Indonesien-Information Nr. 1/2006 (ArbeiterInnen)

 

Was nicht auf der Verpackung steht

Arbeitsbedingungen indonesischer Fabrikarbeiterinnen

von Rosa Grabe


„Sexuelle Belästigung? Nein, das ist doch nur Spaß!” meint Mila 1, eine der zahlreichen entlassenen Arbeiterinnen in Mabar, dem Industriegebiet Medans in Nord-Sumatra. Aufdringlichkeiten seitens der Aufpasser oder Chefs kommen so häufig vor, dass es den Frauen schon als normal erscheint – vielleicht weil dies im Vergleich zu den anderen Arbeitsbedingen noch das geringste Übel ist.

Entlassungen sind in Mabar an der Tagesordnung. Gründe gibt es viele: Unproduktivität, eine schlechte Auftragslage, die Gefahr vielleicht doch ein paar Rupiah mehr zahlen zu müssen, wenn die Angestellten längerfristige Verträge erfüllen. Die meisten der Frauen wissen aber nicht, warum sie schon wieder entlassen wurden. Auch die Verträge sind sehr undurchsichtig und oft nur kurzfristig – und keiner weiß genau, wie sich der Lohn zusammensetzt. Nach den Entlassungen bleibt den meisten nichts anderes übrig als abzuwarten, bis sie wieder gebraucht werden, was mitunter Monate dauern kann. In der Zwischenzeit suchen sich manche einen Nebenjob auf dem Markt. Dort kann ein Pärchen mit Zwiebel schälen (ca. 30kg) an einem Tag ungefähr 15.000 Rupiah verdienen (12.000 Rp = 1€). Manche versuchen bei einer anderen Firma ihr Glück, andere essen den ganzen Tag nur Kekse.

Auch Prostitution kommt nicht selten vor. Dies trifft allerdings auch für arbeitende Frauen zu. Die 390.000- 600.000 Rupiah im Monat reichen eben nicht zum Überleben. Andere Einkommensquellen sind Unterstützungen seitens der Eltern oder anderer Verwandter, welche die Frauen einst in der Hoffnung finanziell unterstützt haben, sie würden durch ihre Schulbildung einen guten Job bekommen und dann ihrerseits zum Familieneinkommen beitragen.

Es war doch gut gemeint

Auf Empfehlungen der Industrienationen wurden in den Ländern des Südens seit Mitte der 60er Jahre Freihandelszonen eingerichtet, um so durch die damit verbundenen erheblichen Steuer und Zollvorteile ausländische Investoren anzulocken und dadurch zur „Entwicklung“ der Länder beizutragen. Diese Rechnung ging allerdings nur in Ländern wie Taiwan, Singapur und Südkorea auf. Der Rest musste einen hohen Preis zahlen: die Arbeitsrechte wurden stark eingeschränkt, die Kosten für die Privilegierung der Investoren waren hoch und auf eine Einbindung in die lokale Wirtschaft wartete man vergeblich. In der internationalen Konkurrenz standen die Unternehmen, die auf Sozialstandards achteten schlecht da, dies hat sich erst in den letzten Jahren durch Kampagnen von Organisationen wie der Clean Clothes Campaign (http://www.saubere-Kleidung.de), die sich für faire Bedingungen in der Bekleidungsindustrie einsetzt, geändert. Mittlerweile gibt es für diese Branche auch schon Siegel für Unternehmen, die sozialverträglich produzieren (WRAP, Verantwortliche Kleidungsproduktion weltweit, http://www.wrapapparel.org). Allerdings führt der Druck Arbeitsbedingungen zu verbessern auch oft dazu, dass sogenanntes Outsourcing (das Weiterleiten von Teilaufträgen an Unterfirmen) betrieben, oder die Produktion schlichtweg in andere Länder verlegt wird, in denen es nicht so starke Kontrollen seitens Regierungen oder Gewerkschaften gibt.

Soziale Auswirkungen

Viele junge Frauen hoffen auf individuelle Erwerbsmöglichkeiten in den Fabriken der Freihandelszonen, die sich in Städten wie Medan oder Bandung häufen. Eine Anstellung dort bedeutet meist die Chance einer eigenen Lebenssicherung, da sie sonst kaum eine Möglichkeit haben Geld für sich selbst zu verdienen. Die meisten arbeiten jedoch als gering qualifizierte und schlecht bezahlte Kräfte, obwohl für die meisten Arbeiten mittlerweile ein Highschool Abschluss von Nöten ist, oft arbeiten aber auch Uni-Absolventen in den Fabriken, da es kaum Alternativen gibt. 2

Die Fabriken bauen auf die gesellschaftliche Benachteiligung der Frauen, die deshalb eher zu schlechten Arbeitsbedingungen bereit sind als Männer. Besonders auch in den Fischkonservenfabriken arbeiten meist sehr junge Frauen, bei P.T. Medan Canning sind es z.B. 95%. Der größte Teil ist noch unverheiratet – bei längeren Verträgen wird man gefeuert, wenn vor dem Ende des ersten Vertragsjahres geheiratet wird 3, aber so oder so– viel Zeit für die Kinder bleibt nicht.

