auf 100 Meter an Vehrings Boot heran. Es wurde zugerufen: „Seid Ihr Holländer?“. Auf die Verneinung drehte die Boeloengan ab und verschwand. Damit hatten die Männer auf den Flößen keine Chance mehr, gerettet zu werden. Ein jüdischer Juwelier, der aus Nazi-Deutschland geflüchtet war, schwamm von seinem Floß an das Schiff heran, wurde aber erbarmungslos zurückgewiesen. Das war sein unverdientes Todesurteil.“ /Herwig Zahorka: Arca Domas - ein deutscher Soldatenfriedhof in Indonesien/. Die Ähnlichkeit der Beschreibung lässt darauf schließen, dass sich Zahorka hier auf das Zeugnis von Albert Vehring stützt. Vehring spielte jedoch, wie noch zu sehen sein wird, im weiteren Verlauf des Geschehens eine zweifelhafte Rolle, so dass seine Aussagen mit Vorsicht zu genießen sind. Der jüdische Deutsche hieß übrigens Arno Schönmann und wird von Vehring als „Fabrikant auf Java“ bezeichnet. Ob er tatsächlich vor den Nazis geflohen oder aus anderen Gründen nach Indonesien gekommen war, sei dahin gestellt.

Deutscher Putsch auf Nias

Nur insgesamt 68 Personen schafften es in den zwei Booten nach drei Tagen in sengender Hitze, ohne Nahrung und Wasser bis an die rettende Küste von Nias. Bei der Landung wurde das größere Boot von der Brandung umgeworfen, wobei ein Mann ums Leben kam. Von den auf die selbstgebauten Flöße Geflüchteten, überlebte nur ein einziger.

Freundliche Niasser nahmen die Schiffbrüchigen bei sich auf und versorgten sie mit Nahrung und Wasser. Sofort als Helfer zur Stelle war außerdem ein holländischer Pastor namens Ildefons van Straalen.

Schon am nächsten Tag wurden die Überlebenden erneut von niederländischen Beamten gefangen genommen. Listig schmiedete Albert Vehring einen Komplott mit seinen, im Grunde ihres Herzens ihre niederländischen Befehlshaber hassenden, indonesischen Bewachern im Polizeigefängnis von Gunungsitoli. Gemeinsam mit den Indonesiern übernahmen die inhaftierten Deutschen den Befehl und steckten nun ihrerseits die Niederländer ins Gefängnis. Damit war die Rolle der Indonesier dann auch gleich wieder zu Ende. Die Deutschen gründeten in herrenmenschlicher Überheblichkeit die „Freie Republik Nias“, in der Albert Vehring zum „Außenminister“ und ein Herr Fischer von der Firma Bosch zum „Ministerpräsidenten“ gekürt wurden. Eine indonesische Quelle bezeichnet diese „Freie Republik“ unumwunden als Satelliten Nazi-Deutschlands. Sogar die Hakenkreuzfahne sei genäht worden. /http://niasku.blogspot.com, aufgerufen am 14.2.08/

Albert Vehring nahm wenig später Kontakt zu den Japanern auf dem Festland von Sumatra auf. Diese rückten am 17. April 1942 auf Nias ein und wurden wie zuvor in anderen Teilen Indonesiens auch hier von der Bevölkerung freudig begrüßt. Drei Tage später, am 20. April 1942 feierte man mit viel „Heil Hitler“ Führers Geburtstag. Ildefons van Straalen, der Pastor, der den Schiffbrüchigen wenige Wochen zuvor als einer der ersten Hilfe angedeihen ließ, wurde verhaftet. Er war Holländer.

Eine Gedenktafel für ertrunkene Missionare

Der Tsunami vom 26. Dezember 2004 nahm neben Aceh auch Teile von Nias schwer in Mitleidenschaft. Ungleich heftiger waren hier jedoch die Verwüstungen des schweren Erdbebens ein paar Wochen später, am 28. März 2005. Hunderte von Menschen verloren ihr Leben. In der Hauptstadt Gunungsitoli wurden ca. 80 % der Gebäude zerstört.

Kirchennahe Organisationen, darunter auch der von Pfarrer Martin Baier geleitete Verein Indonesische Außeninseln, leisteten seitdem einen wichtigen Beitrag zum Wiederaufbau. Im Rahmen dieses Engagements war es Baier wichtig, an die Missionare zu erinnern, die hier ganz in der Nähe auf der Van Imhoff ihr Leben lassen mussten.

Um ein Haar hätte auch Baiers Vater zu diesen Opfern gehört. Seit 1924 arbeitete er in Indonesien für die Basler Mission. Auch er gehörte zu den Internierten, die vor dem Anrücken der Japaner evakuiert werden sollten. Doch Baier hatte Glück. Er verließ Sibolga mit der Ophir, dem zweiten der drei Schiffe mit Kurs auf Indien. Eine Reihe weiterer Missionare und Pfarrer wurden auf die Van Imhoff verfrachtet.

Baier, der damals noch ein Schulkind war, erinnert sich noch gut an Samuel Weisser. „Er war als Missionar in unserer Nachbargemeinde eingesetzt. Der hünenhafte Mann mit vollem Haarwuchs und auffälligem Kinnbart hat bei mir einen bleibenden Eindruck hinterlassen. In seinem Tagebuch hat mein Vater viel über ihn während der Internierung geschrieben. Bruder Weisser hat geahnt, wie es mit dem letzten Schiffstransport gehen wird, dass gewisse Machthaber die Internierten einfach ertrinken lassen würden.“ Weisser befand sich auf diesem letzten Transport. Er und 19 weitere Missionare verloren beim Untergang der Van Imhoff ihr Leben.

An sie erinnert auf Martin Beiers Betreiben hin nun eine Gedenktafel an der Kirche von Teluk Dalam. Die Inschrift bezieht sich auf das Erlebnis des überlebenden Missionars Weiler:

„407 Deutsche starben beim Untergang des niederländischen Schiffes Van Imhoff, 66 konnten mittels eines Rettungsbootes überleben. Als sie an der Küste von Süd-Nias, westlich von Teluk Dalam, landeten, begrüßte sie ein Evangelist mit den Worten: ‚Wir sind Jesus-Leute von der Barmer Mission.’ Missionar Weiler antwortete: ‚Wenn das so ist, dann sind wir ja Brüder!’“ <>
 
 

Zurück zur Hauptseite Watch Indonesia! e.V. Back to Mainpage