Indonesien-Information Nr. 1/2006 (Osttimor)

Unsicherheit und Angst in Dili

von José Caetano Guterres

Wenige Tage vor Ausbruch der Unruhen greift in Osttimors Bevölkerung Panik um sich. Zu Tausenden verlassen Bewohner die Hauptstadt Dili.


Nach den gewaltsamen Unruhen am 28. April 2006 haben wir in Dili eine Woche der Unsicherheit, Gewalt, extremer Angst, Hunderten von Gerüchten, verzweifelter Anrufe über Handy, großer Unsicherheit und Anspannung erlebt. Ich hatte den Eindruck, unser Land steht am Rande eines Staatsstreiches. Im folgenden möchte ich gerne ein paar Hintergründe zur Situation geben und beschreiben, was in den letzten Wochen passiert ist.

Am 24. April 2006 hatte eine Gruppe der 595 aus der Armee (Forças de Defesa de Timor Leste, FDTL) entlassenen Soldaten eine einwöchige Demonstration vor dem Regierungssitz in Dili begonnen. Es waren über 1.000 Leute, einschließlich Familienangehöriger der Soldaten und Unterstützer. Die entlassenen Soldaten kommen aus zehn Distrikten (Covalima, Bobonaro, Ermera, Manatuto, Ainaro, Dili, Manufahi und Oecusse), die als „Westen“ in Osttimor bezeichnet werden.

Die Demonstranten forderten die Regierung auf, die Diskriminierung in den Streitkräften zu beenden; sie behaupten, die Führung der FDTL würde Soldaten aus dem „Osten“ (Baucau, Viqueque und Lautem) bei Beförderungen bevorzugen. Angeblich soll einer der FDTL Führer erklärt haben, dass diejenigen aus dem „Westen“ zum 24 Jahre währenden Widerstand nichts beigetragen hätten. Im Februar und März gab es bereits zwei Protestaktionen, zu denen einige Soldaten aus dem „Westen“ die Kasernen verließen. Letztlich gab der Brigadegeneral und Leiter der Streitkräfte, Taur Matan Ruak, am 17. März die Entlassung der Soldaten bekannt, zu einem Zeitpunkt, wo Präsident Xanana Gusmão auf Auslandsreise war. Bei seiner Rückkehr erklärte Xanana, dass er als Präsident mit dieser Entscheidung nicht einverstanden sei, wohl aber als Oberkommandierender der Streitkräfte. Diese Erklärung löste unter der Bevölkerung Panik aus und einige Menschen flohen aus Dili. Die Situation war anhaltend aufreibend und unsicher.

Am 24. April 2006 begann schließlich die Demonstration und war bis zum 28. April angesetzt. So wie ich es verstanden habe, hatten die Demonstranten dazu die Erlaubnis der Polizei und arbeiteten mit ihr zusammen, um sicher zu gehen, dass die Aktion friedlich verlief. Die Protestler campierten fünf Tage lang vor dem Regierungssitz. Am Donnerstag, dem 27. April, gab die Regierung bekannt, dass sie eine Kommission gebildet habe, um die Anschuldigungen der entlassenen Soldaten zu untersuchen. Dieses Angebot wurde von den Soldaten zurückgewiesen.

Nachdem die Demonstration am Nachmittag des 28. April endete, wurden Parlament und Regierungssitz mit Steinen beworfen, drei Autos abgebrannt und weitere zerstört. Zwei Menschen wurden getötet und mehr als 20 Häuser und viele Marktstände niedergebrannt. Die bewaffneten Banden von Jugendlichen sind dann weiter durch verschiedene Stadtteile gezogen und haben die Menschen bedroht und verängstigt. Viele verließen daraufhin ihre Viertel und suchten Sicherheit und Zuflucht in kirchlichen Einrichtungen und der US-Botschaft.

Irgendwann, entweder Freitagnacht oder am frühen Samstagmorgen, wurden die Streitkräfte herbeibeordert, da die Polizei nicht mehr in der Lage gewesen sei, für Ordnung und Sicherheit zu sorgen. Samstag Früh berichtete mir ein Freund, die Soldaten hätten Schießbefehl erhalten.

In dieser Nacht griff die FDTL das Zentrum der entlassenen Soldaten in Tasi Tolu (Stadtteil von Dili) an. Diese Operation, so wurde mir berichtet, habe um 4 Uhr früh begonnen und bis 7 Uhr am Samstagmorgen gedauert. Es sei die ganze Zeit über in dieser Gegend Gewehrfeuer zu hören gewesen. Im Fernsehen zeigte ein Armeeoffizier einem Journalisten Transparente mit Anti-Regierungssprüchen, eine Computerliste mit Namen und einige Waffen, die konfisziert worden waren. Auf den Transparenten forderten die Soldaten die Auflösung des Parlamentes wie der Regierung.