Oft werden die Arbeiter zu Überstunden gezwungen. Direkt oder indirekt – viele sind schlicht und einfach auf den zusätzlichen Lohn angewiesen. Die meisten Arbeiter können sich ein Haus in der Nähe der Fabrik nicht leisten oder möchten ihre Familie nicht im Stich lassen. So werden Anfahrtswege von bis zu über 2 Stunden in Kauf genommen, das heißt die Frauen müssen teilweise um 4 Uhr morgens aufstehen, um den von der Fabrik gestellten Bus um 4.30 Uhr zu erreichen. Dieser ist allerdings in fraglichem Zustand und muss selbst bezahlt werden (2000 - 3000 Rupiah pro Tag). Entscheiden sich die Arbeiter allerdings doch zu einem Umzug wohnen oft mehrere Personen auf kleinstem Raum und dies teilweise neben der Müllkippe aller umliegenden (Fisch-) Fabriken.

Es war einmal der Mindestlohn

Die indonesische Regierung hat für 2005 einen Mindestlohn von 600.000 Rupiah festgelegt. Nach einer Forschung von Pak Gindo von der indonesischen Organisation Kelompok Pelita Sejahtera (KPS), die sich für die Rechte von industriellen Arbeitern einsetzt (http://www.pkps.org), wäre aber ein Minimalgehalt von 922.000 Rupiah grade ausreichend um überleben zu können. Die unabhängige Gewerkschaft SBMI hingegen fordert 1 Million Rupiah Mindestlohn.

Nach der Wirtschafskrise Ende der 1990er wurde der Mindestlohn nur minimal angehoben 4, während die Preise für fast alle Lebensbereiche teilweise um 200% gestiegen sind. Die meisten Firmen zahlen allerdings gerade mal den Mindestlohn, wenn überhaupt. Nach Aussagen eines Fabrikbesitzers wäre dieser sogar dazu bereit seinen Angestellten 1 Mio. Rupiah zu zahlen, wären da nicht die horrenden Summen, die er den Gangstern zahlen muss, die fast jeden in Medan für Schutzgeld zur Kasse bitten.

In manchen Fabriken bekommen die Frauen eine Zulage, wenn sie schon mehrere Jahre dort arbeiten, oftmals sind diese aber minimalst: bei PT. Satria in Bandung/Java, die sich auf Headwear spezialisiert haben, bekommt eine Arbeiterin, die seit mehr als 8 Jahren bei der Firma arbeitet, beispielsweise einen Zuschlag von 8400 Rupiah – 70 Cent im Monat. Die Fischkonservenfabrik P.T. Medan Canning allerdings hat alle Zulagen dieser Art abgeschafft. Gleiches gilt für das sogenannte Outsourcing – hier wird im Idealfall der Mindestlohn gezahlt. Auf weitere Sicherheitsbestimmungen u.ä. wird nicht geachtet, da dies sonst die Konkurrenzfähigkeit gefährden würde. Dies ist eine direkte Folge des langsam wachsenden Bewusstseins bei den Kaufern, die sich dafür interessieren, woher das gekaufte Produkt kommt und unter welchen Bedingungen es hergestellt wurde. Auf Druck mancher Verbraucher fordern die Händler die produzierenden Subunternehmen auf, gewisse Mindestsozialstandards einzuhalten und letztere reagieren hierauf indem sie bestimmte Aufträge weiterleiten. So können sie kostspielige Maßnahmen wie Überstundenregelungen und Lohnaufschläge geschickt umgehen.

Arbeitsbedingungen

Viele Frauen klagen über Folgen unzureichender Sicherheitsvorkehrungen wie z.B. Allergien. In der Firma P.T. Tropical Canning werden bei der Krabbenverarbeitung beispielsweise nur sehr schlechte Handschuhe zur Verfügung gestellt und dies auch nur einmal im Monat, alle weiteren Handschuhe müssen selbst finanziert werden. 5 Zum Teil geschieht dies auf Willen der Käufer, die befürchten die Arbeiterinnen würden langsamer und nicht so gründlich arbeiten, wenn sie mehr als Latexhandschuhe tragen würden. Außerdem wären letztere unhygienischer. 6 Zusätzlich dürfen sie selbst bei der kleinsten Schnittwunde solange nicht arbeiten, bis diese wieder verheilt ist.

