Indonesien-Information Nr. 1/2006 (Menschenrechte)

40 Jahre nach den Verbrechen von 1965

Gerechtigkeit für die Opfer noch immer in weiter Ferne

 

von Willy R. Wirantaprawira


 
Am 14. September 2005 hat das Distriktgericht Zentral-Jakarta (Pengadilan Negeri Jakarta Pusat) eine Sammelklage abgewiesen, die im Namen von Hunderttausenden (oder gar Millionen) von Opfern des Suharto-Regimes eingereicht worden war. Das Gericht sei nicht zuständig, so die Begründung.

Die Sammelklage war Anfang April 2005 durch die Rechtshilfeorganisation LBH (Lembaga Bantuan Hukum) beim Distriktgericht eingereicht worden. Die 16 Klägerinnen und Kläger standen stellvertretend für fünf Gruppen von Opfern des Suharto-Regimes seit 1965, denen bürgerliche und politische Rechte widerrechtlich entzogen worden waren. Zu den Opfern gehören all die ehemaligen politischen Gefangenen, die viele Jahre ohne Gerichtsurteil im Gefängnis saßen oder in der Verbannung verbrachten und Zwangsarbeit verrichten mussten, all jene, deren Besitz vom Militär widerrechtlich und ohne Abfindung konfisziert wurde, sowie auch diejenigen, die 1965/66 widerrechtlich aus dem Staatsdienst entlassen wurden, und seitdem weder eine Abfindung noch Anspruch auf Pension erhalten haben. Die meisten der Opfer hatten keine direkten Beziehungen zur Kommunistischen Partei Indonesiens, PKI, sie waren einfach Personen, die allein wegen ihrer Treue zu Präsident Sukarno als „Kommunisten“ bezeichnet wurden.

Stellvertretend für Tausende Indonesierinnen und Indonesier im Exil – Opfer des Suharto-Regimes seit dem Militärputsch vom 1. Oktober 1965 – war der Verfasser einer der Kläger im erwähnten Prozess. Nur wenige aus unserer Klägergruppe hatten direkte Kontakte oder Beziehungen zur PKI. Die meisten von uns waren Diplomaten, Staatsbedienstete, Parlamentsabgeordnete oder Studierende, die zum Zeitpunkt des Putsches im Ausland waren und dem rechtmäßigen Staatsoberhaupt Indonesiens die Treue hielten.

Angeklagt war der indonesische Staat, vertreten durch die Regierungen General Suhartos, B.J. Habibies, Abdurrahman Wahids, Megawati Sukarnoputris sowie des gegenwärtigen Präsidenten Susilo Bambang Yudo-yono. Ersterer wurden wegen des Erlassens diskriminierender gesetzlicher Bestimmungen, letztere wegen „Untätigkeit“ gegenüber selbigen Rechtsgrundlagen angeklagt. Die meisten der unter dem Suharto-Regime erlassenen diskriminierenden Gesetze und Dekrete sind bis heute gültig.

Auslöser für die Einreichung der Klage waren Äußerungen des Obersten Gerichtshofes sowie des Verfassungsgerichts: So wurde in einem Empfehlungsschreiben des Obersten Gerichts an Präsidentin Megawati Sukarnoputri die unrechte Behandlung und die Diskriminierung von ehemaligen politischen Gefangenen thematisiert und empfohlen, die Opfer zu rehabilitieren. Und das Verfassungsgericht wies in seinem Urteil, in dem es den diskriminierenden Artikel 16 (g) des Wahlgesetzes von 2003 für ungültig erklärte, auf die auch anderweitig bestehende Diskriminierung hin.

In Deutschland leben mehrere Hundert ehemalige indonesische Studentinnen und Studenten, die von der Regierung in den 60er Jahren zum Studium in osteuropäische Länder geschickt worden waren. Sie waren während des Militärputsches im Ausland und erfuhren von den schrecklichen Ereignissen in ihrem Heimatland hauptsächlich durch die Berichterstattung ausländischer Medien. Die meisten von ihnen gehörten keiner Partei an. Aber in den Monaten nach dem Putsch wurden ihnen von der neuen Regierung unter General Suharto die Reisepässe entzogen bzw. für ungültig erklärt. Dadurch wurde ihnen die Rückkehr nach Indonesien unmöglich gemacht, sie wurden heimatlos. Ihr „Vergehen“ war, in sozialistischen Ländern studiert zu haben und gegenüber dem rechtmäßigen Präsidenten Sukarno treu geblieben zu sein. Heute leben viele der damaligen Studentinnen und Studenten im Exil in westeuropäischen Ländern. Die meisten von ihnen hatten keine andere Wahl, als die Staatsbürgerschaft ihres Gaststaates anzunehmen, um Verwandte in ihrem Heimatland besuchen zu können.

Auch nach dem Sturz von General Suharto gab es keine wesentliche Veränderung. Die Gesetze, Verordnungen und Präsidentenerlasse, die die ehemaligen politischen Gefangenen, ihre Angehörigen, bis hin zu ihren Enkelkindern, diskriminieren, sind fast alle noch in Kraft.

Ziel der genannten Sammelklage ist die Rehabilitierung aller Opfer des Suharto-Regimes, einschließlich des verstorbenen Präsidenten Sukarno. Ehemalige politische Gefangene, die viele Jahre ohne Gerichtsurteil im Gefängnis saßen oder in der Verbannung verbrachten und Zwangsarbeit verrichten mussten, ehemalige widerrechtlich entlassene Staatsbedienstete, die heute ohne Alterversorgung sind, sowie Personen, deren Besitz vom Militär widerrechtlich konfisziert wurde, klagen im Rahmen dieser Sammelklage auf Wiedergutmachung.

Nach der Prozesseröffnung am 13. April 2005 haben immer wieder rechte Gruppierungen während der Gerichtsverhandlungen demonstriert. Unisono mit Teilen der rechten Medien bezeichneten sie die Kläger als „Kommunisten“. Auch wurden die Anwälte von LBH beschimpft und angegriffen. Der Druck der rechten Gruppierungen, gemeint sind hier vor allem die islamistische Front zur Verteidigung des Islam, FPI, und Teile des Militärs, die für dessen Doppelfunktion eintreten, scheint so stark gewesen zu sein, dass das Distriktgericht am 14. September 2005 beschloss, die Klage wegen „Nichtzuständigkeit“ abzuweisen.

Wie stark die alten Kräfte der Suharto-Ära sind, zeigt sich vielleicht auch darin, dass Megawati Sukarnoputri während ihrer Zeit als Präsidentin nicht in der Lage war, ihren Vater zu rehabilitieren.

Aber wir werden nicht aufgeben! Wir werden weiter für unsere Rechte kämpfen. Unser Ziel ist die Rehabilitierung aller Opfer des Suharto-Regimes, einschließlich Präsident Sukarnos, des Gründungsvaters der Republik Indonesien. La Lutta continua! <>
 
 

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