Indonesien-Information Nr. 1/2006 (ArbeiterInnen)

Vom Kampf um ein wenig Sicherheit

Die Rechte indonesischer ArbeiterInnen drohen zu Gunsten des Investionsklimas geopfert zu werden

von Gert W. Thoma, Industrieberater in Ostjava, und Anja Köhler, Friedrich-Ebert-Stiftung (FES), Regionales Genderprogramm Südostasien


Seit Anfang April kommt es in zahlreichen indonesischen Städten, wie Jakarta, Bandung und Sidoarjo, zu massenhaften Arbeitsniederlegungen und Demonstrationen, die sich gegen die Revision des Arbeitsgesetzes der Republik Indonesien (UU 13/2003) richteten. Die beabsichtigten Änderungen des Gesetzes sehen eine breitere Anwendbarkeit und längere Laufzeiten befristeter Arbeitsverhältnisse, einen Abbau des Kündigungsschutzes, niedrigere Abfindungszahlungen, verminderte Sozialleistungen, sowie die Billigung verschärfter Disziplinarmaßnahmen durch die Arbeitgeber im Dissenzfall vor. Die Folge einer solchen Gesetzesänderung wäre eine drastische Verschlechterung relativ sicherer Arbeitsverhältnisse und der sozialen Absicherung von Beschäftigten. Und dies zu einem Zeitpunkt, zu dem die Lebenshaltungskosten um jährlich 17 Prozent p.a. steigen.

Die geplanten Einschränkungen der Arbeitnehmerrechte sollen, so die Hoffnung der Regierung, das düstere Investitionsklima des Landes verbessern. Tatsächlich jedoch hat das lädierte Image Indonesiens als Wirtschaftsstandort weniger mit den gesetzlich geregelten betrieblichen Leistungen für Arbeitskräfte als vielmehr mit dem äußerst geringen Standard staatlicher Investitionshilfen, dem hohen Kostenniveau für Investitionsgenehmigungen sowie den unübersichtlichen und langen Wegen durch die Bürokratie und der geringen Rechtssicherheit zu tun. Kein anderes Land des ASEAN-Verbundes fordert von Investoren mehr Landeskenntnis, Geduld und Schmiergeld als die Inselrepublik Indonesien.

Die unablässigen ArbeiterInnenproteste gegen die angekündigten Änderungen haben zum Einlenken der Regierung geführt. Nun sollen die geplanten Änderungen im Gesetz noch einmal neu verhandelt werden, diesmal mit Beteiligung der Arbeitnehmerseite unter Einbeziehung der Expertise verschiedener Universitäten. Die Verabschiedung des geänderten Arbeitsgesetzes wird für Ende diesen Jahres erwartet.

Unter den Streikenden sind viele Frauen, welche von den Beschneidungen der Arbeitnehmerrechte besonders schwer betroffen wären und nun um die Zukunft ihrer Familien bangen. Das Indonesienbüro der FES setzt sich seit Jahrzehnten für die Belange von ArbeitnehmerInnen in Indonesien ein. Es werden vor allem Fortbildungsmaßnahmen, Veröffentlichungen und Aufklärungskampagnen unterstützt, und dies immer unter besonderer Berücksichtigung der Probleme und Interessen von Frauen, deren Situation am Arbeitsmarkt immer auch in einer direkten Wechselbeziehung zu ihrer Stellung innerhalb der Familien und der Gesellschaft steht und somit auch deren Möglichkeiten zur Teilhabe an der wirtschaftlichen und demokratischen Entwicklung des Inselstaates bestimmt.

Um einen Einblick in das Alltagsleben und die Probleme indonesischer Industriearbeiterinnen zu geben, führte Gert W. Thoma, Industrieberater in Ostjava, für die FES Interviews mit Frauen in der ostjavanischen Industriestadt Sidoarjo durch, wo besonders viele Frauen die Arbeit niederlegten.