Auch Fälle wie der von Tisna, die 15 Jahre im Kühlbereich einer Konservenfabrik gearbeitet hat, bleiben ungehört. Sie bekam mit der Diagnose chronische Bronchitis ganze 3 Monate Abfindung: 150€! Könnte sie nicht auf diese langjährige Arbeitsbeziehung zurückblicken hätte sie noch nicht mal die bekommen. Fehlen Arbeiterinnen zu häufig aus Krankheitsgründen, werden sie meist gefeuert.

Einen weiteren Unsicherheitsfaktor stellen Arbeitsvermittlungsagenturen dar, welche Arbeiter einstellt, die oft nicht einmal den Namen der Firma wissen, für die sie arbeiten, geschweige denn an wen sie sich bei Problemen wenden können.

Eigentlich gibt es ja Arbeiterschutz

Offiziell gibt es eine Menge Regeln und Gesetze, welche die Arbeiter und die Natur schützen sollten. Inoffiziell aber gibt es mindestens genausoviele Wege um diese zu umgehen. So dürfen manche Produkte laut Regierung gar nicht mehr produziert werden (z.B. Süßwasserschildkröten als Delikatesse für japanische Schlemmer), kommt aber ein Kontrolleur des ladwirtschaftlichen Ministeriums, so werden die Arbeiter vorher gewarnt, die Verpackungen werden versteckt, auf einmal alle Sicherheitsvorgaben eingehalten und alles läuft nach Plan bis er wieder von dannen zieht. Auch das sogenannte Outsourcing sollte nur eine temporäre Notlösung sein – eigentlich!

Die Ansätze der Clean Clothes Campaign, das WRAP Siegel und Kampagnen wie Rugmark (http://www.rugmark.org) sind ein erster Schritt in die richtige Richtung. Solange Sozialstandards aber umgangen werden können, bleiben sie leider ein Tropfen auf den heißen Stein.

Letztendlich entscheidet aber der Konsument. Dies ist eine nicht zu unterschätzende Macht – würde die Mehrzahl der Verbraucher statt nur bei 0,99€ Preisschildern zuzugreifen auch soziale Kriterien bei ihrem Einkauf miteinbeziehen, würden die Hersteller nicht mehr so einfach Richtlinien und Vorgaben wie geregelte Arbeitszeiten, einen fairen Lohn und Gesundheitsvorkehrungen umgehen können.

Sich dieser Macht bewusst zu sein kann den Stein ins Rollen bringen. <>
 

1 Alle Namen sind aus Sicherheitsgründen geändert. Die organisierten Arbeiter werden oft von den Mafia-ähnlichen Gruppen bedroht, die von den Fabrikbesitzern angeheuert werden um allzu aufmüpfige Stimmen ruhig zu stellen.
2 So kommt es oft vor, dass Schulzeugnisse gefälscht oder von Freunden ausgeliehen werden um an einen Job zu kommen. Meist kümmert dies die Arbeitgeber nicht viel. Im Fall von Ahmadsya, der bei P.T. Shamrock beschäftigt war, führte dies letztendlich zur Verhaftung. Der wahre Grund hierfür ist aber wohl, dass er einer der Streikführer war als vernünftige Gewerkschaftspolitik gefordert wurde. Er wurde zusammen mit 800 anderen Arbeitern nach Demonstrationen entlassen.
3 Geschieht dies, ist es den Arbeitern für die Dauer eines Jahres nicht erlaubt in der entsprechenden Firma zu arbeiten. Auf dem höheren Level der Aufpasser (security) gilt dies für zwei Jahre.
4 Der Mindestlohn wurde im Jahr 2005 um 11,3% erhöht und betrug vorher 537.000 IDR. Allerdings variiert der Mindestlohn von Stadt zu Stadt.
5 Die wird von einigen Arbeitern zur zweiten Einkaufsquelle genutzt, sie verkaufen vier Paar Baumwollhandschuhe für 5000 IDR.
6 Auf Hygiene wird extrem stark geachtet. Eine Arbeiterin bei P.T. Central Windu Sejati wurde entlassen, weil ein Haar in einer Dose gefunden wurde.
 
 
 

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