Indonesien-Information Nr. 1/2006 (Soziales)

 

Wir brauchen Transparenz, nicht Transparente

 

 von Alex Flor

 
 
„Ich weiß nicht, wie ich da raus kam, aber irgendwie habe ich es geschafft. Ich habe geschlafen, als es passierte,“ sagt Pak Ridwan (nicht sein wirklicher Name), vor einem Trümmerhaufen stehend, der einmal sein Haus gewesen war. Wie ein Wunder konnten er und seine Frau sich unverletzt ins Freie retten. Anderen war weniger Glück beschieden. Sechs Personen, darunter zwei Kinder, ließen in diesem kleinen Dorf unweit von Bantul, Yogyakarta, ihr Leben , als das verheerende Erdbeben die Region am 27. Mai heimsuchte. Die offizielle Zahl der Todesopfer in der gesamten betroffenen Region beläuft sich auf 5.857.

Während wir Pak Ridwan lauschen, säubern am Boden sitzende Leute mit Kokosnussschalen unzerbrochene Dachziegel, mit denen andere ein paar Meter weiter das Dach eines im Bau befindlichen Hauses decken. Ein großer Teil der Backsteine, Dachziegel und Holzbalken, die sich in den Trümmern finden, kann wiederverwertet werden. Wir sehen keine neuen Baumaterialien.

Eine lokale NGO berät die Bewohner, wie sie ihre Häuser in einer Weise wieder aufbauen oder reparieren können, die sie sicherer macht, falls es wieder ein Beben geben sollte. Die Mitarbeiter der NGO brachten auch einige Werkzeuge, Schubkarren, Nahrungsmittel und Zeltplanen. Sämtliche Arbeiten werden von den Dorfbewohnern selbst erledigt. Gotong Royong, die gegenseitige Hilfe, hat eine lange Tradition in diesem Teil Javas. NGOs befürchten, dass „Food for Work Programme“, wie sie von einigen internationalen Organisationen betrieben werden, dieses solidarische Handeln zum Stillstand bringen könnten. Das Ausmaß der Zerstörung ist enorm. Vorläufige Schätzungen der Nationalen Planungsbehörde BAPPENAS belaufen sich auf 358.000 in Mitleidenschaft gezogene Häuser, davon gelten 75.000 als völlig zerstört und 116.000 als schwer beschädigt. Aber im Unterschied zu den vom Tsunami heimgesuchten Gebieten in Aceh, wo ganze Wohngebiete sprichwörtlich im Meer versanken, ist das Leben in der Region rund um Bantul keineswegs völlig zum Erliegen gekommen.

Nachdem wir ein anderes Dorf besichtigt haben, servieren uns die Bewohner Tee und gekochte Bananen. Nur das schattenspendende Blätterdach über uns, das die Mittagshitze mildert, sitzen wir an einem Tisch in der „Volksküche“, die die Bewohner hier eingerichtet haben. „Die Brunnen blieben unbeschädigt,“ erklärt einer unserer Gastgeber die Herkunft des Wassers, mit dem der Tee gekocht wurde. In den Gärten können Obst und Gemüse geerntet werden. „Jetzt beginnt die Reisernte,“ sagt ein anderer. Es wäre unmöglich gewesen, in Aceh nur drei Wochen nach der Katastrophe Gärten, Reisfelder oder Trinkwasser zu finden. Alles war zerstört oder mit einer salzwasserhaltigen stinkenden Schlammschicht, Trümmern und sogar Leichen bedeckt. Hier in der Provinz Yogyakarta sind die Schäden an der Infrastruktur bei weitem geringer. Entsprechend begrenzt ist der Bedarf an ausländischen Experten. Viele gut ausgebildete Planer und Techniker, die die notwendigen Arbeiten erledigen können, leben vor Ort. Und nach den erste chaotischen Tagen, als der Flughafen geschlossen war und alle im Stau feststeckten, stellt die Transportlogistik inzwischen ebenfalls kein ernsthaftes Problem mehr dar. Viele Häuser der Mittel- und Oberklasse sowie Geschäfte und Gebäude von Privatunternehmen weisen nur geringe Schäden auf. Überraschenderweise sind einige der am schlimmsten Zerstörungen an öffentlichen Gebäuden wie der Technischen Hochschule (STIE) oder dem Sportzentrum in Yogyakarta zu sehen. Augenscheinlich waren die Bauart dieser Gebäude von geringer Qualität. Ist dies ein Hinweis auf das im öffentlichen Sektor besonders hohe Ausmaß an Korruption? Wie auch immer, die überwiegende Mehrzahl der zerstörten Gebäude sind die Häuser der Armen, zweifelsohne schlecht konstruiert aufgrund mangelnder finanzieller Möglichkeiten.