Etik M. ist 29 und verdient als Fabrikarbeiterin den von der Provinzregierung festgelegten Mindestlohn von 700 Tausend Rupiah pro Monat (etwa 60 Euro). Seit neun Jahren ist sie mit Hassan verheiratet, ihre zweijährige Tochter lebt bei Etiks Eltern im 70 km östlich von Sidoarjo gelegenen Madiun. Alle zwei Wochen fahren Etik und Hassan mit dem Bus nach Madiun und bringen kleine Geschenke und Geld zum Lebensunterhalt der Tochter mit. Sie würden ihre Tochter gerne – wie früher – jede Woche sehen. Aber seit im Februar diesen Jahres die Kraftstoffpreise um 100% angehoben wurden und die Busfahrt von Sidoarjo nach Madiun und retour nun 90 Tausend Rupiah pro Person kostet – das sind ungefähr acht Euro –, können sie sich das nicht mehr leisten.

Etik und Hassan zahlen jeden Monat ein Viertel ihrer Gehälter auf Etiks Konto bei der Volksbank BRI ein. Das zweite Viertel geben sie für die Besuche in Madiun aus, vom Rest bestreiten sie ihre täglichen Ausgaben sowie die ihrer Tochter und der Großmutter. Das sieht wie ein sicherer Haushaltsplan aus, der allerdings nur dann aufgeht, wenn in der Verwandtschaft niemand krank wird, einen Unfall hat, heiratet oder verstirbt. In solchen Fällen müssen die beiden kräftig mitfinanzieren. Etiks Kontostand übersteigt also selten die Millionengrenze (ca. 80 Euro).

Sowohl Etik als auch Hassan schlossen die Mittelschule ab. Da das Geld für eine Berufsausbildung fehlte, arbeiten beide nun hier in der Fabrik in Sidoarjo ganz unten in der Hierarchie, ohne Aufstiegschancen. Etik möchte gern ein zweites Kind und als erziehende Mutter zu Hause arbeiten. Das Einkommensniveau lässt dies jedoch nicht zu. Wäre Hassan Alleinverdiener, dann würde das Paar in die Armut absinken. Dann könnten sie sich die Untermiete in Sidoarjo und die Fahrten zur Tochter nicht mehr leisten und müssten auf’s Dorf bei Madiun ziehen. Dort sind die Lebenshaltungskosten niedriger, aber es gibt keine Arbeit. Hassan könnte sich bestenfalls im fernen Surabaya als Saisonarbeiter verdingen.

Beide gehören seit zehn Jahren einer Gewerkschaft an. Sie waren nie aktiv und werden es auch nicht. Sie möchten ihre Stellen im Betrieb nicht gefährden.

Puji P. ist inzwischen auch inaktives Mitglied der Gewerkschaft. Vor 6 Jahren verlor sie wegen ihrer aktiven Rolle in der Arbeitnehmervereinigung mehrmals ihre Stellung als Vorarbeiterin in einer Schuh-, dann einer Plastik- und schließlich einer Möbelfabrik. Sie lernte den Busfahrer Marjen kennen, sie heirateten und wohnen nun mit ihren zwei Söhnen am Rand der Vier-Millionenstadt Surabaya. Während Marjen zweimal am Tag zwischen Solo in Zentraljava und Surabaya in Ostjava pendelt und dafür 40 Tausend Rupiah bekommt (ungefähr 3,50 Euro), verdingt sich Puji acht Stunden täglich als Industriearbeiterin in einem Textilbetrieb. Vielleicht schafft sie es wieder zur Vorarbeiterin? Aber im Moment muss sie mit dem Mindestlohn für unqualifizierte ArbeiterInnen in Höhe von ca. 60 Euro Vorlieb nehmen. Sie ist froh, überhaupt wieder einen Job gefunden zu haben. Marjen und Puji leben mit den beiden Kindern in zwei kleinen, angemieteten Zimmern nahe der Textilfabrik. Morgens um halb fünf steht Puji auf, macht das Essen für den ganzen Tag, bringt den Dreijährigen zur Nachbarin und den um ein Jahr älteren in den Kindergarten. Mit dem Fahrrad ist es nicht weit zur Textilfabrik, wo Puji von 7.00 bis 16.00 Uhr an der Nähmaschine sitzt. Es ist heiß in der riesigen Halle und unter dem Kopftuch, das sie tragen muss. Nicht der Hauch einer frischen Brise. Sie bringt jeden Tag eine große Flasche Mineralwasser mit. So kann sie die Hitze ertragen und so unterdrückt sie jeden Tag den Wunsch, in der Gewerkschaft ein Wort mitzureden. Dabei brennt ihr der Protest gegen den Abbau der fundamentalen Arbeitsrechte unter den Nägeln. Aber sie kann es sich nicht leisten, ihre Stellung zum vierten Mal zu verlieren. Das wäre fatal für sie, ihren Mann und die beiden Kinder. Außerdem fürchtet sie sich vor Sicherheitsleuten, seit vor ein paar Jahren eine progressive Gewerkschafterin in Sidoarjo von bezahlten Sicherheitsleuten zu Tode gefoltert wurde.