Samstag, Sonntag und Montag (29.4. –1.5.) waren extrem angespannte Tage. Menschen suchten Zuflucht in Kirchen und Priesterseminaren. Über 5.000 Menschen flüchteten sich in die Einrichtung der Salesianer in Comoro, weitere 5.000 zu den Kanisiusschwestern im Stadtteil Balide. Viele machten sich auf in die Distrikte, LKWs und andere Fahrzeuge vollgepackt mit Menschen verließen Dili.

Am Dienstag, dem 2. Mai, schien sich die Lage zunächst zu entspannen, aber am Nachmittag zirkulierten neue Gerüchte und noch mehr Menschen flohen. Mittwoch war relativ ruhig. Doch am Donnerstagmorgen gab es erneut Gerüchte: angeblich seien Polizisten und 15 Militärpolizisten, die aus dem „Westen“ stammen, mit ihren Waffen desertiert und hätten sich den entlassenen Soldaten, die sich in die Berge nach Ermera zurückgezogen haben, angeschlossen. Ich sah LKWs voll mit Menschen und ihrem Gepäck nach Osten (Baucau) und nach Westen (nach Liquisa oder weiter in den Westen) fahren. Währenddessen schickte die Regierung Autos mit Lautsprechern durch die Stadt und versuchte die Bevölkerung zu beruhigen, sie hätten die Situation unter Kontrolle.

Freitagabend, am 5. Mai, sprach Premierminister Mari Alkatiri in einer interaktiven Fernsehsendung. Auf Fragen nach den desertierten Polizisten bestätigte er, dass rund 30 Polizisten und Militärpolizisten mit ihren Waffen desertiert seien und man annimmt, dass sie sich zu den Dissidenten gesellt haben. Aber er glaube nicht, dass sie Dili angreifen werden. Die Lage in Dili hätte sich normalisiert und er forderte die Bevölkerung auf, nach Dili zurückzukehren. Er wies die Regierung an, über das Wochenende Kampagnen durchzuführen, um die Menschen zur Rückkehr zu ermutigen.

Am Samstag sprach der Präsident zur Nation und brachte seine tiefe Besorgnis zum Ausdruck. Er forderte die entlassenen Soldaten, sowie den Kommandanten der Militärpolizei und die anderen Polizisten, die sich den Aufständischen angeschlossen haben, keine Schwierigkeiten in den Gemeinden zu schaffen und wenn sie ihm vertrauen, überhaupt keine weiteren Unruhen auszulösen. Er bat alle Bürger, die aus Dili geflohen sind, wieder zurückzukommen und ersuchte die Kirche, ihm bei der Verbreitung dieser Botschaft zu helfen. Der Präsidenten war in Begleitung der beiden Bischöfe von Osttimor.

Am darauffolgenden Montag, dem 8.Mai, kam es im Distrikt Ermera zu einem weiteren Zusammenstoß. Rund 1.000 Demonstranten attackierten sechs Polizisten, die den Staatssekretär Egidio de Jesus zu einem offiziellen Besuch nach Gleno begleiteten. Ein Polizist wurde getötet, zwei weitere schwerverletzt, drei Regierungsautos und das Regierungsbüro in Gleno zerstört. Die Demonstranten forderten die Regierungsaktivitäten in den zehn Distrikten („Westen“) zu boykottieren. Inzwischen hat die Regierung, das Parlament und der Präsident wie angeboten, eine Untersuchungskommission eingerichtet, die die Forderungen der entlassenen Soldaten prüfen soll. Die Kommission wurde am 5. Mai eingesetzt und besteht aus 8 Personen einschließlich Vertreter der Katholischen Kirche und von NGOs. Sie haben die Arbeit aufgenommen und sind bemüht, die entlassenen Soldaten in den Bergen zur Mitarbeit zu bewegen. In einem Interview erklärte deren Anführer, Gustão Salsinha, dass sie sich nicht an dem Untersuchungsprozess beteiligen wollen. Sie fordern statt dessen für die Unruhen vom 28. April eine internationale Untersuchungskommission einzuberufen.

Regierungsvertreter werden nicht müde zu betonen, die Situation sei unter Kontrolle und die Menschen mögen nach Dili zurückkehren. Obgleich sich die Lage im ganzen Land normalisiert hat, haben viele Angst und bleiben in den Distrikten. Sie glauben der Regierung nicht und haben kein Vertrauen. Viele warten auch ab, bis die Regierungspartei Fretilin am 17. – 19. Mai ihren Kongress in Dili abgehalten hat. In Dili gehen inzwischen viele wieder tagsüber zur Arbeit, bleiben aber ansonsten in ihren Häusern und suchen des Nachts Sicherheit in kirchlichen Einrichtungen. Ich hoffe, dass die involvierten Parteien dieses Konflikts, FDTL, Polizei und Regierung, die Reife besitzen, das Problem zu lösen, so dass wir Osttimoresen nicht unsere Unabhängigkeit verlieren werden, für die so viele gelitten haben, so viele ihr Leben dafür verloren haben und wir vieles an Zerstörung hinnehmen mussten. <>

José Caetano Guterres ist Leiter des Archivs der Wahrheitskommission in Osttimor und Mitarbeiter des technischen Büros zur Verbreitung des Abschlussberichtes.
 
 

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