Somit besteht ein großer Bedarf an Hilfe. Hunderttausende leben in Zelten. Mehr als 3 Mrd. US$ werden zur Beseitigung der Schäden an Gebäuden und Einrichtungen benötigt, schätzt BAPPENAS in einer vorläufigen Bestandsaufnahme. Sogar viele, deren Häuser unbeschädigt blieben, schlafen aus Angst vor Nachbeben lieber in Zelten. Traumatherapie ist mit Sicherheit ein Thema, das Experten und Freiwillige noch lange beschäftigen wird.

Somit besteht ein großer Bedarf an Hilfe. Hunderttausende leben in Zelten. Mehr als 3 Mrd. US$ werden zur Beseitigung der Schäden an Gebäuden und Einrichtungen benötigt, schätzt BAPPENAS in einer vorläufigen Bestandsaufnahme. Sogar viele, deren Häuser unbeschädigt blieben, schlafen aus Angst vor Nachbeben lieber in Zelten. Traumatherapie ist mit Sicherheit ein Thema, das Experten und Freiwillige noch lange beschäftigen wird.

Obwohl es zum Allgemeinwissen zählt, dass große Teile Indonesiens auf dem sogenannten „Ring aus Feuer“, einer seismologisch äußerst aktiven Zone, liegt, scheint die Regierung auf größere Erdbeben, Tsunamis und Vulkanausbrüche nur schlecht vorbereitet zu sein. Nur geringe Summen sind in den nationalen und lokalen Haushalten für Notfallmaßnahmen eingeplant. „Bis jetzt hat die Regierung nur wenig Hilfe geleistet. Erst gestern haben sie uns Reis geschickt,“ sagt Pak Ridwan auf ein paar Säcke zeigend, die in einem der Zelte gestapelt sind. Als Dorfchef ist Pak Ridwan derjenige, der in ständigem Kontakt mit Behördenvertretern steht, um diese über die Bedürfnisse seines Dorfes zu unterrichten. „Ich weiß nicht, ob Geld das Hauptproblem ist. Aber bedauerlicherweise hat sich das Gehabe der Verwaltung angesichts der Katastrophe nur unwesentlich geändert. Wir brauchen immer noch jede Menge Stempel und Unterschriften, von der Kreis- bis zur Kommunalverwaltung, bevor sich irgendetwas bewegt,“ sagt er. „Und nun müssen die Leute auch wieder für medizinische Behandlung bezahlen. Nur für eine Weile konnten sie sich für umsonst im Krankenhaus behandeln lassen.“ Man sieht viele Überlebende mit gebrochenen Armen oder Beinen, die der nachsorgenden Behandlung bedürfen. Wie viele werden bleibende Schäden behalten, weil sie einfach nicht das Geld haben, dafür zu bezahlen?

NGOs, die sich im Netzwerk SUARA (Solidarity for Emergency, Advocacy and Rehabilitation) zusammengeschlossen haben, befürchten nun ein „soziales Nachbeben“. Mit Vehemenz wenden sie sich gegen neue Kredite an die indonesische Regierung, um den Wiederaufbau zu finanzieren, wie kürzlich auf dem Treffen der CGI (Consultative Group on Indonesia), dem Konsortium der ausländischen Geldgeber, diskutiert wurde. Stattdessen fordern die Aktivisten von SUARA ein Schuldenmoratorium, um die auf dem Land liegende finanzielle Belastung zu mindern. Unter besten Umständen wird der Wiederaufbau die Wirtschaft lediglich auf das Niveau von vor der Katastrophe anheben können. Fällige Kreditzinsen können daher nicht aus einem erwirtschafteten Mehrwert gedeckt werden, sondern tragen zur Schuldenlast des gesamten Landes bei. „Das verletzt das Prinzip der Menschlichkeit,“ heißt es in einer Presseerklärung von SUARA. Die NGOs fordern des Weiteren effektive Maßnahmen zur Sicherstellung von Transparenz und guter Rechnungsführung aller Projekte. Einige schlechte Erfahrungen, die in Aceh gemacht wurden, machen die Notwendigkeit dieser Forderung deutlich. Der Anblick der bizarren Ruinen öffentlicher Gebäude in Yogyakarta unterstreicht deren Relevanz.

Zivilgesellschaftliche und politische Organisationen haben Hunderte von Transparenten mit Slogans zur moralischen Unterstützung der Opfer aufgespannt. Aber „was sie jetzt brauchen, ist konkrete, reale und sichtbare Hilfe. Nicht nur leere Worte, die unrealistisch sind wie diese,“ schreibt ein Opfer im Bulletin von SUARA. <>

Suara Website (nur in Bahasa Indonesia): http://www.suarakorbanbencana.org/
 

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