Hartini S. ist alle Kindersorgen los. Ihre Männer auch. Mit ihren 49 Jahren blickt sie auf zwei schwierige Ehen, das harte Leben einer alleinerziehenden Mutter und die Zeit des Alleinseins zurück. Sie war immer als Industriearbeiterin beschäftigt, hat ihren Lohn in die Ausbildung der Kinder gesteckt und diese bis zum Abitur gebracht. Noch heute hat sie viele Schulden. Ohne Kredite hätte sie das alles nicht geschafft. Nach der Trennung von ihrem ersten Mann wegen Frauengeschichten zahlte dieser nur wenige Monate lang Alimente, bis er dann mit seiner neuen Frau unbekannt verzog. Es gibt in der Millionenstadt Surabaya keine Stelle, welche einer verlassenen Mutter hilft, dem Verbleib eines flüchtigen, muslimischen Mannes nachzuspüren, um Unterhaltszahlungen einklagen zu können. Undenkbar!

Ihr zweiter Ehemann kam Hartini S. noch teurer zu stehen. Nachdem er im ersten Jahr des Zusammenseins noch für sich selbst sorgte, lag er seiner Frau in den Folgejahren auf der Tasche, verkehrte in Spielhallen und bedrohte seine Frau, wenn sie nicht für seine Schulden gerade stand. Hartini lief von Geldverleiher zu Geldverleiher. Die Schuldenlast wurde immer größer, bis Hartini nachts nicht mehr schlafen konnte. Nicht selten verlangen Geldverleiher 100% und mehr Zins pro Jahr.

Ihre drei erwachsenen Kinder sieht Hartini selten. Nach dem Schulabschluss erlebten sie das Schicksal der meisten indonesischen Jugendlichen. Lange waren sie nach dem Schulabschluss arbeits- und somit mittellos. Immer wieder mussten sie die Hilfe ihrer Mutter, die ja immerhin einen Job hat, erbitten.

Arbeitgeber können sich unter den 5 ½ Millionen jährlich auf den Markt drängenden frisch Ausgebildeten die Besten aussuchen. Da bleibt für Abgänger der Mittelschule nichts und für solche mit Abitur wenig übrig. So verdingt sich Hartinis erster Sohn Arifin für umgerechnet 45 Euro im Monat als Sprudelverkäufer, Machfud, der zweite, für kaum mehr als Packer einer Spedition und Fifi, die jüngste, bedruckt T-Shirts für Dorfkinder.

Hartini könnte auch, wie ihr erster Mann, in eine andere Stadt ziehen, um sich dem Zugriff ihrer vielen Gläubiger zu entziehen. Das tut sie allerdings nicht, weil sie an Gott glaubt und niemandem Unrecht tut. Täglich sortiert sie in der Nudelfabrik Einzelpackungen in Versandkartons, sympathisiert mit den Gewerkschaften, hält sich aber aus jeder Politik raus.

Mit dem Bewusstsein einer vom Kampf ums Überleben geprägten Frau konzentriert Hartini sich heute auf das Notwendige und Machbare: Geld verdienen, Schulden tilgen und am Sonntag um neun Uhr morgens dem Gottesdienst beiwohnen. <>
 

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